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Event Datum: 
Samstag, Mai 10, 2014 - 14:00
Stadt/Region: 
Die Zustände in Bad Reichenhall sind weiterhin unerträglich. Es war offensichtlich ein Fehler kleine Zeichen, wie die Umbenennung der Reichenhaller Bundeswehrkaserne, 1 als erste Schritte in Richtung einer demokratischen Aufarbeitung der Stadtgeschichte zu werten und 2013 auf eine antifaschistische Demonstration zu verzichten2. Denn es hat sich weiter nichts geändert. Auch heute noch ist eine ekelhafte Mischung aus Geschichtsrevisionismus, Militarismus und Nationalismus prägend für den rechten „Dorffrieden“ in dem braunen Bergnest. Wie selbstverständlich führen Neonazis, ohne zivilgesellschaftlichen Protest, weiterhin SS-Gedenkfeiern durch. Immer noch prägen ein Reichsadler und ein nationalsozialistisches Landser-Gemälde das Bild der örtlichen Kaserne.

Kein Friede mit der deutschen Gedenkpolitik
Dem Klischee nach ticken die Uhren im bayerischen Hinterland langsamer als im Rest der Republik. Die Alpenregion hat den Ruf des rückwärtsgewandten konservativen, wenn nicht gar reaktionären heimat-kitschig Verklärten inne. Spätestens, wenn von geschichtspoltischen Themen die Rede ist, unternehmen Ortschaften wie Bad Reichenhall so ziemlich alles, um dieses Image auch noch zu übertreffen.
Die beschaulich-schaurige Tourismusidylle lebt mit und auch von der dortigen Kaserne, die 1934 von der Wehrmacht gegründet wurde und seit 1958 von der Bundeswehr weiter betrieben wird. Kritische Stimmen sind in dieser Umwelt spärlich gesät. So ist es dort weiterhin mehr als selbstverständlich, dass sich alljährlich Mitte Mai Soldat_innen der Bundeswehr vereint mit der örtlichen Politprominenz versammeln, um eine Gedenkveranstaltung anlässlich des deutschen Überfalls auf die griechische Insel Kreta 1941 abzuhalten. Solche Veranstaltungen stehen im Licht des Geschichtsrevisionismus und der Relativierung bzw. Nicht-Beachtung der begangenen Verbrechen vor dem Hintergrund der mehr oder minder offenen Traditionspflege der Bundeswehr zur Wehrmacht als ihrer Vorgängerorganisation. In solchen Gedenken herrschen Erzählungen vor, in denen die Deutschen in ersten Linie als Opfer und nicht als Täter_innen und Verantwortliche für ihre Greueltaten erscheinen.
So erinnerte der lokale Vorsitzende des Kameradenkreises der Gebirgstruppe, Manfred Held, beim letzten „Kreta-Gedenken“ 2013 vor allem an die gefallenen deutschen Soldaten* auf Kreta und die mehr als 200 Bürger_innen der Stadt Reichenhall, die am 25. April 1945 bei einem alliierten Luftangriff starben. Desweiteren war es ihm ein Anliegen, in einem Aufwasch auch an die im Einsatz gefallenen Soldaten_innen der Bundeswehr in Afghanistan und andernorts zu erinnern. So erscheint es vor diesem Hintergrund schon fast als enormer Fortschritt, dass 2012 zum ersten Mal einer Vertreterin des griechischen Konsulats aus München ein Redebeitrag eingeräumt wurde und somit der Mord an hunderten Griech_innen wenigstens nicht mehr komplett geleugnet wurde 6. Doch Reichenhall wäre nicht Reichenhall, wäre dieses Zugeständnis nicht im Sinne des pauschalisierenden Gedenkens „an alle Opfer“ erfolgt. In diesem Gestus des gleichsamen Einbeziehens Aller wird die Aggression der nationalsozialistischen Truppen derart verharmlost, als dass sie mit ihren Opfern auf die selbe Stufe gestellt werden. Doch selbst dieses Mindestmaß an Veränderung im offiziellen Gedenken findet wohl kaum aus Einsicht statt. Vielmehr sollte es Anlass dazu sein, auch die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen, unter deren Einfluss die deutsche Außenpolitik und ihre Armee stehen, in die Kritik miteinzubeziehen.
So ist es für uns als Antifaschist_innen eine absolute Selbstverständlichkeit, die Umbennenung einer Kaserne zu fordern, die den Namen eines nationalsozialistischen Massenmörders trägt, wie es bei der General-Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall der Fall war, obwohl wir als Antimilitarist_innen natürlich allein die Existenz dieser Einrichtung als Kriegserklärung empfinden. Gleichwohl war es für uns zu jedem Zeitpunkt klar, dass die – mittlerweile erfolgte – Umbennenung lediglich das Allermindeste ist. Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob es sich bei dieser Maßnahme in erster Linie um ein, so weit als nötiges, Zurückweichen vor kritischer Öffentlichkeit und nicht viel eher um den Ausdruck einer Modernisierung der Erinnerungspolitik an deutsche Invasor_innen handelt. Fest steht: Beim Kameradenkreis ist diese Veränderung noch nicht angekommen. Dieser verherrlicht auch 2013 noch 7 den antisemitischen Massenmörder Konrad, bekannt als „Schlächter von der Krim” 8.

Kein Friede mit dem deutschen Militarismus
Heute soll die Bundeswehr als selbsverständliches Mittel zur Durchsetzung ökonomischer und machtpolitischer Interessen Deutschlands etabliert werden. Denn grundsätzlich ist militärische Durchsetzungskraft eine Grundvoraussetzung für die dauerhafte Existenz kapitalistischer Herrschaft. Primär dienen Militärschläge dabei der Öffnung neuer und der Absicherung gefährdeter Märkte: Zugriff auf Rohstoffe einerseits, Absatz der nationalen Produktion und auch Erschließung von Transportwegen andererseits. Sekundär wird die nationale Einheit geschmiedet. Unterstrichen wird dieser Prozess durch waffenkeynesianistische Effekte: Wo auch immer auf der Welt moderne Waffendepots geleert werden, fast immer klingelt die Kasse der deutschen Metall- und Elektroindustrie, und dagegen hat auch die sozialdemokratische Führung der Industriegewerkschaft Metall nichts einzuwenden.
Auch das Berchtesgadener Land profitiert über seine beiden Kasernen hinaus als Rüstungsstandort. Rund 10 km von Bad Reichenhall entfernt werden aktiv Kriegswaffen produziert 9. Die Rheinmetall Waffen Munitions GmbH hat in Fronau 13, 83458 Schneizlreuth einen ihrer acht deutschen Standorte der “Defence-Sparte”. Rund 60 Physiker_innen, Informatiker_innen und Ingenieur_innen aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik sowie Luft- und Raumfahrt stellen hier modernstes Kriegsgerät her. Der Landrat Grabner und Schneizlreuths Bürgermeister Bauregger klatschen auch noch Beifall, wenn die Hersteller_innen der Mordsgeräte „insbesondere mit Blick auf die Auslandseinsätze der NATO-Streitkräfte die umfassende Produktpalette des Unternehmens” 10 präsentieren.
Über all dem schwebt das bizarre Ränkespiel auf dem internationalen Parkett: Wer mit wem, mit oder ohne UN-Mandat, und wie in einen bewaffneten Konflikt einsteigt oder nicht – solche Fragen werden bisweilen zum abstrahierten Selbstzweck, selbstredend ohne auch nur einen ernst gemeinten Gedanken an die Zivilbevölkerung in einer Region der Begierde zu verschwenden. Die BRD strebt beispielsweise aktuell einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat an. Dafür muss sie qua Staatsräson hin und wieder „Verantwortung übernehmen“ und „Handlungsfähigkeit beweisen“. Und das geht umso leichter von der Hand, je stärker eine Gesellschaft militarisiert ist und hinter „ihren Jungs“ steht.
Das funktioniert im Berchtesgadener Land ausgezeichnet: „Zwischen die Stadt Bad Reichenhall und die Bundeswehr passt kein Blatt Papier,“ posaunt Oberbürgermeister Lackner 2011 bei einem „Rückkehrer-Appell“ samt öffentlichem Gelöbnis. Verliehen wurden zugleich noch „Einsatzmedaillen“ und „Ehrenkreuze“. Der Burschenschafter und damalige Bundesverkehrsminister Ramsauer kommentierte als Schirmherr der Veranstaltung, es sei „richtig und wichtig, dass Soldaten wieder für ihre Tapferkeit geehrt werden können.“ Die in Afghanistan eingesetzten Gebirgsjäger feierten dabei „die glückliche Rückkehr inmitten der Bevölkerung“. Wenn deutsche Soldat_innen zurückkehren aus der Ferne, wo sie für Deutschlands Belange getötet haben, soll sie ein dankbares Volk empfangen und dementsprechend auch ordentlich trauern, wenn sie doch einmal in Leichensäcken zurück an den Absender geschickt werden. In Bad Reichenhall beginnt die militaristische Sozialisation für den Geschmack der öffentlichen Wahrnehmung nun doch etwas zu früh. Bereits Kinder konnten am Tag der offenen Tür der Bundeswehrkaserne in Bad Reichenhall mit Zielerfassungssystemen von Panzerfäusten auf ein nachgebautes Dorf mit dem Namen „Klein-Mitrovica“ zielen. Dieser Versuch die Akzeptanz für die gesellschaftliche Militarisierung herzustellen, ging als Schuss nach hinten los und als „Klein-Mitrovica-Skandal“ in die internationale Medienberichterstattung ein 11.

Kein Friede mit dem Nazi-und SS- Gedenken
Der skandalöse (Nicht-)Umgang Reichenhalls mit dem jährlichen SS-Gedenken ist ebenfalls äußerst widerlich. „Die haben ja nicht für eine abzulehnende Ideologie gekämpft.“ So charakterisiert Karl Welser , Gründer der Volkshochschule Bad Reichenhall und ehemaliger Stadtrat, die französischen Freiwilligen in der Waffen-SS, die im Mai 1945 im Ortsteil Karlstein von den amerikanischen Befreiern erschossen wurden. Hämisch ergänzt er in einem geschichtsrevisionistischen Pseudo-Dokumentarfilm, es möge sein, dass sich „Rote“ daran stören könnten, was in Reichenhall aber niemand interessiere, man sei hier ja „konservativ bis auf die Knochen“. Und zwar so konservativ, dass die Knochen der SS-Leute nach einer Umbettung im Jahr 1949 auch ihren Platz am heimischen Friedhof St. Zeno finden konnten und so posthum in die Reichenhaller Dorfgemeinschaft integriert wurden.
In Bad Reichenhall dreht sich die NS-Verherrlichung längst nicht nur um die Wehrmacht. Hier wird gleich der SS gehuldigt. Zur Erinnerung: Die Waffen-SS wurde vom internationalen Militärgerichtshof als verbrecherische Organisation eingestuft wegen ihrer besonders aktiven Rolle im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg. In ihren Reihen haben sich überdurchschnittlich viele überzeugte Nationalsozialist_innen verdingt (Bei grafischer Gestaltung Zitat Welser hier setzen). Die 33. Waffen-Grenadier-Division der SS „Charlemagne“, um die es in Reichenhall geht, war vor allem in der „Partisan_innenbekämpfung“ im Vernichtungskrieg im Osten eingesetzt – wohinter sich in der Regel das besonders brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung verbirgt. Später verteidigten die verbliebenen Teile dieser Division die Stadt Berlin selbst dann noch, als sich die Wehrmacht und mit ihr die meisten „volksdeutschen“ Nazis zurückgezogen hatten, bis zur dortigen Kapitulation am 2.Mai 1945.
Über die Jahre etablierte sich in Reichenhall ein ungestörtes Treffen von Faschist_innen und Alt-Nazis aus ganz Europa, darunter beispielsweise eine „Ehrengarde Benito Mussolini“. Als die Polizei erstmals Teilnehmer_innen im Jahr 2006 kontrolliert, findet sie Sprengmittel sowie funktionsfähige Schusswaffen und hindert einen PKW am Weiterfahren mit einer Kanonenlafette. Danach wandelte sich die Gedenkveranstaltung zu einer Art „Geheimtipp“ für die bundesdeutsche Naziszene, die rund um den 8. Mai sonst überall mit Widerstand rechnen muss.
In Reichenhall ist das Gegenteil der Fall: Oben genannter Welser stiftet stellvertretend für das Reichenhaller Bürger_innentum sogar noch eine zweite Gedenkplatte am Friedhof St. Zeno. Erst 2007 wird das Denkmal am Kugelbachparkplatz entfernt und der zugrunde liegende Pachtvertrag von Seiten der bayerischen Staatsforste aufgekündigt. Es wird allerdings nicht zweckdienlich am Wertstoffhof recycelt, sondern – wie sollte es in Reichenhall anders sein – auf den Friedhof St. Zeno verbracht.
Und auch nach unseren zwei Demonstrationen und einer örtlich diskutierten Plakataktion des Rabatz-Bündnisses mit der entsprechenden Aufforderung hat sich 2013 kein_e Reichenhaller_in gefunden, der_die etwas gegen das SS-Gedenken unternommen hätte. Und dabei hätten sie sogar zweimal die Chance gehabt, weil NPD-nahe Kreise und das Freie Netz Süd an zwei unterschiedlichen Tagen getrennt voneinander ein Gedenken abhielten.

Kein Friede mit den Neonazis
Womit wir bei der lokalen Naziszene angekommen wären. Nach all dem, was wir über das politische Klima Reichenhalls und des Berchtesgadener Landes und den vorherrschenden verharmlosenden bis revisionistischen Umgang mit der NS-Vergangenheit feststellen mussten, können die Aktivitäten junger Nazis nicht überraschen. Dass diese auf so einem Nährboden weitgehend ungestört agieren können, ist im Grunde vorhersehbar.
Bei unserer ersten Demo in Bad Reichenhall 2011 wird den Teilnehmenden aus einem rechten Mob heraus der Hitler-Gruß entgegengestreckt 12. Dass es dabei nicht bleiben muss, zeigen die gewaltsamen Übergriffe von Neonazis der Kameradschaft Berchtesgadener Land auf eine antirassistische Demonstration in Aachen im November 2013. Auch ansonsten ist die lokale Szene sehr reisefreudig: Wenn es ihnen in ihrem Landkreis zu langweilig wird, fuhren sie in der Vergangenheit zum bei Vöcklabruck, Österreich, gelegenen Objekt 21 13, besuchten andere geschichtsrevisionistische Veranstaltungen wie das “Heimkehrertreffen” am Kärntner Ulrichsberg 14 oder das Veneto Fest in Norditalien, dem Verbindungen zum in Deutschland verbotenen Blood and Honour-Netzwerk nachgesagt werden. Auf Facebook posieren sie anschließend schon mal mit einer „Bad Reichenhall Hate Society” Flagge, zeigen den Hitler-Gruß und tragen T-Shirts mit der Aufschrift „University Auschwitz – gegründet 1941 – Genetik, Ethnologie, Endlösung“.
Vor Ort entfaltet die Kameradschaft BGL vielfache Propaganda-Aktivitäten, deren Ideologie sich zum Beispiel 15 in der Unterstützung für den in Österreich inhaftierten Nazikader und Holocaustleugner Gottfried Küssel zeigt. Die Aktionen reichen von Flugblattverteilungen (u.a.vor dem NS-Dokumentationszentrum Obersalzberg 16) über Transparentaktionen 17 zu Geldsammlungen bei Liederabenden. Solche nationalen Liederabende, wie sie u.a. im Freilassinger Pils-Pub K2 stattfanden, sind ein Teil rechter Erlebniswelt vor der eigenen Haustüre. Mit dem Neonazi-Liedermacher „Edei“ (Manfred Edelmann) aus Piding wohnt auch ein international agierender Hassmusiker 18 in der Region.
Weiterhin pflegt die Kameradschaft um Mathias Häuslmann, Alexander Donninger, Benjamin Hager und Florian Gottschling intensive Kontakte zum nazistischen Freien Netz Süd und der NPD-Tarnorganisation Bürgerinitiative Ausländerstopp München. Dabei stehen sie im Kontakt mit Personen, die 2003 in Planungen eines Bombenanschlags auf die Eröffnung des jüdischen Gemeindezentrums in München involviert waren.

LAND-FRIEDEN (s)-BRUCH
Kurzum, wir finden die geschichtsrevisionistischen, nationalistischen und militaristischen Zustände im Berchtesgadener LAND unerträglich. Dieser FRIEDEN mit allem erdenklichen Reaktionären bedarf einer erneuten antifaschistischen Intervention. Fordern wir einen BRUCH mit der rechten Traditionspflege und dem Militarismus sowie ein aktives Vorgehen gegen Alt- und Neonazis. Lasst uns am Samstag, den 10.Mai 2014 kraftvoll und entschlossen für die Entmilitarisierung und Entnazifizierung Bad Reichenhalls auf die Straße gehen. Zeigen wir, dass wir diesen Müll nicht weiter tolerieren werden. Bad Reichenhall soll die Demonstration als eine „letzte Warnung“ betrachten: Denn mögliche antifaschistische Aktions- und Interventionsformen beschränken sich ja nicht auf eine jährliche Demonstration.

In diesem Sinne:

Hoch die Partisann_innen !
Alt- und Neonazis bekämpfen !
Rechte Traditionspflege angreifen !
War starts here – let’s stop it here !

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