Schwarze statt rosa Brille

Was tust du, wenn die AfD (kurz vor) der Regierung steht?

Es ist nicht das Hauptanliegen dieses Textes Antworten zu geben. Er soll zu Diskussionen führen, zu einem tiefen Unbehagen, das zum Handeln zwingt: Denn zu Handeln ist notwendig. Es ist jetzt notwendig. Wenn die deutsche Linke länger wartet, wird sie nicht mehr handlungsfähig sein. Dann stehen wir gesellschaftlich an dem gleichen Punkt, an dem wir vor der Machtergreifung Hitlers standen. Dann haben wir wieder den Zeitpunkt zum Eingreifen verpasst, nur dass die Gesamtsituation durch globale Klima- und Informationskrise heutzutage noch komplexer scheint, als vor gut 80 Jahren.

 

-Die politische Linke muss verstehen, dass das revolutionäre Subjekt sich nicht von alleine schafft und, dass sie sich selber als solches begreifen muss.

 

-Was tust du, wenn die AfD regiert oder kurz davor steht? Die politische Rechte hat einen starken parlamentarischen und außerparlamentarischen Arm und enge Verbindungen ins Militär. Was davon hat die Linke? Wenn die linkspolitischen Kräfte sich nicht zeitnah und ernsthaft mit diesen Fragen befassen und alle Mittel bedenken, werden sie die Antworten darauf nicht mehr finden.

 

-Um anschlussfähig zu sein, müssen linke Standpunkte klar sein. Dafür braucht es linken Populismus, verstanden als das kurze und verständliche Kommunizieren linker Kernforderungen und Ziele.

 

-Die linken Kräfte müssen den Schulterschluss finden: Der gemeinsame Feind, die Rechten, sind in neuer Stärke zurück und haben ihren eigenen tödlichen Schulterschluss entlang des Narrativs des ´großen Austauschs´ gefunden. Die Klimakrise und der Kapitalismus, Kolonialismus und Rassismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und Abolitionismus genügen nicht, um die Linke zu einen. Doch wenn die Gefahr von Rechts das nicht schafft: Was braucht es, um die Linken zu einen? Das bedeutet auch: Die außerparlamentarische und parlamentarische Linke und die Linke müssen kooperieren.

 

-Die Linke braucht ein eigenes Selbst-Bewusstsein, muss sich selber als Gemeinschaft, als Gesellschaft verstehen und organisieren, um füreinander und für eine lebenswerte Zukunft für alle zu kämpfen.

 

-Bevor die Rechten an die Macht kommen, müssen wir die Macht entweder abgeschafft haben oder sie selber besitzen (um sie dann abzuschaffen). Ansonsten wird es womöglich keine Linke mehr geben, die die Rechten aufhält.

 

 

 

Dieser Text bezieht sich auf die politische Dynamik innerhalb des deutschen Staates und lehnt dennoch Staaten und Grenzen grundsätzlich ab. Die einzigen als legitim zu bezeichnenden Grenzen sind die persönlichen Grenzen von Lebewesen, die aktiv, ohne Zwang und in vollem Bewusstsein gezogen werden. Der Grund für den Bezug auf das deutsche Staatsterritorium ist die analytische Schärfe. Würde der Text den gesamten deutschsprachigen Raum abdecken wollen, müssten unterschiedliche politisch-parlamentarische Systeme und Konstellationen berücksichtigt werden. Diese Analyse kann der Text nicht leisten.

 

 

 

Wir als politische Linke werden den Rechtsruck nicht aufhalten, wenn wir uns weiterhin entlang theoretischer Kleinigkeiten und Abweichungen im utopischen Endziel spalten. Wir müssen uns vorhalten, dass es der kleine Teil des Weges ist, den die linken Gruppen gemeinsam nach links gehen können, welcher den Rechtsrutsch noch aufhalten kann. Es geht um den kleinsten gemeinsamen Nenner, nicht um die Verwirklichung einer linken Utopie: Wenn wir die Zukunft an die Rechten verlieren, wird es in Zukunft keine linke Utopie geben. Bevor an die Verwirklichung einer Utopie gedacht werden kann, muss das rechte Abrutschen breiter Teile der Bevölkerung und die Machtergreifung der Rechten verhindert werden. Dann und nicht vorher können wir uns wieder in kleinstteilige Theoriegrüppchen zerspalten.

Dieser Text unterstellt, dass die Linke keine Ambitionen zeigt sich zu einen oder einen Gemeinschaftssinn und praktische Solidarität zu entwickeln. Dieser Text unterstellt, dass die Linke es kategorisch ablehnt sich zu fragen was passiert, wenn die Rechten die Exekutive kontrollieren. Dieser Text unterstellt, dass viele in der Linken durch ihre Rosabrille nicht sehen oder anerkennen wollen oder können, dass es methodisch keine Tabus geben darf, da auch die Rechten methodisch keine Tabus kennen. Wir als Linke stehen nicht nur den Rechten gegenüber. Wir stehen einem rechtskonservativem Konglomerat aus Rechtsextremen, konservativen Politiker*innen, einer übermächtigen und global vernetzten Kapitalist*innenklasse und einem jahrzehntelang indoktrinierten Bürgertum entgegen. Der Krieg, den wir gewinnen müssen, lässt sich nicht durch einzelne Kämpfe und als deskoordinierte Armee tausender Kleinstgruppen gewinnen. Das Wort Krieg wird in diesem Kontext bewusst verwendet: Viele Debatten um Ukrainekrieg, Nahostkonflikt und Wehrpflicht sind geprägt von der Konfusion von Anti-Militarismus und Pazifismus. Militarismus stützt die Herrschaft von Staat und Kapital, indem Nationalismus geschürt und ausgenutzt wird. Er passt perfekt in die heutige Blütezeit des Nationalismus. Der Pazifismus breiter Teile der Zivilgesellschaft schützt den Staat vor militanten Angriffen auf seine Institutionen und vor dem Aufbau einer für ihn gefährlichen Stadtguerilla. Eine pazifistische Gesellschaft ist eine, welche dem Staat hörig ist und nicht aufrührt, wie geknechtet sie auch sei. Eine pazifistische Gesellschaft ist sich ihrer eigenen Macht nicht bewusst. Eine hochmilitarisierte Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die mit inbrünstigem Enthusiasmus den Tod fürs sogenannte Vaterland in Kauf nimmt und damit die Rechte und Freiheiten der Herrschenden schützt. Die Freiheit der Mächtigen, der Wohlstand der Regierenden, die Möglichkeiten der Privilegierten sind niemals die Freiheiten, Möglichkeiten oder der Wohlstand der Mehrheit, die für Kriege stirbt.

 

Dieser Krieg gegen Staat und Kapital, der, wenn er zum Erfolg führen soll, antiautoritär und intersektional geführt werden muss, ist international, ist in unterschiedlichen Weltregionen verschieden intensiv und unterschiedlich ausgeprägt. In Deutschland war er lange wenig sichtbar. Erst durch die jüngeren Krisen und den reißerischen rechten Populismus hat er wieder an Intensität zugenommen. Auch wegen den Ausmaßen dieser Bedrohung lässt er sich nicht alleine auf der Straße und nicht alleine im Parlament entscheiden: Er lässt sich nur durch die Zusammenführung aller Schauplätze und Einzelkämpfe gewinnen und dadurch, dass die Diversität der linken Akteur*innen nicht als spaltendes Element, sondern als Stärke verstanden wird. Auch die, die sich bisher der Organisierung verweigert haben, müssen sich organisieren. Man stelle sich nur vor, was sein könnte, wenn die Anarchist*innen und Autonomen als strukturierte, abgesprochene Menge agieren würden? Wenn schwarze und rote Gruppen miteinander planen würden oder Bündnisse wie EG oder Disrupt konstruktiv mit der Letzten Generation und bürgerlicheren Gruppen kooperierten? Was könnte geschaffen werden, wenn linke Bäuer*innen, Hausprojekte, Aktionsbündnisse, militante Kleingruppen und all die anderen sich zusammenschließen würden?

 

Vermutlich werden wir das nie erfahren. Wir werden keinen Schritt des Weges gehen. Der Weg, auf dem wir stehen, wird nach rechts wegrutschen und viele (allen voran nicht-weiße, nicht-heterosexuelle, nicht-binäre, nicht-körperlich/geistig-uneingeschränkte, …) werden im Erdrutsch untergehen.

 

Ein radikaler Flügel kann mehrere wichtige Funktionen haben. Vor allem kann er das Fenster des Sagbaren und Machbaren durch als extrem wahrgenommene Äußerungen und Taten erweitern, wie es das Netzwerk um Kubitschek geschafft hat und schafft. Bedingung dafür ist, dass die Radikalität der Forderungen mit jener der Taten übereinstimmt: Das gilt umso mehr für radikale Flügel außerhalb von Parlamenten, deren Aktionen im Fokus des Medieninteresses stehen.

Im negativen Sinn hat auch die Linke ihren Flügeleffekt. Die Letzte Generation hat mit der Diskrepanz zwischen relativ radikalen Taten und sehr, sehr harmlosen Forderungen dafür gesorgt, dass die gesamte Klima-Linke an Akzeptanz verloren hat und fast alles unter den Labeln ´Klimaspinner´, ´Klimahysterie´, etc. subsumiert wird. Beispiele für nicht-negative Flügeleffekte im Kleineren gibt es in linken Kreisen beinahe nur szeneintern: Beispielsweise die breite Solidarität rund um Lützerath oder die Diskursverschiebung innerhalb der Szene bezüglich ZU und ZU+Aktionen. Dem radikalen Flügel der Linken (das schließt die LG aus) fehlt allerdings die Öffentlichkeitswirksamkeit. Der medialen Präsenz und Extremität der Aussagen eines Höckes und Co. hat die Linke nichts Vergleichbares entgegen zu setzen: Es gibt keine Personen, die öffentlichkeitswirksam radikale linke Utopien ausmalen und fordern. Dafür hat die Linkspartei naiver Weise zu viel Angst und die außerparlamentarische Linke zu wenig Gehör. Die einzigen radikalen Forderungen verhallen außerhalb des Parlaments in den leeren Häuserschluchten und ausgestorbenen Innenstädten einer tauben, socialmediafixierten Gesellschaft.

Anstatt einen Blick auf eine Zukunft zu beschreiben, in der Armut, Klimakrise und Rassismus (um nur Einiges zu nennen) beseitigt wurden, malt die politische Gesamtlinke Horrorszenarien des Klimakollaps und sozialer Misere. Dieses Fehlen eines linken Populismus, der linke Problemanalysen und Lösungsvorschläge kurz und prägnant darstellt, führt dazu, dass linke Ideen nicht in die breite Bevölkerung vordringen.

 

 

 

Ohne die Ressourcen und Öffentlichkeitswirksamkeit, die eine Partei mitbringt, werden die Forderungen der Straße auf der Straße verenden. Das Populismus-Tabu der Linkspartei wirkt hier ebenso toxisch, wie der Hochmut linker Aktivist*innee jede Kooperation mit Parteien zu verdammen. Ohne eine Partei im Rücken fehlen uns Ressourcen. Dass soll nicht zu dem Irrglauben leiten, dass der Gang durch die Institutionen das Mittel der Wahl sei. Daran sind viele Fridays-For-Future-Aktivist*innen seit 2018/19 und viele vor ihnen gescheitert. Es geht darum in Parteien Unterstützer*innen für die eigene Sache zu finden, Ressourcen und Zugänge zu nutzen und die radikalen Positionen von der Straße in die Parteien zu bringen. Nicht mit dem Ziel die Karriereleiter zu erklimmen und die Radikalität beim Erklimmen fallen zu lassen. Sondern darum die Teile der Partei, die sich keine radikalen Äußerungen trauen, sie aber unterstützen, mitzunehmen, Diskussionen zu führen und dazu beizutragen, dass radikale linke Positionen die Chance haben in Parteien und Parlamenten gehört zu werden.

Die politische Linke braucht einen radikalen Flügel, der tatsächlich radikal ist und nicht, wie die Letzte Generation, nur die Bevölkerung gegen sich aufbringt. Und sie muss formulieren, weswegen eine linke Zukunftsvision und linke Lösungen um ein Vielfaches besser sind für das Leben der Menschen, als das Nichts aus Angst, Hetze und Resignation, das die Rechten anbieten.

Eine rechte Regierung bedeutet nicht nur, dass marginalisierte Gruppen in ihrem Leben bedroht sind. Eine rechte Regierung wird die Klimakrise anheizen und mit Falschinformationen die Informationskrise verschärfen. Die Auswirkungen lassen sich kaum antizipieren. Wie werden wir die Freiheit und das Leben verteidigen, wenn die Rechten es zerstören wollen? Was tust du, wenn die AfD regiert? Mit welchen Mitteln ist es dann noch ´ok´ sich zur Wehr zu setzen oder welche sind notwendig? Die Schreckensherrschaft von Rechts ist fürchterlich viel realer, als die Klimakrise, auch wenn die Klimakrise nicht weniger verheerend ist. Werden militante Methoden, wie sie jetzt gegen die Klimakrise angewandt werden, im Kampf gegen rechts endlich als legitim erachtet werden oder werden viele Linke weiter auf ihren staatsschützenden Pazifismus pochen?

 

Viele Kämpfe hat die politische Linke längst gegen die Rechte verloren: Den Kampf um die Vormacht im Parlament- es gibt quasi keine nennenswerte linke Partei im deutschen Bundestag und erst recht keine, die stringent linke Politik vertreten würde. Den Kampf um die Sympathien in der wählenden Bevölkerung- auch bundesweit wird die AfD immer stärker. Das Ringen um eine erfolgreiche politische Strategie- Hetze und Populismus von Rechts finden kein Pardon von links. Es liegt an uns allen, dass wir, sollte es zu einer Machtübernahme durch die Rechten kommen, zumindest auf diesen Kampf vorbereitet sind. Wir müssen uns endlich als eine Gruppe verstehen und füreinander einstehen. Wir müssen gemeinsam die Rechten aus den Dörfern und den Städten, aus den Parlamenten und den Köpfen jagen. Wir müssen einsehen, dass wir auch physische Gewalt einsetzen müssen, um uns und unsere Gruppe, um alle Lebewesen vor der Katastrophe zu schützen, die eine rechtsextreme Regierung bedeuten würde.

Geht in die Parteien und lasst euch nicht von all den Opportunst*innen verbiegen, sondern organisiert euch mit euresgleichen, bleibt radikal und macht das Notwendige. Geht in die Teile eurer Städte, in die ihr sonst nicht geht, und arbeitet mit ihnen Lösungen für die dortigen Probleme aus. Baut alternative Netzwerke zwischen euren SoLaWis, Besetzungen, Militanten und Bürgerinitiativen. Und wenn es in euren Netzwerken knirscht, wenn die Parteien euch rauswerfen möchten, wenn ihr in euren Städten auf Abwehr stoßt: Dann erinnert euch, dass die Alternative zur Zusammenarbeit, dass die Alternative zum Aufbau einer linken Utopie, der Erdrutsch nach rechts ist. Lasst die Angst vor den Rechten das schaffen, das seit Langem keine Krise oder Katastrophe geschafft hat: Die Linke muss sich vereinen, ehe die nächsten Nazis alles vernichten, das Generationen sozialer Kämpfe errungen haben.

 

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Ergänzungen

"Die politische Linke muss verstehen, dass das revolutionäre Subjekt sich nicht von alleine schafft und, dass sie sich selber als solches begreifen muss." 

Linke sollten vor allem verstehen, dass ein "revolutionäres Subjekt" nicht durch Voluntarismus geschaffen wird ("sich selber als solches begreifen"), sondern aufgrund gesellschaftlicher Widersprüche besteht oder auch nicht. Wer unter den gegebenen Umständen ein Subjekt darstellt, das geeignet ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzustürzen und auch ein entsprechendes Interesse daran artikuliert, wäre den ein oder anderen Gedanken wert. Ebenso die Frage, ob man sich das tatsächlich wünschen möchte.

 

"Der Pazifismus breiter Teile der Zivilgesellschaft schützt den Staat vor militanten Angriffen auf seine Institutionen und vor dem Aufbau einer für ihn gefährlichen Stadtguerilla." 

Woher kommt denn eigentlich noch mal dieses Konzept "Stadtguerilla" und welche Ergebnisse hat es gezeitigt? Ich erinnere gerne an die in der Rückschau doch eher wesentlicheren Aktionen: Mallorca-Urlauber entführen und mit dem Tod bedrohen, jüdische Fluggäste kidnappen, in Idi Amins Diktatur verschleppen und zur Ermordung aussortieren, jüdische Emigranten aus der Sowjetunion beschießen, Anschläge auf jüdische Gemeindezentren verüben, Waffenbrüderschaft mit anderen Judenfeinden pflegen. Soll das noch einmal die linke Konsequenz aus dem Nationalsozialismus sein?

 

"Viele Debatten um Ukrainekrieg, Nahostkonflikt und Wehrpflicht sind geprägt von der Konfusion von Anti-Militarismus und Pazifismus."

Wer "Nahostkonflikt" sagt, ohne vom Islamismus zu sprechen, sollte vom Faschismus auch besser schweigen.

Ja, ich weiß, das liest sich alles nicht angenehm in der anarchistischen Wir-sind-von-Haus-aus-die-Guten-und-machen-die-Revolution-zum-Besten-der-Welt-Blase. Aber keine Sorge: da solche ketzerischen Gedanken hier erfahrungsgemäß schnellstmöglich getilgt werden, seid ihr sicher recht bald wieder unter euch und könnt ungestört weiter von der Übernahme der Macht und ihrer Abschaffung träumen.