Wie rechts ist die Polizei? fragt sich "Die ZEIT"

Dass sie eine miese Türkensau sei, hat Seda Başay-Yıldız schon oft gehört. Auch dass sie sich aus Deutschland verpissen solle, im Reich der Kamelmilch- und Urintrinker sei sie besser aufgehoben. Es sind harte Worte, aber es sind eben auch nur: Worte.

Am 2. August 2018 hat die Frankfurter Rechtsanwältin zum ersten Mal Angst, dass den Worten Taten folgen könnten.

An diesem Tag trifft um 15.41 Uhr ein Fax in ihrer Kanzlei ein. Başay-Yıldız ist gerade in Tunis, sie kämpft für einen ihrer Mandanten, der von Deutschland nach Tunesien abgeschoben werden soll. Faxe an ihr Büro werden automatisch zu ihrer E-Mail-Adresse weitergeleitet. Weil in Tunis der Empfang schlecht ist, liest die Anwältin das Schreiben erst spätabends im Hotel. Es ist nur vier Zeilen lang.

Im Briefkopf steht: “Dieses kostenlose Fax wurde Ihnen von Uwe Böhnhardt geschickt.” Böhnhardt war einer der Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Başay-Yıldız liest weiter. “Als Vergeltung”, steht da, “schlachten wir deine Tochter.” Es folgt der volle Name des gerade einmal zwei Jahre alten Mädchens – und die Meldeadresse der Familie.

Seda Başay-Yıldız hat immer darauf geachtet, dass ihre Privatanschrift privat bleibt. Sie steht nicht im Telefonbuch, nicht im Internet. Wie haben die Absender des Schreibens sie herausgefunden? Das Fax endet mit den Worten: “Gruß, NSU 2.0”.

Noch aus Tunis meldet sich Başay-Yıldız am nächsten Morgen bei der Frankfurter Polizei. Diese beginnt mit den Ermittlungen. Und muss bald erkennen, dass sie dabei in den Spiegel schaut.

Die Absender des Drohschreibens haben zwar eine Verschlüsselungstechnik verwendet, die eine Rückverfolgung erschwert. Die Ermittler finden aber heraus, dass an jenem 2. August 2018 zwischen 14 und 14.15 Uhr im 1. Polizeirevier in der Frankfurter Einkaufsstraße Zeil über einen Polizeicomputer Daten des Einwohnermeldeamts abgefragt wurden. Ein Polizist muss dafür lediglich seinen Namen und den Abfragegrund in den Computer eingeben.

Habe man keinen Grund, denke man sich eben einen aus, sagt ein ehemaliger Beamter der Frankfurter Wache gegenüber der ZEIT. Zum Beispiel: Verfolgung einer Straftat. Das werde laufend so gemacht, meist habe es einen banalen Hintergrund, zum Beispiel dass ein Polizist ein paar Informationen über einen neuen Nachbarn einholen möchte.

Wer auch immer an diesem Tag die Einwohnermeldeamtdaten abfragt, interessiert sich nicht für seine Nachbarn. Sondern für Seda Başay-Yıldız.

Keine zwei Stunden später erhält die Anwältin das Drohschreiben.

Einen Monat später, am 11. September, durchsuchen Ermittler die Dienststelle und die Wohnung der Polizeibeamtin Miriam D., die am 2. August an jenem Computer des Frankfurter Reviers gearbeitet hat. Bei der Auswertung ihres Handys stoßen sie auf eine WhatsApp-Gruppe mit dem Namen “Itiot”. Sie stellen rund 50 Bilder und Kommentare sicher. Hakenkreuze, Witze über Juden und Menschen mit Down-Syndrom. Eines der Bilder zeigt Adolf Hitler. Er sitzt vor einem rauchenden Schornstein. Am unteren Rand des Bildes steht: “Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude.”

Die Chatgruppe hat sieben Mitglieder. Fünf sind Polizisten in der 3. Dienstgruppe des 1. Reviers in Frankfurt, einer ist Polizist aus Marburg, die siebte Person ist die Lebensgefährtin eines der Beamten.

Die rechtsradikalen Nachrichten wurden verschickt und gelesen von Staatsdienern, die ihren Eid auf das Grundgesetz geschworen haben.

Genau wie der Polizist aus Hannover, der im Jahr 2014 eine WhatsApp-Nachricht an Kollegen schrieb: “Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.”

Genau wie die Polizisten aus Cottbus, die 2018 nicht gegen rechtsradikale Fußballfans einschritten, weil sie angeblich den Ku-Klux-Klan nicht kannten, in dessen Aufmachung die Fans auftraten.

Genau wie die Polizisten aus Duisburg, in deren Einsatzfahrzeug erst in der vorigen Woche ein Aufkleber der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung entdeckt wurde: “Wehr dich! Es ist dein Land!”

Alles bloß Einzelfälle?

Ja, alles bloß Einzelfälle, das ist die Standardantwort, wenn man mit hochrangigen Vertretern der Kriminalpolizei, der Bundespolizei oder der Innenministerien der Länder spricht. Die offiziellen Zahlen zu rechtsextremen Verfehlungen von Beamten sind, sofern es sie überhaupt gibt, so niedrig, dass sie nicht zu der Vielzahl von Meldungen passen, wonach Polizisten immer wieder mit rechtsradikalen Parolen auffällig werden, mit rassistischen Drohungen oder sogar Gewalttaten.

Die angeblichen Einzelfälle – sie haben Wellen geschlagen bis ins Bundeskanzleramt. Kürzlich erkundigte sich Angela Merkel erschrocken bei ihren Leuten, was denn da bitte schön los sei bei der Polizei. Der hessische Innenminister musste sich im Landtag mehrmals zu den Vorfällen in Frankfurt befragen lassen. Der Innenausschuss des Bundestages beschäftigte sich in einer Sitzung mit den “Verdachtsfällen sämtlicher extremistischer Phänomenbereiche in den Sicherheitsbehörden”.

Laut einer Umfrage von infratest dimap vom Dezember 2016 haben 88 Prozent der Deutschen “sehr großes oder großes Vertrauen” in die Polizei. Sie liegt damit, weit vor dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung, an der Spitze aller abgefragten deutschen Institutionen. Doch womöglich kennen die Bürger die Polizei nicht so gut, wie sie glauben.

Ein Reporterteam der ZEIT ist mehrere Monate lang durch die Republik gereist, auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was da los ist auf den Revieren.

Wie rechts ist die deutsche Polizei?

Im Sommer vergangenen Jahres, wenige Wochen bevor Seda Başay-Yıldız das erste Drohfax erhält, spaziert Yitzhak Melamed, Philosophie-Professor an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, mit einer Kollegin am Rheinufer in Bonn entlang. In vier Stunden soll er an der Universität einen Vortrag halten. Die beiden begegnen einem jungen Mann. Als er Melameds schwarze Kippa sieht, versucht er, sie ihm vom Kopf zu schlagen. Immer wieder schreit er: “Keine Juden in Deutschland!” Es dauert nicht lange, bis die ersten Polizisten am Tatort eintreffen.

Fruchtgummi in Pistolenform

Was dann geschieht, lässt sich aus den Ermittlungsakten rekonstruieren. Der Schläger versucht zu fliehen, Yitzhak Melamed folgt ihm intuitiv. Und die Beamten? Sie folgen Melamed, überwältigen den jüdischen Professor, fixieren ihn am Boden und legen ihm Handschellen an. Einer der Polizisten schlägt ihm mehrmals ins Gesicht. Melameds Brille bricht entzwei, das Armband seiner Uhr reißt. Fotos werden später mehrere Hämatome in Melameds rechter Gesichtshälfte zeigen.

Zwei Tage später veröffentlicht Yitzhak Melamed einen langen, wütenden Beitrag bei Facebook, in dem er der Polizei Rassismus vorwirft. Er prangert nicht nur die Brutalität der Polizisten an, er beschreibt auch die aggressive Stimmung auf dem Bonner Revier: Wie niemand Erste Hilfe leistete, obwohl sein Gesicht blutete. Wie man versucht habe, ihm einzureden, dass er zuerst ausfällig geworden sei. Melamed schreibt: “Dann insinuierten sie, dass sie, wenn ich die Presse informiere, mich beschuldigen würden, ich hätte Widerstand geleistet.”

Und genau das passiert. Die Bonner Polizeibeamten verzerren den Tathergang, um ihre Kollegen zu entlasten. Erst versuchen sie die Schuld an Melameds Verletzungen auf den jungen Mann abzuwälzen, der, wie man inzwischen weiß, wegen Körperverletzung und schweren Raubs mehrfach vorbestraft ist und an jenem Tag unter Drogeneinfluss stand. Als dann mehrere Augenzeugen, unter anderem Melameds Kollegin, widersprechen, ändern sie ihre Geschichte und behaupten, der prügelnde Polizist habe sich gegen den aufsässigen Melamed verteidigt. Melamed bestreitet das im Gespräch mit der ZEIT, er habe sich nicht gewehrt.

Wenig Bereitschaft, Fehltritte aufzuarbeiten

Kurz nach der Tat melden sich die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul und Emily Haber, die deutsche Botschafterin in Washington, bei Yitzhak Melamed. Alle drei bitten im Namen ihrer Behörde oder der Bundesrepublik Deutschland um Entschuldigung für das Geschehene. Alle drei versprechen eine schonungslose Aufklärung.

Anfang März 2019 stellt die Staatsanwaltschaft Bonn das Verfahren gegen den Polizisten ein. Der Beamte wurde von einer Augenzeugin entlastet. Diese ist nicht nur selbst Polizistin, sie ist auch die Lebensgefährtin des Beschuldigten und war ebenfalls am Tatort.

Der Fall Melamed ist ein Paradebeispiel dafür, wie Beamte sich gegenseitig schützen und vor der Justiz entlasten. Er zeigt auch, wie wenig Bereitschaft es in der Polizei gibt, politische Fehltritte aufzuarbeiten.

In einem Kongressbau am Berliner Alexanderplatz treffen sich im Februar 2019 knapp 2000 Polizisten, Politiker, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler zum Europäischen Polizeikongress. Der Waffenhersteller Heckler & Koch präsentiert Maschinenpistolen und lässt Fruchtgummi in Pistolenform verteilen, Volkswagen hat einen Streifenwagen in der Halle geparkt.

Autoritätsgläubig und ordnungsliebend

Die Teilnehmer des Kongresses hätten einiges zu besprechen, allein in den vorangegangenen vier Wochen sind ein Dutzend neuer Fälle mutmaßlich rechtsradikaler Umtriebe in der Polizei bekannt geworden. Im Zusammenhang mit den Drohungen gegen die Rechtsanwältin Başay-Yıldız ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen die sieben Mitglieder der Chatgruppe. Ihnen wird Volksverhetzung, Bedrohung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Einer ist inzwischen freiwillig aus dem Dienst ausgeschieden, den anderen wurde die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt – Gehalt beziehen sie weiter.

In den Workshops und Vorträgen des Kongresses aber geht es vor allem um Clan-Kriminalität, Cybercrime und internationale Polizeimissionen. Rechtsextremismus in der Polizei ist kein Thema.

Dann sitzt der Berliner Innensenator Andreas Geisel, der oberste Vorgesetzte aller Berliner Polizisten, auf der Bühne. Auch er sagt nichts zum Rechtsradikalismus, aber er spricht über das Gefühlsleben seiner Beamten – und damit irgendwie doch über das Thema. Geisel erzählt, unter den Berliner Polizeianwärtern hätten inzwischen 38 Prozent einen Migrationshintergrund, so viele wie in keinem anderen Bundesland, was Geisel ausdrücklich begrüßt. Aber er sagt auch, Berliner Polizisten, die in den Achtzigerjahren in den Staatsdienst eingetreten seien, hätten oft den Eindruck: Das ist nicht mehr meine Polizei.

In Wirklichkeit ist die Polizei der Bundesrepublik nach wie vor überwiegend weiß, männlich, deutschstämmig und politisch konservativ. Autoritätsgläubige und ordnungsliebende Menschen findet man unter Polizisten häufiger als Freigeister. Der Bochumer Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein sagt: “Es gibt in der Polizei eine größere Affinität zu rechten Positionen als im Durchschnitt der Bevölkerung.”

Singelnstein leitet eine der größten empirischen Untersuchungen zu Polizei und Gewalt, die es in Deutschland je gegeben hat, er spricht mit vielen Beamten, mit Revierleitern ebenso wie mit Streifenpolizisten. “Die AfD und der gesellschaftliche Rechtsruck gehen an der Polizei nicht spurlos vorüber, sie haben sie nach rechts verschoben”, sagt Singelnstein. “Wie in der Gesellschaft insgesamt sind inzwischen auch in der Polizei Sachen sagbar, die bislang nicht sagbar waren.”

Singelnstein ist mittlerweile überzeugt, dass es unter Polizisten häufig eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit gebe. Es genüge ein Blick auf die Diskussion um Clankriminalität. Schon in der öffentlichen Wahrnehmung, auch in der Medienberichterstattung, werde mit dem Begriff “Clan” ein Bild von kriminellen Arabern transportiert. Für Polizisten sei dieses Zerrbild noch viel naheliegender. Sie haben es in ihrem Beruf ja vor allem dann mit Ausländern zu tun, wenn diese gegen Gesetze verstoßen. In den Köpfen mancher Polizisten werden Migranten auf diese Weise von Mitbürgern zu Verdächtigen.

“Viele Polizeibeamte sehen in ihrem Alltag vor allem die negativen Seiten der Gesellschaft”, sagt auch Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA). “Das prägt natürlich, und das muss man immer wieder reflektieren.” Münch steht an einem Aprilmittwoch in seinem Büro in einem Hochhaus in Berlin-Treptow, der Blick geht über die Spree. “Bei 260.000 Beschäftigten ist nicht auszuschließen, dass sich unter ihnen auch schwarze Schafe befinden”, sagt Münch. Das sei trotzdem nicht zu akzeptieren. Dann erzählt Münch, wie er neulich auf einer Betriebsversammlung von Polizisten angesprochen wurde, die sich wünschten, dass sich das BKA deutlich von fremdenfeindlichen Aussagen distanziere. Wie seine Mitarbeiter regelrecht einforderten, dass ihr Chef da draußen klarstelle, dass nicht alle Polizisten so seien.

Zwischen Außendarstellung und Wirklichkeit klafft eine Lücke

Tatsächlich denkt zweifellos nur eine kleine Minderheit der deutschen Polizisten rechtsradikal. Tatsächlich ist es nur eine kleine Minderheit, die Ausländer grundsätzlich für kriminell hält. Tatsächlich zeigen sich viele Polizisten gegenüber der ZEIT entsetzt über die Vorfälle in den eigenen Reihen.

Aber es steht eben auch zweifellos fest: Es gibt diese Rechten. Und es gibt einen Raum, in dem sie sich bewegen können.

Das BKA hat seine eigenen Erfahrungen damit gemacht, was passieren kann, wenn Polizisten vom Feinstaub rassistischer Vorurteile betäubt werden. Als die Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Jahr 2000 ihre Mordserie begannen, glaubten die Ermittler des BKA an alle möglichen und unmöglichen Hintergründe, an Streitereien im türkischen Milieu, an die kurdische PKK, an die libanesische Hisbollah. Die vom bayerischen LKA eingesetzte sogenannte Besondere Aufbauorganisation hieß “Bosporus”, die Anschläge wurden erst von den Medien und bald auch behördenintern “Döner-Morde” genannt.

Nur wenige Monate vor dem Auffliegen der rechten Terrorzelle ließen sich Ermittler zu den unaufgeklärten Mordfällen mit den Worten zitieren, hinter den Taten stehe eine “mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern”. Nur deutsche Rechtsextremisten kamen als Täter für die Polizei nie infrage – bis zur tödlichen Selbstenttarnung von Böhnhardt und Mundlos nach einem Überfall in Eisenach.

“NSU 2.0”

Die Tochter des ersten NSU-Mordopfers Enver Şimşek, Semiya Şimşek, die später im Prozess gegen Beate Zschäpe als Nebenklägerin auftrat und dort von der nun vom “NSU 2.0” bedrohten Anwältin Seda Başay-Yıldız vertreten wurde, erinnerte sich später an die Verdächtigungen gegen ihren Vater: “Auf einmal war er der Fremdgeher, auf einmal hat er Drogen nach Deutschland geschmuggelt. Auf einmal hatte er mit der Mafia zu tun. So haben wir jahrelang mit diesen Vorwürfen gelebt.”

Bei der offiziellen Gedenkveranstaltung zu Ehren der Opfer des NSU entschuldigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Familien für die rassistische Vorverurteilung: “Einige Angehörige standen jahrelang selbst zu Unrecht unter Verdacht. Das ist besonders beklemmend. Dafür bitte ich Sie um Verzeihung.” Sie gab damals das Versprechen ab, dass vom Staat alles Mögliche getan würde, “damit sich so etwas nie wiederholen kann”.

Und nun das. Eine mögliche neue rechtsextreme Zelle, die aus Frankfurter Polizisten besteht. Und die Familie der Anwältin eines NSU-Opfers mit dem Tode bedroht.

Niemand hat belastbare Zahlen

Wie viele politisch motivierte Straftaten von Polizisten in Deutschland begangen werden, ist nicht zu ermitteln. Zwar veröffentlicht das Bundesinnenministerium genau zu dieser Form der Kriminalität eine jährliche Statistik, in der man lesen kann, dass es 2017 in Deutschland rund 20.000 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gegeben hat. Von Propagandadelikten und volksverhetzenden Hasspostings über Körperverletzung bis zu Mord. Was aber darin nicht erfasst ist: Wer die Taten begangen hat und welche Berufe diese Menschen ausüben. Ob sie beispielsweise Polizisten waren.

ZEIT ONLINE hat die Innenministerien der 16 Bundesländer sowie die Führungen von Bundespolizei und Bundeskriminalamt gefragt, wie viele rechtsgerichtete Vorfälle es seit dem Auffliegen des NSU in ihren Reihen gegeben hat. Die Antworten zeugen von Ahnungslosigkeit. Nirgends gibt es eine belastbare Statistik.

Berlin schreibt in umständlichem Bürokratendeutsch, das Merkmal Beruf werde gar nicht erfasst, wenn eine Anzeige aufgenommen werde. Es existiere “kein Automatismus”, der sicherstelle, dass politisch motivierte Straftaten von Polizeibeamten “der für die Prüfung von Disziplinarmaßnahmen zuständigen Dienststelle zur Kenntnis” gegeben würden. Kein Automatismus – das soll wohl heißen: Die Ermittler entscheiden selbst, ob und wem sie einen Verdacht weitergeben. Und was sie lieber unter Verschluss halten.

Auch in Sachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es keine Erhebungen zum Rechtsextremismus in der Polizei, Hessen und Thüringen antworten gar nicht erst, andere Bundesländer listen Einzelfälle auf.

Zählt man diese Fälle zusammen, die elf der 16 Bundesländer liefern, gab es dort in den vergangenen neun Jahren 42 Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte wegen Verdachts auf Rechtsextremismus.

42 Fälle in neun Jahren – angesichts dieser Angabe könnte man meinen, Rechtsextremismus komme in der deutschen Polizei praktisch nicht vor.

Vor knapp zwei Monaten allerdings nannte der hessische Innenminister in einer Sitzung im Landtag auf mehrmaliges Nachfragen hin eine Zahl, die eine andere Geschichte erzählt. In Hessen hatte man nämlich nach den Drohungen gegen Seda Başay-Yıldız etwas genauer hingesehen. Das Ergebnis: 38 Disziplinarverfahren gegen mutmaßlich rechtsradikale Beamte in nur vier Monaten.

Offensichtlich klafft zwischen der Außendarstellung der Behörden und der Wirklichkeit eine Lücke.

Trophäen der Nacht

Hans Soltau erlebt das jeden Tag. Weil der Polizeibeamte frei reden möchte, kann hier weder sein richtiger Name noch die Großstadt genannt werden, in der er seit Jahrzehnten arbeitet.

Unweit vom Hauptbahnhof nimmt er an einem Restauranttisch Platz. Eine massive Säule im Speisesaal dient als Sichtschutz nach draußen. Soltau erzählt von Kollegen, die nachts so lange durch das Rotlichtviertel fahren, bis sie einen ausländisch aussehenden Menschen finden, der angetrunken ist. Der sich von ihnen provozieren lässt und zurückpöbelt. Dieses “Opfer” würde dann auf der Wache den Kollegen wie eine Trophäe präsentiert. Ein Flüchtling, ein Araber, ein Nichtweißer weniger auf der Straße. Wenigstens für eine Nacht.

Jeden Morgen um neun Uhr treffen sich auf Soltaus Wache die Kollegen zu einem Lagebericht über die Straftaten vom Vortag. Normalerweise gebe es in seinem Abschnitt etwa 17 bis 20 Ladendiebstähle pro Tag. Die meisten würden von Deutschen begangen, etwa von drogenabhängigen Obdachlosen. Als besonders bemerkenswert vorgestellt werde aber fast immer nur der eine Fall, in dem der Täter nicht deutscher Herkunft sei oder am besten – ein Asylbewerber. “Erfolg”, sagt Soltau, “wird bei uns daran gemessen, wie viele Migranten möglichst hart bestraft werden können.”

Hans Soltau ist froh, bald in Rente zu gehen.

Zehn Jahre bis zur Entscheidung

Die Anwältin Seda Başay-Yıldız erhält nach dem 2. August 2018 weitere Drohschreiben. Das zweite erreicht sie vier Tage vor Weihnachten, die Absender haben anscheinend genau verfolgt, dass es Durchsuchungen auf der Wache an der Frankfurter Zeil gegeben hat. Ihr sei “offensichtlich nicht bewusst, was Du unseren Polizeikollegen angetan hast”, heißt es in dem Schreiben. Diesmal nennen die Absender nicht nur den Namen von Başay-Yıldız’ Tochter, sondern auch den ihres Vaters und ihrer Mutter. Der Text endet mit: “Heil Hitler, Du Türken-Sau!”

Die Polizei wird später davon ausgehen, dass die Daten aus derselben Meldeabfrage im Polizeicomputer wie jene aus dem August 2018 stammen. Wieder wird das Schreiben über einen Faxdienst verschickt, wieder ist eine Rückverfolgung nicht möglich.

Die Hauptbeschuldigte Miriam D. bestreitet, die Daten abgefragt zu haben. Die anderen Beamten schweigen zu den Vorwürfen. Wie die ZEIT aus Ermittlerkreisen erfuhr, geht man dort zwar davon aus, dass die Schreiben von Polizisten, vermutlich direkt von der Frankfurter Dienststelle, verschickt wurden, der zweifelsfreie Nachweis aber werde ohne Zeugenaussagen kaum zu führen sein. “Die Täter haben gute Chancen, nicht erwischt zu werden”, heißt es. Die Strafverfolger sind zunehmend frustriert.

Warum?, fragt sich Seda Başay-Yıldız

Seda Başay-Yıldız hat in den vergangenen Monaten oft zu rekapitulieren versucht, wie sie ins Visier der Rechtsradikalen geraten konnte. Lag es daran, dass sie während der NSU-Affäre die Ermittler kritisiert hatte? Oder daran, dass sie einmal in einem Interview gefragt hatte, was man denn noch alles tun müsse, um in Deutschland als Deutsche betrachtet zu werden und nicht als Türkin? Oder daran, dass sie mehrere Islamisten verteidigt hat?

Mitte Januar folgt das dritte Fax, zwei Tage später, am 16. Januar, das vierte. Die Verfasser drohen Başay-Yıldız, sie werde ihren tunesischen Mandanten “nie wieder” sehen. Und als wollten sie beweisen, wie viel sie über Başay-Yıldız und ihre Familie wissen, nennen die Absender diesmal auch die Geburtsdaten ihrer Eltern. Am “Tag X” sei sie fällig. Gezeichnet: “SEK Frankfurt, der Einsatzleiter”.

Wenn ein, sagen wir, rechtsradikaler Tischler oder Ingenieur, straffrei davonkommt, weil ihm die Justiz kein Vergehen nachweisen kann, hat er nichts weiter zu befürchten. Sein Arbeitgeber kann ihm nichts anhaben. Bei rechtsradikalen Polizisten ist das anders. Wie alle Beamten können sie aus dem Staatsdienst entlassen werden, wenn sie sich offen gegen diesen Staat stellen.

So wie die beiden Polizisten, von denen Dieter Romann im Bundestag berichtet.

Romann ist der Präsident der Bundespolizei. Im Februar 2019 muss er – neben anderen hochrangigen Beamten – im Innenausschuss des Deutschen Bundestags Rede und Antwort stehen. In dieser nicht öffentlichen Sitzung erzählt Romann von einer Begebenheit Ende August 2018.

Damals sitzen im oberbayerischen Rosenheim mehrere Männer auf der Terrasse einer Gaststätte. Sie trinken und reden, und was sie da reden, klingt nicht sehr freundlich. Fremdenfeindliche Äußerungen seien gefallen, sagt Romann, einer der Männer soll den Arm zum Hitlergruß gehoben haben. Ein anderer Gast ruft die Polizei. Als die Beamten eintreffen und die Personalien aufnehmen, stellen sie fest: Sie haben es mit Kollegen zu tun, zwei Beamten der Bundespolizei, 44 und 55 Jahre alt, abgeordnet nach Rosenheim für Grenzkontrollen. “Drei Stunden später wurde einem Beamten die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt”, sagt Dieter Romann im Innenausschuss. Vier Tage darauf sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden, inzwischen sei der Beamte vorläufig des Dienstes enthoben, “unter Einbehalt eines Großteils seiner Bezüge”. Romann will deutlich machen: Wir tun etwas!

Ein langwieriger Prozess

Wenn es nur immer so einfach wäre.

In der Realität passiert es sehr selten, dass rechtsradikale Polizisten tatsächlich aus dem Staatsdienst entfernt werden – und wenn doch, dann meist am Ende eines langwierigen und komplizierten Prozesses.

Das zeigt der Fall des Berliner Polizeikommissars Andreas T., der 2007 im Zuge von Ermittlungen in der Neonazi-Szene aufgefallen war. T. soll an der Erstellung von Rechtsrock-CDs mit volksverhetzenden Texten beteiligt gewesen sein. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Polizisten Fotos, auf denen ihr Kollege den Hitlergruß zeigte. Der Kommissar hatte sich seine rechtsextremen Überzeugungen sogar in die Haut stechen lassen: Wolfsangel, Odal- und Sigrune, das Logo der Neonazi-Band Skrewdriver. Sein Körper war ein wandelndes rechtsextremes Werbebanner.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Andreas T. wegen Volksverhetzung. Vier Jahre zog sich das Verfahren hin, am Ende reichten die Beweise nicht für eine Verurteilung. Erst danach erhob das Land Berlin eine Disziplinarklage gegen den Beamten, um ihn aus dem Polizeidienst zu entfernen. Doch sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht lehnten T.s Entlassung ab. Rechtsradikale Tätowierungen zu tragen sei noch kein verfassungsfeindliches Verhalten, so die Begründung.

Erst das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verwarf dieses Urteil. Es stellte 2017 in einer Grundsatzentscheidung klar: Ein Beamter, der sich mit einer verfassungsfeindlichen Einstellung “derart identifiziert, dass er sie sich in die Haut eintätowieren lässt, ist nicht tragbar”. T. musste den Polizeidienst verlassen. Zehn Jahre, nachdem er erstmals auffällig geworden war. Zehn Jahre, in denen er zwar vom Dienst suspendiert war, aber weiterhin sein volles Beamtengehalt erhalten hatte.

Wie kann ein Polizist “Reichsbürger” sein?

Die Argumentation dieser Beamten war die der sogenannten Reichsbürger, einer rechten Gruppierung, die den deutschen Staat ablehnt. Und mit ihm seine Institutionen: die Ämter, die Regierung – und die Polizei. Wie kann ein Polizist “Reichsbürger” sein? Wie kann er den Staat nicht anerkennen, für den er arbeitet? Die “Reichsbürger” werden seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet. Allein in Bayern wurden seither 18 Disziplinarverfahren gegen Beamte eröffnet, die als “Reichsbürger” gelten.

Strafverfahren haben schlimmstenfalls eine Gefängnisstrafe zur Folge, Disziplinarklagen die Entfernung aus dem Staatsdienst. Das Problem in der Praxis ist in beiden Fällen das gleiche: Vorgesetzte müssen gegen ihre eigenen Mitarbeiter aussagen, Kollegen gegen Kollegen. Loyalität und Sympathie behindern die Aufarbeitung. Einige Bundesländer haben inzwischen externe Beschwerdestellen eingerichtet, doch letztlich bleibt es dabei: Polizisten ermitteln gegen Polizisten – oder eben nicht.

Am Ende werden die auffällig gewordenen Beamten oftmals einfach nur in eine andere Dienststelle versetzt. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Im Polizeidienst radikalisiert

Rechtsextremismus: Ein Blick in den “Survivor R”, einen gepanzerten Truppentransporter des sächsischen SEK, der auf den Sitzen Stickereien trug, die an NS-Symbolik erinnerten.
Ein Blick in den “Survivor R”, einen gepanzerten Truppentransporter des sächsischen SEK, der auf den Sitzen Stickereien trug, die an NS-Symbolik erinnerten. © Dirk Knofe/dpa

Rafael Behr ist Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, seit Jahrzehnten erforscht er das Innenleben der Polizei. Behr neigt nicht zu Alarmismus, er glaubt nicht, dass die Bundesrepublik dabei ist, sich in einen rechten Polizeistaat zu verwandeln. Was er aber feststellt, ist, dass sich an vielen Stellen innerhalb der Polizei “rechtsorientierte subkulturelle Milieus” gebildet hätten. Parallelgesellschaften.

Behr hat beobachtet, dass diese Männer – es sind deutlich mehr Männer als Frauen – nicht als Rechtsextremisten in die Polizei aufgenommen werden, sondern sich innerhalb des Polizeidienstes radikalisieren. Einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leiste die AfD, die in Polizeikreisen viele Unterstützer findet.

Der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag gehören derzeit vier aktive und ein ehemaliger Polizist an, mehr als jeder anderen Fraktion. Auch bei den drei im Herbst anstehenden Landtagswahlen im Osten bewerben sich Polizisten für die AfD um Mandate: fünf in Thüringen, zwei in Sachsen, einer in Brandenburg.

AfD-Kandidat und Duterte-Fan

Die AfD ist eine legale Partei, auch Polizisten dürfen ihr beitreten und sich in ihrem Namen für politische Ämter bewerben. Zweifel an den rechtsstaatlichen Überzeugungen einzelner Kandidaten drängen sich dennoch auf.

In Thüringen steht der Polizeikommissar Torsten Czuppon aus Sömmerda auf der AfD-Liste für die Landtagswahl. Auf seiner Facebook-Seite zeigt er Fanartikel des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Der lässt Drogensüchtige, Dealer und Kriminelle ohne Gerichtsverfahren exekutieren.

In Brandenburg kandidiert der Bundespolizist Wilko Möller für die AfD. Er hatte auf Facebook ein Bild von sich selbst als jungem Mann gepostet, er trägt Tarnjacke und Waffe, auf dem Bild steht: “Klagt nicht, kämpft”. Ein Spruch, der mit den Fallschirmjägern der Wehrmacht in Verbindung gebracht wird.

In Sachsen möchte der Polizist Sebastian Wippel erneut für die AfD in den Landtag. Er hatte im August 2016 für Aufregung gesorgt, als er nach zwei Terroranschlägen in Süddeutschland bekundete, es sei bedauerlich, dass keine politisch Verantwortlichen unter den Opfern seien.

“Es gab diese Vorkommnisse”

Geht es um rechtes Denken in der Polizei, steht kein Bundesland so sehr im Fokus wie Sachsen. Hier präsentierten Beamte öffentlich den “Survivor R”, einen gepanzerten Truppentransporter des Spezialeinsatzkommandos (SEK), der auf den Sitzen Stickereien trug, die an NS-Symbolik erinnerten.

Hier trug ein SEK-Beamter auf seiner Uniform bei einer Demonstration von Linken ein Abzeichen mit einem von Odins Raben, einem von Neonazis gern verwendeten Zeichen aus der germanischen Mythologie.

Hier verpassten im vergangenen Herbst zwei Beamte einem SEK-Kollegen für einen Einsatz in Berlin den Alias-Namen “Uwe Böhnhardt”. Der Polizist sollte – ausgerechnet – den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan beschützen.

Petric Kleine sitzt im März 2019 in seinem Büro in einem Funktionsbau am Dresdner Stadtrand. “Der Blick auf die Polizei in Sachsen ist berechtigt”, sagt Kleine, “es gab diese Vorkommnisse.” Seit 2017 ist er Präsident des Landeskriminalamts Sachsen. Von Beginn an stand er mit seiner Behörde unter Druck.

Am Tag nach Bekanntwerden des Böhnhardt-Skandals lässt Kleine die rund 70 Mitglieder des SEK antreten. Die beiden verantwortlichen Beamten wirft er aus der Eliteeinheit hinaus. Er droht gar mit der Auflösung des gesamten SEK. Außerdem lässt er die Diensträume des Kommandos durchsuchen und die Stickereien von den Kopfstützen des “Survivor” entfernen. Er scheucht Beamte über das LKA-Gelände, um nach verdächtigen Aufklebern auf den Autos von Mitarbeitern zu suchen. Er ordnet an, dass vor Einsätzen die Uniformen der SEK-Beamten auf unerlaubte Abzeichen kontrolliert werden.

Jetzt, in seinem Büro, atmet Kleine tief durch. Vor allem der “Fall Böhnhardt” beschäftigt ihn noch immer: “Das war an Blödheit nicht zu überbieten.”

Blödheit. Es ist ein merkwürdiges Wort, das der LKA-Präsident da verwendet. Ist es wirklich nur Blödheit, wenn es zwei Polizeibeamte des SEK witzig finden, einem Kollegen den Alias-Namen eines rechtsterroristischen Mörders zu geben? “Ich unterstelle denen keine rechte Einstellung”, sagt Kleine. Die Beamten seien schon lange Teil des SEK gewesen, sie hätten sich stets tadellos verhalten.

Kleine sagt, er brauche ein funktionierendes SEK. Bei Geiselnahmen und Terroranschlägen gehört es zur Aufgabe der Beamten, Leben zu retten.

Korpsgeist nutzen

Polizisten müssen sich im Ernstfall bedingungslos aufeinander verlassen können. Diesen Korpsgeist, der oft verhindert, dass Dinge nach außen dringen, möchte Kleine nutzen. Er wünsche sich für das LKA, dass die Kollegen aufeinander achten, rechtsradikale Tendenzen früh erkennen und ansprechen. Der Korpsgeist, der Teil des Problems ist, er soll auch Teil der Lösung werden.

Wer Missstände beseitigen will, muss sie erst einmal sehen. Der sächsische LKA-Präsident Petric Kleine sagt, er sehe sie. Auch der Bundespolizeipräsident Dieter Romann sagt das, der BKA-Präsident Holger Münch ebenfalls. Aber hatte man nicht schon nach dem NSU-Desaster gehofft, dass das Problem erkannt wird?

Zumindest innerhalb der Polizeiausbildung, da sind sich alle Fachleute einig, sei es gelungen, das Gespür für demokratische Werte zu schärfen. Wer dort – noch vor der Verbeamtung – mit rechten Äußerungen auffällt, wird sofort rausgeworfen.

Ungleich schwerer scheint es zu sein, jene Polizisten zu erreichen und zu kontrollieren, die Tag für Tag mit den Abgründen der Gesellschaft konfrontiert sind. Die Basis des Polizeiapparats. Hier kann der Befund nur lauten, dass ein tief greifender Wandel in der Behörde bisher nicht stattgefunden hat. Obwohl er dringend nötig wäre. Für Armin Schuster, Polizist und Bundestagsabgeordneter der CDU, ist dies eine Frage der “gesellschaftlichen Hygiene”. Schuster sagt: “Jeder Polizist ist Botschafter für das Demokratieverständnis in unserem Land”.

Wie kann es sein, dass rechte Umtriebe unter Polizisten nicht systematisch erfasst werden?

Wie soll sich etwas ändern, wenn es keine Regeln dafür gibt, wie mit solchen Vorfällen umzugehen ist?

Wie sollen die Bürger, die mit ihrem Steuergeld das Gehalt jedes Polizeibeamten finanzieren, Vertrauen haben in eine Behörde, in der es Menschen gibt, die nur einen Teil der Bevölkerung beschützen wollen?
Anonymer Briefkasten
Haben Sie Hinweise?

Zumindest in Hessen hatte der Polizeiskandal um die Drohungen gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız Konsequenzen. Auf den Polizeicomputern ist ein Zufallsgenerator installiert worden, der bei Abfragen von Einwohnermeldedaten detaillierte Gründe für die Nachforschung verlangt. Eine unabhängige Ombudsstelle soll künftig Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten entgegennehmen.

Es ist ein Anfang. In einem von 16 Bundesländern.

Seda Başay-Yıldız hat in einem Aktenordner mit der Aufschrift “privat” all ihre Briefe abgelegt, auch die Drohbriefe. Die Aufschrift trifft es nicht wirklich, die Drohungen sind nicht “privat”, sondern hochpolitisch, sie richten sich an Başay-Yıldız, aber sie treffen die freie Gesellschaft als Ganzes.

Bis zu dieser Affäre hatte die Anwältin noch nie Anzeige erstattet, egal, wie unflätig die Menschen ihr gegenüber waren. Aber diesmal war eine Grenze überschritten. Neulich meldete sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei ihr und bat um ein Treffen. Er wollte ihr Mut zusprechen.

Mittlerweile hat das hessische Landeskriminalamt 60 Beamte beauftragt, ihren Fall und weitere rechtsextreme Umtriebe in der hessischen Polizei zu untersuchen. Solche Sonderkommissionen werden sonst vor allem bei Terroranschlägen, Amokläufen oder Mordserien zusammengestellt. Diesmal kämpfen die Beamten gegen einen Feind im Inneren.

Quelle: https://www.zeit.de/2019/20/rechtsextremismus-polizei-rassismus-diskriminierung-beamte-hitlergruss

Der Artikel ist auch zufinden auf: gefaehrlich.noblogs.org

Außerdem findet ihr dort die Broschüre "Gefährder - Leaks - Konstruktionen des LKA Berlin am Beispiel der Rigaer Straße" und weiteres...

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