Wie Enten auf dem Teich

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Kampf dem Reformismus, den Mythen und den Propheten der Revolution

Wie Enten auf dem Teich

Der 18. März, die politischen Gefangenen, die Geschichtsverdrehung und warum wir auf diese heuchlerische und reformistische Kacke scheißen.

Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.“ Karl Marx, achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte

Jeder Herrscher im Laufe der Geschichte, bedient sich von Mythen, um seine Herrschaft gerechtfertigten zu können. Denn bevor es Geschichte gab, gab es Mythen und aus diesen wurde eine Geschichte gemacht, dies passiert seit der griechischen und römischen Geschichte. Wenn sie nicht existierten, wurden sie halt erfunden, wenn die Geschichte verändert werden musste, wurden die Mythen entsprechend auch verändert. Dies geschieht heutzutage leider weiterhin, woraus sich einige Pseudoanarchist*innen und Kryptostalinist*innen bedienen und womit sie sich brüsten.

Die Pariser Kommune als Sprungbrett für die eigene Geschichte

Ich bin ein leidenschaftlicher Sucher nach Wahrheit und ein ebenso heftiger Gegner der verderblichen Lügen, durch welche die Partei der Ordnung, diese privilegierte, offizielle und interessierte Vertreterin aller religiösen, philosophischen, politischen, gerichtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schändlichkeit in der Gegenwart und der Vergangenheit, die Welt in Dummheit und Sklaverei zu erhalten versucht.“ Michail Bakunin, Die Pariser Kommune und die Idee des Staates

Wie jedes Jahr seit 1996, finden in einigen Städten im deutschsprachigem Raum Kundgebungen und Demonstrationen für politische Gefangene statt. Dieser Tag wurde 1996 von der Gruppe Libertad aus Berlin wieder ins Leben gerufen. Wenn Kadaver der Geschichte im Scheiterhaufen liegen, liegt es meistens daran, dass sie scheiterten oder die zu gewährleisteten Dienste nicht mehr erfüllten. Irgendeine Gruppe oder Organisation musste diese wieder ins Leben rufen, um daran wieder anzusetzen.
Als dies der Fall war, gab es in Deutschland noch sogenannte politische Gefangene aus der bewaffneten Gruppe RAF, unter anderem. Sowie immer, war es sehr interessant festzustellen wer überhaupt ein politischer Gefangener war und wer unterstützt gehörte. Es war die Zeit als in der Türkei Hunderte von Gefangene aus kommunistischen Gruppen gegen die Isolationsknäste, bekannt als F-Typ Gefängnisse, kämpften und todesfasteten. In einigen Ländern in Europa, saßen auch noch Mitglieder bewaffneter Gruppen wie z.B., von Action Directe, GRAPO, ETA(m) im Knast. Die Gruppe Libertad schrieb in ihren Aufruf: „Wir initiieren den 18. März als Tag der politischen Gefangenen, als Kampftag für die Freiheit der Gefangenen aus Klassen- und Befreiungskämpfen in aller Welt. Wir rufen diesen Aktionstag aus, um gemeinsam an sie, ihre Unterdrückung und ihren Widerstand zu erinnern. Ein Tag unserer Solidarität und Verbundenheit mit den gefangenen Genossinnen und Genossen in Deutschland und aller Welt.“
Mitte der 90er wurden weltweit die meisten, der bis dahin noch aktiven, kommunistischen Stadtguerillas und nationalen Befreiungsbewegungen, die für viele Linke noch eine wichtige Rolle spielten, zerschlagen und verloren an Bedeutung, bzw. gab es auch Fälle in denen der bewaffnete Kampf aufgegeben wurde, sei es aufgrund von Repression, fehlender Unterstützung, oder der Auflösung der Gruppe, die mit dem beiden vorherigen Punkten zu tun hatte. Sie verloren an Bedeutung nicht im Sinne von dem Interesse, welches sie erweckten – was für eine Quelle der Inspiration sie auch waren – , sondern sie verloren durch die ständige Repression an Hegemonie, die sie mal genossen haben oder sich erkämpft hatten.
Die Gruppe Libertad hatte nicht den historischen Zusammenhang vergessen. Denn dieser Tag wurde aufgerufen, um für die Freiheit jener Revolutionäre zu kämpfen die im Knast waren, oder auf der Flucht waren und diente auch als Erinnerung an die Pariser Kommune und deren doppelten Bedeutung. Die Pariser Kommune wurde am 18. März 1871 ausgerufen und wurde am 28. Mai desselben Jahres blutig niedergestreckt. Als eine Erinnerung an den Ereignissen, welche an diesen Tag stattfanden, und an der blutigen Repression die darauf folgte – offiziell 30.000 Erschießungen nach der Niederlage und 40.000 Inhaftierungen (viele von ihnen wurden zu Straflagern auf Überseekolonien verurteilt)- findet dieser Tag statt. Heutzutage hat die Erinnerung an die Kommune und an die Kommunard*innen wesentlich an Bedeutung verloren. In die Geschichte ist dieses Datum eingegangen, als der erfolgreiche Versuch, auch wenn nur für eine kurze Dauer, der Erstürmung des Himmels, als die Herrschenden gestürzt wurden, und die Arbeiter*innen in Paris die Macht an sich rissen. Die historische Anlehnung eines proletarischen Aufstandes wird heutzutage eher beiläufig erwähnt. denn die Auffassungen von der Kommune sind nach wie vor sehr unterschiedlich.

Bakunin und Marx sahen in der Pariser Kommune den ersten Versuch einer gelebten Utopie, auch wenn beide daraus unterschiedliche Schlüsse zogen. Für Marx war es eine „Diktatur des Proletariats“, für Bakunin war es ein realer Versuch den Staat abzuschaffen. Sie vertraten unterschiedliche Schlüsse, die im Laufe der Geschichte von einigen auch vereinnahmt, verdreht oder verfälscht wurden, wie wir später sehen werden.
Der historische Hinweis auf die Kommune betonte die Gruppe Libertad immer, vergaß aber nicht, wer diesen Tag, den der politischen Gefangenen, letztendlich ins Leben rief. Denn sie selber hatten es ja nicht erfunden, was sie auch niemals behaupteten. Um diesen historischen und politischen Spagat glätten zu können, wiesen sie z.B. auf einen Text des Rätekommunisten Otto Rühle zur Kommune hin, der ansonsten ein radikaler Kritiker des Leninismus-Bolschewismus und der Sowjetunion war. Was hat all dies denn mit der Sowjetunion zu tun?

Das Ende vom Anfang.

Alle Tage die ausgerufen werden, um an irgendetwas zu erinnern, müssen ja von irgendwem ausgerufen werden. Denn wie alles in der Geschichte, irgendwo war immer ein Anfang.

Der 18. März als „Tag für die politischen Gefangenen“, wurde 1923 von der Internationale Roten Hilfe ausgerufen, einer Organisation die der Kommunistischen Internationale, auch bekannt als die III. Internationale oder Komintern, unterstellt war bzw. von dieser selber gegründet wurde. Wir beziehen uns hier auf die historische IRH und nicht jene aus der Schweiz, die seit dem Jahr 2000 existiert oder jene aus Deutschland, Rote Hilfe e.V., die, wenn man daran glauben will, bis 1986 eine, von der KPD-ML kontrollierte Organisation2 war. Dies hat aber mittlerweile an Relevanz in den Köpfen der meisten verloren.
In Deutschland gab es auch eine Sektion der IRH, die der damaligen Kommunistische Partei Deutschlands unterstand, die selber auch, wie fast alle Kommunistischen Parteien damals, oder zumindest alle jene, die sich offiziell als solche postuliert hatten, Mitglied in der III. Internationale war. Wie allgemein bekannt ist, war die III. Internationale, von Anbeginn, von der Sowjetunion dominiert. Diese nutzte sie als ein Sprachrohr für ihre Interessen im Ausland. Die diversen Parteien in der Komintern fungierten als eine weitere Botschaft der Sowjetunion. Sie dienten vor allem dazu, die Anweisungen aus Moskau zu befolgen. Wie zum Beispiel jene Anweisungen, dass Revolutionen nach dem Modell der russischen Revolution zu führen seien, oder wie sich die jeweiligen Parteien überhaupt zu verhalten hätten.
Die Komintern bestimmte damit sehr lange die politischen Strategien ihrer Mitglieder und löste so einigen Wahnsinn und Schlamassel aus (Ausrufen der Einheitsfront3 in den 1920ern, die Sozialfaschismusthese4 1928, die Idee der Volksfront5 um 1935). So richtig funktionierte keine der drei Anweisungen. Weder die Volksfront von Leon Blum in Frankreich, noch die Volksfront in Spanien (bekannt als Frente Popular), konnten dem Faschismus Einhalt bieten oder die Proleten von ihren Ketten als Ausgebeutete befreien. Stalin löste 1943 die Komintern am Ende auf.

Die herrschenden Gedanken…

Die IRH wurde 1922 auf dem IV. Weltkongress der Komintern gegründet. Zuerst hieß sie jedoch proletarisches Rotes Kreuz. 1924 gründete sich die Sektion in Deutschland. Die damalige IRH in Deutschland war eine sehr große Organisation, welche mehrheitlich aus Mitglieder der KPD gebildet war. Der bekannte Anarchist Erich Mühsam war ab 1925 auch Mitglied in dieser, nach seiner Haftentlassung, bis er sie 1929, aufgrund von politischer Differenzen, verließ. Seine Mitgliedschaft löste innerhalb anarchistischer Kreise in Deutschland viele Kontroversen aus, bis zu Distanzierung und Kritik vieler Gruppen an Mühsam selbst. Die FAUD, z.B., kritisierte den Opportunismus von Mühsam, weil dieser die Instrumentalisierung der IRH auch für sich ausnützte. Denn auch wenn die IRH, sich als eine proletarische Hilfsorganisation, die strömungsübergreifend war, darstellte, wurde sie immer von der KPD6 kontrolliert und ihr kam es daher sehr gelegen, solche berühmte Anarchist*innen wie Mühsam, in ihren Reihen zählen zu können. Anarchist*innen7 wurden selten von der IRH unterstützt. Der bekannteste Fall als die IRH Anarchist*innen unterstützte war bei Sacco und Vanzetti8. 1927 wurden dennoch beide hingerichtet. Dieses Beispiel wird gerne verwendet, auch heutzutage, um die Verfolgung von Anarchist*innen in der Sowjetunion verstummen zu lassen. Denn die IRH kritisierte dies niemals, sondern verschwieg es und stellte außerdem die Knäste in der Sowjetunion als quasi Ferienlager dar, in denen es möglich war über das eigene Fehlverhalten nachdenken zu können9. Dies zu der Zeit als Stalin Tausende in die berühmten Gulags verschleppen ließ und in die Fußstapfen von Lenin trat.

Sechs Jahre vor der Hinrichtung von Sacco und Vanzetti, fand in Moskau die letzte anarchistische Demonstration statt. Hunderte von Anarchist*innen wurden für den Trauerzug für Kropotkins10 Begräbnis freigelassen, nur um sie später wieder zu inhaftieren.
Damals bot die bolschewistische Regierung eine staatliche Beerdigung an, diese wurde jedoch von der Familie und den anarchistischen Freund*innen verweigert. Die anarchistischen Gruppen in Russland organisierten eine Beerdigungskommission für die Zeremonie, unter anderen mit der Beteiligung von Alexander Berkman, Emma Goldman und Sasha Kropotkin. Die Behörden erlaubten den Druck von 2 Flugblättern -Erinnerungsschriften- nicht, da diese vorher zensiert wurden . Daher musste eine Druckerei die von der Tscheka11 geschlossen wurde, wieder eröffnet werden, um die Flugblätter unzensiert drucken zu können.
Die anarchistische Bewegung musste viel Druck gegenüber der Regierung ausüben, damit für den Trauermarsch die inhaftierten Anarchist*innen freigelassen werden würden. Kamenev12 stimmte dem zu, aber mit der Bedingung, dass sich aus der Zeremonie keine Massendemonstration gegen die Regierung entwickeln würde. Der Trauermarsch wurde natürlich zu einer politischen Demonstration und als diese am Knast von Butyrka13 vorbei lief, grüßten die dort eingesperrten Revolutionäre aus den Fenstern. Die letzte Rede bei dem Begräbnis wurde von Aaron Baron14 gehalten, einer dieser auf „Freigang“ entlassenen Anarchist*innen, die gegen das bolschewistische Regime, die Knäste und der Folter gegen dissidente Revolutionäre protestierten. Dies sollte das letzte Mal sein, als Anarchist*innen massiv in der Sowjetunion demonstrieren durften.

Wir wollen hier weder eine geschichtliche Aufarbeitung der IRH in Deutschland machen, noch eine der Geschichte der Sowjetunion, sondern nur ein paar historische Fakten als Basis für eine Auseinandersetzung benutzen. Gerade weil in der Geschichte sehr oft viele Mythen zu finden sind, an denen sich viele bedienen, die aber gerade nur das sind – Mythen und keine Wahrheiten. Über der Roten Hilfe schweben viele Mythen und einer davon ist ihre „aufrichtige“ Vergangenheit, mit der sie sich heutzutage schmücken kann. Die Lieblingsbeispiele sind nach wie vor die Mitgliedschaft von Mühsam und die Kampagne für Sacco und Vanzetti, welche auch von diversen antifaschistischen Gruppen oder pseudo- libertären Gruppen heruntergeleiert wird. Ein abgedroschenes Beispiel, das immer benutzt wird, um Anarchist*innen zur Besinnung zu bringen. Doch, wie ersichtlich wurde, waren die Grundlagen und die Beweggründe dieser Organisation, immer von den Herrschenden in der Sowjetunion gesteuert. Zwischen Lenin und Stalin können keine Unterschiede gesehen werden, beide erwiesen sich als perfekte Staatsmänner, die wussten wie sie ihre Herrschaft mit Repression, Tod und Verfolgungen aufrecht erhielten.

Da war doch noch was. Der Aufstand von Kronstadt15.

Der 18. März beinhaltet auch ein weiteres Jubiläum. Zufall oder Ironie? Eines, das von tiefer Bedeutung gebrandmarkt ist – die Zerschlagung des Aufstandes der Matrosen in Kronstadt 1921. Vor 97 Jahre erstickte die Rote Armee, angeführt von Trotzki, diesen Aufstand. Wie er selber dazu sagte, wurden sie „wie Enten auf dem Teich“, zusammengeschossen. Einer der letzten Versuche von Arbeiter*innen in der Sowjetunion, sich von der Diktatur der Partei zu lösen, um „sich selbst zu befreien und die soziale Revolution zu verwirklichen“ (Volin16). Es ist von großer Bedeutung dass beide Ereignisse, bei einem der Beginn, bei dem anderen das Ende, auf denselben Tag fallen. Jedoch waren die Ereignisse von Kronstadt wesentlich frischer für die noch junge Sowjetunion. Aber was hat all dies denn mit ihr zu tun?

Während die Geschichte uns lehrt, die obersten Herrscher der Kirche mit vollem Bewusstsein das Volk betrügen und ins Verderben führen. Sind ihre Diener, die Kreaturen von Kirche und Staat mit Eifer bestrebt, die Heiligkeit und Unantastbarkeit dieser fluchwürdigen Einrichtungen aufrecht zu erhalten. Die Kirche ist nach dem Ausspruch der Priester und der meisten Staatsmänner notwendig zum Seelenheil der Menschen; und ebenso ist, nach ihnen, der Staat zur Erhaltung des Friedens, der Ordnung, der Gerechtigkeit unentbehrlich. Und die Doktrinäre aller Schulen rufen im Chor: „Ohne Kirche oder Regierung gibt es keinen Fortschritt und keine Zivilisation.““ Michail Bakunin, Die Pariser Kommune und die Idee des Staates

An diesen geschichtlichen Rückblick sollte erinnert werden, vor allem wenn man sich auf Tage bezieht, die von Bolschewisten ausgerufen wurden, die selber keine Probleme hatten die Matrosen aus Kronstadt, die Machnobewegung17 in der Ukraine, oder sämtliche sozialrevolutionäre und anarchistischen Strömungen auszuradieren. Der 18. März, sowie andere von der Sowjetunion vereinnahmte Daten, gerieten in die Logik der Geschichtsverfälschung und können daher nur schwierig gerettet werden, bzw. verteidigt werden. Nicht solange bis diese Farce enthüllt wird.
Sie erfüllten aber dennoch ganz klare Aufgaben. Das Verschleiern der eigenen Geschichte. Denn das Proletariat, weltweit, sollte keine Gedanken der Kritik an die Sowjetunion ausüben und dies an einem Tag, wie der 18. März, an dem auch an das Massaker gegen die Kommunard*innen erinnert werden soll, wie grotesk und verlogen.

Die Ironie der Geschichte liegt daran, dass die damalige Regierung von Thiers und die von Lenin und Trotzki sich nicht sehr voneinander unterschieden. Beide wussten wie man Revolutionen und Aufstände niederschießt. Nur dass die bolschewistische Herrschaft sich auf die Pariser Kommune berief, da war Thiers ehrlicher.

Aber die Sowjetunion gibt es doch nicht mehr!

Die Organisationen die vor 95 Jahren diesen Ereignis ausriefen, handelten nicht nach dem Prinzip der Solidarität zwischen Menschen, sondern aus einem politischen Kalkül, um die eigenen Interessen zu verfestigen. Denn nichts scheint heuchlerischer und verlogener wie das Vorgegebene und was letztendlich daraus resultierte.

Man kann den Menschen alles mögliche erklären, solange Ideen und Geschehnisse nicht bekannt sind, Wissen nicht geteilt wird und Dinge nicht miteinander diskutiert werden, um diese zu kollektivieren. Wissen denn viele der Menschen was für einen historischen Hintergrund dieser Tag hat und was daraus letztendlich gemacht wurde? Was ist, wenn sie damit aber einen Problem haben? Falls nicht, ist ja alles geklärt. Warum wird dies verschwiegen? Ist es Scham, Ignoranz oder bewusste Manipulation?
Heutzutage kann jede noch so absurde Behauptung in den Raum geworfen werden, denn niemand wird nichts überprüfen. Keiner von uns studiert Geschichte. Auch wir haben uns damit auseinandersetzen müssen, denn wir studieren die Geschichte.

… sind immer die Gedanken der Herrschenden

Zusätzlich kommt das allgemeine Problem zu der „Eventpolitik“. Sie handelt aus einer eigenen Logik die fatal ist. Um bestehen zu können, muss sie sich im Laufe der Jahre verschiedene Tage, Symbole, Rituale und ähnliches aussuchen und bedienen, um die inhaltliche Frage zu klären. Am besten natürlich, wenn es dazu noch komplett sinnentleert wird. Wie der 8. März (Internationaler Frauenkampftag), der 1. Mai (Internationaler Tag der Arbeiter*innenklasse), der 21. November (Silvio Meiers Ermordung), jedes „zweite Wochenende“ im Januar die Luxemburg – Liebknecht –(Lenin)18 Demo und weitere bekannte.
Man opfert im Namen der Realpolitik, der Effektivität jeden Inhalt, jede Konsequenz und letztendlich jeder Kohärenz. Von Kämpfen losgelöst, deren Ursprung sie mal waren, verwirklichen sie sich nur noch als eine Ansammlung an Menschen.
Die Götter der Selbstlüge verlangen viele Opfer und die meisten Linke sind bereit sie zu zahlen, ohne Zweifel und voller Überzeugung. Auf dem Altar der Heuchelei gilt die Lösung, „wenn der Weise auf den Mond zeigt, schaut der Idiot auf den Finger“. Wie es scheint besteht die radikale Linke fast ausschließlich aus solchen Idioten.

Der 18. März, die LLL-Demo und der 1. Mai kriegen dafür definitiv eine Goldmedaille. Sie toppen den Surrealismus und die vorhandene verallgemeinerte Ideologisierung im Hier und Jetzt, im Handeln und im Denken. All diese Beispiele zu erklären und zu analysieren würden den Rahmen hier sprengen.

Der 18. März?

Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Karl Marx, der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte

Dieses Datum stand nie für die Erinnerung an die Pariser Kommune und keineswegs sollte der Aufstand in Kronstadt erwähnt werden, sondern es steht für die Vereinnahmung ganz konkreter Strömungen, die wie üblich in der Menschheit, um den eigenen Diskurs schöner aufbauen zu können, eine Geschichte braucht. Sie braucht die Geschichte um die eigene Narration zu verschönern, ja sogar um auf ihr aufzubauen, um ihr Sein rechtfertigen zu können. In diesem Sinne, eine künstlich hergestellte Verbindung zwischen Paris 1871 und der Revolution in Russland 1917. Wenn der Bogen weitergespannt wird, dann reicht die Verbindung bis heutzutage. Alles ist möglich im Zeitgeist der Postmoderne und des Poststrukturalismus, zumal die archaischen Theorien des Leninismus, die nur in der Vergangenheit konjugieren, die Welt durch ein Periskop analysieren, welches aus dem Jahr 1917 stammt und Linke sich seit 150 Jahre ständig als die Linke des Kapitalismus bestätigt.
Während die letzten Aufständischen in Kronstadt niedergestreckt wurden, feierte man in Moskau 1921, das Jubiläum der Pariser Kommune. Was für eine inszenierte Farce. Was für ein gelebter Surrealismus, was für ein geistiges Delirium.
Was macht es für einen Sinn, gerade beim 18. März, sich auf einen Tag zu berufen, der benutzt wurde, um das Blut an den eigenen Händen verwischen zu können? Wenn Menschen heutzutage am 18. März für politische Gefangene rausgehen, was meinen sie denn genau damit?

Politische Gefangene?

Daraus folgend, die berühmte Debatte oder Frage der politischen Gefangenen. Abgesehen davon, dass dieser Begriff historisch vor allem von ML-Gruppen verwendet wird und wurde, war die eigentliche Rede immer von den eigenen Gefangenen. Unseren Gefangenen, nicht die anderen, die in den falschen Gruppen sind. Unsere Gefangene, unsere Inhalte, unsere Ideen, unsere Fahne, unser Programm…
Denn wie im Kapitalismus, wo die Bourgeoisie in einem internen Konkurrenzkampf zueinander steht, stehen sämtliche Avantgarden/Parteien und Organisationen unter demselben Prinzip, auch in einen Konkurrenzkampf. Die radikale Linke ist daher nur ein Spiegelbild der Bourgeoisie.
Ihren Vorbildern entsprechend, haben sie verstanden dass die Frage sich immer um die Machtfrage bildet und darum wer am schnellsten und effektivsten sämtliche Kräfte zu synthetisieren weiß. Jede andere Avantgarde/Partei und Organisation ist daher Konkurrentin in der Machtfrage. Sie sehen sich als natürliche Feinde, die sich ein Gebiet, Ideen und Fahnen teilen müssen, obgleich alle dasselbe begehren. Und zwar dich. Dich, den Menschen. Das, was als ein revolutionäres Subjekt bezeichnet wurde: ein sich durch die Geschichte gebildetes Subjekt, du, der auch fähig bist deine eigene Geschichte zu machen, damit du dich als Subjekt bewaffnen wirst, um dich zu befreien.

In der Frage um die Gefangenen löst sich das leicht. Freiheit für alle politische Gefangenen? Aber nein doch! Freiheit für unsere Gefangene zuerst. Denn unsere Gefangene sind die, die unsere Ideen vertreten, verteidigen und sogar dafür sterben. Diese Ideen sind nicht aber der Kommunismus oder der Anarchismus, sondern die Abkürzung einer Partei oder Organisation. Der einzig wahren und richtigen, selbstverständlich. Hat sich noch nie jemand gefragt, warum früher alle bewaffneten Gruppen, immer ihre eigenen Unterstützungskomitees hatten? Warum denn wohl? Apropos, heutzutage ist es meistens auch nicht anders. Nur atomisierter und in der Regel ohne bewaffnete Gruppen.
Wenn die Rede von politischen Gefangenen ist, werden eben jene Gefangene gemeint, die im Gegensatz zu den anderen (das heißt also, die Kriminellen, die Asozialen), Bewusstsein haben. Sie haben politisch und komplett altruistisch gehandelt. Bei solchen Behauptungen ist es immer interessant festzustellen wer diese überhaupt macht. Und ob die ranzige Distinktion, die sich ständig in der Gesellschaft reproduziert (Menschen durch Kategorien einzuordnen, wie Rasse, Geschlecht, Klasse, Alter, etc.), auch nicht hier stattfindet. Denn sie findet definitiv statt und ist ständig von der Logik einer jeden Avantgarde19 umhüllt. Denn nach dieser Logik, brauchen die Proleten, die Ausgeschlossenen, die Assis oder die Penner, eine Partei oder eine Organisation die sie führt. Sie können sich aus dieser Erkenntnis nicht selber befreien. Die Proleten sind diesem historischen Determinismus unterworfen, quasi für immer verdammt, wenn man diesen Schwachsinn glauben will. Es sind eben jene Avantgarden/Parteien und Organisationen, die die Ausweise der „richtigen“ Revolutionäre verteilen. Sie sind die Besitzer des Privilegs, um zu bestimmen wer hier die „richtigen“ Revolutionäre sind.

Ob die Frage der politischen Gefangenen mit der Problematik der Knäste verbunden wird, bzw. gestellt wird, mag manchmal der Fall sein, muss aber nicht. Wird eigentlich selten bis nie gestellt.
Entgegen der Naivität vieler Samariter*innen, die das nicht glauben wollen, kann nur gesagt werden, das sie naiv und manipulierbar sind.
In der heutigen Zeit, wo die meisten, wenn nicht sogar alle, bewaffneten Projekte in Westeuropa oder in der Metropole vorbei sind, außer eine Handvoll, wo die Opposition von der Marcuse sprach, im Kapitalismus steht, haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben und die Avantgarden/Parteien oder Organisationen müssen anders handeln. Nicht weil sie dies wollen, sondern weil für sie die Lage sehr mager geworden ist. Keine davon kann sich mehr den Luxus leisten, dem Event sei dank, zu zehnt zu marschieren, dies wäre eine fürchterliche Blamage. Daher sind sie aufeinander angewiesen. Wie immer gilt die Devise, desto mehr, desto besser. Man schmeichelt sich gegenseitig an, man redet von der notwendigen Solidarität einer Bewegung, die nur gemeinsam stark werden kann, etc. Alles nur Kadaver, die aus dem Maul einer Leiche entspringen. Denn aus der Schwäche wird zwar gehandelt, aber nur aus reinem Pragmatismus, aus einem Zwang der hoffentlich bald überwunden wird. Für viele ist dies nicht besonders schlimm, sogar gut – eigentlich. Sie sehen eine Zusammenarbeit, die sogar vernünftig sein könnte. Wir sehen darin nur Opportunismus und Heuchelei.

Das Handeln wird nicht aus der Stärke oder aus der Schwäche entwickelt, sondern aus Theorien, die in der Praxis überprüft werden, aus Analysen der bestehenden Realität im Kapitalismus, um größere und tiefere Risse in die Widersprüche der Gesellschaft zu verursachen. Anarchist*innen können sich gerne mit Mler*innen solidarisieren, haben wir schon sehr oft gemacht, aber nicht weil wir ihre Ideen als gute empfunden haben, sondern, weil wir einen gesellschaftlichen Widerspruch in den Gefängnissen sehen. Dass Menschen sich dort niemals verbessern werden ist offensichtlich, ganz im Gegenteil, Menschen gehen dort ein und zwar alle. Dasselbe Beispiel dient der Frage der Lohnsklaverei. Man kann sich mit streikenden Arbeiter*innen solidarisieren, nicht weil man sie mag, sondern weil man einen gesellschaftlichen Widerspruch in der Lohnarbeit sieht. Weil Menschen mit der Lohnarbeit kaputt gehen, körperlich sowie geistlich. Aber unter dem hiesigen Zeitgeist würde es leider bedeuteten, dass Menschen nur unterstützt werden würden, bei einem Streik, weil dort Genoss*innen/Gefährt*innen vorhanden sind. Dies entspringt derselben Logik wie derjenigen von den „politischen Gefangenen“ und dies in Zeiten in denen Begriffe wie „Märtyrer“ neu entdeckt und verwendet werden.

Die Logik hinter dem Begriff der „politischen Gefangenen“ oder sogar der „Kriegsgefangene“, wenn der erste nicht ausreicht, wirft eine große Frage auf die gesellschaftliche Analyse die diesen Gedanken und Ansatz überhaupt zum Entstehen verhalf. Dies würde unvermeidbar zu der Debatte führen, was überhaupt Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten in dieser Gesellschaft bedeuten. Entweder man begibt sich schnell auf die Seite des Reformismus und man glaubt (im religiösen Sinne sogar, bedingt durch den Mystizismus der Demokratie), dass die herrschenden Institutionen reformierbar wären, oder man versteht, dass eben Demokratie, Menschenrechte und die Freiheiten in dieser Gesellschaft, die Grundlagen für Folter und Tod, unter anderem auch in den Knästen, sind. Im Kapitalismus ist jede ausgebeutete Person potenziell immer arbeitslos und jene Proleten, die die Gesamtheit der Regeln des Bürgerseins nicht akzeptieren – Rechte, Freiheiten und Verpflichtungen – sind potenziell immer Gefangene. Abstriche davon zu machen, führt zur Aufrechterhaltung der Knäste, aber genauso der Lohnarbeit und allen herrschenden Instrumenten dieser Gesellschaft wie Familie, Nation, Patriarchat, etc.

Solange von politischen Gefangenen die Rede ist, wird die Aufteilung zwischen Denken und Handeln akzeptiert und reproduziert. Denn dieser Begriff führt immer zur Logik einer Avantgarde. -Sie sitzen ja nicht im Knast, weil sie irgendwelche Kriminelle oder Verbrecher sind.
Sagt wer? Etwa der Richter? Die Staatsanwältin? Denen ist es egal, sie erfüllen die Quote, damit die Knäste immer schön voll sind.
Dieser Gesellschaft ist es egal aus welchen Gründen du oder irgendwer was macht. Aus welche Motivation Gesetze gebrochen wurden ist egal. Solange an der Eigentumsfrage, an dem Gewaltmonopol gerüttelt wird, leichte Zweifel manifestiert oder ausgedrückt werden, dann bis du fällig. Die Leitmotive darin spielen für die Henker der Geschichte keine Rolle. Es ist wie beim Einlass in einem Klub, dem Türsteher ist es egal warum du kein Ticket hast, solange du es nicht hast, kommst du nicht rein. Das Problem fängt an, wenn du den Klub abreißen willst, dich rein mogeln willst, oder denselben als ein Problem überhaupt siehst.
-Ja, aber die politischen Gefangenen handeln so, weil sie Bewusstsein haben! Nicht wie die anderen, die dumm sind!
Stimmt, diese Argumentation ist fast vergessen worden. Wir, die Schlauen, die Bewussten. Die wissen, warum sie handeln. Nicht wie die Anderen, die keine Ahnung haben. Die radikale Linke hat vor langer Zeit die Ausgebeuteten weltweit im Stich gelassen. Sie konnte dies ja auch tun, weil die meisten jener ja keine Ausgebeuteten im klassischen Sinne waren. Eben solche Ausgebeutete, die in der Vergangenheit als stolze Standarten der Revolution bis in die 80er gepriesen wurden und nun in ihrer Verarmung verkommen. Waren sie früher aber, bei einer 40/50-Std.-Woche auch. Man muss nur im Bergwerk, auf dem Bau oder im Stahlwerk gearbeitet haben, um etwas davon zu wissen, wie kaputt die Lohnarbeit macht. Aber es geht um eben diese moralische Überheblichkeit, die heutzutage als charakteristische Merkmale einer radikalen Linke gelten, anzuschauen, die von den Ausgebeuteten und den Knackis als ein Teil dieser, verlangt werden. Das heißt unter dem Strich, man verlangt von ihnen so hohe moralische Erwartungen – gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie – so das jede Entgleisung mit Ostrazismus folgt.

Da der Richterin, dem Staatsanwalt egal ist, welche die Leitmotive sind, die einen Menschen dazu treiben gewisse Dinge zu machen, warum sollte dann mit dieser Distinktion angefangen werden?
Sind solche Aussagen nicht mit der eigenen Unfähigkeit gepaart, nicht gesellschaftlich Handeln zu können? In einem sozialrevolutionären Sinne? Sind solche Aussagen nicht mit den eigenen Dogmen gepaart, die nicht erlauben außer der Logik der Avantgarde zu denken?
Für viele Gruppen sind diese Begriffe und diese Sprache dennoch von ungeheuerlicher Bedeutung, denn sie manifestieren ihre Wünsche, ihre Ziele, ihre Begierden und ihren Narzissmus.

Wer von politischen Gefangenen spricht, kämpft nicht gegen Knäste und genauso wenig gegen Herrschaft und Kapitalismus. Denn all diese Ausdrücke, die die Knechtschaft der Menschheit bestimmen, ergänzen und bestimmen sich gegenseitig. Aus einer fehlenden Kritik des Ganzen, fehlt das Bewusstsein für das Ganze. So wird unvermeidbar jede Opposition gegen die alte Welt, in sie wieder zurück katapultiert, aufgesaugt, rekuperiert oder zerstört. Theorie und Praxis erlangen eine revolutionäre Transzendenz aus ihrer Konsequenz und Kohärenz, die sozialen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit zu verstehen, um sie anzugreifen zu können.

Wer unbewusst oder bewusst, Events als politische Praxis verwendet, manipuliert Menschen, lässt sich durch den Reformismus und der Ideologie leiten. Sieht sich wie die Hand, die ein Schachbrett bedient und immer gerne auf die Bauern verzichten kann, die entbehrlich sind. Der Kampf gegen Herrschaft, gegen Kapital und Patriarchat kann nur im Alltag stattfinden. Alltag heißt, auf der Arbeit, Universität, Ausbildung, Schule, in der politischen Gruppe, etc..

Zu oft kann erlebt werden, dass am Ende jeder Mensch, der früher oder später zu der radikalen Linken stößt, deren Traditionen und Abläufe annimmt, ohne aber meistens zu wissen, wieso diese so sind und welcher ihr Ursprung ist. Was die konservative Seite dieser Linken angeht, steht jeder Mensch vor einem unbeweglichen Koloss, der nur dazu dient auf die Widersprüche einen riesigen Schatten zu werfen, damit diese nicht im Licht stehen. Deswegen erschien es so sinnvoll diesen Text mit dem Zitat von Marx zu beginnen, wo er auf diese Problematik deutete, die bis heutzutage nach wie vor besteht.

Denn wie Marx selber sagte, „die soziale Revolution (…) kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft.“

Es gibt keine politische Gefangene, sondern nur Gefangene!
Es gibt keine bewussten Arbeiter*innen, sondern nur Arbeiter*innen!
Es gibt keine erfolgreiche Events, sondern nur kontinuierliches Handeln!
Für eine klassenlose Gesellschaft ohne Knäste!
Für die Anarchie!

Soligruppe für Gefangene

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Ergänzungen

Genau, daher ist das Handeln für Solidarität mit den politischen Gefangenen auch wichtiger als die reine postmoderne Theorie.

Im Rahmen des 18. März gab es seit den 90ern sehr viel kontinuerliches Handeln für die Gefangenen. Mensch könnte meinen ihr negiert dies, um ja nicht am eigenen Handeln gemessen werden zu können.