Wohlfühlaktivismus überwinden

Wie hängen die Privilegien der Mehrheit der linken Bewegung mit dem Scheitern unserer Bewegung zusammen? Was haben Stellvertretungs-Aktivismus, Selbstwirksamkeitsfalle, Identitätspolitik, Hedonismus, Harmoniebedürfnisse und Repressionen damit zu tun? Dieser Text liefert Anstöße, um den Wohlfühlaktivismus zu überwinden.

Vorwort

 

Dieser Text richtet sich vor allem an die privilegierten Teile der linken Bewegung in Deutschland. Nicht alle hier genannten Probleme treffen auf alle linken Gruppen (gleichermaßen) zu, aber ein Bewusstsein für diese Probleme ist sicherlich in jedem Fall sinnvoll. Dabei sind die Begriffe wie „Bewegung“, „Aktivismus“, „Aktionen“, „Gruppen“ jeweils als große Klammern und nicht zwingend im Wortlaut zu verstehen. Des Weiteren ist der Text als Ergänzung zu „Linke Bewegung am Boden – Wege aus dem Scheitern“ zu verstehen, kann aber auch für sich allein gelesen werden.

 

Das Problem mit dem Stellvertretungs-Aktivismus

 

Wofür machen wir – Menschen in der linken Bewegung in Deutschland – eigentlich Aktivismus? Wofür oder wogegen sind wir aktiv? Beim „Wogegen“ finden sich leicht zahlreiche Antworten wie der Kampf gegen Kapitalismus, Patriarchat, Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit usw… Beim „Wofür“ wird es dann oft recht vage, was die Antworten anbelangt. Das ist eine äußerst wichtige Frage, die konkrete Antworten braucht, aber bleiben wir hier trotzdem mal bei dem „Wogegen“, da dort mehr Klarheit herrscht bzw. die Motivation bei vielen Aktivist*innen zu sein scheint.

Außerdem ein kurzer Blick auf die Menschen, die die linke Bewegung in Deutschland bilden: Auch wenn wir keine statistischen Untersuchungen durchgeführt haben, können wir feststellen, dass der überwiegende Teil der Bewegung weiß ist, keine (nah zurückliegende) Migrationsgeschichte hat, aus der Mittelschicht stammt, keine Behinderungen hat und tendenziell akademisch ist. Kurz gesagt: Der Großteil von uns ist ziemlich privilegiert. Wir sehen, dass versucht wird Privilegien zu reflektieren, die Lebensrealität weniger/nicht privilegierter Menschen zu verstehen und zugänglicher zu werden, sodass diese Privilegien weniger Voraussetzung werden, um Teil der Bewegung zu werden. Das ist unglaublich wichtig und muss weiter aktiv vorangetrieben werden!

Kommen wir zurück zu dem „Wogegen“. Wenn jetzt bspw. Weiße sich gegen Rassismus oder cis Menschen gegen Transfeindlichkeit engagieren, ist das zunächst einmal eine super Sache. Dabei kämpfen sie gegen etwas, wovon sie selbst nicht betroffen sind. Neben Problemen, wie Weißes Rettertum[1], ist die Schwierigkeit hierbei zu erkennen, ob das jeweilige Engagement, die Veranstaltungen, Demos oder Aktionen etwas bringen, oder nicht. Warum? Zum einen ist es natürlich oft schwierig zu fassen, was bspw. diese oder jene Aktion gebracht hat, was durch Verzögerung von Ursache (hier die Aktion) und Wirkung (z.B. politische Veränderung) sowie durch zahlreiche andere Faktoren (z.B. wirtschaftliche Umstände) erschwert wird. Zum anderen führt die mangelnde Betroffenheit dazu, dass es sehr schwer ist den Erfolg oder Misserfolg der Aktion beurteilen zu können. Dazu kommt außerdem, dass Betroffene nicht gehört werden oder gar nicht Teil der jeweiligen Gruppe, die die Aktion durchgeführt hat, sind. Das ist fatal und führt letztendlich dazu, dass Sachen (nicht nur Aktionen) gemacht werden, die ineffektiv sind zum Erreichen der Ziele, wie z.B. Rassismus oder Transfeindlichkeit zu bekämpfen, und diese ineffektiven Sachen auch noch fortwährend wiederholt werden.

Warum fällt das so wenigen auf? Zunächst einmal gibt es oft keinen greifbaren Erfolg, wie wir festgestellt haben. Stattdessen wird der Erfolg anhand von Teilnehmer*innenzahlen, medialer Reichweite, Aufgebot der Cops oder anderen vermeintlichen Anhaltspunkten beurteilt. Daran anknüpfend, wollen wir folgende These aufstellen: Rational wollen wir, um bei dem Beispiel zu bleiben, Rassismus und Transfeindlichkeit natürlich bekämpfen. Emotional wollen wir (hier die nicht Betroffenen) jedoch vor allem eine*r von „den Guten“ sein. Dabei schwingt auch das (unterbewusste) Wissen mit, dass mensch aufgrund der eigenen Sozialisierung sich selbst auch nicht (völlig) freisprechen kann von Rassismus oder Transfeindlichkeit. So dient dann der eigene Aktivismus, die Aktionen etc. unbewusst vor allem dazu, sich selbst besser zu fühlen – vielleicht sich sogar moralisch überlegen gegenüber den Rest der Gesellschaft zu fühlen. Die eigentlichen Ziele bleiben dahinter zurück…

Die Lösung? Wir müssen als linke Bewegung mehr über das lernen, was wir bekämpfen wollen und unsere eigenen Privilegien entsprechend reflektieren. Wir müssen Betroffenen zuhören und Kritik annehmen und uns auch selbst stets konstruktiv kritisieren, um daran wachsen zu können. Und natürlich müssen wir offener und zugänglicher für Betroffene werden ohne sie auf die Betroffenheit zu reduzieren. All das ist weder bequem, noch einfach, aber notwendig, wenn wir es ernst meinen.

 

Das Problem mit der Selbstwirksamkeitsfalle

 

Der überwiegende Teil der Aktionen (hier als Sammelbegriff für Output) der linken Bewegung sind appellativ. Das meint, dass die Aktionen selbst (im Gegensatz zu direkten Aktionen) nicht direkt zu Veränderungen führen, sondern die angestrebten Veränderungen mit Forderungen bzw. Appellen und Einwirken auf den Diskurs erreichen sollen. Sobald die Appelle aber auf entschiedene Widerstände seitens Politik/Wirtschaft treffen, werden die Aktionen schnell völlig wirkungslos. (Mehr dazu in „Linke Bewegung am Boden – Wege aus dem Scheitern“)

Außer Frage aber steht, dass sich diese Aktionen das Gefühl, dem herrschenden System ausgeliefert zu sein, für einen begrenzten Zeitraum sehr konkret überwinden lassen und die eigene Handlungsfähigkeit spürbar wird. Das wirkt mitunter trotz psychischer und physischer Repression bestärkend und fühlt sich gut an. Mediale Reichweite kann zusätzlich bekräftigend wirken. Und da schnappt sie zu die Selbstwirksamkeitsfalle. Denn hat sich wirklich materiell etwas verändert? Oder hat sich zumindest der Diskurs so nachhaltig verändert, dass sich an der politischen Ausrichtung des Systems absehbar etwas ändern wird? Nüchtern betrachtet sind diese Fragen zumeist mit „nein“ zu beantworten.
So war bspw. der letzte nennenswerte materielle Erfolg der Klimabewegung der Atomausstieg und auch dieser ist nicht allein durch den Kampf der Bewegung, sondern erst nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima erreicht worden.

Warum tappen wir immer wieder in die Selbstwirksamkeitsfalle? Zum einen sind da der unbedingte Wille nach Erfolg, die Notwenigkeit Erfolgsgeschichten zu erzählen, um medial gut wegzukommen, bei der nächsten Aktion wieder neue Leute zu mobilisieren und vor allem, dass wir unsere nach außen kommunizierten Erfolgsgeschichten auch selbst glauben, weil wir eben unbedingt Erfolge sehen wollen. So wird z.B. aus einer fünf mal online, im hintersten Winkel publizierten dpa-Meldung ganz schnell ein „Alle Medien berichten über den Protest!“.

Zum anderen fehlt vor diesem Hintergrund und von dem Hintergrund des oben geschilderten Stellvertretungs-Aktivismus redelmäßig eine nüchterne Auswertung der Aktionen. Ein Presse-Screening – also zu schauen, wer, wo, wie über die Aktion berichtet und reagiert hat, ist für die Auswertung der eigenen Öffentlichkeitsarbeit wertvoll, aber darüber hinaus nicht zur Beurteilung des Aktionserfolgs, wenn dieser auf tatsächliche Veränderungen abzielt. Bei appellativen Aktionen ist das Messen des Erfolgs gar nicht so einfach, aber nicht weniger wichtig um zu schauen, was gut oder schlecht funktioniert für die nächste Aktion. Klarheit beim Formulieren der Aktionsziele kann helfen sowie das genaue (manchmal langwierige) Beobachten des (Nicht-)Eintretens der erhofften Veränderungen.

 

Das Problem mit der Identitätspolitik

 

Grundsätzlich hat linke Identitätspolitik durchaus ein positives Potential (siehe „Linke Bewegung am Boden – Wege aus dem Scheitern“). Allerdings sehen wir in der Bewegung (Szene miteingeschlossen) eine enorme Überbetonung der Identität, die zu viel Abgrenzung statt zu einem Zusammenrücken führt.
Es ist keine Identitätspolitik, die offen nach außen linke Identitäten attraktiv macht. Vielmehr scheint es darum zu gehen, ein*e von „den Guten“ zu sein und sich von allen anderen mit anderen Ansichten, anderem politischen Ausdruck etc. abzugrenzen und auf diese hinab zu blicken. Dieses Verhalten sehen wir sowohl innerhalb der Bewegung als auch gegenüber Menschen der Mehrheitsgesellschaft[2]. Konstruktive Diskussionen sind so kaum möglich und zugänglicher werden wir damit auch nicht.

Politische Ziele treten hinter dem Profilieren der eigenen Identität zurück. So drehen wir uns immer mehr um uns selbst – seien es die Themen in unseren Plena oder auf unseren Demos. Ein gutes Beispiel dafür sind linke 1.-Mai-Demos. Es wird von „ den Arbeitern“ (hier bewusst nicht gegendert) oder noch schlimmer „dem Proletariat“ gesprochen, als würden wir gedanklich einige Jahrzehnte zurückhängen. Dann wird sich noch etwas mit den Cops gezankt. Die Bewegung schlurft jedes Jahr aufs Neue hin und jedes Jahr werden noch weniger Menschen damit erreicht. Anschließend klopft mensch sich gegenseitig auf die Schultern und dann geht’s nach Hause. Und fertig ist die Bewegungsfolklore[3]. Ironischerweise wissen immer weniger von uns, wofür der 1. Mai mal stand bevor er eine solche historische Anekdote (Erzählung) wurde…

Was hat das Ganze nun mit Wohlfühlaktivismus zu tun? Zum einen ist diese verzerrte Identitätspolitik gewissermaßen eine Realitätsflucht vor dem, was „da draußen“ ist. Da ziehen wir uns lieber zurück und beschäftigen uns mit uns selbst, was inzwischen eine eigene ungute Eigendynamik angenommen hat. Statt in die Mehrheitsgesellschaft hineinzuwirken drehen wir uns um uns selbst und verkaufen uns das als Aktivismus. Zum anderen ist diese nur möglich, weil wir, die privilegierte Mehrheit der Bewegung, (noch) glauben, dass wir uns sie leisten könnten.

Es ist höchste Zeit die Bewegungsfolklore beiseite zu lassen und für unsere Sache zu kämpfen!

 

Das Problem mit dem Hedonismus[4]

 

Wer sagt, dass wir keinen Spaß haben dürfen? Kein Mensch. Allerdings sehen wir in verschiedenen Kontexten, dass das, worauf Menschen Bock haben, im Fokus steht und nicht das, was sinnvollerweise angebracht wäre. Zum einen können wir nicht von politischer Arbeit reden und gleichzeitig versuchen einen System Change herbeizufeiern oder Auseinandersetzungen nur des Adrenalins wegen zu suchen und zu glauben, dass uns das voran bringt. Zum anderen bleiben so unliebsame Aufgaben, wie Orga- und Strukturaufgaben, Awareness- sowie Repro-Arbeit an den wenigen hängen, die sich erbarmen (hierbei spielt der patriarchale Normalzustand natürlich auch eine große Rolle), die mit mehr Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit politisch arbeiten wollen.

Wir müssen eine gesunde Balance finden zwischen politischer Arbeit und Ausgleich. Dabei sollten wir auf eine faire Aufgabenverteilung mehr achten.

 

Das Problem mit dem Harmoniebedürfnis

 

Selbstprofilierung (siehe Identitätspolitik) und Rumgemacker (besonders patriarchales Verhalten) sind weder konstruktiv noch tragen sie zur Harmonie in unseren Gruppen bei. In Reaktion darauf versuchen einige Gruppen solches Verhalten zu überwinden und wollen so mehr Harmonie schaffen, was absolut richtig ist. Dem gehen oftmals entsprechende negative Erfahrungen voraus. Manche schaffen das recht erfolgreich.

Andere jedoch gleiten jedoch dahin ab, dass sich gegenseitig in Watte gepackt wird, um die scheinbare Harmonie um jeden Preis aufrecht zu halten. So werden belastende oder kontroverse Themen konsequent umschifft, schwierige Entscheidungen vertagt/vermieden, Konflikten in der Gruppe aus dem Weg gegangen und Frust herunter geschluckt. Auf den ersten Blick scheint oft alles in bester Ordnung zu sein und dass alle sich gegenseitig lieb hätten. Unter der Oberfläche brodelt es aber teilweise gewaltig...

Dass wir Selbstprofilierung und Rumgemacker überwinden müssen, steht außer Frage. Es bringt uns überhaupt nichts einander auseinanderzunehmen und ebenso wenig bringt es uns nichts, wenn wir uns nur in Watte packen. Vielmehr brauchen wir eine offene, ehrliche Streitkultur, die konstruktiv, fair und nicht verletzend ist.

 

Das Problem mit den Repressionen

 

Egal wie kämpferisch wir uns geben oder sind, wir müssen anerkennen, dass Repressionen wirken. Die, die bleiben, sehen wir und wollen wir sehen. Die, die einknicken, sehen wir viel weniger und wollen das oft auch gar nicht, da sie im Widerspruch dazu stehen, was wir nach außen tragen und selbst glauben wollen: „Ihr könnt uns nicht brechen, weil wir solidarisch zusammen stehen!“. Solidarität darf nicht bei finanzieller Solidarität oder gar bei bloßen Solidaritätsbekundungen stehen bleiben. Die Ausbaufähigkeit unserer Solidarität ist ein sehr wichtiges Thema, aber hier soll es um einen anderen Aspekt gehen. Und zwar um die Frage, warum Menschen bei Repressionen einknicken.

Zum einen sind da die verständlichen Reaktionen auf (krasse) Repressionen wie z.B. Traumatisierungen zu nennen. Da braucht es dann viel Zeit und Hilfe, um wieder klar zu kommen und das ist auch mit nichts kleinzureden. Und natürlich lässt sich auch kaum aus dem Knast heraus Aktivismus betreiben.

Zum anderen gibt es aber auch eine gewisse Bequemlichkeit. Wird es aufgrund von Repressionen ungemütlich z.B. durch das erzwungene Erscheinen vor Gericht, dann ziehen sich viele zurück – nicht weil es untragbar wäre weiter zu machen, aber es ist eben nicht mehr so bequem. Entscheidend dabei ist das Privileg entscheiden zu können, ob mensch weitermacht oder einknickt. Diese Wahl haben viele nicht, da ihr Aktivismus alternativlos ist. Zum Teil ist es gar eine Frage von Kämpfen oder Sterben. Darüber hinaus ist die Bereitschaft Repressionen in Kauf zu nehmen, auch wenn diese zu kassieren natürlich kein vernünftiges Ziel ist, hierzulande vergleichsweise gering. Schauen wir bspw. nach Russland, wo Menschen für die simpelste Kritik an Putins Krieg ins Lager gesteckt werden und dennoch Menschen aktiv sind. Oder schauen wir nach Südmexiko, wo Menschen zum Teil für die bloße Demonstration gegen Umweltzerstörung ermordet werden und trotz dieser krassen Bedrohung aktiv sind. Ohne unsere Privilegien hier in Deutschland zu reflektieren und ohne die Bereitschaft Risiken für das Erreichen unserer Ziele einzugehen, werden wir weiterhin nicht weit kommen mit dem vorherrschenden Wohlfühlaktivismus.

 

Weitere Texte

 

Weitere Texte für die linke Bewegung gibt's auf unserer Website: https://themakollektiv.noblogs.org/

 

Glossar

 

  1. Weißes Rettertum – kolonialistische Annahme, dass BIPoCvon Weißen gerettet werden müssten und dass die als minderwertig wahrgenommenen BIPoC ohne Eingreifen, Unterweisung und Anleitung von Weißen nicht überlebensfähig wären; BIPoC – Abkürzung für Black, Indigenous, People of Color bzw. Schwarze, Indigene, Menschen von Farbe

  2. Mehrheitsgesellschaft – Teil der Gesamtbevölkerung, der aufgrund seiner Größe die kulturelle Norm darstellt im Gegensatz zu Subkulturen etc.

  3. Bewegungsfolklore – Zusammensetzung aus Bewegung und Folklore; Folklore ist ein Sammelbegriff für Traditionen, Rituale, Brauchtümer und dergleichen

  4. Hedonismus – Ansatz/Prinzip nach dem nur das getan wird, worauf mensch gerade Lust hat

Weitere Begriffe werden im Bewegungs-Glossar, welches sich derzeit noch im Aufbau befindet, aber bereits nutzbar ist, erläutert: https://pad.degrowth.net/s/Glossar

 

 

 

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