Europa in schlechter Verfassung

übersetzt von Andre M. 24.05.2004 01:55 Themen: Globalisierung Militarismus Repression Soziale Kämpfe
Der Entwurf einer "Verfassung für Europa" führt zu einer neuen Qualität in der Militär- und Rüstungspolitik der EU: So verpflichten sich "die Mitgliedsstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Artikel I-40); eine Aufrüstungsverpflichtung, die es in keiner anderen Verfassung gibt. Sie wird unterstützt durch ein neues "Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" (Art. I-40 Abs. 3). Die Mitgliedstaaten verpflichten sich auch zu "Kampfeinsätzen als Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet" (Art. III-210), also etwa im Hindukusch - ein extrem weit gefasstes Mandat mit völlig offener Grenzziehung. Weiter: "Über militärische Einsätze der EU entscheidet der Ministerrat" (Art. I-40; III-205). Das EU-Parlament ist von Mitsprache und Mitentscheidung ausgeschlossen. Eine gerichtliche Kontrolle der Beschlüsse durch den Europäischen Gerichtshof ist durch die Verfassung untersagt (Art. III-282).

Erstaunt, wie wenig manche darüber wissen, hab ich mal eine Übersetzung vom Januar hervorgekramt.
Das Projekt Europäische Verfassung

Von Peter Becker und Philipp Boos (1)

Dieser Bericht beschreibt die Entwicklung, Ausführung und Ergebnisse des Projekts Europäische Verfassung, organisiert durch Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), die Humanistische Union (HU) und die Internationale Vereinigung von Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA). Das Projekt wurde von den Autoren beim 2. IPPNW-Kongress “Kultur des Friedens” in Berlin präsentiert. In der Zwischenzeit wurde der endgültige Entwurf für die Europäische Verfassung im Juli 2003 vom Präsidenten des Europäischen Konvents, Valerie Giscard d´Estaing, präsentiert.

I. Entwicklung des Projekts

Im März 2003 begann der Europäische Verfassungs-Konvent, eine Verfassung für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu entwerfen. Der Konvent bestand aus Mitgliedern der Parlamente und Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie Mitgliedern des Europäischen Parlaments. (2) Kombiniert mit der Institution des Konvents war die Einladung von Repräsentanten der Zivilgesellschaft, Vorschläge für die europäische Verfassung zu machen und sich mit einem Internet-Forum direkt an der Diskussion über neue Anträge zu beteiligen. (3)

Diese Entwicklung wurde als eine ausgezeichnete Gelegenheit gesehen, eine europäische Position für friedensorientierte Politikziele, besonders die Förderung der zivilen Konfliktschlichtung, zu artikulieren. Das Fenster der Gelegenheit sollte genutzt werden, obwohl die Erfolgsaussichten eher niedrig waren, da eine wachsende Militarisierung in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beobachtet werden könnte.

Folglich entschieden sich IPPNW, HU und IALANA, Einfluss in die Entwicklung des Verfassungsentwurfs zu nehmen und das Projekt Europäische Verfassung ins Leben zu rufen. Eine Registrierung als „Repräsentanten der Zivilgesellschaft“ wurde auf der Webseite des Konvents durchgeführt. Ein Katalog von friedensorientierten Politikvorschlägen wurde eingereicht. Dieser erste Vorschlag wird in seiner ursprünglichen Form dokumentiert:

Von der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA), den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und der Humanistische Union (HU) werden folgende Regelungen für die Europäische Verfassung vorgeschlagen:

1. Die Gemeinschaft und die Mitgliedsstaaten verurteilen den Einsatz militärischer Gewalt als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle und verzichten auf ihn als Werkzeug ihrer nationalen Politik.

2. Die Gemeinschaft darf Atomwaffen und Massenvernichtungswaffen nicht herstellen, lagern, transportieren, testen oder verwenden.

3. Die Gemeinschaft und die Mitgliedsstaaten stellen zivile Kräfte zur Prävention und Schlichtung nationaler und internationaler Konflikte auf.

Der Erklärung von Laeken zufolge wünschen die Bürger mehr Europa in außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen, mit anderen Worten: mehr und besser koordinierte Maßnahmen bei der Bekämpfung der Krisenherde in Europa und der Welt.

Wir setzen uns für eine De-Legitimierung des Krieges als Mittel der Politik, die Verankerung ziviler Konfliktschlichtungsstrukturen und des Aufbaus dafür notwendiger Kapazitäten ein. Vorbild ist die Regelung im Kellogg-Pakt, der für viele Staaten der EG gültiges Völkerrecht darstellt.

Der Versuch, die militärische Stärke der USA zu erreichen, muss scheitern. Europa sollte in einen Wettbewerb um die besseren Mittel zur Konfliktschlichtung eintreten. Dieser Wettbewerb findet auch in der Kriegsprävention statt. Ein Beispiel ist der Jugoslawien-Konflikt, in dem die europäischen Staaten bis zuletzt versucht haben, einen Krieg zu vermeiden (Rambouillet).

Die Festschreibung des Vorrangs ziviler vor militärischer Konfliktschlichtung ist anerkannt, aber nicht ausreichend. Diese Formulierung setzt unzutreffend voraus, dass Krieg ein Mittel zur Konfliktschlichtung ist. Die Vorherrschaft des Rechts nach der Regel "Rule of Law, not Rule of Power" muss durchgesetzt werden. Dazu ist die Absicherung durch Einschaltung eines Gerichts sinnvoll (Vorschlag von Alt-Bundespräsident Herzog).

Die Ächtung der Atomwaffen beruht auf dem völkerrechtlich verbindlichen Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zu Atomwaffen von 1996.

Die Absage an Krieg wäre unvollständig, wenn nicht gleichzeitig Alternativen aufgezeigt würden. Das naheliegende und inzwischen erfolgreich erprobte Mittel ist die zivile Konfliktschlichtung. Wenn dafür nicht ausreichende Strukturen bereit stehen, ist ein Rückfall auf militärische Mittel wahrscheinlich. Nur die Aufstellung von Streitkräften ist bisher obligatorisch, nicht aber die von zivilen Konfliktschlichtungskräften.

Die zivilen Konfliktschlichtungskräfte sollten auf Einladung betroffener Staaten oder Anforderung der UN eingesetzt werden. Eine Einladung wird leichter fallen als das Einverständnis zu einer militärischen "Besatzung". Dabei sollte auf vorhandene politische Konzepte und zivile Strukturen in UN, OSCE sowie NROs zurückgegriffen werden. Wir schlagen vor, dass Europa Konfliktschlichtung mit Ausrichtung auf die Etablierung rechtsstaatlicher Strukturen betreibt. Das ist billiger als militärische Intervention, führt nicht zu menschlichen Opfern und Zerstörung und schafft hochqualifizierte Arbeitsplätze.

II. Gründe

Wie bereits dargelegt, verlangten IALANA, IPPNW und HU eine De-Legitimierung des Krieges als Mittel der Politik, ein Verbot von Massenvernichtungswaffen und die Einrichtung von Strukturen für zivile Konfliktschlichtung, sowie die Einrichtung von zivilen Konfliktschlichtungskräften.

Als eine Vorbildregelung für die Ablehnung von Krieg dient der Briand-Kellogg-Pakt sowie nationale Verfassungen, wie die von Italien und Japan. Die Ablehnung von Krieg als politisches Instrument wäre nicht komplett, wenn sie nicht mit einer wirkungsvollen Alternative für Konfliktschlichtung kombiniert wird. Die offensichtliche und jetzt auch erfolgreich getestete Maßnahme ist der Gebrauch von zivilen Konfliktschlichtern. Die Probleme mit der Etablierung von OSCE-Missionen haben jedoch gezeigt, dass eine konstitutionelle Garantie für zivile Konfliktschlichtung notwendig ist. Wenn nicht genügend Strukturen für zivile Konfliktschlichtung existieren, ist ein Rückfall zu militärischen Maßnahmen wieder wahrscheinlicher. Folglich sollte die verfassungsmäßige Ablehnung des Krieges mit einer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Errichtung von zivilen Konfliktschlichtungskräften kombiniert werden.

Die offensichtliche Priorität von Konfliktverhinderung über -schlichtung wird häufig vernachlässigt, weil die Gefahr eines Konflikts nicht rechtzeitig wahrgenommen wird, weil sich die politischen Kapazitäten auf bereits existierende Konflikte konzentrieren und weil die Bereitwilligkeit, Geld für Vorbeugung auszugeben, ziemlich begrenzt ist. Folglich – der Realität ins Auge sehend – wird Konfliktschlichtung immer notwendig bleiben.

Die Strategie, das Niveau der militärischen Stärke der US durch eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erreichen, wird scheitern, da die Bereitwilligkeit und die Fähigkeit, den notwendigen Etat für diese Aufgabe aufzubringen, nicht gegeben ist. Stattdessen sollte sich das europäische Hauptaugenmerk auf zivile Alternativen richten. Europa sollte sich in einem weltweiten Wettkampf für die effizientesten Maßnahmen zur Konfliktschlichtung engagieren. Indem man eine Politik der Verletzung internationaler Gesetze und des Beendens internationaler Verträge ablehnt, muss die Priorität des Gesetzes zur Lösung internationaler Konflikte wieder hergestellt werden. “Rule of Law, not Rule of Power“ muss der grundlegende Ansatz zu diesen Konflikten sein, besonders wegen jüngsten Verletzungen internationaler Gesetze im Umgang mit Konflikten.

Der Kellogg-Pakt sowie die italienische und japanische Verfassung enthalten ein Verbot, Krieg als politisches Instrument zu verwenden. Bis jetzt gibt es nicht genügend Errichtungen dieses Verbots oder der Priorität der zivilen Konfliktschlichtung in europäischen Gesetzen. Nur die Errichtung von militärischen Kräften, nicht aber von Kräften zur zivilen Konfliktschlichtung ist in nationalen Verfassungen vorgesehen.

Vorhandene politische Konzepte und zivile Strukturen in UNO, EU und OSCE und den nationalen Auswärtigen Ämtern sowie in NROs sollten benutzt werden, anstatt sich auf militärische Vorgehensweisen zu beziehen. Um Konfliktregionen zu helfen, ist ein Fokus auf Rule-of-Law und demokratischen Strukturen sowie aufrecht zu erhaltender ökonomischer Unterstützung notwendig. Die Anwesenheit von Militär muss auf das absolut notwendige Niveau zur Sicherheit in der Region begrenzt werden. Ein Trainingsprogramm für zivile Konfliktschlichter muss aufgestellt werden.

1. Die Notwendigkeit einer Regelung in der europäischen Verfassung

Grundlage für die Entwicklung der europäischen Verfassung ist die „Erklärung von Laeken“. (4) Zivile Konfliktschlichtung wird in vielen wichtigen Teilen dieser Erklärung erwähnt. Die Erklärung fragt, ob Europa eine führende Rolle in der Welt einnehmen soll. Laut dieser Erklärung erwarten die europäischen Bürger eine größere europäische Auswirkung in den Fragen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Mit anderen Worten: mehr und besser koordinierte Maßnahmen zur Behandlung von Krisen in Europa und dem Rest der Welt.

2. Gründe für die einzelnen Vorschläge

Diese Gründe beziehen sich auf die zuvor dokumentierte Liste von Forderungen der initiierenden Organisationen.

a. Ablehnung von Krieg

Die bloße Erklärung der Wichtigkeit von ziviler anstatt militärischer Konfliktlösung wird im allgemeinen bestätigt, aber nicht genügend. Dieser Wortlaut gibt den falschen Eindruck, dass Krieg eine Maßnahme für Konfliktlösung sein könnte. Eine juristische und politische Diskussion über die häufig missbrauchten Rechtfertigungen des Rechts zur Selbstverteidigung und so genannten „humanitären Interventionen“ ist noch notwendig. Außerdem müssen Maßnahmen gefunden werden, die garantieren, dies in Einklang mit den verbindlichen Richtlinien internationaler Gesetze zu bringen.

b. Verbot von Massenvernichtungswaffen

In Übereinstimmung mit der beratenden Meinung des internationalen Gerichtshofs ist der Gebrauch und die Drohung, Kernwaffen zu benutzen, illegal und sollte durch die europäische Verfassung folglich verboten werden. Als Modell dient das “Bundesverfassungsgesetz für ein atomwaffenfreies Österreich“. Das Verbot von der Gemeinschaft auf die Mitgliedsstaaten zu verlagern ist im Augenblick nicht realistisch, wenn man den Status von Frankreich und Großbritannien als Atommächte betrachtet.

c. Zivile Konfliktschlichtung

Die Verpflichtung der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten, ausreichende Kräfte zur zivilen Konfliktschlichtung zu entwickeln, ist wesentlich. Die Kompetenz sollte der EU sowie den Mitgliedsstaaten gegeben werden. Weiterhin sollte ein Entwurf von Verpflichtungen des Trainings dieser Kräfte und der Harmonisierung dieses Trainings durch Europäisches Gesetz in Betracht gezogen werden.

Es wäre ausreichend, den größeren Teil dieser Kräfte als Reserveeinheit auszubilden. Diese Einheit würde aus qualifizierten Fachleuten für Leitung, Justizgewalt und Polizei sowie Fachleuten für ökonomische Rekonstruktion, Entwicklung, Überwachung von Waffenstillständen, Demokratisierung und Wahlen sowie anderen Personen, welche für die Schlichtung von Konflikten qualifiziert sind, bestehen.

Diese Kräfte können nach Einladung oder Antrag eines besorgten Staates oder auf Antrag von UNO/OSCE zum Einsatz kommen. Die Einladung von zivilen Konfliktschlichtern ist ein viel einfacherer Schritt für beteiligte Staaten, als die Annahme einer militärischen „Besatzung“. Gleichzeitig löst dies einen Wettbewerb zur besseren Schlichtung von Konflikten aus. Die zivile Konfliktschlichtung gewinnt diesen Wettbewerb, weil eine militärischer Ansatz, wie von manchen Staaten benutzt, ernste humanitäre- und Sachschäden auslöst, mehr Geld kostet und den Konflikt nicht löst.

3. Weltweite Konkurrenz der Strategien zur Konfliktschlichtung

Die Europäische Union und die USA sind bereits in einem weltweiten wirtschaftlichen Wettkampf. Dieser Wettkampf betrifft nicht nur den internationalen Handel und Konkurrenz, Zugang zu Rohstoffen, besonders Energie, zu bekommen. Der Wettkampf betrifft auch die Verhinderung von Kriegen. Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien ist ein gutes Beispiel. Einige europäische Staaten versuchten, einen Krieg zu vermeiden (Rambouillet, erfolgreiche und friedliche Mission in Mazedonien). Auch verlangten die europäischen Staaten am Ende des Krieges eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, demokratische Strukturen im Kosovo herzustellen.

IALANA, IPPNW und HU schlagen vor, dass die Länder vom „alten Europa“ anderen interessierten Staaten - besonders denen der dritten Welt - ein System zur Konfliktschlichtung vorstellen, welches auf die Vermeidung und Regelung von Konflikten, sowie - in einem zweiten Schritt - die Einrichtung von Rechtsgrundsatz-Strukturen abzielt. Dadurch wäre die Europäische Union attraktiver im oben genannten Wettbewerb, als Staaten, die den Gebrauch von militärischen Mitteln für die Regelung von Konflikten fördern, weil sie - unter anderem - ihre Waffenindustrie fördern wollen. Die Entwicklung und der Gebrauch dieser „Art“ von Konfliktregelung würde gerade wegen seiner überlegenen Leistungsfähigkeit attraktiver sein. Zusätzlich ist dieses Konzept viel preiswerter und schafft hochqualifizierte Arbeitsplätze.

III. Verlauf von Ereignissen und Realisierung des Projektes

Um die Forderungen öffentlich zu machen und ihnen Nachdruck zu verleihen, reiste Peter Becker als Repräsentant der Initiatoren fünf Mal nach Brüssel zu den Sitzungen des Europäischen Konvents. In Brüssel wurde er durch Frank Schwalba-Hoth unterstützt, ein von IALANA angestellter Beratungsexperte. Peter Becker sprach mit 30 Mitgliedern des Europäischen Konvents und fast 80 Mitgliedern des Europäischen Parlaments sowie mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Romano Prodi, und dem deutschen Beauftragten Günther Verheugen.

Basisgrundlage der Diskussionen und der verteilten Papiere waren zuerst die Forderungen des ursprünglichen Antrags, die am Anfang dieses Textes dokumentiert wurden. Jedoch zeigte die Erfahrung bald, dass einige dieser Forderungen eine absolute Illusion waren. Leider betraf das besonders das Verbot von Massenvernichtungswaffen, welches den Initiatoren des Antrags extrem wichtig war. Wegen der Position von Frankreich und England als Atommächte gab es keine realistische Chance, mit diesem Antrag erfolgreich zu sein. Deswegen konzentrierte sich die Lobby-Arbeit in einer zweiten Phase auf die Errichtung der Priorität der zivilen Konfliktschlichtung und auf die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, die notwendige zivile Kapazität zur Verfügung zu stellen.

Diese Lobby-Arbeit wurde mit bestimmten Aufforderungen kombiniert, welche die Realisierung der Forderungen als Reaktion auf aktuelle Ereignisse und vorläufige Resultate des Konvents verlangten. Diese Aufforderungen richteten sich hauptsächlich an deutsche Konventsmitglieder, aber auch an Repräsentanten des deutschen Auswärtigen Amtes.

IV. Auswertung des Resultats / Erfolg

Aus der Perspektive der Friedensbewegung, sind die nachfolgend dargestellten Artikel des abschließenden Entwurfes des Europäischen Konvents (5) von höchstem Wert.

Die Zielsetzungen der Union werden im Artikel I-3 definiert.

Paragraph 1 besagt:

„Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“

Im Paragraph 4 sind die Aufgabe, den Frieden zu fördern sowie eine deutliche Bestätigung der Verbindlichkeit internationaler Gesetze enthalten:

„In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen. Sie trägt bei zu Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, freiem und gerechtem Handel, Beseitigung der Armut und Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.

Eine eindeutigere Ablehnung des Krieges als Instrument der Politik, wie im Briand-Kellogg-Pakt vorgesehen, wäre wünschenswert gewesen. Jedoch ist ein positiver Punkt die deutlich erkennbare Friedenserklärung als wichtigste Zielsetzung und die Bestätigung der Verbindlichkeit internationaler Gesetze. Besonders der letzte Punkt war im ursprünglichen Entwurf des europäischen Konvents nicht klar. Möglicherweise trugen die jeweiligen Anträge der Initiatoren zur Klarstellung im abschließenden Entwurf bei. Mit der verbindlichen Rolle internationaler Gesetze wird auch die Priorität der zivilen Konfliktschlichtung bestätigt.

Die wichtigste Bestimmung hinsichtlich der Zielsetzungen der Friedensbewegung ist Artikel I-40 „Besondere Bestimmungen für die Durchführung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“.

Paragraph 1:

“Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie sichert der Union die auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit gemäß den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen. Sie erfüllt diese Aufgaben mit Hilfe der Fähigkeiten, die von den Mitgliedstaaten bereit gestellt werden.”

Paragraph 3, 1. Satz:

“Die Mitgliedstaaten stellen der Union für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zivile und militärische Fähigkeiten als Beitrag zur Verwirklichung der vom Ministerrat festgelegten Ziele zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten, die untereinander multinationale Streitkräfte bilden, können diese auch für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stellen.”

Hier war das Projekte Europäische Verfassung in zweierlei Hinsicht erfolgreich.

Wir waren in der Lage zu erreichen, dass die ursprüngliche Reihenfolge der Bezeichnungen „auf militärische und zivile Mittel gestützte Fähigkeit“ und „militärische und zivile Fähigkeiten“ umgekehrt wurde (in Artikel I-40 Paragraph 1 und Paragraph 3). Kurz nach einem Antrag von IALANA, der genau darauf abzielte, wurden jeweilige Anträge für eine Änderung eingereicht und wurden für den abschließenden Text des Entwurfes angenommen.

Dasselbe trifft auf die Bezeichnung „Konfliktverhütung“ zu, welche ursprünglich nicht im Paragraph 1 des Artikels I-40 vorhanden war. Wir stellen fest, dass die jetzt vorhandene Bezeichnung und der Hinweis auf „gemäß den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“ eine Priorität der zivilen Konfliktschlichtung und -lösung festlegen. Teil der UNO-Charta im sechsten und siebenten Kapitel und besonders in Artikel 42 ist die ausdrückliche Erklärung, dass militärische Mittel nur verwendet werden können, wenn friedliche Maßnahmen (entsprechend Artikel 41) unzulänglich wären oder sich als unzulänglich bewiesen haben. Die Wiederholung der Verbindlichkeit der UNO Charta, die bereits im Artikel I-3 des Verfassungsentwurfs bestätigt wurde, zeigt die Priorität friedlicher Mittel zur Konfliktlösung in Bezug auf Missionen zur Friedenssicherung.

Jedoch enthält der Textentwurf der europäischen Verfassung auch einige Klauseln, die von der Perspektive der Friedensbewegung kritisiert werden müssen. Das trifft besonders auf Artikel I-40, Paragraph 3, Sätze 3 und nachfolgend zu.

Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird ein Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzuführen, sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich Fähigkeiten und Rüstung zu beteiligen sowie den Ministerrat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten zu unterstützen.

Dies widerspricht der oben genannten Priorität der zivilen Konfliktschlichtung, weil - anders als für die zivile Kapazitäten - eine ausdrückliche Verpflichtung zur Verbesserung erstellt wird, die durch ein Amt koordiniert werden soll. Der Verfassungsentwurf sieht kein solches Amt für zivile Konfliktschlichtung vor. Folglich sind hier die Förderer einer militärisch orientierten Politik – zu einem gewissen Grade motiviert durch die Absicht, ein militärisches Gegengewicht zu den USA zu schaffen – hier leider erfolgreich gewesen.

Bei der Beurteilung der Auswirkungen des Projekts Europäische Verfassung muss man bedenken, dass die Diskussion im europäischen Konvent hauptsächlich parallel zu den Vorbereitungen und der Durchführung des Krieges gegen dem Irak verliefen. Eine ausdrückliche Festlegung friedensorientierter Grundregeln im Verfassungsentwurf wurde durch diese Tatsache behindert. Jede Entscheidung in diese Richtung wäre als Kritik der Positionen der Regierungen, die den Krieg unterstützten (hauptsächlich Großbritannien und Spanien) gedeutet worden.

Am 13. Juni 2003, dem Tag der Annahme des Verfassungsentwurfs im Europäischen Konvent, reisten Horst-Eberhard Richter als Präsident der deutschen IPPNW und Peter Becker ein letztes Mal nach Brüssel und hielten eine Pressekonferenz im Europäischen Parlament. Bei dieser Pressekonferenz nahmen Prof. Jürgen Meyer (Vertreter des deutschen Bundestags) und Eva Lichtenberger (Vertreterin des österreichischen Parlaments) als Mitglieder des Europäischen Konvents teil. Bei dieser Pressekonferenz wurde die Errichtung eines europäischen Amts für die Verbesserung der zivilen Konfliktschlichtung gefordert.

V. Ausblick

Wir erwarten, dass der Entwurf des Europäischen Konvents ohne irgendwelche wesentlichen Änderungen vom Europäischen Rat angenommen wird, der für die endgültige Entscheidung befugt ist. Der Versuch, gegenwärtig wesentliche Teile zu ändern, würde wieder die Diskussion über den vollständigen Entwurf entfachen. Durch die hochkarätige Repräsentation im Europäischen Konvent (z.B.: Deutschland durch Außenminister Joschka Fischer) ist solch eine neue Debatte unwahrscheinlich.

Dennoch ist eine weitergehende Bemühung der Friedensbewegung notwendig. Ein wichtiger Mangel im Verfassungsentwurf ist das Fehlen von einem „Europäischen Amt zur Verhinderung von bewaffneten Konflikten“, welches die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten verbessern und koordinieren könnte. Der Entwurf sieht solch ein Amt nur für den militärischen Sektor vor.

Folglich ist es notwendig, erste Anzeichen einer Rechtsverpflichtung zur zivilen Konfliktschlichtung im Entwurf mit Leben zu füllen und Konzepte für eine funktionierende zivile Konfliktschlichtung zu entwickeln. Andernfalls droht eine Wiederholung von „gescheiterten“ zivilen Missionen wie 1998/1999 im Kosovo. Dort wurde eine unterbesetzte, nicht genügend qualifizierte Mission als „gescheitert“ verurteilt und abberufen und schließlich wurde das Versagen sogar als Vorwand für den Gebrauch von militärischen Mitteln verwendet.

Die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten müssen ihre Fähigkeiten zur Konfliktverhütung und Konfliktschlichtung entschieden verbessern. Javier Solana hat in seinem Strategiepapier für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik zusätzliche Mittel für ziviles Krisenmanagement verlangt, das in Porto Carras vorgestellt wurde: "Nach fast jeder größeren [bewaffneten] Intervention folgt auf militärische Leistung ein ziviles Chaos.“ Das beweist, dass sogar bewaffnete Interventionen, welche als effizient gesehen werden - was in fast allen Fällen wirklich bezweifelt werden kann - keinen Konflikt lösen.

Deswegen ist vorgesehen, im Frühjahr 2004 einen internationalen Kongress zur zivilen Konfliktschlichtung zu organisieren, der sich - neben anderen Themen – für die Errichtung von einem „Europäischen Amt zur Verhinderung von bewaffneten Konflikten“ und der Errichtung von genügend zivilen Kräften zum Erreichen dieses sehr ehrgeizigen Ziels aussprechen sollte. (6)

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1. Dr. Peter Becker ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der deutschen IALANA Sektion, sowie Sekretär der weltweiten IALANA. Dr. Philipp Boos ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der deutschen IALANA, sowie einer der Geschäftsführer der weltweiten IALANA Organisation.
2. Weitere Informationen unter: http://european-convention.eu.int/organisation.asp?lang=DE (Der Link könnte durch die Einstellung der Arbeit der Europäischen Konvention veraltet sein).
3. Siehe http://europa.eu.int/futurum/index_de.htm.
4. Mit dieser Erklärung von Dezember 2001 gab der Europäische Rat das Mandat zum Entwurf der Verfassung an die Europäischen Konvention.
5. Der komplette Text des Entwurfes befindet sich unter: http://european-convention.eu.int/docs/Treaty/cv00850.en03.pdf.
6. Wer die Organisation dieses Kongresses finanziell unterstützen möchte, wird gebeten, sich an info(at)ialana.de zu wenden.

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Ergänzungen

auch ne Menge zum Thema Europa

egal 24.05.2004 - 04:00

Veranstaltung zur EU in Berlin

Sozi 24.05.2004 - 17:25
Die EU und deren aktuelle Streitigkeiten

referentin____Prof. Dr. Margaret Wirth (Uni Bremen)

zeit____Mittwoch, 09.06.2004, 18:00 Uhr

ort____Garystr. 35, U-Bhf. Thielplatz

Henry-Ford-Bau, Hörsaal D

Großmacht Europa
Kein friedliches Zusammenwachsen von Völkern
Sondern der Kampf von Nationen um Führung und Unterordnung

1.
Pomp und Pyrotechnik rahmten am 1. Mai die Osterweiterung der EU. Europas politische Herren gaben sich auf allen Kanälen als Diener höherer Pflichten: Endlich vollziehe man die Einheit, die “Geschichte” und “Kultur” seit eh und je dem “alten Kontinent” aufgetragen hätten und die nur “unnatürliche” Teilung so lange habe aufhalten können. Das ist einerseits lächerlich. Man schlägt besser nicht nach, wie viele Kriege und Grenzziehungen die beschworene historische “Kontinuität” des Kontinents ausmachen und was die Kulturschaffenden in allen Nationalsprachen Europas zusammengereimt haben, warum es süß sei, gegeneinander ins Feld zu ziehen; ganz zu schweigen davon, was angeblich die Natur Führern und Nationen schon alles aufgetragen haben soll. Andererseits ist diese Sorte Werbung aufschlussreich: Europa wirbt für seine Einheit erst gar nicht mit nachrechenbaren Vorteilen. Schon gar nicht mit kleinlichen sozialen Verbesserungen für seine Insassen. (Vielleicht müsste es dann gar nicht werben?!) Die EU feiert statt dessen ihre Ausdehnung als solche; sie feiert ihren neuen, einheitlichen Machtbereich und dessen Größe und Gewicht in der Welt der Staaten. Dazu soll jedermann ja sagen. Aus Gründen, die unhinterfragbar und unwidersprechlich sein sollen: Tradition, Kultur, Natur. Dann wird Europas Sache eine solche Propaganda wohl nötig haben.

2.
An der Grenze Deutschlands, Polens und Tschechiens haben sich deren Regierungschefs zur Feier der EU-Erweiterung getroffen. Auch diese Symbolik soll werben für Europa: Hier überwinden Staaten endlich mal, was früher Völker trennte und anderswo gegeneinander aufbringt. Auch diese Werbung erspart sich jede Angabe, zu welchem positiven Werk und Ertrag sie denn von nun an zusammenkommen werden, die Völker. Für ihre Zustimmung soll das Versprechen der obersten Heerführer reichen, die früher üblichen Gemetzel zu unterlassen, untereinander jedenfalls. Das soll schon reichen, Europa zur Friedens-Macht zu adeln. Zum anderen stellen die Herren an der Grenze sehr das Grundsätzliche ins Licht, dass die EU ausmachen soll: Die Überwindung nationalstaatlicher Souveränität. Der Wille dazu wird beschworen – einerseits. Andererseits legte z.B. Polen kurz zuvor Einspruch gegen die neue Verfassung der EU ein, weil nach deren Abstimmungsregeln Polen bei europäischen Entscheidungen leicht überstimmt werden kann, selbst umgekehrt mächtige Nationen wie Deutschland aber kaum überstimmen kann. Mit dem Kampfruf “Nizza oder Tod!” wurde auch dem Volk klar gemacht, dass das Höchste betroffen ist: die nationalstaatliche Souveränität. Das soll das Volk empören - über die materiellen Lasten, die die EU für die Bevölkerungen bedeutet, wird ohnehin nicht mehr gesprochen. Deutschlands Kanzler schimpfte, hier würden EU- Mitglieder ihre nationalen Interessen über die europäischen stellen - und er meinte damit nicht Deutschland, dem die neuen Abstimmungsregeln mehr Handhaben zur Dominanz über andere Staaten Europas geben als die alten von Nizza. Was gilt denn nun in Europa, Einigung oder Streit der Nationen? Oder ist die europäische Einigungspolitik vielleicht zu der Kernfrage vorgestoßen, deren Erledigung anders als durch Machtkampf nicht zu haben ist?

3.
Bei allem Streit: Xavier Solana, höchster Vertreter der Außen- und Sicherheitspolitik der EU, meldete neulich begeistert Fortschritte der europäischen Einigung. In welcher Sache? Bei Militärstrategie und Rüstung. Auf diesem Feld: Auswärtige Gewaltanwendung, Einmischen in Gewaltaffären zwischen anderen Staaten auf der Welt und in ihnen, Interventionen in fernen Kriegsschauplätzen, Aufbau weltweit einsetzbarer Kriegsfähigkeit – da sehen Europas Nationen offenbar vorrangigen Fortschrittsbedarf und beste Gründe fürs europäische Zusammenlegen von Macht und Potenzen. Einerseits jedenfalls. Andererseits ist am Irak-Krieg der USA genau auf diesem Feld einer der schärfsten Linienstreits zwischen Europas Nationen ausgebrochen und nicht entschieden: Soll Europa unter der Vorgabe von Blair mehr an der Seite der USA die Gewaltfragen auf der Welt regeln? Oder unter der Vorgabe von Frankreich und Deutschland mehr eigenständige “Ordnungsmacht” werden? Und auch eine militärpolitische Gemeinschaftsinitiative von Frankreich, Deutschland und Großbritannien hat eine harsche Antwort aus Italien und anderswo bekommen: Europa “brauche kein Direktorium”. Was gilt denn nun in Europa, Einigung oder Streit der Nationen? Hier geht diese Frage etwas flott über Wesentliches hinweg: Alle Staaten Europas behandeln offenbar die Rolle und den Erfolg im Imperialismus heute als das allerwichtigste Anliegen ihrer Nationen. Darin sind sie sich einig - beim Sich-Einigen in Europa wie beim Sich-Streiten.

4.
Was sind die Fragen von Einigung und/oder Auseinandersetzung zwischen Europas Vaterländern heute? Was wollen sie als und mittels Europa gegenüber dem Rest der Welt und in Europa voneinander? Diesen Fragen geht der Vortrag nach. Vielleicht erspart das unbefriedigende Spekulationen, ob Europa sich nun vollendet oder zerbricht. Der Parteinahme in der Frage, ob man sich nun eher in Europa oder doch im Vaterland gut aufgehoben wähnt, wird sicher kein Vorschub geleistet.

gute Infos bei www.imi-online.de

zorro3 28.05.2004 - 00:23
gute Informationen sowie Flugblätter zum Thema hat die Informationsstelle Militarisierung Tübingen, die abgebildete Postkarte beispielsweise gibts bei IMI, die hat sie zusammen mit DFGVK, VB und Pax Christi R. ins Leben gerufen, also bestellen und abschicken.

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hat nicht direkt damit zu tun — passt trotzdem in die sparte