Antifa Reutlingen Tübingen *[ART]* – Auflösungserklärung

Nach acht Jahren Antifa Reutlingen Tübingen haben wir uns gedacht: Man sollte aufhören, bevor es am schlimmsten ist.

 

Zunächst ein Blick in die Vergangenheit. Die Jahre waren gefüllt mit den unterschiedlichsten Erfahrungen. Wir konnten uns in unterschiedlichen Strategien und Methoden ausprobieren. Unsere Gruppe und unsere inhaltlichen Schwerpunkte veränderten sich mit der Zeit, mit den immer wieder neuen Menschen in der Gruppe und aufgrund von äußeren Anforderungen.

 

Insgesamt war es eine sehr gute Zeit. Aber seien wir ehrlich, es gab auch immer wieder weniger gute Zeiten. Gut waren die Kraft spendenden solidarischen Erfahrungen innerhalb unserer Gruppe und in der Zusammenarbeit mit Anderen. Wir konnten uns über erfolgreiche politische Aktionen freuen. Wir konnten uns individuell und als Gruppe (durch Diskussionen und anderes) weiterbilden und weiterentwickeln.
Manchmal war aber auch die Enttäuschung von der und durch die Gesellschaft groß. Es gab träge Phasen in der politischen Arbeit, weil wir uns überfordert fühlten, uns der kapitalistische Alltag völlig vereinnahmte und manche von uns mit Diskriminierung oder Depression zu kämpfen hatten. Wir mussten uns mit staatlicher Repression herum schlagen und uns um Geld kümmern.

 

Wir sind froh, dass wir trotz allem unsere Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, also auf ein besseres Leben für Alle, nicht verloren haben!
Wir sind uns sicher, dass der Gang der Geschichte nicht vorherbestimmt ist. Es gibt jedoch Richtungen, die aufgrund der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse wahrscheinlicher sind. Das heißt immer stärkere Verwertungslogik bis in die kleinste Faser der Gesellschaft, mehr Abschottung, mehr Nationalismus, mehr Diskriminierung, weniger Solidarität, weniger Rücksichtnahme. Die Liste kann beliebig weiter ergänzt werden … eben ein Zuwachs der Gesamtscheiße, die ihr auch alle kennt. Solange aber doch die Chance auf Veränderung hin zu einer solidarischen Gesellschaft besteht, sehen wir es als unsere Verantwortung etwas dafür zu tun, dass diese Zukunft wahrscheinlicher wird.

 

Nun zurück zu unserem einleitenden Satz. Warum lösen wir uns dann eigentlich auf?
Wir haben schon seit Langem einen sehr weit gefassten Begriff davon, was Antifa-Arbeit bedeuten kann. Diese reicht von Abwehrkämpfen gegen rechte Bewegungen, über Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Privilegien bis zur Arbeit am Aufbau einer solidarischen und somit antifaschistischen Gesellschaft. Für vieles, das über Abwehrkämpfe hinaus geht, bleibt aber im politischen Alltag einer Antifa-Gruppe zumeist keine Zeit. Immer wieder ist man in der Region mit faschistischen oder neonazistischen Einzelpersonen, Gruppen und Veranstaltungen konfrontiert, die eine Reaktion und Widerstand erfordern. Oftmals sahen wir uns in einem permanenten Abwehrkampf gefangen, der keine Zeit mehr für Reflexion und selbstbestimmte Themensetzung ließ. Zusätzlich scheint es in der außerparlamentarischen Linken einen unausgesprochenen Konsens zu geben, welche Aufgaben eine Antifa-Gruppe zu erledigen hat. Durch diesen Konsens haben wir uns zum Einen selbst unter Druck gesetzt, sich „um alles was mit Rechten zu tun hat“ zu kümmern. Zum Anderen haben wir es manchmal als Erwartung empfunden, die von Außen an uns herangetragen wurde.

 

Was für uns am Wichtigsten ist: Wir haben gemerkt, dass das ständige „Hinterherhetzen“, das ständige Reagieren, uns über die Jahre ausgelaugt hat. Damit wollen wir nicht sagen, dass antifaschistischer Abwehrkampf nicht wichtig ist, wir halten ihn sogar für unverzichtbar.
Der offensichtliche Widerspruch ist uns bewusst, lässt sich für uns jedoch derzeit nicht auflösen.
Wir wollen daher unsere Gedanken zu diesem Problem und unsere daraus gezogenen Konsequenzen teilen. Öffentlich machen wollen wir unseren Prozess, weil wir glauben, dass auch andere Menschen und Gruppen diese Probleme kennen und wir halten es für wichtig, diese bekannt zu machen, um sie so der Reflexion und Diskussion zugänglich zu machen.

 

Wir denken, dass die Resignation, das „Ausgelaugtsein“, in vielen politischen Gruppen auftritt. Oftmals wird sich dies (vielleicht aus einem gewissen Verantwortungsgefühl heraus) nicht eingestanden. Wir haben auch die Gefahr gesehen, dass „Misserfolge“ in der politischen Arbeit auf persönliches Versagen geschoben werden. Man wirft sich vor, nicht alles versucht zu haben, mit der Konsequenz, die Probleme, mit denen wir alle konfrontiert sind, zu individualisiern, so wie es in der Gesellschaft passiert, die wir doch kritisieren. Die Folge: Ein schleichender Prozess hin zur Auflösung der Gruppe und im schlimmsten Fall zur generellen Abkehr der einzelnen Menschen von politischer Praxis.
Dieser Gefahr wollten wir entgehen und uns aktiv mit der Problematik auseinandersetzen.

 

Zusätzlich waren wir als Gruppe mit sich verändernden Lebensrealitäten einzelner Menschen, sowie inhaltlichen und methodischen Interessensverschiebungen, konfrontiert. Häufig genügt es, solchen Herausforderungen mit einer Umstrukturierung zu begegnen. In diesem speziellen Fall hatten wir das Gefühl, es ist aufgrund zu eingeschliffener Gewohnheiten und Routinen ein klarer Schnitt nötig.
Unsere Konsequenz liegt daher in der Auflösung der Gruppe. Aber nicht weil wir aufgegeben haben, sondern weil wir den Weg für neue Perspektiven und Entwicklungen für uns frei machen wollen.
Das heißt jedoch nicht, dass wir uns von politischer Arbeit abwenden wollen.


 

Stets bemüht und meistens pünktlich,
*[ART]* – Antifa Reutlingen Tübingen

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