[S] Wohnungsbesetzung: Prozess gegen Nachbarn vertagt

 

Polizeiübergriff gegen solidarischen Nachbarn und Kleinkind // Opfer auf der Anklagebank // Staatsanwaltschaft ermittelte nicht gegen die Täter // Versuch Wohnungsbesetzung zu kriminalisieren // Prozess geht am 28.5.weiter

Vor einem Jahr wurden in der Wilhelm-Raabe-Straße in Stuttgart zwei Wohungen besetzt. Am 9. Mai begann der Prozess gegen einen Nachbarn der sich der Besetzung gegenüber solidarisch gezeigt hatte. Ihm wird nun „Widerstand und Beleidigung“ vorgeworfen. Dabei war er, samt seinem zweijährigen Kleinkind, von der Polizei körperlich angegangen worden.

 

 Was war passiert?

Der Beschuldigte war am Abend nach der Räumung mit seinem schlafenden zweijährigen Kind in das Haus, in dem einen Monat lang zwei Wohnungen von Familien besetzt wurden, zurückgekehrt. Dort war er einer der regulären Mieter. Das Haus war auch am späten Abend noch von Einheiten der Einsatzhunderschaft, samt Absperrgittern belagert.

Als er mit dem Kind auf dem Arm den Hausflur betrat, schloss er die offenstehende Haustür. Zwei Polizisten, die sich ohne Erlaubnis im Hinterhof des Gebäudes versteckt hielten, nahmen das zum Anlass ihn zu bedrängen und forderten ihn auf, die Haustüre wieder zu schließen. Als der Bewohner das verneinte und bat auf sein schlafendes Kind Rücksicht zu nehmen, schuckten die Beamten ihn samt Kind auf der Treppe, bedrohten mit geballter Faust das Kleinkind und schrien absichtlich so lange und laut bis das Kind weinend aufgewacht war und verhöhnten es anschließend.

 

Zu Beginn des Prozesses gab der Angeklagte ein politisches Statement ab. Er erklärte u.a.:

 „Ich und mein Sohn sind Opfer eines Polzeiübergriffs geworden und doch sitze ich auf der Anklagebank. Obwohl ich die beiden Täter in Uniform angezeigt habe [...] wurde die Anzeige ohne Begründung eingestellt. Noch besser: ohne die beiden Täter auch nur zu vernehmen oder zu versuchen sie zu vernehmen. Die Staatsanwältin Frau Henze, die gleiche die mich heute anklagt, hat dann auch [...] meine Anzeige eingestellt, nachdem ihr ein Polizist namens Luizink mitgeteilt hatte, dass er keine „weiteren Maßnahmen“ eingeleitet hat, - also einfach nicht gegen seine Kollegen ermittelt hat. Aber es geht noch weiter: Am gleichen Tag, als meine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis genommen wurde, am 3. Juli 2018, war mein angebliches Vergehen auf einmal so wichtig, dass der Polizeipräsident persönlich, ein gewisser Franz Lutz mich eigenständig selbst nochmal anzeigen musste. [...] Also, vor wem soll ich mich verteidigen, vor einer Staatsanwältin, die sich weigert gegen Täter in Uniform zu ermitteln und die springt wenn der Herr Polizeipräsident ruft? Oder einem Gericht, das diese Fakten alle kennt und trotzdem die Anklage zugelassen hat?“

 

Er erklärte weiter, dass die Besetzung auch den Kapitalismus als Ursache der Wohnungsnot theamtisiert habe und dafür „von Anfang an großen Zuspruch erfahren [hat]. […] Auch bei uns regulären Mietern und in der Nachbarschaft ist die Besetzung gut angekommen. Schließlich wird die ganze Gegend um die Wilhelm-Raabe-Str. gerade aufgewertet, zahlreiche Häuser wurden verkauft und viele haben Angst sich bald ihre Wohnung nicht mehr leisten zu können. Und so haben wir und einige andere Nachbarn, uns auch öffentlich positiv zu den Besetzungen geäußert.

Als dann nach einem Monat, die Wohungen geräumt wurden – wohlgemerkt ohne dass es von den damaligen Eigentümern einen Räumungsantrag gegeben hätte – war sofort klar, dass es um mehr geht als drei Erwachsene und zwei Kinder aus ihrer Unterkunft zu vertreiben: Dazu hätte es nicht 100 Polizisten, Absperrgitter und zwei Drohnen gebraucht die die ganze Gegend aus der Luft überwacht haben. Es ist klar, dass dieses Aufgebot den Zweck hatte die solidarische Nachbarschaft einzuschüchtern und dafür zu sorgen, dass bitte niemand mehr auf die Idee kommen sollte sich zur Wehr zusetzen und eines der elementarsten Rechte, das Recht auf Wohnraum einfach durchzusetzen. Die polizeiliche Belagerung unseres Hauses, am Abend der Räumung und in den folgenden Tagen hatte ebenfalls genau diesen Zweck der Einschüchterung.

Dieses Verfahren heute gegen mich reiht sich hier ein: In die Räumung der Wohnungen ohne rechtliche Grundlage, in das martialische Polizeiaufgebot, in den Angriff auf mich und meinen Sohn. So wie die Besetzerinnen vor einem Monat in diesem Gericht dafür kriminalisiert wurden, dass sie die Wohungsnot und ihre Profiteure praktisch kritisiert haben, so soll heute ich exemplarisch für die vielen die sich solidarisch gezeigt haben kriminalisiert werden und als sei das nicht genug, auch noch als schlechter Vater diskreditiert werden, der sein Kind gefährde.

Und so wie die Räumung letztes Jahr nicht nur im Interesse der damals zukünftigen Besitzer war, sondern letztlich im Interesse aller die mit Vermietung von Wohnraum reich werden, so enspricht auch die heute geplante Kriminalisierung der Solidarität dem Interesse der gleichen kleinen Minderheit die auf Kosten der großen Mehrheit lebt. Es gibt einen Begriff für so eine Justiz: Klassenjustiz.

Und jetzt um zu meinem Ausgangspunkt zurückzukommen: Was soll ich mich vor der Justiz der Klasse Besitzenden verteidigen, deren Zweck es ganz offensichtlich ist die Profite dieser Klasse zu veteidigen?“

 

Der erste Täter in Uniform, war sich seiner Sache so sicher, dass er u.a. unumwunden zugab, dass seine Aussage und die seines Kollegen, von seinem Vorgesetzten nochmal überprüft worden sei, um „grobe Widersprüche“ zu tilgen. Da der zweite Polizist, der als Zeuge geladen war, nicht auftauchte wurde der Prozess auf den 28. Mai verschoben.

 

Kommt am 28. Mai zur Prozessbeobachtung! 10 Uhr Kundgebung vor dem Amtsgericht in der Hauffstraße

 

 

 

 

 

 

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