Because the night belongs to us...
because the night belongs to lovers
because the night belongs to us
- Patti Smith
Wir beobachten seit einiger Zeit mit Sorge die Richtung, in die emanzipatorische(re) Kämpfe im deutschsprachigen Raum sich in den letzten Jahren bewegen. Wir, das sind Menschen, die sich in den letzten Jahren innerhalb dieser Strukturen politisiert haben und wurden und seitdem ein immer stärkeres Gefühl von Mitverantwortung für die Ausrichtung unserer Gruppen und Bewegung(en) wahrgenommen haben. Gleichzeitig erlebten wir, dass unsere persönlichen Sorgen und Ängste davor, was wir mit unseren weiteren Leben machen und wie wir dabei zum Beispiel mit finanziellem Druck und Repressionen umgehen sollten, von denselben Strukturen gar nicht oder nur sehr unzureichend abgefangen wurden. Unser Vertrauen in in die Verbindlichkeit linksradikaler Subkultur wankte. Biografische Krisen fielen zusammen mit dem, was wir als strukturelle Defizite und Zweifel an unseren Zusammenhängen und "der Bewegung" sahen:
Wir fühlten uns oft erschlagen von der Menge und Lautstärke politischer Gegner*innen und staatlicher Angriffe, blieben in Reaktion auf diese äußeren Umstände gefangen und schon davon überarbeitet und erschöpft. Interne Hierarchien trugen ihren Teil dazu bei, dass Arbeitsverteilung ungleich blieb und auf solidarisches Handeln und Achtsamkeit innerhalb der "eigenen" Kreise kein Verlass sein konnte. Es kamen Zweifel an der Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit unserer Arbeit - nach außen wie nach innen - und Gefühle von Stagnation auf. Oft schien es, als wären unsere Handlungen und Aktionen vor allem selbstreferentielle Szenebespielung. Wir fragten uns: Wurden Aktionen gemacht, um etwas zu erreichen, oder weil sie den Handelnden Status einbrachten?
Wir beobachteten, dass bestimmte etablierte (Re-) Aktionsformen und Verhaltensregeln "der Szene" wie Riten eingefahren waren. Entlang des gesellschaftlichen Trends entwickelte sich auch im Bereich des politischen Widerstands eine Form der Erlebniskultur, die Aktivist*innen vom Ziel, der Durchführung und den möglichen Konsequenzen einer Aktion entfremdete und Aktionserlebnisse wie ein Festivalwochenende zunehmend zum Konsumgut werden ließ. Dabei war unser Gefühl: Wir brauchen keine Szeneexpert_innen und Polit-Gurus und keine Anhänger_innen libertärer Ideen. Wir brauchen gelebte Anarchie.
Viele Aktionen hatten nur offensichtliche Ziele und kratzten höchstens an der Oberfläche einer Thematik. Andere beugten sich der massiven Einspeisungskraft der bürgerlichen Gesellschaft und wurden vereinnahmt durch den NGO-industriellen-Komplex und bürgerliche Protestformen, immer verbunden mit der Entsolidarisierung und Abgrenzung von anderen Formen des Widerstands. Es folgte die Einbindung in systemstabilisierende Partizipation. Auf der anderen Seite wuchsen berechtigte Ängste vor Gewalt und Repressionen, die uns lähmten und zu Selbstzensur und vorauseilendem Gehorsam z.B. in Konfrontation mit dem Staat führten.
Unsere Weltblicke und "die Bewegung" sind aktuell stark in politische Flügel und Themengebiete fragmentiert. Es gibt immer wieder Versuche und Erfolge dabei, solidarische Bezüge zwischen "benachbarten" Strömungen herzustellen, doch große, tatsächlich radikale und nicht-reformistische "Massenbewegungen", wie sie beispielsweise in den letzten Jahren in Teilen Lateinamerikas unter einem gemeinsamen feministischen Nenner entstanden sind, scheinen uns in Nord-/ Mitteleuropa und insbesondere in der BRD aktuell undenkbar. Alles zusammen führt uns zu der Sinnfrage: Kann es so, für uns Einzelne wie für uns als Gruppen, Gemeinschaften, und als Bewegung, weitergehen?
Diese Überlegungen finden statt im Rahmen gesellschaftlicher Verhältnisse beherrscht von der stetig fortschreitenden Verdrängung von Freiräumen, der immer besseren Organisierung und Vernetzung rechtsradikaler Kräfte, reaktionärer Zuspitzung und autoritärer Formierung, neuen Polizeigesetzen und verbesserten Möglichkeiten technologischer Überwachung, rassistischen Grenz- und Abschiebungsregimen im globalen Norden, und der immer weiteren Überformung des kapitalistischen Patriarchats. Nachdem ab 2015 europaweit antinationale und antirassistische Kämpfe auflebten, haben sich diese innerhalb weniger Monate und Jahre in Resignation erschöpft. Doch das Sterben im Mittelmeer geht weiter und die Rechtsverschiebung auch. Wie 2019 Unversöhnlichkeit mit diesen Verhältnissen leben?
Es ist verständlich, dass gegenüber diesen Verhältnissen Ohnmacht und nur unzureichende Antworten und Gegenentwürfe stehen (können). Uns fehlen aktuell strategische Überlegungen und angemessene Antworten darauf, welche Umgänge mit sich immer weiter verschärfenden Verhältnissen gefunden werden könnten. Dabei begründet schon Auschwitz als Bezugspunkt kritischen Denkens und Handelns die absolute Dringlichkeit im Kampf für eine Welt frei von Autoritäten, in der Ausbeutung und Beherrschung jede Grundlage entzogen wird. Auschwitz steht für uns für die schlichte Notwendigkeit, solange sich in der Welt nichts ändert, weiter zu kämpfen. Für viele von uns, Subversive, Punks und Queers, sind und bleiben subversive Gemeinschaften zudem der einzige lebbare Ort in der Gesellschaft. Aber einfach so "weitermachen" ist für uns keine Option.
Wir Schreibende haben offensichtlich keine Lösung für alle Defizite und Widersprüche in unseren Bewegungen. Doch aber beschäftigt uns seit einiger Zeit, was unsere Kämpfe brauchen und was wir zu den notwendigen Veränderungen beitragen können. Unser Ausgangspunkt ist dabei die Verbindung anarchistischer und feministischer Erfahrungen und Analysen als Grundlage unserer Kämpfe. Dabei sind Feminismus und Militanz für uns kein Widerspruch, sondern in Verbindung gerade Mittel mit dem Potential zur Subversion patriarchaler Herrschaft. Wir haben uns daher (in den letzten Jahren) für den gemeinsamen Kampf als Feministische Autonome Zellen (FAZ) entschlossen. Die FAZ sollen für eine Ausrichtung hin zu direkten militanten öko-feministischen Aktionen mit theoretisch-strategischer Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext und aktuelle politische Kämpfe stehen. Unseren Aktivismus verstehen wir als anarchistisch, feministisch, antifaschistisch, autonom, militant, gegen den technologischen Angriff und konsequent herrschaftskritisch innerhalb der eigenen Struktur. Wir kritisieren Personalisierung und Personenkult sowie Idolisierung in der Szene, beeindruckende Prestige-Aktionen, die aber einmalig bleiben, sowie angekündigte (befriedete) Massenaktionen. Unser Format ist eine anonyme und auf Nachhaltigkeit angelegte militante Bewegung von dezentralen autonomen Zellen.
Über die Organisierung unter einem gemeinsamen Gruppennamen hoffen wir Kritisierbarkeit herzustellen, die Dialoge mit Mitstreiter*innen über Ausrichtung und einzelne Aktionen der Zelle(n) ermöglichen soll. Die Idee autonomer Zellen ist darüber hinaus die leichte Nachmachbarkeit von Aktionen, zwischen denen Bezüge hergestellt werden und auf Aktionen Anderer aufgebaut werden kann. Die relativ leichte Nachbachbarkeit und Transparenzmachung unserer Schritte im Rahmen unserer Sicherheitsvorkehrungen soll, zusammen mit einem Do It Yourself-Anspruch, eine Vermassung und Dezentralisierung von Organisierung und Aktionen ermöglichen, die es zudem den Strafverfolgungsbehörden des Staates erschwert, Einzelne von uns ausfindig zu machen. Wir möchten uns dabei nicht von anderen Aktionsformen abheben, sondern konstruktiv und solidarisch Impulse setzen. Wohin es für uns genau gehen soll, wissen wir zum heutigen Tag noch nicht genau, aber wir wissen, wo wir anfangen wollen und sind uns sicher: Nichtstun ist keine Option.
In Sachen militante Organisierung können wir auf eine vielseitige Geschichte (allein in der BRD) zurückblicken. Wir wollen dabei insbesondere historische Bezüge zur oft vergessenen Epochen linksradikaler Geschichte wie Partisan*innenkämpfen, der Roten Zora und Revolutionären Zellen sowie der Militanten Gruppe und vielen weiteren weniger bekannten herstellen, mit unseren Aktionen an ihren Stil anknüpfen, aus ihren Erkenntnissen lernen, und sie in stetiger Reflexion an die aktuellen Verhältnisse anpassen. Konkret beginnen wir mit kleinen direkten Aktionen, verstanden als Nadelstiche gegen Knotenpunkte der kapitalistisch-patriarchalen Maschinerie.
Als Beginn haben wir in den Morgenstunden des 06. August 2019 den Amazon Locker in der Eschholzstraße in Freiburg im Breisgau zerstörte. Amazon liefert nicht nur Päckchen, sondern ist zu einem globalen Dienstleister für Polizei-, Geheimdienst- und Militärapparate geworden. Wir wollen die Rolle des Konzerns für den technologischen Angriff thematisieren und dazu aufrufen Amazon zur Rechenschaft zu ziehen. Uns geht es nicht um spektakuläre Aktionen, sondern darum gezielt und mit einfachsten Mitteln anzugreifen. Es braucht keine Expertise, schwer zugängliches Material oder hohe Risikobereitschaft. Sie werden niemals all ihre Amazon Locker bewachen können. Auch Technologie-Riesen sind angreifbar.
Sie markieren den Beginn einer Serie von Texten und Aktionen, die wir versuchen werden, möglichst transparent zu machen. Wir hoffen, mit unseren Reflexionen zu Gedanken und Prozessen beitragen zu können und von Bezug nehmenden Diskussionen und Aktionen zu erfahren.
Bildet feministische autonome Banden!
Gruß und Kuss
eine Feministische Autonome Zelle