Ist die Zeit der Waldbesetzungen vorbei?

 

Ich gehöre zu denen, die nicht mehr in den Waldbesetzungen aktiv sind. Das war mein Kampf und auch mein Zuhause für eine lange Zeit. An dieser Stelle möchte ich ein paar persönliche Gedanken teilen und zum Nachdenken über Waldbesetzungen anregen.

 

 

Eine ganze Zeit lang waren Waldbesetzungen ein safer Space, ein Freiraum, ein Zuhause und ein Ort zum Durchatmen für mich. Trotz all der brutalen Räumungen erkenne ich: Ich habe so viel gelernt - nicht nur Hardskills wie Klettern und so weiter... Ich habe auch viel über (linksradikale) Politik und mich selbst gelernt. Ich habe so viele fantastische Menschen kennengelernt, Freund*inschaften und meine Liebe in Besetzungen gefunden. Wir haben eine Menge Menschen auf verschiedenste Weise erreicht. Ich habe erfahren, wie mensch (nahezu) hierarchiefrei zusammenleben und kämpfen kann. Außerdem habe ich mich selbst gefunden - nicht nur meine Geschlechtsidentität, sondern auch eine Antwort darauf, was ich mit meinem Leben machen will. Ich werde mit allem, was ich habe und was ich geben kann, für den Rest meines Lebens gegen das System kämpfen.

Aber was war unser Ziel? Wir wollten die Umweltzerstörungen aufhalten, die zum Klimakollaps führen. An diesem Punkt müssen wir ehrlich zu uns selbst sein. Wir haben versagt. Die Treibhausgase nehmen weiter zu und die Kipppunkte werden erreicht oder sind es sogar bereits – seriös kann das niemensch aktuell sagen...

Versteht mich nicht falsch! Ich gebe die Schuld nicht der Bewegung. Der Grund des Scheiterns ist die gesamtgesellschaftliche Verdrängung des Klimakollaps, die das fossile Weiter-so ermöglicht und Maßnahmen für Klimagerechtigkeit verunmöglicht.

Mein Punkt dabei ist: Besetzungen sind symbolisch. Keine Besetzungen ist unräumbar (solange sie der Gewalt der Cops nicht physisch trotzen kann). Es ist also eine Art von Appell. Und die wurden und werden ignoriert. Wegen der Verdrängung wird das System nicht einlenken und sich selbst abschaffen, was nötig wäre, sondern alle Botschafter*innen des Klimakollapses bekämpfen um die Verdrängung der erdrückenden Wahrheit aufrecht zu erhalten. Es wäre auch einfach zu schön, wenn mensch erfolgreich an ein Herrschaftssystem appellieren könnte sich selbst abzuschaffen. Nein, System Change bleibt Handarbeit statt ein Runterbeten an Forderungen.

So viel mir Waldbesetzungen auch persönlich gegeben haben, politisch haben wir nichts erreicht. Was bringt uns die Mobilisierung von Menschen, wenn diese Mobilisierung nirgends hin führt? Besonders frustriert mich – neben all diesen Erkenntnissen – die Tatsache, dass wir uns als Waldbesetzungsszene immer weiter in die eigene Tasche lügen. Ja, Waldbesetzungen bringen einiges (siehe oben), aber eben nichts politisch. Da wo bspw. (Aus-)Bauprojekte gestoppt werden, tun wir so, als wäre das unser Verdienst. Dabei hat der Protest zumeist höchstens eine untergeordnete Rolle gespielt. Wirtschaftliche/ finanzielle Faktoren sind ausschlaggebend – nicht Waldbesetzungen. Die (Räumungs-)Kosten, die Waldbesetzungen für den Staat und die beteiligten Unternehmen bedeuten, sind ohnehin längst eingepreist, einkalkuliert und vor allem sind sie verkraftbar.

Der Preis für Waldbesetzungen für uns aber ist hoch. Nicht, weil Poly-Seile teuer sind, sondern weil Waldbesetzungen nicht nachhaltig für die Menschen, die sie stemmen, sind. Ich bin völlig ausgelaugt und so geht es vielen. Repressionen, Traumata und Verletzungen von den gewaltsamen Räumungen tun ihr übriges...

Mein Fazit? Für das, was Waldbesetzungen trotz des Scheiterns in Sachen Verhinderung fossiler Projekte bzw. Scheitern im Kampf für Klimagerechtigkeit bringen, ist es das ganze nicht wert. Es erscheint mir einfach nicht als verhältnismäßig.

Das soll keineswegs heißen, dass wir den Kopf in den Sand stecken und vor uns hin verbürgerlichen sollen! Ich bin davon überzeugt, dass es Zeit ist andere/ neue Wege zu gehen. Antifaschistische Abwehrkämpfe, solidarisches Preppen angesichts des kommenden Kollapses, gezielte (!) Sabotage fossiler Kackschieße, Commens & Mutual Aid, politische Bildungsarbeit & Skillshares und und und… Es gibt viel zu tun. Also worauf warten wir noch?

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