Roma protestieren in Berlin - mit Bildern und Video

Anyone 10.06.2002 18:02 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Heute morgen demonstrierten in Berlin knapp 600 Roma und einige Unterstützer gegen die geplante Abschiebung nach Jugoslawien. Von 12.00 bis 18.00 fand dann am Brandenburger Tor (ausser Sicht des Reichstages natürlich) eine Kundgebung statt.

Video (danke an KanalB)

Momentan sind etwa 530 Roma in Berlin, um gegen ihre drohende Abschiebung zu demonstrieren. Zuvor wurde bereits in Essen und anderen Städten demonstriert. Gleich nach der Ankunft in Berlin, gab es einen regelrechten Überfall der Polizei auf die Roma, der nicht vom Innensenat gedeckt war.

Aus einer Erklärung: "Am 5. und 6. Juni fand in Bremerhafen die Innenministerkonferenz von Bund und Länder statt. Hier wurde über die Zukunft der Roma aus Ex-Jugoslawien entschieden, von denen viele seit nun mehr als dreizehn Jahren in Deutschland leben. Seit dem 27. April 2002 haben ca. 500 Romafamilien in Essen in der Portendieckstraße im Stadtteil Schonnebeck ihre Zelte aufgeschlagen, um gegen ihreAbschiebung nach Ex-Jugoslawien zu protestieren. Die Demonstration wurde in Bremerhafen fortgesetzt. Da jedoch die Rückführung der Roma in der IMKbeschlossen wurde, werden sie nun in nächster Instanz weiter kämpfen. Nach einer anstrengenden Woche in Bremerhafen, werden sie nun in Berlindemonstrieren, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Die Rückkehr nach Ex-Jugoslawien wird für die Roma katastrophale Folgen haben. Bis jetzt wurde kein Rückkehrprogramm entwickelt, das heißt, dass die Roma in ein Land zurückkehren müssen, in dem sie laut UNHCR, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Diakonische Werk, GfbV und anderer Flüchtlings- und Hilfsorganisationen mit menschenunwürdigen Zuständen und Gefahren zu rechnen haben. Die Situation der in Serbien und Montenegro und im Kosovo lebenden Roma ist unerträglich. Sie sind nicht nur polizeilichen Schikanierungen und Misshandlungen, sondern auch Übergriffen auf Leib und Leben von Seiten der Bevölkerung ausgesetzt.Die Roma, die Deutschland aufgenommen hat, haben sich in der langen Zeit ihrer Anwesenheit an die Lebensgewohnheiten angepasst. In dieser Zeit wurden Familien gegründet, Kinder haben sich integriert und Deutsch als Muttersprache angenommen. Und jetzt werden sie ohne Vorwarnung in der Morgenstunde von der Polizei abgeholt, haben fünfzehn Minuten Zeit, um ihr Gepäck zu packen und werden dann in ein für ihre Kinder fremdes Land deportiert. Für viele alte Roma kommen so böse Erinnerungen an nicht lang vergangene NS - Zeiten hoch."
Roma werden seit Jahrhunderten verfolgt und vertrieben. Auch heute noch. Im Nationalsozialismus erlebten sie ähnliches wie die Juden. Nach dem Ende des 2.Weltkrieges blieben allerdings die Anti-"Zigeuner"-Gesetze weiter bestehen. Bis 1979 wurde der Holocaust an den Roma geleugnet. Besonders in Osteuropa, aber auch in deutschland werden Roma auch heute nich offiziell diskriminiert. So dürfen zum Beispiel in Frankfurt Roma nur in einer speziellen Siedlung leben und bekommen kaum anderswo eine Wohnung gemietet.
Um so enttäuschender war es zu erleben, daß die Berliner Linke diesen Menschen gegenüber vollkommen gleichgültig ist. Bis auf ein paar Unterstützer waren die Roma unter sich. Presse war nicht anwesend.
Die Kundgebung durfte in der Nähe des Brandeburges Tores - ausser Sichtweite des Reichstages - am Strassenrad (!!!) stattfinden. Einige der wenigen Toristen, die vorbeikamen zeigten sich interessiert.
Morgen ist eine Kundgebung der Roma vor der jugoslawischen Botschaft in der Taubertstr. 18 in Berlin-Grunewald geplant, um dort gegen die Vereinbarungen zwischen der deutschen Bundesregierung und der BR Jugoslawien über ihre "Rückübernahme" (sprich Abschiebung) zu protestieren.

Die Forderungen der Roma sind:
1. Sofortiger Abschiebestopp!
2. Alle Roma, die fünf Jahre in Deutschland sind, sollten ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Die anderen eine dreijährige Chance, um sich produktiv für die deutsche Gesellschaft einzusetzen.
3. Die Roma sollen an allen Entscheidungen, die in ihr Leben eingreifen, beteiligt werden.
4. Die Rechte der Roma sollen auch dahingehend gelten, dass ihre Kinder eine Schulausbildung erhalten können.
5. Hilfe beim Aufbau von Einrichtungen im Bereich der Kultur, der Sprache, Folklore sowie Sitten und Bräuchen der Roma.



Einige Hintergründe:

"Sinti und Roma sind zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert aus ihrer ursprünglichen Heimat, dem indischen Punjab, über Pakistan, Iran, die Türkei und die Balkanländer nach Europa gekommen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie vor allem als Schmiede, Werkzeugmacher, Kesselflicker, Scherenschleifer, Korbflechter und Pferdehändler, manche auch als Musikanten und Künstler. Große Gruppen ließen sich im osteuropäischen Raum - den heutigen Ländern Rumänien, Bulgarien, auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien, der Slowakischen und der Tschechischen Republik sowie in Ungarn - nieder. Andere zogen nach Westeuropa weiter. 1392 wurden die Sinti in Hildesheim erstmals urkundlich erwähnt.

Etwa ab dem 16. Jahrhundert wurden in ganz Europa "Zigeuner"-feindliche Gesetze erlassen. Die Polizei- und Landesverordnungen für Sachsen, Thüringen und Meißen aus dem Jahre 1589 sahen z. B. vor, dass ihnen Hab und Gut weggenommen werden kann, und dass sie "samt Weib und Kind außer Landes getrieben" werden sollen. Bis zum 18.Jahrhundert wurden sie in sämtlichen deutschen Ländern für vogelfrei erklärt.
.....

Zusammen mit dem Sekretariat der internationalen Romani-Union und dem Verband deutscher Sinti nahm die Gesellschaft für bedrohte Völker ab 1979 systematisch die Öffentlichkeitsarbeit für die Bürgerrechte der Sinti und Roma in der Bundesrepublik auf. 1982 erkannten der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der Oppositionsführer Helmut Kohl endlich offiziell und öffentlich an, dass an Sinti und Roma Völkermord verübt worden war, und sagten Verbesserungen für die gesamte Volksgruppe zu. Im selben Jahr wurde der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Heidelberg gegründet. Inzwischen setzen sich in einigen Bundesländern Länderbüros des Zentralrates für die Interessen der überwiegend sesshaften deutschen Sinti und Roma ein. Somit haben diese nun selbst Instrumente in der Hand, um Diskriminierungen zu bekämpfen und Vorurteile abzubauen."

Auszug aus Basisfakten im überblick



"Eine große Gruppe unter den Opfern des Völkermords während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ist die der "Zigeuner", der Sinti und Roma. Sie sind eine aus Nordwestindien stammende Volksgruppe, die seit dem 15. Jahrhundert in größeren Verbänden auch nach Mitteleuropa zog, wo sie wegen ihres fremdländischen Aussehens mit Argwohn betrachtet und als "Türkenspione" verdächtigt wurde. Wie die Juden gerieten die Zigeuner immer wieder in die Sündenbockrolle, wurden verfolgt, vertrieben, oder gar als "Landplage", angebliche Kindesräuber und Brunnenvergifter umgebracht. Vorwand zur staatlich geregelten Diskriminierung bot vor allem ihre nomadisierende Lebensweise. Erstmals urkundlich erwähnt wurden Sinti 1392 in Hildesheim.

Bereits während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik war es übliche Praxis, die angeblich "verwahrlosten Zigeunerkinder" von ihren Eltern zu trennen und in Fürsorgeheimen unterzubringen. Diese Praxis wurde zunächst von den Nationalsozialisten fortgesetzt, die durch den "Erlaß zur Bekämpfung der Zigeunerplage" vom Juni 1936 solches Vorgehen regelten.

Bis 1942 wurde mit "Zigeunerkindern" so verfahren, während sich zusehends die Meinung durchsetzte, diese seien nicht erziehungsfähig."

Auszug aus dem Text Die Verfolgung der Sinti und Roma des IDGR



"Am 22. Februar 1950 erging vom baden-württembergischen Innenministerium unter dem Aktenzeichen 2021330 folgender Runderlass an die Wiedergutmachungsbehörden:

"Die Prüfung der Wiedergutmachungsberechtigung der Zigeuner und Zigeuner-Mischlinge nach den Vorschriften des Entschädigungsgesetzes hat zu dem Ergebnis geführt, daß der genannte Personenkreis überwiegend nicht aus rassischen Gründen, sondern wegen seiner Asozialen und kriminellen Haltung verfolgt und inhaftiert worden ist. Da ferner Zigeuner und Zigeuner-Mischlinge vielfach über keinen festen Wohnsitz verfügen, sondern im Lande umherziehen, muß auch damit gerechnet werden, daß Doppelanträge gestellt werden.(...) Aus diesen Gründen ordnen wir hiermit an, daß Wiedergutmachungsanträge von Zigeunern oder Zigeuner-Mischlingen zunächst dem Landesamt für Kriminal-Erkennungsdienst, Stuttgart-O (...) zur Überprüfung zugeleitet werden. Das Landesamt Stuttgart wird seine Ermittlungen in Zusammenarbeit mit dem Zentralamt für Kriminal-Identifizierung und Polizeistatistik in München und der Kriminal-Hauptstelle, Landfahrerpolizeistelle der Landespolizei in Karlsruhe durchführen. Gez.: Küster"

1962 verfasste Kriminal - Obermeister Hans Bodlée, Leiter der Sonderkommission "Diebische Landfahrer" in Düsseldorf für die Polizeizeitung 'Kriminalistik' folgenden Text:

"Bei der zur Beobachtung zur Verfügung stehenden Personengruppe handelt es sich um ...Zigeunermischlinge mit Elternteilen deutschblütiger, jüdischer, aber auch kombinierter Zusammensetzung, letztlich also Mischvolk aus drei Blutstämmen, bei denen - biologisch unterstellbar - ein Konzentrat negativer Erbmasse zu verzeichnen sein dürfte (Verschlagenheit, Hinterhältigkeit, Brutalität, Trunksucht, Selbstmordneigungen (Sic!) usw."

Auszug aus: Die Verfolgung der Roma und Sinti aus der GWR



Berichte bei Indy
Berliner Polizei überfällt Flüchtlingsunterkünfte
Unterstützt den Kampf der Roma um ihr Bleiberecht!
Roma protestieren in Essen gegen Abschiebungen
Roma protestieren gegen eine mögliche Abschiebung

Weitere Links
Zentralrad der Sinti und Roma
Fluechtlingsrat Berlin
Materialhinweise
Basisfakten im überblick
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Ergänzungen

Auf den vierten Bild

10.06.2002 - 20:53
ist doch zweifelsfrei Angela Merkel zu sehen.

Der "normale" Rassismus

*** 11.06.2002 - 03:12
Montagmorgen oder eigentlich Vormittag, ist vielleicht nicht die beste Zeit, aber Höchstschätzungen von 30 Berliner UnterstützerInnen ist ziemlich peinlich!!!
Zum Thema Passanten: da die Romas (wegen der Polizei?) etwas später zum Schlossplatz kamen, haben wir uns die Zeit mit Flugi-Verteilen (Offener Brif der Roma-Gemeinde an die Berliner Bürger) auf dem Alex vertrieben. Die Reaktion der "Bürger" war in zweierlei Hinsicht überraschent. Zunächst hatten ziemlich viele Leute Interesse so ein Flugi zu bekommen und es dann tatsächlich auch angelesen. Leider gab's dann aber auch die negativen Erfahrungen. Auf Nachfrage, haben wir kurz erklärt worum es geht. Beim Stichwort Roma sind bei einigen PassantInnen die Gesichter versteinert, wurden wir abschätzig angeschaut oder einfach ignoriet bzw. uns ein "Die mag ich nicht" oder "Die sind mir doch egal" entgegnet. Kommentare am Rande der Demo, waren dann nicht mehr so "freundlich". Allerdings handelte es sich nicht um irgentwelche Hardcour-Nazis, sondern um die "nette" Oma von nebenan, der ASB-Sanitäter oder irgendwelche stinknormalen Touri's.

man ....

Fritz 11.06.2002 - 11:38
MAN !!!


wenn man schon nicht schaft solche dmotermine in
irgendeine zeitung alla stresasfaktor zu kriegen dann doch wenigstens in die online ausgaben
so könnten wenigstens ein paar leute was mitbekommen !!!

kanalB video dazu

b 11.06.2002 - 13:59
hier ein paar interviews mit den opfern/protestierenden:
 http://www.restoel.de/kanalB/video/100602_roma.rm

Die Aufrufe waren im Netz

Einer 11.06.2002 - 16:12
die waren auf fast allen Mailinglisten und auch bei Indy in mehreren Texten immer wieder erwähnt worden. Daß es keine Flyer gab ist allerdings wirklich ein Versümnis und hätte sicher noch mal 50 Leute mehr gebracht.