Militanz, nicht Militarismus

 

Es gibt nicht den einen richtigen Kampf, nicht die eine richtige Methode. Ein einzelner Mensch  kann nicht alle Kämpfe gleichzeitig kämpfen. Deswegen ist das Verständnis, dass alle Kämpfe  miteinander verwoben sind, umso wichtiger. Unsere Kämpfe dürfen nicht gegeneinander stehen. Sie dürfen nicht werten, welche Kämpfe wichtiger sind als andere, welches Ziel das wichtigere ist. Es wird dringend Zeit zu verstehen, dass alles gut ist, das diesem System schadet: Denn der Schaden, den dieses System anrichtet, ist größer als aller Schaden, den wir anrichten können, indem wir es zerstören. Es wird dringend Zeit, dass der Unterschied zwischen Militarismus und Militanz allen klar wird.

 

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Natürlich braucht es auch jene, welche die durch ein schwächelndes und eines Tages kollabierendes System entstehenden Lücken schließen und nachhaltige Lebensformen jenseits des Systems aufbauen. Darum soll es hier aber nicht gehen. Hier soll es um grundsätzliche Paradoxe und Missverständnisse in Diskursen um Militanz gehen (mit Fokus auf der deutschen Linken).

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Wir kämpfen gegen einen gewaltigen Leviathan aus zahllosen Unterdrückungsformen, der die Daumenschrauben aus Überwachung, Repression und Gewalt immer enger zieht. Zunehmende Repressionen gegen linke Aktivist*innen und die Wiedereinführung der Wehr/Zwangs-Pflicht sind nur zwei von vielen Beispielen. Letztlich schwächen wir das Herrschaftssystem mit jeder Aktion, die dieses System ins Stocken oder einzelne Individuen dazu bringt das System zu hinterfragen. Es gibt nicht den einen Hebel, der morgen die soziale Revolution auslöst, und es ist nicht ausgemacht, dass diese soziale Revolution in die Richtung schwenkt, die wir als progressive Linke erstreben.

Auf einigen Camps dieses Jahr wurde viel über Militanz und Militarismus geredet. Radikalität und Militanz sind elementare Bestandteile des Kampfes gegen das Unterdrückungssystem. Diese Analyse, auf Jahren und Jahrzehnten fußend, in denen soziale Bewegungen in Deutschland und anderswo alle möglichen Aktionsformen, Kampagnen und Formen des Organizings durchexerziert haben, soll hier nicht infrage gestellt werden.

Ja: Wir brauchen Militanz! Wir brauchen radikale Lösungen, eine radikale Praxis und dürfen nicht vor Militanz zurückschrecken, denn es braucht Gewalt, um die Abscheulichkeiten des globalen Unterdrückungssystems zu stoppen. Mit Mahnwachen und Sitzblockaden ist der staatlich geschützten Zerstörungsmaschine nicht beizukommen, solange diese nicht massenhaft auftreten. Ob die sozialen Bewegungen in Deutschland überhaupt die Mittel haben diesem System beizukommen ist nicht klar. Klar ist aber, dass das Falscheste, das eins tun kann, das Nichtstun ist.

++Differenzen++

Wir müssen uns davor hüten Militanz mit Militarismus zu verwechseln und über einen falsch verstandenen Militanzbegriff Unterdrückung fortzusetzen. Wenn Militanz sich militarisiert, ergibt sich ein neues Militär, eine Fortführung internalisierter patriarchaler, unterdrückerischer Strukturen. Hinsichtlich des Militanzbegriffs bestehen in der Linken zwei Paradoxe: Zum einen wird oft über Militanz als das Allheilmittel geredet und es wird getan, als müsse sofort zu den Waffen gegriffen werden (ob das stimmt, kann woanders diskutiert werden). Gleichzeitig sind es dieselben Menschen, denen nichts ferner liegt, als ihre Zukunft durch hohe Repressionsgefahren zu gefährden (die Folge der meisten militanten Praktiken sind).
Zum anderen ist der Schrei nach Militanz und die Militanz, die sichtbar ist, oft eine Scharade militaristischen Mackertums, die emanzipatorische Bewegungen schwer oder unmöglich macht, indem erlernte Unterdrückungsformen repliziert werden. Die Intersektionalität von Klimakrise, Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Klassismus, Ableismus, Rassismus, Kolonialismus und all den anderen gesellschaftlichen Diskriminierungsformen, muss insbesondere in militantem Gruppen reflektiert werden, um einer Militarisierung der Militanz vorzubeugen und nicht in Aktionismus zu verfallen.

Wenn wir Militanz als Militarismus missverstehen, enden wir in autoritären Kaderstrukturen, deren (historische) Fehler bekannt sein sollten. Außerdem werden wir einem nationalstaatlichen Militarismus kaum mit einem wie auch immer gearteten eigenen Militarismus kontern können- diejenigen, die (unbewusst oder bewusst) militärischen Strukturen nacheifern, reproduzieren nicht nur erlernte Diskriminierungsmuster, sondern führen ihre Mitlaufenden in eine polit-strategische Sackgasse.

++Braucht es Absolutismus?++

Die Diskrepanz zwischen der Art und der Häufigkeit, mit der über Militanz geredet wird, und der tatsächlichen Bereitschaft militant zu handeln, ist schwindelerregend groß. Sich einer militanten Politik zu verschreiben, ist eine bewusste und keine einfache Entscheidung, die immer vor dem Hintergrund eines klaren Ziels stehen muss, um nicht in Aktionismus zu enden. Die Angst vor den Konsequenzen für das eigene Leben ist begründet.

Und es scheint, als würde es Gruppen umso leichter fallen sich einer selbstdefinierten Militanz zu verschreiben, desto autoritärer sie strukturiert sind. Überraschen sollte das nicht. Dass es ebensolche Gruppen sind, die Militanz und Militarismus zu häufig verwechseln, sollte auch nicht wundern.

Was uns aber alle wundern sollte: Wieso zögern so viele andere, weniger autoritäre Gruppen ihre eigene militante Praxis zu finden? Wieso braucht es augenscheinlich eine Direktive von oben oder ein (meist patriarchal geprägtes) ‚Kameradschaftsgefühl‘, um die Angst zu überwinden, die zwischen dem Träumen von und dem Umsetzen einer militanten Aktion liegt?

Wie kann es sein, dass wir uns angesichts der aktuellen Kriege und der Klimakrise, angesichts vom globalen Massensterben und dem Mord an den Außengrenzen der Festung Europa immer noch einreden, wir lebten in Friedenszeiten?

Es herrscht Krieg auf unserem Planeten, ein Krieg zwischen dem herrschenden System und der Mitwelt. Doch es passiert, was sich so viele in anderen Momenten wünschen: Es ist Krieg und keiner geht hin- außer die, die so direkt betroffen sind, dass es für sie keinen Ausweg und kein Wegschauen gibt.
Wie kann es sein, dass wir uns unverwandt fragen wofür wir solche Risiken auf uns nehmen sollten? Die Antworten auf diese Frage sind offensichtlich! Sucht euch einen Grund aus von den zahllosen, die es gibt: Ob ihr das Patriarchat, den (Neo)Kolonialusmus, den Kapitalismus, den Klassismus, oder was auch immer angreift, es ist nicht wichtig: Wichtig ist, dass ihr es tut. Wichtig ist, dass daran gearbeitet wird diesen alles verschlingenden Leviathan umzubringen- mit allen Mitteln (und so wenig Kollateralschaden wie möglich).

Wir müssen die, die uns vorgaukeln, dass unsere Sitzblockaden dem System weh täten, als Lügner entlarven. Wir müssen denen, die sich mit der Revolution auf den Lippen in jedes sich bietende Handgemenge stürzen, klarmachen, dass blinder Aktionismus niemanden weiterbringt, dass mackriger Aktionismus nie Teil einer sozialen linken Revolution sein kann. Wir müssen uns allen klarmachen, dass der Frieden, in dem wir in Deutschland leben, eine Maskerade ist, und dass wir diese Maskerade weitermalen, indem wir behaupten, dass Mittel des zivilen Ungehorsams, solange nicht in riesigen Ausmaßen geschehend, irgendetwas verhindern (verändern können sie durchaus, aber nicht verhindern).

Und wir müssen radikal solidarisch sein, auch während wir einander kritisieren: Auch mit denen, die sagen, Sitzblockaden schmerzten das System, und die dadurch Personalien und Kapazitäten den Repressionsbehörden ausliefern (eine Kritik dieser Aktionsformform soll hier ausgelassen werden). Auch mit den Aktionsmackern, die ihr patriarchales Verhalten nicht reflektiert haben, sofern sie sich diesem Prozess nicht verweigern (unser Ziel muss die Befreiung aller sein- nichts weniger). Auch mit denen, die neu in der Szene und verwirrt sind von all den unbekannten Begriffen und Anforderungen und mit denen, die Angst haben. Die Liste wäre ewig fortzusetzen und jeder Eintrag mit dem Hinweis zu versehen, dass es selbstverständlich Grenzen geben muss, die für alle gelten (denn, nochmal: Die Solidarität, die wir brauchen, muss radikal mit den gesellschaftlichen Verhältnissen brechen und darf nicht ihren Trennlinien folgen!).

Wir müssen alle Formen des Aktivismus gleichermaßen wertschätzen und gleichzeitig in der Lage sein uns zu kritisieren während wir zusammen arbeiten. Ohne Basisarbeit gäbe es keine Bewegung, die über Militanz diskutieren könnte. Ohne militante Gruppen, die neue Aktionsformen ausprobieren und das Machbare erweitern, gäbe es einen anderen Diskurs und einen völlig anderen Bewegungsstand.

Das System im Herzen der Bestie, in dem wir leben, ist derart grausam, dass es keinen Frieden geben dürfte. Welche Rechtfertigung braucht es noch, um sich mit allen Mitteln zu wehren? Die Gesellschaft in Deutschland kippt schon seit Jahren in eine immer gefährlichere Richtung, die globalen Krisen spitzen sich zu: Wieso wehren sich so wenige? Wird darauf gewartet, dass der Krieg physisch vor der eigenen Haustür steht?

Es gibt so viele Ziele für mehr und weniger direkte Aktionen und tausend gute Gründe. Guckt euch um und sucht euch eines Aus: Das Einzige, das falsch wäre, wäre keines anzugreifen, denn jeder Aspekt dieses vom Staat gedeckten Leviathans arbeitet daran dasselbe mit all seinen Gegnern zu tun. Subtiler vielleicht. Aber kein bisschen weniger verheerend und tödlich.

 

++Switch off the damn state!++

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