POLITISCHER HUNGERSTREIK IN TÜRKISCHEN GEFÄNGNISSEN UND IN EUROPA

HDP-Abgeordnete Leyla Güven im Hungerstreik ++ Kurdische GEfangene in türkischen Gefängnissen ebenfalls im Hungerstreik +++ In Europa leiteten Kurdinnen und Kurden ab dem 6. Dezember in
vielen Städten einen Solidaritätshungerstreik ein

POLITISCHER HUNGERSTREIK IN TÜRKISCHEN GEFÄNGNISSEN UND IN EUROPA
 
Seit dem 07. November 2018, also seit nun 42 Tagen, befindet sich die
kurdische Politikerin und HDP-Abgeordnete Leyla Güven im Hungerstreik,
um auf die derzeitige Lage Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen.
Sie
erklärte dazu in einer Grußbotschaft: „Ich werde meine Aktion
fortsetzen, bis ich eine Antwort erhalten habe. Ich weiß, dass dies ein
gerechter Kampf ist und wir siegen werden.“

Von Abdullah Öcalan, dem Repräsentanten der kurdischen Bevölkerung, der
sich seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus der griechischen
Botschaft im kenianischen Nairobi am 15. Februar 1999 in türkischer
Isolationshaft befindet, gibt es seit dem 11. September 2016 kein
Lebenszeichen mehr. Bereits seit dem 27. Juli 2011 haben zudem keine
Anwaltsgespräche mehr mit dem Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung
stattgefunden.

Um gegen das Unrechtssystem in der Türkei zu protestieren, trat die seit
Anfang des Jahres wegen ihrer Kritik an der türkisch-faschistischen
Militärinvasion in Afrin inhaftierte HDP-Abgeordnete Leyla Güven am 7.
November in einen unbefristeten Hungerstreik.

Leyla Güven löste mit ihrer Aktion eine Welle der Solidarität aus:

Neben zahlreichen weiteren politischen Gefangenen, die sich am 27.
November dem Hungerstreik von Leyla Güven angeschlossen haben, finden
nun auch in vielen anderen Orten der Türkei und Nordkurdistans
Solidaritätsstreiks statt.
Vor wenigen Tagen hat die Solidaritätswelle auch Rojava (Nordsyrien)
erreicht.

Auch in Europa leiteten Kurdinnen und Kurden ab dem 6. Dezember in
vielen Städten einen Solidaritätshungerstreik ein. Zahlreiche
Aktivist_innen aus Hamburg, Köln, Darmstadt, Hildesheim, Frankfurt,
Stuttgart, Berlin, Nürnberg, London, Bern, Wien, Marseille, Athen,
Stockholm, Den Haag und Paris beteiligten sich an dem Hungerstreik. Am
17. Dezember 2018 wurde in Straßburg ein unbefristeter Hungerstreik mit
18 Teilnehmenden ausgerufen und wird aktuell fern von der europäischen
Öffentlichkeit abgehalten.

Protestform hat einen neuen Höhepunkt erlangt:

Zur Zeit erreichen uns zahlreiche Nachrichten aus türkischen
Gefängnissen darüber, dass sich immer mehr kurdische Gefangene dazu
entschieden haben, in einen unbefristeten Hungerstreik zu treten, um
gegen die Isolation Öcalans und gegen die türkische Invasion in Rojava
zu protestieren.
Der Hungerstreik ist die radikalste Aktionsform für politische Gefangene
und Aktivist_innen, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Sie
ist ein selbstloser Akt zur Bekanntmachung von drängenden Missständen
und gleichzeitig ein Aufruf an die Gesellschaft, Solidarität praktisch
werden zu lassen.

Zuletzt ging der türkische Staat mit zahlreichen Verhaftungen und
Foltermethoden gegen aus Solidarität Hungerstreikende vor. In
zahlreichen Städten in der Türkei wurden dutzende Hungerstreikende
festgenommen. Türkische Polizisten stürmten dafür Vereinshäuser der HDP
und private Wohnungen kurdischer Bürgerinnen und Bürger.
Die türkische Regierung unternimmt jede Art repressiver Maßnahmen, um
den Widerstand gegen Staatsstrukturen zu brechen und zu unterbinden.


Sowohl hinter den türkischen Gefängnismauern, als auch in der aktuellen
politischen Lage um Kurdistan wiederholt sich vor den Augen der
Weltöffentlichkeit die Geschichte.

In der Türkei lässt sich, aus kurdischer Sicht, eine den Zeiten des
Militärputsches vor 40 Jahren ähnelnde politische Landschaft
verzeichnen. Jegliche politische Aktivität von Kurd_innen wird auf das
Terrain der Illegalität gedrängt. Zusätzlich wird versucht,
Aktivist_innen durch repressive Methoden einzuschüchtern. Auch hier in
der Bundesrepublik erkennen wir dieselben Kriminalisierungsformen, die
uns an türkische Verhältnisse erinnern. Um gegen das faschistische,
menschenverachtende und gewaltsame Vorgehen des türkischen Staates
vorzugehen bzw. diesem ein Ende zu setzen, ist die Beendigung der
Totalistolation von Abdullah Öcalan von höchster Bedeutung.

Zum Hintergrund des Hungerstreiks:

Abdullah Öcalan gilt in der Türkei seit Jahrzehnten als Staatsfeind
Nummer 1. 
Ihm gelang es, die unterdrückte kurdische Gesellschaft zu
einem historischen Aufstand zu bewegen und einen kollektiven Widerstand
gegen die etlichen Vernichtungs- und Assimilierungsversuche der
türkischen Regierung auszurufen, der heute zum Existenzgaranten der
Kurdinnen und Kurden wurde.

Öcalan schaffte es, die Kurdinnen und Kurden von der Notwendigkeit einer
demokratischen und konföderalistischen Alternative zu überzeugen. Damit
wurde die Idee eines eigenen Staates überschrieben und verabschiedet.
Er legte zudem die theoretischen und praktischen Grundlagen für die
Revolution in Rojava, die Befreiung der Frau, ein ökologisch gerechtes
Leben und das HDP-Projekt in der Türkei.
Trotz Gefängnismauern und eingeschränkter Möglichkeiten inspirierte er
Millionen Menschen. In Rojava bauten die Menschen nach seinen Ideen eine
multiethnische, multireligiöse und 
demokratische
Gesellschaftsalternative auf.

Öcalan widmete sein Leben dem Kampf für Demokratie, Frieden und der
Lösung der kurdischen Frage. Er initiierte zahlreiche einseitige
Waffenstillstände und unterbreitete konstruktive Lösungsvorschläge, um
den von der türkischen Regierung erschaffenen Konflikt zu beheben. 
Auch
Regierungen der Türkei suchten oftmals den Kontakt zu ihm und gaben
damit deutlich zu verstehen, dass sie Öcalan als Schlüsselrolle für eine
Lösung des Konflikts anerkennen. 
Zwischen 2012 und 2015 führte selbst
die AKP-Regierung Verhandlungen mit ihm. Darin schlug Öcalan einen
schrittweisen Friedensplan vor: Von vertrauensbildenden Maßnahmen über
einen Waffenstillstand unter internationaler Beobachtung bis hin zu
einer dauerhaften politischen Lösung der kurdischen Frage.

Die Verhandlungen wurden im April 2015 (offiziell jedoch schon viel
früher) seitens der Türkei abgebrochen und mit blutigen Massakern an der
kurdischen Bevölkerung beantwortet. Der türkische Staat zeigte sich bis
heute nicht bereit, Lösungen für Konflikte zu liefern oder Vergangenes
aufzuarbeiten. Er setzt auf Vergesellschaftung einer rassistischen und
hetzerischen Ideologie und auf die systematische Verfolgung, Ausgrenzung
und Tötung von ethnischen, religiösen, politischen und sexuellen
Minderheiten.

„Feindbild“ Öcalan - die Angst vor dem Fortschritt

Öcalans Ideen des demokratischen Konföderalismus, dessen Grundpfeiler
die Basisdemokratie, die Frauenbefreiung, Antikapitalismus,
Geschlechterbefreiung und ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein
sind, besitzen heute internationalen Charakter und verbreiteten sich
weltweit.
Besonders die politische Organisierung, Pluralismus und die Autonomie
der Kurdinnen und Kurden, hat für den ethnisch-nationalistischen Staat
der Türkei seit Jahrhunderten hohes Gefahrenpotenzial.

Aus diesem Grund richtet sich die totale Isolation von Öcalan nicht nur
gegen ihn als Person. Sie betrifft 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger
und ebenso die Zukunft der Türkei. Denn zusammen mit der Isolation wurde
die Entscheidung zum faschistisch motivierten Krieg gegen die Kurdinnen
und Kurden getroffen.

Der Aufstand der Hungerstreikenden mit seinen Hintergründen muss in
einen globalen Kontext gesetzt werden. Menschenrechte dürfen nicht
aberkannt und völkerrechtswidrige Verbrechen nicht unbenannt und legitim
sein!

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