Kurdische Intifada

Der Angriff des Islamischen Staates auf die syrisch-türkische Grenzstadt Kobane könnten den Beginn eines kurdischen Massenaufstandes bedeuten – und das Ende des Friedensprozesses mit der Türkei -

 

 

 

Der Islamische Staat (IS) steht vor Kobane. Die im kurdischen Teil Syriens, Rojava, gelegene Stadt hat eine nicht zu unterschätzende strategische Bedeutung für diejenigen, die seit Jahren hier kämpfen, Selbstverwaltungsstrukturen aufbauen und verfolgten Minderheiten Schutz vor den konfessionellen und ethnischen Gewaltorgien diverser Milizen, die im syrischen und irakischen Bürgerkrieg agieren, bieten. Die hier regierende PYD und die Volksverteidigungseinheiten YPG versuchen verzweifelt, die Stadt zu halten, die Nachrichtenlage allerdings ist unübersichtlich. Mussten zunächst dutzende Dörfer im Umland von Kobane geräumt werden, weil schwer bewaffnete Truppe des IS vorrückten, hieß es am heutigen Montag kurzfristig, die Attacke sei gestoppt worden. Wenige Stunden später häufen sich die Berichte von schwereren Gefechten und Granatbeschuss durch die Dschihadisten-Miliz wieder.

 

Man darf sich nichts vormachen: Fällt Kobane, so ist alles in Gefahr,

Der Angriff des Islamischen Staates auf die syrisch-türkische Grenzstadt Kobane könnten den Beginn eines kurdischen Massenaufstandes bedeuten – und das Ende des Friedensprozesses mit der Türkei -

 

Der Islamische Staat (IS) steht vor Kobane. Die im kurdischen Teil Syriens, Rojava, gelegene Stadt hat eine nicht zu unterschätzende strategische Bedeutung für diejenigen, die seit Jahren hier kämpfen, Selbstverwaltungsstrukturen aufbauen und verfolgten Minderheiten Schutz vor den konfessionellen und ethnischen Gewaltorgien diverser Milizen, die im syrischen und irakischen Bürgerkrieg agieren, bieten. Die hier regierende PYD und die Volksverteidigungseinheiten YPG versuchen verzweifelt, die Stadt zu halten, die Nachrichtenlage allerdings ist unübersichtlich. Mussten zunächst dutzende Dörfer im Umland von Kobane geräumt werden, weil schwer bewaffnete Truppe des IS vorrückten, hieß es am heutigen Montag kurzfristig, die Attacke sei gestoppt worden. Wenige Stunden später häufen sich die Berichte von schwereren Gefechten und Granatbeschuss durch die Dschihadisten-Miliz wieder.

Man darf sich nichts vormachen: Fällt Kobane, so ist alles in Gefahr,

 

was die kurdische Bewegung sich in Syrien in den vergangenen Jahren unter schwierigsten Bedingungen und gegen permanente Rückschläge ankämpfend aufgebaut hat. Die Anfänge von Rätestrukturen, die demokratischen Meinungsbildungsprozesse, die Freiheiten, die man hier im Vergleich zu anderen Gebieten in der Region genoss – all das wird im Blut von KämpferInnen und ZivilistInnen ertränkt werden, wenn die Kopfabschneider ihren Weg in die Stadt finden.

Wer sich die militärische Lage in Rojava ansieht, darf die Rechnung nicht ohne einen der wichtigsten Player in der Region machen: Die Türkei. Immer klarer wird, dass sie ein doppeltes Spiel spielt, ein Spiel, mit dem sie sich tatsächlich in eine komfortable Position gebracht hat: Vor der Weltöffentlichkeit präsentiert man sich als der Staat, der abertausenden Geflüchteten aus Syrien und dem Irak Zuflucht bietet. Gleichzeitig weigert man sich nicht nur, den IS als “terroristisch” zu bezeichnen und sich an seiner Bekämpfung zu beteiligen, sondern unterstützt ihn weiterhin direkt.

 

Indizien dafür, dass der Support, den die türkische Regierung (und vor allem Geheimdienstkreise des berühmt-berüchtigten MIT) IS und anderen dschihadistischen Gruppen in Syrien seit Jahren zukommen lassen, ungebrochen seine Fortsetzung findet, gibt es genügend. Da wäre zum einen die ominöse Freilassung jener türkischer Geiseln, die der IS bei der Eroberung Mossuls aus der dortigen türkischen Botschaft entführt hat. Das geradezu frisch wirkende Botschaftspersonal wurde vor einigen Tagen – so stellt es Ankara dar – in einer “nächtlichen Rettungsoperation” befreit. Es sei keine militärische Befreiung, sondern eine Übergabe gewesen, allerdings habe man im Gegenzug keine Gefangenen freigelassen oder Lösegeld gezahlt, heißt es aus türkischen Regierungskreisen. Staatspräsident Tayyip Erdogan sprach von einem “diplomatischen Erfolg”, den man durch “Kontakte” erreicht habe.

Abgesehen davon, dass schon das davon zeugt, dass man zum einen den IS als Verhandlungspartner anerkennt, zum anderen aber über “Kontakte” zu ihm verfügt, bezweifeln viele BeobachterInnen, dass es keine Gegenleistungen gegeben hat. Kurdische Nachrichtenquellen berichten zum einen von Transit für IS-Militante durch die Türkei, vor allem aber auch von direkten Waffenlieferungen. Devris Cimen von der Nachrichtenagentur Civaka Azad schreibt, dass “nach Angaben von Augenzeugen türkische Soldaten dem IS am Morgen des 20. September mit fünf Militärfahrzeugen Waffen und Militärgerät geliefert haben. Die Übergabe soll zwischen den Dörfern Qeremox und Eny El-Bat im Osten von Kobanê stattgefunden haben.” Darunter sollen sich “unter anderem Mörsergranaten und schwere Geschütze befunden haben”. Er fügt hinzu: “Im Übrigen ist hier anzumerken, dass der große Teil der türkischen Bewaffnung aus deutschen Waffenexporten und Geschenken im Rahmen der NATO-Partnerschaft stammen.” Im Internet kursierende Videos – ursprünglich wohl aus einem kurdischen Regionalsender – zeigen zudem Aufnahmen eines Zuges, der Panzer und schweres Gerät über türkisch kontrolliertes Gebiet an den IS liefern soll.

 

Gleichzeitig greifen türkische Soldaten an der Grenze zu Syrien immer wieder KurdInnen an – und zwar sowohl diejenigen, die aus Syrien fliehen wollen, wie auch diejenigen, die nach Syrien gehen wollen, um dort zu helfen oder zu kämpfen. Tränengas, Blendgranaten und sogar scharfe Munition werden dabei eingesetzt, es gibt eine Reihe Verletzter, darunter auch Kinder.

Der Plan der türkischen Regierung könnte dabei nicht nur sein, dem Islamischen Staat zu ermöglichen, das kurdische Autonomieprojekt im Norden Syriens, das man immer als Gefahr für die Türkei betrachtete, zu zerstören. Angedacht könnte auch sein, durch das Mittel einer “Pufferzone” eigene Truppen die Grenze überqueren zu lassen und selbst Hand anzulegen. “Die Türkei hat mit dem IS keine Probleme”, schreibt der türkische Publizist Haluk Gerger. “Der IS führt einen Stellvertreterkrieg für die Türkei – gegen die Kurden. Im Falle einer Bodenoffensive gegen den IS, würde das türkische Militär sich aus taktischen Gründen an dieser beteiligen oder eine Pufferzone schaffen. In diesem Fall würde der Traum der türkischen Regierung in Erfüllung gehen, denn dann wäre die Türkei militärisch in Syrien / Rojava präsent. Eine Warnung für all diejenigen, die davon ausgehen, dass die türkische Regierung in einem Dilemma stecken würde. Ja, es gibt Widersprüche und Hindernisse, aber die Türkei hat auch Pläne, um diese Hindernisse zu bewältigen.“

Hilfe von den USA, der EU oder sonst einem Partnerland der Türkei hätten die KurdInnen dabei sicher nicht zu erwarten. Dessen dürfte man sich auch in den Führungsetagen von PKK und YPG zunehmen bewusster werden. Bereits in den vergangenen Tagen kam es zu Massenmobilisierungen in einigen kurdischen Städten, die Jugend Kurdistans wurde dazu aufgerufen, sich dem Widerstand in Kobane anzuschließen. Am heutigen Montag wurden die Töne dann zunehmend schärfer. Der auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft gehaltene Gründer der PKK, Abdullah Öcalan, rief durch seinen Anwalt Mazlum Dinc zur Massenmobilisierung der KurdInnen in allen Teilen Kurdistans, also auch der Türkei, auf. Deutlicher noch meldete sich die Union der Gemeinschaften Kurdistans KCK zu Wort: “Nun ist die Zeit, unsere Würde zu verteidigen. Es darf kein Limit für unseren Widerstand geben.” Die Unterstützung des IS durch die Türkei sei ein Akt der “Feindseligkeit”. “Jede Kugel, die von den ISIS-Gangs auf Kurdistan abgefeuert wurde, wurde vom türkischen Staat abgefeuert. Das müssen die KurdInnen verstehen und dementsprechend handeln.” Ähnlich hat offenbar PKK-Führer Murat Karayılan erklärt, die Türkei habe den KurdInnen “den Krieg erklärt”.

Zwar hat die Führung der kurdischen Arbeiterpartei in den vergangenen Monaten öfter anklingen lassen, dass sie mit dem “Friedensprozess” mit der Türkei unzufrieden sei, da die Guerilla zwar sämtliche Zusagen einhalte, der türkische Staat aber umso weniger. So deutlich waren die Aussagen aber selten. Und sie deuten die einzig mögliche Lösung an. Die Türkei ist Teil des Problems, ohne eine Offensive innerhalb der Türkei wird es schwierig sein, Kobane die Luft zum Atmen zu verschaffen, die es braucht. Ob das eine militärische Offensive der PKK sein müsste, kann man bezweifeln, zumal sie eine weitere Front wahrscheinlich nicht stemmen könnte. Aber einen massenhaften Aufstand der kurdischen Bevölkerung, eine Art Intifada, idealerweise unter Beteiligung jener Teile der türkischen Bevölkerung, die genug von Erdogan und seiner AKP haben, könnte in jedem Fall nicht schaden.

– Von Peter Schaber

 

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Ergänzungen

wir wissen das man sich daran nicht aufhängen sollte, aber bei den

kurdischen genoss_innen heist es immer noch Serhildan und nicht Intifada.