Wir brauche eine Extinction Revolution

Zu lange haben wir die Klimakrise ignoriert. Schon jetzt kostet sie jeden Tag tausende Menschenleben, sorgt für Flucht, Dürre und Elend – insbesondere von Menschen, die ohnehin schon marginalisiert sind. Wir hören ihre Schreie, genau wie wir die Schreie der zukünftigen Generationen hören.

Die bürgerliche Klimabewegung hingegen verlässt sich weiter auf die üblichen Mittel des politischen Scheinaktionismus. Sie mobilisiert Millionen Menschen für selbstgenügsame Latschdemos, die, wie wir spätestens seit den missglückten Protesten gegen den Irakkrieg wissen, ihren größten Effekt in der Selbstvergewisserung der Teilnehmenden, nicht aber in der grundlegendenVeränderung der Gesellschafthaben. Einige lassen sich gar zu friedlichen Sitzblockadenhinreißen, doch ihr Motto, die „Rebellion“, verrät bereits, dass es hierbei im Anspruch eher um ein letztes „Aufbäumen“, als um eine radikale Veränderung der Gesellschaft geht. Für eine solche, dringend benötigte radikale sozial-ökonomische Wende wäre noch immer der Begriff der Revolution reserviert. Doch die Revolution, sie bleibt verschrien in einer Welt, in der jede Form der Selbstverteidigung noch immer als gewaltsamer Widerstand verurteilt wird. Es geht hierbei um Theater, wie es der Philosoph Günther Anders in einem kürzlich auf dieser Plattform veröffentlichten Zitat aus der Zeit der Anti-Atombewegung beschreibt:

 

"…Die Erde wird nicht von Leuten bedroht, die die Menschen per se töten wollen, sondern von solchen, die dies riskieren, indem sie ausschließlich technisch [...], wirtschaftlich und kommerziell denken. Wir befinden uns also in einer Situation, die dem entspricht, was aus juristischer Sicht als „Ausnahmezustand“ bezeichnet wird. [....] Eins muss allerdings sehr deutlich gemacht werden: Es ist nicht möglich, mit netten Methoden effektiven Widerstand zu leisten, indem man Polizisten Vergissmeinnicht anbietet, die sie sowieso nicht annehmen können, weil ihre Hände bereits von Knüppeln belegt sind. Es ist ebenso unzureichend, ja absurd, für den nuklearen Frieden zu fasten. Das Fasten hat nur einen Effekt: Man ist hungrig. Für Reagan und die Atomlobby spielt es keine Rolle, wenn wir nicht mehr als ein Schinkensandwich am Tag essen, das sind alles nur „Happenings“. Heute ähneln unsere sogenannten politischen Aktionen auf wirklich beängstigende Weise einigen Ausdrucksformen von Aktionen, die in den 1960er Jahren entstanden sind [...] Mit diesen Aktionen dachten wir seinerzeit, wir könnten die Grenzen der einfachen Theorie überschreiten, aber wir waren in Wirklichkeit nur "Akteure" im theatralischen Sinne. Wir machten Theater aus Angst, tatsächlich zu handeln [...] Theater und Gewaltlosigkeit sind sehr nahe Verwandte.“

Früher oder später wird sich die bürgerliche Illusion der Gewaltfreiheit kann nicht mehr aufrechterhalten lassen.Hitlerfaschismus, Kolonialismus und selbst der Feudalismus wären komplett gewaltfrei nicht zu überwinden gewesen (sofern sie das heute überhaupt sind) – warum sollte es mit der Klimakrise, unserer Jahrtausendaufgabe, anders sein?

Lenins berühmte Frage Was tun? stellt sich also auch im Kampf gegen die Klimakrise. Dabei sollte liegt der Schlüssel vielleicht in den globalen neoliberalen globalen Hierarchien.Dass moderne, globale Unternehmen so hierarchisch und undemokratisch aufgebaut sind hat nämlich zumindest einen Vorteil: Wir wissen genau, wen wir zu adressieren zu haben. Anstatt Straßen zu blockieren oder S-Bahn Kabel abzubrennen und damit den Zorn der breiten Bevölkerung auf sich zu ziehen, sollte eine Revolution gegen das Aussterben deshalb ganz gezielt diejenigen in der Gesellschaft angreifen, denen der Bärenanteil an Verantwortung für die gegenwärtige Krise zukommt. Lediglich zwanzig Firmen sind für ein Drittel der globalen CO2-Emissionen verantwortlich [1].Und die drei größten Vermögensverwalter BlackRock, Vanguard und State Street alleine kontrollieren mehr als 300 Millliarden Dollar in Investments in fossile Brennstoffe [2]. Ohne sie liefe gar nichts im fossilen Kapitalismus. Eine Revolution gegen das Aussterben muss deshalb ihre Manager, ihre Aufsichtsräte und ihre Lobbyisten ganz gezielt attackieren. Eine Revolution gegen das Aussterben muss ihre Computersysteme hacken, zerstören, und ihre betrieblichen Abläufe unterbrechen. Klimatäter*innen müssen markiert und ihre Nachbar*innen, Vermieter*innen, Hotels, und so weiter kenntlich gemacht werden. Die Sympathie/Duldung der breiten Bevölkerung wird mit solchen gezielten Aktionen leichter zu erzielen sein, als durch politischen Scheindiskussionen um Klimapakete, CO2-Steuern und die Einhaltung internationaler Abkommen. Zudem muss eine Revolution gegen das Aussterben die Kämpfe der indigenen und racialized Menschen im globalen Süden in den Vordergrund stellen, anstatt die Perspektive von Londoner Soziologen zu zentrieren. Die Bewegung wird so an ein breites solidarisches Netzwerk an bereits bestehenden, erfolgreichen sozialen Bewegungen anknüpfen. Die Revolution ist vielerorts bereits im Gange, tragen wir sie doch ins koloniale Zentrum! Die Uhr tickt!

 

Notizen

[1] https://www.theguardian.com/environment/2019/oct/09/revealed-20-firms-third-carbon-emissions

[2] https://www.theguardian.com/environment/2019/oct/12/top-three-asset-managers-fossil-fuel-investments

 

editorial-entscheidung: 
Vorgeschlagen