Razzien in Berlin

Am Morgen des 15.11.2018 wurden mit 560 Bullen vier Wohnungen in Berlin durchsucht. Als eine der betroffenen WGs wollen wir mit diesem Text den Ablauf unserer Durchsuchung und unsere Sicht der Dinge darstellen.

 

Am Morgen des 15.11.2018 wurden mit 560 Bullen vier Wohnungen in Berlin durchsucht. Als eine der betroffenen WGs wollen wir mit diesem Text den Ablauf unserer Durchsuchung und unsere Sicht der Dinge darstellen.

Die Durchsuchung

Um sechs Uhr früh brachen die Bullen mit einer Ramme unsere Tür ein und stürmten in die einzelnen Räume. Nachdem sie uns alle kurzzeitig in Handschellen in unseren Zimmern fest hielten, wurden wir in die Küche geführt, wo uns der Durchsuchungsbeschluss vorgelegt wurde. Wir verlangten ein Telefonat mit unserem Anwalt, was uns nur unter der Bedingung gestattet wurde, dass der Einsatzleiter selber den Anruf tätigt. Einzeln wurden die Zimmer, jeweils in Begleitung einer Person durchsucht. Das ganze Schauspiel zog sich knapp zwei Stunden hin, der letzte Akt beinhaltete eine dritte vierzig minütige Kontrolle unserer Ausweise um einen möglichen Haftbefehl gegen einen von uns zu prüfen.Mit ein paar voll gestopften Tüten unserer Sachen, zogen sie dann schließlich wieder ab, nachdem sie uns noch freundlich mitteilten, dass die Tür sicherlich ohne Problem wieder einzubringen sei.

Der Hintergrund

Interessant ist an diesem medial inszenierten Schauspiel der Hintergrund der Durchsuchungen. Der Vorwurf gegen die Betroffenen ist gefährliche Körperverletzung und basiert auf zwei Vorfällen in einem Späti in der Reichenberger straße im Mai diesen Jahres. Am Vormittag wird eine Frau von dem Späti- Inhaber nach einer verbalen Auseinandersetzung körperlich attackiert. Auf einer Überwachungskamera im Laden sieht man, wie die beiden in einen Streit geraten, die Frau wirft ein paar Süßigkeiten auf den Boden und verlässt den Laden. Der Mann verfolgt sie auf die Straße, die nicht mehr von der Kamera erfasst wird. Zu hören ist nur noch die Frau, wie sie um Hilfe schreit. Später am Abend betritt eine Gruppe von Menschen den Späti, nachdem eine Person ein paar Gegenstände auf den Boden wirft, kommt der Späti Inhaber hinter seinem Tresen hervor und schlägt ihr gezielt ins Gesicht.Nach einem kurzen Gerangel verlässt die Gruppe den Laden.Für die Bullen und die BZ gibt es keinen Zweifel, dass diese beide Vorfälle miteinander in Verbindung stehen. In den Medien ist sofort nach den Durchsuchungen von einer organisierten Aktion zu lesen, in der die Frau einen Schlägertrupp in den Späti geschickt habe um sie zu rächen. Woher genau diese Annahme kommt, bleibt unklar. In den Medien, besonders in Hetzblättern wie der BZ, werden Annahmen und Verdächtige sofort zu Wahrheiten und Täter*innen. Über die Frage, warum überhaupt diese Aktion Razzien mit 560 Bullen nach sich zieht, lässt sich nur spekulieren. Schließlich wird in Berlin circa einmal pro Woche ein Späti überfallen, dann meistens auch noch mit Waffen. Möglicherweise weil die ermittelnden Behörden, die Verdächtigen einem linksradikalen Umfeld zuordnen und uns mal wieder das Gewaltmonopol des Staates ins Gedächtnis rufen wollen.

Was tun

Die Bullen in der eigenen Wohnung zu haben und zuschauen zu müssen, wie sie die persönlichen Sachen durchwühlen, ist immer ein erniedrigendes Gefühl. Daher haben wir uns um so mehr gefreut, über die vielen Menschen, die den Tag über vorbei gekommen sind um nach uns zu schauen. Mit Solidarität lässt sich auch die Angst und Hilflosigkeit überwinden. In diesem Jahr, haben wir in Berlin viele Hausdurchsuchungen erlebt, wir dürfen uns davon nicht lähmen lassen, sondern müssen uns schlichtweg gut darauf vorbereiten.

Dazu gehören wie immer:

  • die Wohnung sauber halten

  • Computer und Datenträger verschlüsseln

  • Notfallnummer von Anwält*innen parat haben

  • Vernetzung mit anderen WGs und Projekten

 

Kommt zur Demo am Freitag den 23.11. um 17 Uhr am Heinrichplatz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ergänzungen

Da Indy den Artikel immer wieder löscht, hier nochmal als Kommentar:

Mit aller Härte für das Patriarchat

Donnerstag, 15.11.2018, kurz vor 6 Uhr morgens. An vier Orten in Berlin stürmen Bullen, geleitet vom Dir 5 K33 in Wohnungen, um sie zu durchsuchen. 560 Bullen, inklusive technischen Einheiten, SEK und Helikopter werden eingesetzt. Schlösser werden aufgebohrt, Türen aufgebrochen oder aber gleich mit Rahmen aus der Wand gerissen. Bewaffnete Vermummte holen Leute aus ihren Betten und fesseln sie am Boden liegend. In der Rigaer Straße nimmt ein SEK, ausgerüstet mit Sturmgewehren, vom Dach aus alles ins Visier was sich bewegt. Gesucht wird nach Kleidung, Schuhen, Handys, Kalendern und Notizbüchern, mitgenommen wird nur sehr wenig. Eine Person wird vorläufig festgenommen und zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach Tempelhof gebracht. Vorgeworfen wird den Beschuldigten gefährliche Körperverletzung & Sachbeschädigung, sowie die Anstiftung dazu.

Anlass war, wie sich herausstellte, ein von den meisten überhaupt nicht beachtetes Ereignis im Mai 2018. Eine der beschuldigten Personen soll die anderen dazu „bestimmt“ haben, einen Spätkaufbetreiber in seinem Laden in der Reichenberger Straße aufzusuchen, „um diesen zu schlagen und zu treten sowie seine Waren zu beschädigen“ - weil die Person ihr Paket von besagtem Spätkaufbetreiber nicht bekommen haben soll, so die Springerpresse. Grundlage dieser Vorwürfe sind die Aufnahmen der Überwachungskameras des Spätkaufs, die bereits in Teilen im Nachgang der Tat von der Bild veröffentlicht wurden. Was also ist auf den zusammengeschnittenen Aufnahmen zu sehen? Eine Frau betritt einen Spätkauf, laut Untertiteln um ein Paket abzuholen. Der Spätkaufbetreiber Mustafa T. möchte der Frau ihr Paket allerdings nicht aushändigen, da sie ihren Personalausweis nicht vorzeigen kann. Es kommt zu einem Streitgespräch, und zu einem Schnitt im Video. Die Frau verlässt daraufhin den Laden, und wirft dabei einige Schokoriegel auf den Boden. Der Spätkaufbetreiber stürmt ihr hinterher, beide verschwinden aus dem Blickfeld der Kamera. Anschließend hört man die Frau schreien, und weinend um Hilfe rufen. Eine während des Streits in den Spätkauf gekommene Person redet auf den Spätkaufbetreiber ein, dass er die Frau loslassen soll. Es gibt einen weiteren Schnitt. Einige Vermummte betreten den Laden. „Du hast eine Frau angefasst. Das ist dafür, das machst du nie wieder!“, rufen die Vermummten laut Untertiteln. Eine Weinflasche und ein Kaugummiregal werden umgeworfen. Der Spätkaufbetreiber kommt hinter der Theke hervor und fängt an Personen zu schlagen. Es kommt zu einer Rangelei, der Spätkaufbetreiber fällt hin, die Vermummten verlassen den Laden. Der Spätkaufbetreiber läuft den Vemummten nach, schreit ihnen „Ihr Hürensöhne!“ hinterher.

Anschließend kam es zu polizeilichen Ermittlungen. DNA-Proben von Blutspritzern an der Tür wurden genommen, die Videoaufnahmen ausgewertet. Ein LKA-Beamter der Abteilung für politisch motivierte Straftaten - links meint, 7 Vermummte erkannt zu haben. Besagter PMS-Beamte hat sich in der Vergangenheit bereits regelmäßig damit hervorgetan, Menschen identifiziert haben zu wollen (so zum Beispiel auch hier: https://de.indymedia.org/node/21679), und die Glaubwürdigkeit von besagtem PMS-Beamten wurde in der Vergangenheit bereits mehrmals infrage gestellt.

So weit, so klar. Oder auch nicht. Während die Springerpresse von einem Rollkommando schreibt, welches die betroffene Frau aus Rache geschickt habe, weil sie ihr Paket nicht bekommen hat, wird dem Spätibesitzer weitreichend Platz gelassen, um sich als Opfer darzustellen. Er könne ja überhaupt nicht verstehen, warum er so brutal angegriffen wurde. Auch Geisel rechtfertigt die Durchsuchungen mit Ermittlungen im „kriminellen Milieu“. Es handele sich zwar „um Sympathisanten der linken Szene, die auch schon mit politisch motivierten Straftaten auffällig wurden“, bei der Straftat bestehe jedoch kein politischer Hintergrund. Einziges Motiv der Vermummten soll gewesen sein, sich für das nicht bekommene Paket zu rächen, und den Kiez mit Gewalt zu terrorisieren. Sowohl Geisel und die Berliner Bullen als auch die Copy&Paste-Expert*innen aus den Redaktionen zeigen Unverständnis darüber, dass die Verweigerung der Herausgabe des Pakets eine solche Reaktion hervorrufen kann. Keine der über den Vorfall berichtenden Medien gehen auf den mittleren Teil des Videos ein, in den Aufnahmen ist eine Frau zu hören die um Hilfe schreit und Vermummte rufen „Du hast eine Frau angefasst. Das ist dafür, das machst du nie wieder.“ Unserer Meinung nach wurde hier ein Mann mit seinem gewalttätigen Verhalten konfrontiert. Die Reaktionen auf den Vorfall zeigen einmal mehr in ihrer brutalen Ehrlichkeit, wie der Status quo im Umgang mit Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft ist. Sie verdeutlichen die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft, die Täter schützen und Frauen unterdrücken.

Frauen, die ihr Leben lang keine verbale, sexualisierte, physische, psychische Gewalt erleben müssen, sind sowohl die mit Glück gesegnete als auch die absolute Minderheit. Mehr als jede dritte Frau in Deutschland wurde Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt, die Hälfte aller Frauen ist betroffen von sexueller Belästigung. Alle zwei bis drei Tage wurde 2017 in Deutschland eine Frau von ihrem aktuellen oder früheren Partner ermordet. Patriarchale Gewalt ist immer noch eine der Hauptursachen für unnatürlichen Tod und Behinderungen von Frauen zwischen 15 und 44 Jahren weltweit.

Das alles ist nicht neu. Es ist vielmehr alltägliche Praxis, dass Politiker*innen und Medien die Seite der Täter einnehmen, und patriarchales Verhalten unsichtbar machen. Genauso ist es nichts Spektakuläres oder Ungewöhnliches, dass ein Innensenator und seine Bullen versuchen, Menschen aus der linksradikalen Szene als gesellschaftsschädigend darzustellen, um sie zu isolieren. Vielmehr sollte es uns darin bestärken, uns selbst zu organisieren und unsere Probleme gemeinsam und solidarisch zu lösen. Es muss uns darin bestärken, nicht auf bürgerlich-reaktionäre Medien und aufmerksamkeitshaschende Politiker*innen reinzufallen, sondern handlungsfähige Strukturen aufzubauen, in denen wir unsere Belange und Probleme kollektiv lösen können. Strukturen, die in der Lage sind, sich selber und andere zu verteidigen.

In diesem Sinne: Den anti-patriarchalen Selbstschutz aufbauen!
Kommt zur FLTI-Demonstration „Unser Leben, unser Widerstand! Brecht das Schweigen, nieder mit dem System!“ zum Internationalen Tag für das Ende der Gewalt gegen Frauen!
Sonntag, 25.11. | 15 Uhr | Hermannplatz

Kommt zur Demonstration gegen Hausdurchsuchungen und Medienhetze!
Freitag, 23.11. | 17 Uhr | Heinrichplatz

Für ein Leben ohne Angst – für ein Leben in Freiheit!

Einige Beschuldigte