internationale Konferenz von Flüchtlingen und Migranten in Hamburg

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junge welt Montag, 29. Februar 2016, Nr. 50

Aus: Ausgabe vom 29.02.2016, Seite 2 / Inland

»Vernetzung der Geflüchteten ist sehr positiv«Zu einer internationalen Konferenz von Flüchtlingen und Migranten kamen am Wochenende 2.000 Menschen nach Hamburg. Ein Gespräch mit Ali AhmedInterview: Martin Dolzer

Ali Ahmed ist Sprecher der Flüchtlingsgruppe »­Lampedusa in Hamburg«

http://refugeeconference.­blogsport.eu

Mehrere Flüchtlingsinitiativen haben am Wochenende in Hamburg eine internationale Konferenz von Geflüchteten und Migranten veranstaltet. Worum ging es dabei?

 

Wir wollten mit unseren Stimmen öffentlich wahrgenommen werden, aber auch unsere Netzwerke stärken und weiterentwickeln. Gleichzeitig haben wir die aktuelle Situation in Deutschland und Europa analysiert. Mehr als 2.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt haben diese selbstorganisierte Tagung besucht. In Diskussionen mit Fachleuten und in 36 Workshops konnten die Besucher debattieren, streiten und Positionen entwickeln. Dabei ging es um Politik, juristische Unterstützung, Menschenrechte oder Kunst. Die Situa­tion und die Kämpfe von geflüchteten Frauen und Migrantinnen waren ebenfalls ein zentrales Thema.

Wer hat die Konferenz mitgetragen?

Die Gruppe Lampedusa in Hamburg, die Internationale Koalition der Sans Papiers (CISPM), The Voice, das Refugee Movement Berlin, das Refugee-Protestcamp Hannover, die Refugee-Bus-Tour, Droits des Migrants und Asmara’s World-Refugee Support haben die Konferenz gemeinsam organisiert.

Unterstützer kamen unter anderem aus den Initiativen »Recht auf Stadt« und »Never Mind the Papers« sowie der Partei Die Linke. Außerdem haben mehr als 20 Bands Konzerte gegeben, der Maler Flatter Zenda hat Bilder ausgestellt und interaktive Kunstworkshops veranstaltet.

 

Auf der Konferenz wurde Kritik an der Politik der Bundesregierung und der EU geübt.

Das vergangene Woche beschlossene »Asylpaket II« und vorangegangene Gesetzesverschärfungen in Deutschland sind inakzeptabel. Die Residenzpflicht, Duldung und Kettenduldungen, die Dublin-Regelungen, Hotspots und vieles mehr verstoßen gegen Menschenrechte und internationales Recht. Würden aus den Ländern der EU nicht permanent Waffen nach Afrika geliefert und aus geopolitischen Gründen Unruhe und Krieg angefacht, müsste kein Mensch von dort fliehen. Gleiches gilt für den Mittleren Osten.

Im Sudan, in Eritrea und weiteren afrikanischen Ländern unterstützen EU-Staaten diktatorische Regimes. In anderen, in denen Regierungen versuchen, die Gesellschaft zu stabilisieren und ein menschenwürdiges Leben sowie ökonomische Unabhängigkeit zu entwickeln, tun die EU-Staaten dagegen oft viel, um genau dem entgegenzuwirken. Auch durch Kolonialpolitik und Landgrabbing verursachte Umweltzerstörungen sind ein großes Problem.

Sehen Sie auch positive Entwicklungen?

Der Selbstorganisierungsprozess und die internationale Vernetzung der Geflüchteten und ihrer Unterstützer ist sehr positiv, auch wenn es in der Situation permanenten Drucks und wegen der erlebten Traumata nicht immer einfach ist und vor allem nicht ohne Widersprüche abläuft.

Weltweit herrscht jedoch Chaos. Schauen wir auf Syrien: Auch da sind EU-Staaten an der Destabilisierung beteiligt. Das Land ist total zerstört, Millionen Menschen fliehen. Der sogenannte Islamische Staat und Al-Nusra sind doch viel schlimmer als die Regierung Assad. Auch Libyen wurde zerstört, da ist kein sicheres Leben mehr möglich. In Afghanistan und im Irak sehen wir auch keine Demokratisierung. In Mali, im Sudan und vielen weiteren Staaten Afrikas herrscht ebenfalls Krieg, und die EU spielt dabei keine positive Rolle.

Die Gruppe »Lampedusa in Hamburg« hat schon sehr früh auf die katastrophale Situation der Geflüchteten hingewiesen. Wie geht es ihren Mitgliedern momentan?

Wir sind nach wie vor etwa 300 Leute und kämpfen für unser Recht auf Arbeit, Gesundheitsversorgung, Freizügigkeit und ein menschenwürdiges Leben. Der Hamburger Senat ignoriert das weiterhin. Einige derjenigen, die sich auf das vom Senat ausgesprochene Angebot der Duldung einließen, wurden mittlerweile nach Italien abgeschoben. Die Situation in Deutschland wird für uns Geflüchtete zunehmend schwerer. Rassistische Übergriffe, die staatlich propagierte Spaltung in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge und die weitere Abschottung der EU sind große Probleme. Wir haben noch viel Arbeit vor uns und werden 2017 eine weitere Konferenz in Berlin veranstalten.

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