[FR] Corona-Querfront formiert sich auch in Freiburg

Letzten Samstag versammelten sich in der Innenstadt Linke unter dem Motto “Keine Quarantäne für unsere Freiheitsrechte”. Am selben Tag nutzten auch Menschen aus dem verschwörungstheoretischen Millieu die Möglichkeit der politischen Meinungsäußerung. Das ist ihr gutes Recht, bei den transportierten Inhalten jedoch als problematisch zu werten.

Letzten Samstag versammelten sich in der Innenstadt Linke unter dem Motto “Keine Quarantäne für unsere Freiheitsrechte”. Am selben Tag nutzten auch Menschen aus dem verschwörungstheoretischen Millieu die Möglichkeit der politischen Meinungsäußerung. Das ist ihr gutes Recht, bei den transportierten Inhalten jedoch als problematisch zu werten.

Linke, Rocker, Verschwörungstheorien

Am Samstag, den 25.04.2020 fand auf dem Platz der Alten Synagoge im Rahmen der bundesweiten Kampagne #NichtaufunseremRücken eine Kundgebung statt, zu der die “Internationale Jugend”, das “Solidaritätsnetz Freiburg” und das “Frauenkollektiv Freiburg” aufgerufen hatten. Wir, der Koordinationskreis von “Corona Solidarität Freiburg” (CSF), haben diese Kundgebung beworben. Mehr als 100 Menschen folgten dem Aufruf und verteilten sich in ausreichendem Abstand auf dem gesamten Platz, auf dem zuvor Markierungen zur Orientierung aufgemalt worden waren. Die Redner*innen sprachen in den Reden Themen an, wie die Einschränkung des Demonstrationsrechts und der Repression der Polizei unter dem Vorwand des Infektionsschutzgesetzes, die menschenunwürdige Situation an den EU-Außengrenzen sowie in den Sammellagern auch in Deutschland und riefen zur grenzenlosen Solidarität auf.

Als eine Person auf ihr T-Shirt der rechten Szenemarke “Asgards Krieger” angesprochen wurde, kam es zu tumultartigen Szenen. Mehrere Personen, augenscheinlich aus dem Kampfsport- und Rockermilieu, verstanden die Aufregung um ein T-Shirt nicht und vermuteten eine ungerechtfertigte Attacke auf ihren Kollegen. Die mutmaßliche Rocker-Gruppe reagierte äußerst aggressiv, einer zog Quarzsandhandschuhe an, ein anderer Handschuhe mit Protektoren. Sie schienen sich auf eine körperliche Auseinandersetzung vorzubereiten. Zu dieser kam es glücklicherweise nicht. Noch vor dem Eintreffen der Polizei verließ ein Großteil der Gruppe den Ort des Geschehens in Richtung Sedanstraße, wenn auch nur zögerlich und nicht ohne zahlreiche Drohgebärden und Flüche.

Leider blieb dieses Ereignis nicht die einzige unangenehme Begegnung des Tages: Auch Menschen aus dem Spektrum von Verschwörungstheoretiker*innen, Impfgegner*innen, Esoteriker*innen usw. versammelten sich bei der Kundgebung, die meisten von ihnen ohne Mundschutz und viele ohne den gebotenen Abstand. Mehrfach wurden dabei Redner*innen der Kundgebung gestört und Journalist*innen bedrängt. Die Polizei nahm vereinzelt Personalien von Störer*innen auf, hielt sich jedoch weitgehend zurück und griff in den seltensten Fällen ein.

Nicht grillen zu dürfen so schlimm wie der Holocaust?

Derweil füllte sich der Rathausplatz, auf dem das bundesweite Querfront-Bündnis “Demokratischer Widerstand” und “Nicht-ohne-uns” auf 15:30 Uhr eine Kundgebung angemeldet hatte. Es erschienen viele, die zuvor bei der linken Kundgebung auf dem Platz der Alten Synagoge waren, weil sie bei dieser vermutlich Anknüpfungspunkte für ihre eigene Positionen gesehen haben. Zu beobachten waren gut organisierte Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen mit gedruckten Transparenten und Schildern, meditierende Esoteriker*innen, sich als links bezeichnenden Verschwörungstheoretiker*innen, Schweden-Fans, schweigende junge Erwachsene mit Grundgesetzbüchlein in der Hand sowie Rechtsextreme, namentlich der Lokalpolitiker Robert Hagermann von der AfD und der YouTuber “Matt”. Insgesamt bot sich eine breit aufgestellte Querfront dar. Diese ist innerhalb einer Woche um etwa das Doppelte gewachsen, die erste Kundgebung des Bündnis “Nicht-ohne-uns” besuchten weniger als 40 Teilnehmer*innen.

Lediglich ein Teil der Demonstrant*innen trug Mund-Nasen-Masken, die Menge von mindestens 100 Menschen stand dichtgedrängt auf dem Platz. Redner*innen verbreiteten in ihren Beiträgen Desinformationen bis hin zu mehrfachen NS- und Holocaust-Relativierungen. Vereinzelt trugen Teilnehmer*innen einen “Gelben Stern” mit der Aufschrift “Impfgegner”. Diese Zwangskennzeichnung wurde von den Nazis eingeführt und galt für die Menschen, die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 rechtlich als Jüdinnen und Juden eingestuft wurden. Ein Redner beschwerte sich, er könne nicht mehr mit seinen Freunden in seinem Garten grillen und ergänzte: “Wir sind die neuen Juden”. Die Gleichsetzungen der Lockdownmaßnahmen mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Dritten Reichs wurden durch frenetischen Applaus quittiert und mit Pegida-Parolen wie “Wir sind das Volk” oder “Widerstand” begleitet.

Gegenprotest und Aggressionen gegen ihn

Völlig widerspruchsfrei konnte die Veranstaltung aber nicht stattfinden. Eine kleine Gruppe von Gegendemonstrant*innen postierte sich in Sichtweite mit einem Transparent mit der Aufschrift: “Corona ist kein Inside-Job. Gegen jeden Antisemitismus” und rief Parolen wie “Nationalismus raus aus den Köpfen!”. Einige Teilnehmer*innen der Querfront-Veranstaltung reagierten äußerst aggressiv auf den Gegenprotest. Sie beschimpften die Gegner*innen als “Faschisten” und diffarmierten diese aufgrund ihres Alters oder ihres vermeintlichen sozialen Status. Die Polizei trennte im Laufe des Geschehens beide Proteste voneinander.

Eine weitere Konfliktsituation enstand zuvor, als ein anwesender Fotograf die Besucher*innen der Querfront-Kundgebung auf die Anwesenheit des AfD Politikers Robert Hagermann hinwies. Dieser und einige seiner Unterstützer*innen bedrohten den Fotografen daraufhin und bedrängten ihn, indem sie ungeschützt nahe an ihn herantraten. Eine Frau wurde sogar handgreiflich und schlug nach demjenigen, der nach einer anschließenden Personalienfeststellung durch die Polizei seine Arbeit jedoch wieder aufnehmen konnte.

Nach einer Weile verließ der Gegenprotest in Form eines spontanen Demonstrationszugs über die Kaiser-Joseph-Straße den Rathausplatz.

“Eine neue Querfront mit Bedrohungspotential”

Die Querfront-Mahnwache lichtete sich irgendwann, nachdem verkündet wurde, nun jeden Samstag um 15:30 Uhr auf dem Rathausplatz demonstrieren zu wollen. Kommenden Samstag will bereits die AfD auf dem Platz der Alten Synagoge demonstrieren. Ob diese versuchen wird, sich den verschwörungsideologischen Protest zu Nutze zu machen, bleibt abzuwarten. Diverse linke Gruppen rufen auf jeden Fall zum Gegenprotest auf.

Der letzte Samstag zeigt, dass die Querfront auch in Freiburg wächst. “Es ist ganz schlimm, was sich da zusammentut”, resümiert CSF-Pressesprecher Julian Röper, “diese krude Mischung, die sich auf dem Rathausplatz darbot, mit Teilnehmer*innen aus allen bürgerlichen Alters- und Bevölkerungsgruppen, stellt meines Erachtens durch ihre Unwahrheiten und Geschichtsverfälschungen sowie durch ihre bundesweite Vernetzung eine neue Querfront mit Bedrohungspotential dar. Sie versuchen sich zwar friedlich zu geben, doch die Angriffe auf Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen beweisen das Gegenteil. Angst kann Hass schüren und wenn in den Hetzreden von ‘wehret den Anfängen’ schwadroniert wird, klingt das in meinen Ohren nach einer Drohung. Ich finde es wichtig, dem stets mit fundierter Kritik zu begegnen, auch wenn wahrscheinlich einige dafür leider nicht mehr empfänglich sind.”

Dabei ist es weiterhin wichtig die Entwicklungen rund um die Einschränkungen von Grundrechten kritisch im Blick zu behalten, ohne dabei die Gefahr durch das Virus zu relativieren. “Insgesamt finde ich das rasche aufkommen eines Denunziantentums sowie Rufe, dass die Situation nur durch eine autoritäre Regierung in den Griff zu bekommen sei ebenfalls überaus bedrohlich”, ergänzt Julian Röper. Dass eine vernünftige und faktenbasierte Annäherung an die Thematik und auch kreativer Protest möglich ist, zeigt u.a. die linke Kundgebung auf dem Platz der Alten Synagoge.

 

Das Hilfetelefon der Corona-Solidarität Freiburg ist nach Bedarf für Hilfesuchende erreichbar: 0761 488 98 764, derzeit Mo. - Fr., 11-13 Uhr.

Das Zuhörtelefon der Corona-Solidarität Freiburg hat stets ein offenes Ohr für Dich: 0761 88 79 60 20, täglich 10-12, sowie 16 - 18 Uhr.

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