Gegenseitige Hilfe, Gemeingüter und die revolutionäre Abschaffung des Kapitalismus - Ein neuer Blick auf den Unterschied zwischen gegenseitiger Hilfe und Wohltätigkeit
Englischer Originaltitel von CrimethInc: Mutual Aid, the Commons, and the Revolutionary Abolition of Capitalism – Revisiting the Difference Between Mutual Aid and Charity
Anbei die Übersetzung auch als PDF samt Bildern
Es wurde viel über den Unterschied zwischen Wohltätigkeit und gegenseitiger Hilfe gesprochen. Wohltätigkeit ist von oben nach unten gerichtet und einseitig, während gegenseitige Hilfe horizontal, wechselseitig und partizipativ sein soll. In der Praxis bleiben jedoch die meisten der heutigen selbsternannten Projekte der gegenseitigen Hilfe mehr oder weniger einseitige Bemühungen, Bedürftigen Güter und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.
Dies hat dazu beigetragen, dass sich konventionelle gemeinnützige Organisationen mit dem Begriff „gegenseitige Hilfe” neu positionieren, während einige Anarchisten das Konzept völlig aufgegeben haben, weil sie die Rhetorik satt haben, die manche als „gegenseitige Hilfe ist gut und radikal, Wohltätigkeit ist schlecht und konservativ” bezeichnen.
Gibt es mehr zu dieser Unterscheidung als das? Wie könnten wir das revolutionäre Potenzial der gegenseitigen Hilfe freisetzen?
Genug Gegenseitigkeit?
Ist der Unterschied zwischen Wohltätigkeit und gegenseitiger Hilfe einfach, dass gegenseitige Hilfe Gegenseitigkeit beinhaltet? Diese These wirft einige Probleme auf.
Erstens: Ist in einer Welt, in der die Ressourcen so ungleich verteilt sind, gegenseitige Hilfe nur zwischen denen möglich, die einen ähnlichen Zugang zu Zeit oder Ressourcen haben, sodass sie in der Lage sind, sich zu revanchieren? Ist gegenseitige Hilfe nur ein versteckter Tauschhandel? Sind diejenigen, die von gegenseitiger Hilfe profitieren, in der Schuld? Wie sollen wir feststellen, ob unsere Hilfe ausreichend gegenseitig ist?
Eine Seniorin, die ihr Leben der Fürsorge für ihre Gemeinde gewidmet hat, sollte Food Not Bombs mit einer Tüte Bagels verlassen können, ohne dass jemand den Organisatoren vorwirft, sie würden nur Wohltätigkeit betreiben. Ebenso sollte es möglich sein, sich von Freiwilligen mit medizinischem Fachwissen behandeln zu lassen, auch wenn man keine vergleichbare Behandlung als Gegenleistung anbieten kann. Die Idee der gegenseitigen Hilfe besteht nicht darin, einen Markt zu schaffen, auf dem Menschen freiwillige Dienste tauschen, sondern eine Gemeinschaft zu schaffen, in der alle Teilnehmer ihre Bedürfnisse erfüllen können, ohne „Punkte“ zu sammeln. Langfristig ist es das Ziel, eine Situation zu schaffen, in der jede*r die Freiheit hat, das zu tun, was sie*er am liebsten tun möchte, und die Früchte ihrer*seiner Aktivitäten mit allen anderen teilen kann, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Das nennen wir eine Geschenkwirtschaft.
Wenn Menschen das tun können, was sie am meisten lieben, anstatt ihr Leben mit Aufgaben zu verschwenden, die ihnen egal sind, braucht es viel weniger, um sich wohlhabend zu fühlen. Im Gegensatz dazu stellen diejenigen, die auf Kosten anderer Profit machen wollen, fest, dass kein materieller Reichtum ausreicht, um sie zufrieden zu stellen.
Die Tauschwirtschaft betrachtet das Leben als einen Wettstreit zwischen Verhandlungspartner*innen, die sich gegenseitig überlisten wollen, um Teile einer fragmentierten Welt zu kontrollieren. Freier Handel, freier Markt – das sind Widersprüche: Wo Profitgier alle und alles ihren Vorrechten unterwerfen kann, ist letztendlich niemand mehr frei, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Die Tauschwirtschaft schreibt eine eindimensionale Werteskala vor, nach der alles bewertet und gehandelt werden kann. Heute hat dieses Konzept alle unsere Beziehungen und Lebensgrundlagen übernommen. Deshalb sind so viele Menschen materiell, sozial und emotional verarmt.
Die Geschenkwirtschaft herrscht überall dort vor, wo Menschen Dinge frei teilen können, ohne dabei „Punkte“ zu sammeln. In der Geschenkwirtschaft erhalten die Teilnehmenden umso mehr, je mehr sie geben – nicht nur, weil Großzügigkeit tendenziell mehr davon hervorbringt, sondern auch, weil das Schenken eine Belohnung an sich ist. Jede*r, die*der schon einmal eine echte Freund*inschaft geteilt oder an einem erfolgreichen Mitbring-Buffet teilgenommen hat, hat gesehen, dass Menschen, wenn sich die Gelegenheit bietet, begeistert zu dieser Art der Beziehung zurückkehren.
Was in diesem Zusammenhang „gegenseitig“ ist, ist nicht die Gegenseitigkeit an sich, sondern vielmehr, dass die Aktivitäten es den Menschen ermöglichen, frei zu geben und zu empfangen und so Beziehungen ohne Grenzen zu fördern.
Wenn dies jedoch tatsächlich unser Ziel ist, setzt es eine viel höhere Messlatte als bloße Gegenseitigkeit. Um dorthin zu gelangen, müssen wir mehr tun als nur Ressourcen umverteilen. Wir müssen ein weit verbreitetes Gefühl der Handlungsfähigkeit und Initiative sowie das Vertrauen in den Wert des Teilens fördern – und letztendlich die kollektive Kontrolle über Teile unseres Lebens und unserer Welt zurückgewinnen, die uns der Kapitalismus genommen hat. Dies liefert bessere Kriterien für die Bewertung des Erfolgs von Hilfsinitiativen als nur die Anzahl der ausgetauschten Güter.
Jenseits des Individualismus
Im schlimmsten Fall ist die heutige gegenseitige Hilfe eine Endlosschleife, in der Fremde nacheinander individuelle Geldanfragen stellen, in der Hoffnung, anonyme Spenden zu erhalten. Arme Menschen sind oft im Verhältnis zu ihren Mitteln großzügiger als die Reichen – aber wenn gegenseitige Hilfe nur bedeutet, dass ein und derselbe abgenutzte Fünf-Dollar-Schein im Kreis herumgereicht wird, wird dies wahrscheinlich nicht ausreichen, um unsere Probleme zu lösen. Ebenso könnte uns gegenseitige Hilfe, wenn sie nur Ressourcen sammelt, die direkt in die Taschen von Vermietern und Inkassounternehmen fließen, ohne etwas zur Bekämpfung ihrer Macht beizutragen, zwar helfen, in dieser Gesellschaft zu überleben, aber sie wird uns nicht helfen, sie zu verändern.
Wenn es etwas an dem derzeitigen Verständnis von gegenseitiger Hilfe zu kritisieren gibt, dann ist es, dass sie die zugrunde liegende Logik des kapitalistischen Individualismus nicht unbedingt in Frage stellt. Die Sprache selbst scheint von unterschiedlichen Einheiten in einer Art Austausch auszugehen: „Ich leite meine Follower in den sozialen Medien an dich weiter und du überweist mir Geld über Venmo.“
Der Kapitalismus isoliert uns als Konkurrent*innen in einem Nullsummenspiel. Mit einer unsichtbaren Hand privatisiert er gewaltsam Ressourcen, die einst geteilt wurden; mit der anderen zerbricht er Gemeinschaften und spaltet uns in atomisierte Individuen mit sich gegenseitig ausschließenden Bedürfnissen. Heute kennen viele Menschen nichts anderes mehr. Folglich können sie sich gegenseitige Hilfe nur als Mittel zur Umverteilung von Ressourcen unter Individuen vorstellen, nicht als einen Weg, gemeinsam etwas zu unternehmen, um unser Leben zu verändern. Aber solange jede*r ein individualistisches Verständnis von Reichtum verfolgt, wird es nie genug für alle geben.
Gegenseitige Hilfe kann so viel mehr sein als ein Wettstreit, bei dem Menschen darum konkurrieren, ihr Einkommen durch Spenden aufzubessern. Das ist eine symptomatische Behandlung – die Linderung der Auswirkungen des Problems –, während wir uns mit der Ursache befassen müssen.
Im besten Fall verändert uns gegenseitige Hilfe, anstatt nur unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Sie sollte unsere Vorstellungen davon, was möglich ist, erweitern und die Art und Weise verändern, wie wir unsere Energie einsetzen, damit wir Probleme gemeinsam lösen können. Anstatt um Almosen zu kämpfen, müssen wir Gemeingüter aufbauen, die es uns ermöglichen, durch kollektive Praktiken zu gedeihen.
Richtig verstanden sind Gemeingüter keine bloße Ansammlung von Ressourcen. Vielmehr sind sie eine Folge kollektiven Verhaltens: Gemeingüter entstehen als organisches Ergebnis von Beziehungsweisen, die keine künstliche Knappheit oder Hierarchien des Zugangs und der Kontrolle auferlegen. In dieser Hinsicht liegen Gemeingüter von Natur aus außerhalb der Kontrolle von Bürokratie und Staat. Der Umfang der Gemeingüter wird nicht durch die Menge der als solche ausgewiesenen Ressourcen bestimmt, sondern vielmehr dadurch, wie effektiv eine bestimmte Gemeinschaft in der Lage ist, Ressourcen durch egalitäre kollektive Aktivitäten zu produzieren und zu teilen – und diese Praktiken zu verteidigen, idealerweise auf eine Weise, die sich ansteckend verbreitet.
Die Schaffung von Gemeingütern sollte auch dazu beitragen, ein Problem anzugehen, das Ehrenamtliche und den gemeinnützigen Sektor seit Jahrzehnten plagt. Wenn man Menschen bittet, sich ohne Vergütung für ihre Bemühungen für Aktivismus oder Gemeinschaftsorganisation zu engagieren, beschränkt dies in der Regel den Kreis der Personen, die an solchen Aktivitäten teilnehmen können, auf diejenigen, die bereits wohlhabend sind. Wenn man Menschen jedoch für ihre Beiträge bezahlt, entsteht eine toxische Situation, in der Menschen um die Kontrolle über Ressourcen konkurrieren und es, wie in der kapitalistischen Wirtschaft, wenig Anreize gibt, Dinge zu tun, die nicht profitabel sind. Das Gleiche gilt für gemeinnützige Organisationen, die auf Finanzmittel angewiesen sind und daher ihre Aktivitäten nach den Belohnungen des Marktes priorisieren und die Anerkennung für Projekte monopolisieren müssen, selbst wenn andere daran beteiligt waren.
Die Lösung besteht darin, dass kollektive Bemühungen Gemeingüter hervorbringen, die sowohl den Teilnehmenden als auch allen anderen zugutekommen und die umso mehr zu bieten haben, je mehr Menschen sich daran beteiligen.
Ist das wirklich möglich? Ja. Schauen wir uns an, wie.
Diejenigen, die das Problem haben, sind selbst die Lösung
Die revolutionäre Idee, die dem Konzept der gegenseitigen Hilfe zugrunde liegt, ist, dass diejenigen, die ein Problem haben, es selbst lösen können, indem sie zusammenarbeiten.
Die Kraft dieses Ansatzes wird durch die Anonymen Alkoholiker, das klassische Beispiel einer altmodischen Selbsthilfegruppe, deutlich veranschaulicht. Auf den ersten Blick mag die Idee, dass Alkoholiker*innen sich gegenseitig helfen könnten, mit dem Trinken aufzuhören, einer*einem durchschnittlichen Abstinenzler*in etwas optimistisch erscheinen. Tatsächlich gibt es niemanden, der besser geeignet wäre, ihnen dabei zu helfen: Niemand sonst versteht wirklich die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen, und niemand sonst ist so motiviert, ihnen zu helfen. Millionen von Menschen sind dank dieser Struktur trocken geworden.
Es ist kein Zufall, dass die Anonymen Alkoholiker als völlig freiwilliges, sich selbst tragendes Netzwerk ohne Autoritäten, Kontrollmechanismen oder mediale oder politische Vertretung organisiert sind. Die Gründer*innen des Programms stützten sich bei der Gestaltung seiner Struktur auf Peter Kropotkins Schriften über gegenseitige Hilfe, deren Einfluss bis heute spürbar ist.
„Wenn wir zu den Anonymen Alkoholikern kommen, finden wir eine größere persönliche Freiheit vor, als sie jede andere Gesellschaft kennt. Wir können zu nichts gezwungen werden. In diesem Sinne ist unsere Gesellschaft eine wohlwollende Anarchie. Das Wort „Anarchie“ hat für die meisten von uns eine negative Bedeutung. Aber ich glaube, dass der Idealist, der dieses Konzept als Erster vertrat, der Meinung war, dass Menschen, wenn ihnen absolute Freiheit gewährt würde und sie niemandem gehorchen müssten, sich freiwillig zum Wohle aller zusammenschließen würden. AA ist eine Vereinigung der Art, wie er sie sich vorgestellt hat.“
– Bill Wilson, Mitbegründer der Anonymen Alkoholiker, in „Benign Anarchy and Democracy“
Der „Idealist“, von dem hier die Rede ist, war Kropotkin.
Die Anonymen Alkoholiker mögen im Vergleich zu den neueren Hilfsorganisationen wie ein Sonderfall erscheinen. Aber wenn überhaupt, dann sind es die neueren Projekte, die sich vom ursprünglichen Geist der Hilfsvereine entfernt haben. Wie die Arbeitergenossenschaften des 19. Jahrhunderts machen die Anonymen Alkoholiker jede*n Teilnehmer*in zu einer*einem Protagonist*in. Diejenigen, die das Problem haben, sind selbst die Lösung.
Die Anonymen Alkoholiker sind auch in anderer Hinsicht lehrreich. Anstatt von den Teilnehmenden eine makellose Vergangenheit zu verlangen, gehen sie von der Prämisse aus, dass Menschen sich ändern können, und betrachten gegenseitige Hilfe als ein Mittel, das ihnen ermöglicht, sich zu verbessern. Dies ist in unserer Zeit von Bedeutung, in der wir – dank der sozialen Medien und der neoliberalen Wirtschaft, die sie geprägt hat – daran gewöhnt sind, Menschen als austauschbar zu betrachten. Heute bemüht sich jede*r bei jeder Interaktion ständig um Arbeit, Status, Beziehungen und Aufmerksamkeit – alles Dinge, die beim ersten Anzeichen von Konflikt weggenommen und einem anderen Konkurrent*innen gegeben werden können.
Im Gegensatz zu Geld, der Reichweite in sozialen Medien oder einem Lebenslauf sind die Beziehungen, die wir durch gegenseitige Hilfe aufbauen, nicht austauschbar; sie können nicht einfach eingetauscht werden. Um es wert zu sein, sie aufzubauen, sollten diese Beziehungen daher dauerhafter und zuverlässiger sein als alles, was der Markt zu bieten hat. Wir müssen uns selbst und einander als verbesserungsfähig und unersetzbar betrachten. Anstatt uns ständig gegenseitig zu bewerten, um zu sehen, wer Unterstützung verdient und wer nicht, sollten wir von der Prämisse ausgehen, dass wir einen für alle Seiten vorteilhaften Kontext schaffen wollen, in dem wir gemeinsam wachsen und langfristige Beziehungen aufbauen können.
Je mehr Menschen sich ernsthaft an einem Netzwerk der gegenseitigen Hilfe beteiligen, desto besser für alle Beteiligten. Gegenseitige Hilfe sollte keine Ehre sein, die nur den Bedürftigsten vorbehalten ist, sondern eine transformative, ansteckende Praxis, die es den Menschen ermöglicht, sich miteinander zu identifizieren und das Wohlergehen als kollektives Gut zu begreifen.
Das Soziale ist das Materielle
In Diskussionen über gegenseitige Hilfe hören wir oft von einer Gegensätzlichkeit zwischen der Befriedigung „materieller“ Bedürfnisse und anderen Arten von Maßnahmen. Einige sagen, dass es wichtig sei, sich um die materiellen Bedürfnisse der Menschen zu kümmern, anstatt sich politisch zu engagieren oder Unterhaltungsangebote zu schaffen; andere argumentieren, dass es Zeitverschwendung sei, sich auf gegenseitige Hilfe zu konzentrieren, weil sie nicht konfrontativ genug sei oder weil sie keine disziplinierten politischen Kader mit einem gemeinsamen Bewusstsein hervorbringe.
Tatsächlich sind die Grenzen zwischen diesen Kategorien verschwommen. Musik, soziale Räume und Verbindungen, Wege, die Welt zu verstehen und über das Wesentliche zu sprechen – all das ist unverzichtbar. Menschen brauchen Freude, Intimität und Sinn ebenso sehr wie Nahrung und Unterkunft, und oft entscheiden sie sich dafür, auf materielle Annehmlichkeiten zu verzichten, um diese zu erlangen. Das kann man nur vergessen, wenn man sich inmitten des plumpesten Materialismus befindet.
Das ist keine neue Idee. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, Lebensmittel und materielle Güter bereitzustellen, ohne gleichzeitig ein lebendiges soziales und politisches Umfeld zu fördern, das reich an Verbindungen, Fürsorge und Ideen ist, werden die Teilnehmenden unserer Projekte versuchen, ihre anderen Bedürfnisse anderswo zu befriedigen – zum Beispiel in Kirchen, autoritären politischen Parteien oder „unpolitischen“ sozialen Szenen. Eine einseitige Konzentration auf die vermeintlich „materiellen“ Aspekte der gegenseitigen Hilfe verkennt, worum es in all unseren Beziehungen wirklich geht.
Was zählt, ist nicht nur der Zugang zu lebensnotwendigen Gütern, sondern auch, was dieser Zugang bedeutet. Ein Festmahl, bei dem alle Teilnehmenden eine Rolle spielen und sich satt essen können, bedeutet: Wir sind alle Teil dieser Gemeinschaft. Ein Gehaltsscheck, mit dem man Miete und Lebensmittel bezahlen kann, vermittelt eine andere Botschaft: „Die Stunden, die du geopfert hast, haben dir und nur dir das Recht verschafft, einen weiteren Monat zu überleben. Zumindest dieses Mal...”
Veränderung von unten
Gegenseitige Hilfe ist also keine Ablenkung vom Projekt, die Welt zu verändern; sie ist ein grundlegender Aspekt der Veränderung der Welt, genauso wie die Veränderung der Welt notwendig ist, wenn wir den Umfang der gegenseitigen Hilfe ausweiten wollen. Darüber hinaus beinhaltet die Idee der gegenseitigen Hilfe ein Modell für sozialen Wandel, das sich strukturell von dem unterscheidet, was Marxisten-Leninisten und andere Autoritäre vorschlagen.
Wenn Autoritäre davon sprechen, „die Produktionsmittel zu beschlagnahmen”, meinen sie damit, dass eine bürokratische Organisation von oben die Kontrolle über die Arbeitsplätze übernehmen und bestimmen soll, was dort geschieht. Mit anderen Worten: Sie beabsichtigen, dass ihre eigene Führung Entscheidungen für die Arbeiter*innen trifft, so wie es die Chefs tun – nur dass sie diesmal angeblich die besten Interessen der Arbeiter*innen im Sinn haben.
Der autoritäre Ansatz weist mehrere Probleme auf. Ein Problem besteht darin, dass selbst wenn die Führungskräfte wirklich gute Absichten haben, es unwahrscheinlich ist, dass sie im Namen anderer vorteilhafte Entscheidungen treffen können. Der beste Weg, um sicherzustellen, dass Entscheidungen die Interessen der Betroffenen widerspiegeln, besteht darin, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die unmittelbar betroffen sind, auch die Entscheidungen treffen. Je breiter die Entscheidungsgewalt verteilt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Ergebnis der Entscheidungsfindung den Bedürfnissen der meisten Menschen gerecht wird. Dies ist lediglich eine Frage der Informationsverteilung: Es geht darum, die Entfremdung zwischen denjenigen, die sich eines bestimmten Problems bewusst sind, und denjenigen, die Maßnahmen zu dessen Lösung ergreifen können, so gering wie möglich zu halten.
Intelligenz ist nicht etwas, das sich im Kopf eines einzelnen Genies konzentriert; sie ist keine statische Eigenschaft, die isoliert gemessen werden kann. Sie ist eine Eigenschaft von Netzwerken; sie entsteht in Beziehungen. Je freier Informationen zwischen verschiedenen Punkten innerhalb eines Netzwerks fließen und je schneller die Teilnehmenden des Netzwerks darauf reagieren können, desto intelligenter wird sich dieses Netzwerk verhalten.
Im Gegensatz zum autoritären Modell für sozialen Wandel sieht der antiautoritäre Vorschlag vor, dass wir horizontale, dezentrale Formen der Basisorganisation etablieren, die die Entscheidungsgewalt in die Hände derjenigen legen, die von den Entscheidungen am unmittelbarsten betroffen sind. Anstelle von Top-down-Strukturen bedeutet dies, den Aufbau verflochtener Netzwerke der gegenseitigen Hilfe nach reproduzierbaren Modellen zu fördern. Ohne die Entbehrungen und den Druck, die durch Cops und Eigentumsrechte ausgeübt werden, werden sich die Menschen ganz natürlich den Netzwerken zuwenden, die ihre Bedürfnisse am effizientesten und auf die freudigste und zufriedenstellendste Weise erfüllen.
Wenn wir eher Befreiung als Autoritarismus anstreben, ist die Einrichtung von Projekten der gegenseitigen Hilfe, die materielle Bedürfnisse erfüllen können, keine Ablenkung vom Projekt der Dezentralisierung von Macht und Zugang zu Ressourcen. Vielmehr ist es ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung und Verbreitung von Praktiken, durch die Menschen sich an diesem Projekt beteiligen können. Manche nennen dies „die neue Welt in der Hülle der alten aufbauen”.
Das bedeutet auch, dass die Form dieser Projekte der gegenseitigen Hilfe eine Rolle spielt: Die Dynamik, die sie zwischen den Menschen fördern, ist ebenso wichtig wie die Ressourcen, die sie bereitstellen. Wenn sie einseitig sind, wenn sie nur die Handlungsfähigkeit derjenigen fördern, die auf der Seite der „Ressourcenbereitstellung” stehen, werden sie nicht in der Lage sein, den Grundstein für eine neue Lebensweise zu legen.
„Tatsache ist, dass menschliches Leben ohne die Nutzung der Arbeit anderer nicht möglich ist und dass es nur zwei Wege gibt, dies zu erreichen: entweder durch eine brüderliche, egalitäre und libertäre Vereinigung, in der bewusste und frei zum Ausdruck gebrachte Solidarität die gesamte Menschheit vereint, oder durch den Kampf aller gegen alle, in dem die Sieger die übrigen unterdrücken, beherrschen und ausbeuten.“
„Wir wollen eine Gesellschaft schaffen, in der die Menschen sich gegenseitig als Brüder betrachten und durch gegenseitige Unterstützung das größte Wohlergehen und die größte Freiheit sowie die körperliche und geistige Entwicklung für alle erreichen.“
– „Mutual Aid“ (1909), Errico Malatesta
Gegenseitige Hilfe bedeutet Widerstand
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Wenn wir das Beste aus der gegenseitigen Hilfe herausholen wollen, sollten wir partizipative Gemeingüter schaffen, zu denen jede*r leicht beitragen kann und in denen es keine grundlegende Trennung zwischen den Organisator*innen und den Empfänger*innen gibt.
Auf dem Really Really Free Market versammeln sich jeden Monat Hunderte von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, um Ressourcen auszutauschen. Niemand führt Buch darüber, wer was mitbringt. Selbst diejenigen Teilnehmenden, die nur sehr wenig Zugang zu Ressourcen haben, bringen Dinge mit. Anarchist*innen stellen die Tische auf und pflegen eine Social-Media-Seite, aber die überwiegende Mehrheit der Waren, die die*den Besitzer*in wechseln, stammt von einfachen Teilnehmenden. Die meisten Teilnehmenden bezeichnen sich selbst nicht als Anarchist*innen, aber sie wissen, dass sie an einem anarchistischen Wirtschaftsmodell teilnehmen, durch das sie die Bedürfnisse der anderen erfüllen. Überall hängen anarchistische Banner, die die politischen Implikationen dieser Art des Teilens zum Ausdruck bringen und verkünden, dass mehr Aspekte unseres Lebens auf diese Weise organisiert werden könnten.
Einzelne Bezugsgruppen oder Organisationen können bei solchen Aktionen eine wichtige Rolle spielen – zum Beispiel, indem sie sie ankündigen und bewerben und die Infrastruktur aufbauen, um sie zu unterstützen. Aber die beste Art, die Wirksamkeit dieser Beiträge zu beurteilen, ist zu fragen, inwieweit diese Bemühungen dazu beitragen, dass andere eine stärkere Beziehung zu ihrer eigenen Handlungsfähigkeit aufbauen können. Wenn die Organisator*innen ein Monopol für Entscheidungen und Aktionen schaffen und andere dadurch in Passivität drängen, bringt das das Projekt der gegenseitigen Hilfe und Befreiung nicht voran.
Wenn euer Projekt der gegenseitigen Hilfe nicht die Art von sozialen Verbindungen, politischem Bewusstsein und kollektivem Momentum schafft, die uns zu einem revolutionären sozialen Wandel führen, liegt das Problem nicht in der gegenseitigen Hilfe an sich. Das Problem liegt in eurem Projekt.
Wenn Menschen davon sprechen, „ernsthaft“ gegenseitig Hilfe zu leisten, meinen sie damit oft die Gründung einer offiziellen gemeinnützigen Organisation. Dieser birgt mehrere Probleme. Langfristig werden durch einseitige Dienstleistungen weniger Ressourcen mobilisiert als durch kollektive Bemühungen, in die sich alle einbringen. Wir wollen keine Gönnersysteme aufbauen, die von wohlhabenden Spender*innen abhängig sind, sondern symbiotische Beziehungen, die auf Solidarität basieren. Formelle Organisationen können keine Besetzungen durchführen, keine Ressourcen enteignen und keine Vorschriften verletzen – doch gerade Privateigentum und Bürokratie sind die größten Hindernisse für eine groß angelegte Umverteilung von Ressourcen. Anstatt große Spendenbeträge zu sammeln, sollten wir versuchen, eine große Anzahl von Teilnehmenden zu mobilisieren und gleichzeitig den Horizont dessen zu erweitern, was wir als unser Recht ansehen, um füreinander zu sorgen.
Die weltweite Hausbesetzungsbewegung der vorherigen Generation, die in Brasilien und vielen anderen Orten weiterhin floriert, bleibt ein inspirierendes Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn man privatisierte Ressourcen in Beschlag nimmt und sie in kollektive Macht umwandelt. Die wirkungsvollsten Formen der gegenseitigen Hilfe sind diejenigen, die es uns ermöglichen, gemeinsam zu revoltieren und Schritte zur Schaffung einer völlig anderen Welt zu unternehmen.
Eine ansteckende Geschenkwirtschaft mit Offensivfähigkeiten und Dynamik, die auf den Aufbau einer völlig anderen Lebensweise abzielt. Eine kämpferische Gemeinschaft, die immer mehr Ressourcen anzieht und letztendlich selbst für ihre Feinde unwiderstehlich wird. Das ist das wahre Versprechen der gegenseitigen Hilfe.
Lasst die Erde wieder zu einem gemeinsamen Reichtum für alle werden.
Meine Befreiung, meine Freude, meine Welt selbst beginnt dort, wo deine beginnt. Niemand kann meine Dienste einfordern, denn ich habe mich aus eigenem Antrieb verpflichtet, alles zu geben – und zwar frei, denn nur so kann man geben.
Erwartet Widerstand
Gefangen im Fort du Taureau findet Louis Auguste Blanqui Trost in dem Wissen, dass irgendwo jenseits des Ozeans die Luft, die er ausatmet, von den Bäumen des brasilianischen Regenwaldes, von seinen Genossen im Exil in London und sogar von den Beamten, die seine Verhaftung angeordnet haben, eingeatmet wird, trotz ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Teilen. Er erinnert sich daran, dass dasselbe Wasser, das ihm seine Entführer in einem Becher rationieren, dennoch in großen Wellen gegen die Mauern des Forts schlägt – dass über Hunderte von Millionen von Jahren jeder einzelne Tropfen dieses Wassers unzählige Lebewesen durchlaufen hat, immer wieder durch den Himmel gereist ist und wieder in die Erde zurückgekehrt ist. Die Sprache, mit der er diese tröstlichen Gedanken formuliert und festhält, wurde von hundert Milliarden Zungen in einer kollektiven Anstrengung geprägt und verfeinert, die bis zu den Anfängen der Menschheit zurückreicht. Kollektivität ist unvermeidlich, unauslöschlich. Letztendlich wird sie über den vorübergehenden Irrtum der Gier triumphieren.
1.
Es ist unrealistisch zu glauben, dass wir unser Überleben in einer nicht nachhaltigen, unterdrückerischen Gesellschaft auf nachhaltige, egalitäre Weise sichern könnten. Selbst in einer revolutionären Situation sollten wir nicht erwarten, dass wir die bestehende Lieferkette übernehmen und sie nutzen können, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen, ohne tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen. Das Gleiche gilt für die Wünsche und Werte, die durch die bestehende Ordnung sozial produziert werden: Wir sollten nicht davon ausgehen, dass das, was wir uns aus dieser Perspektive vorstellen können, verstrickt wie wir sind in einer Gesellschaft, die auf Unterdrückung und der Auferlegung künstlicher Knappheit basiert, alles repräsentiert, was das Leben zu bieten hat.
2.
Anstelle der Gemeingüter fördern Liberale staatliche Institutionen. Dies gibt dem Staat – der Struktur, die die ursprüngliche Einhegung der Gemeingüter leitete – ein Alibi, Ressourcen zu kontrollieren und Aktivitäten zu regulieren, um die „Tragödie der Gemeingüter” zu verhindern. Tatsächlich besteht die Tragödie der Gemeingüter einfach darin, dass überall dort, wo es eine gemeinsame Ressource gibt, die nicht auf dem Markt verfügbar ist, Profiteure und Politiker immer versuchen werden, die Kontrolle darüber zu erlangen oder sie durch ein Äquivalent zu ersetzen – und sobald ihnen das gelingt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Ressource privatisiert oder kommerzialisiert wird.
3.
Wir können Argumente, dass Menschen erst dann revoltieren, wenn die Lage „schlimm genug“ ist – und gegenseitige Hilfe somit ein Hindernis für die Revolution darstellt – oder dass gegenseitige Hilfsmaßnahmen dem Staat ein Rechtfertigungsgrund für Sparmaßnahmen liefern, sodass die Behörden Sozialleistungen kürzen können, weil sie davon ausgehen, dass Freiwilligenprogramme die Lücke füllen werden, schnell widerlegen. Was das erste Argument angeht, so ist es nicht das Leiden an sich, das die Menschen zur Revolte treibt, sondern die Erkenntnis, dass Leiden unnötig ist – dass man etwas dagegen tun kann. Was das zweite Argument betrifft, so sollte nach der COVID-19-Pandemie klar sein, dass Regierungen bereit sind, eine große Zahl von Menschen sterben zu lassen, ohne einen Finger zu rühren. Wenn wir also nicht riskieren wollen, zu den Verstorbenen zu gehören, müssen wir das einrichten, was die Black Panthers als „Überlebensprogramme bis zur Revolution“ bezeichneten.
4.
Wir lassen vorerst einmal außer Acht, dass gemeinnützige Organisationen unter Donald Trump wahrscheinlich mit immer mehr bürokratischen Herausforderungen konfrontiert sein werden, aber es lohnt sich auch zu bedenken, dass es umso schwieriger sein wird, unsere Projekte gegen die bestehende Ordnung einzusetzen, je mehr sie von dieser abhängig sind.

Ergänzungen
Spannender Text
Without community, there is no liberation …
We share an important reflection on mutual aid as a liberatory practise and thought, in response to the different and multiple disasters brought on upon all of us by capitalism.
Insurrectionary Utopias: Ideas towards a Liberatory Mutual Aid
https://autonomies.org/2025/09/liberatory-mutual-aid/
Gegenseitige Hilfe
Als Unternehmer und Milliardär hat mir diese Gesellschaft so viel gegeben: Glück, Reichtum und jeden erdenklichen Wohlstand, der für weniger fleißige und strebsame Menschen für immer unerreichbar bleibt. Da ich zeitlebens in Steueroasen gelebt habe, um dem räuberischen Staat mit seinen übertriebenen hohen Steuern und Sozialabgaben zu entkommen, will ich nun auch etwas zurückgeben. Daher fördere ich als Mäzen und Philanthrop zahlreiche Charity-Projekte. Z.B. organisiere ich Society-Dinner (Eintritt kostet 10.000€ pP), um mit den Erlösen meinungsunterdrückten Personen und Parteien zu helfen. Gleichzeitig fördere ich so die Sterneküche und die klassische Musik. in einem anderen Projekt erschließe ich Bauxitmienen im Regenwald im Botswana, um der lokalen Bevölkerung wirtschaftliche Perspektiven im Straßen- und Bergbau zu geben. Die Erlöse aus der Miene gehen natürlich direkt an mich, sodass ich weiter als Mäzen tätig sein kann ohne allzu viel von meinem redlich erarbeiteten Vermögen dafür opfern zu müssen.
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