Zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“

Der Anfang vom Ende!

Die Wohnungsfrage, sprich das Problem rasant steigender Mieten in deutschen Städten (aber auch europaweit bzw. international), ist in den letzten Jahren zu einem immer größer werdenden Problem für die lohnabhängige Klasse geworden, insbesondere für Geringverdiener_innen. Ein immer größerer Anteil des eigenen Einkommens geht für die Miete drauf und immer weniger bleibt zum Leben übrig. Wir haben uns bereits in vielen Flugblättern, Artikeln und Veranstaltungen diesem Thema gewidmet, um zunächst die Ursachen dieses Phänomens zu erörtern und um anschließend Kampfperspektiven gegen diese Form der Enteignung der Arbeiter_innenklasse aufzuzeigen, dabei stets auch bereits existierende Kämpfe und Initiativen im kritischen Blick. Unseren Standpunkt wollen wir jetzt noch einmal bekräftigen – wo in Berlin und in Deutschland gerade neue Regierungen installiert werden und das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE) kurz vor dem Aus steht.

Der Kapitalismus als Wirtschaftsweise befindet sich seit den 70er Jahren weltweit in einer strukturellen Krise (siehe hierzu auch unsere Untersuchungen zur „Laufbahn des Weltkapitalismus“) – der historisch beispiellose Aufschwungzyklus durch die technologischen Innovationen der Kriegsindustrie und die gewaltigen Zerstörungen (Produktionsmittel, Waren und überflüssige menschliche Arbeitskraft) des 2. imperialistischen Weltkrieges war abrupt zu seinem Ende gekommen. Seitdem wird mit vielfältigen Maßnahmen versucht, dieser Krise entgegenzuwirken, was auch immer von kurzfristigen Erfolgen gekrönt ist, bis diese – wie ein Brandherd, der nicht gelöscht werden kann – wieder von neuem auflodert. Einige dieser Maßnahmen bestehen in der Reduzierung von „überflüssigen“ Kosten für das Kapital durch die Leistungen des „Sozialstaats“ in Form von Arbeitslosengeld oder der Gesundheitsversorgung, andere greifen die Arbeitsbedingungen direkt an durch Lohnkürzungen, Arbeitszeiterhöhungen, Arbeitsverdichtungen, Schaffung eines Niedriglohnsektors, Verlagerung der Produktion in sogenannte Niedriglohnländer und Erhöhung der internationalen Konkurrenz unter der Arbeiter_innenklasse. Des weiteren wird versucht, durch technologischen Fortschritt und effizientere Produktionsprozesse die Produktivität zu erhöhen (oft auch auf Kosten der Beschäftigten), der Kapitalumschlag erhöht und die Lagerkosten gesenkt – bekannte Schlagwörter sind hier just-in-time und lean production. Last but not least versuchen die Staaten mit ihren Notenbanken durch eine immer exzessivere Fiskalpolitik die Wirtschaft am Laufen zu halten – mit Maßnahmen, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar schienen wie Negativzinsen und das Fluten der Märkte mit frischem Geld.

Damit kommen wir auch zurück zur Wohnungsfrage, denn es sind die niedrigen Zinsen, die Geldschwemme, die nun anziehende Inflation und der verzweifelte Versuch seitens des Kapitals und vieler gutbetuchter Anleger_innen, ihr Vermögen noch irgendwie gewinnbringend anzulegen bzw. vor der drohenden Inflation in Sicherheit zu bringen, die die Preise des „Betongolds“ in schwindelerregende Höhen treiben und den gesamten Immobilienmarkt (und somit den Wohnraum der proletarischen Bevölkerung) der Profitmaximierung durch „Investoren“ unterwerfen, weil in anderen Bereichen kein ausreichender Profit mehr für das überschüssige Kapital realisiert werden kann. Das, was hier entsteht, ist zudem eine gewaltige Immobilienblase, die, entkoppelt vom realen Wert, dazu verdammt ist, früher oder später zu platzen – mit all den dramatischen Folgen für die Finanzmärkte und die Stabilität der kapitalistischen Wirtschaft. Schutzpatron dieser am Eigentum einiger Weniger orientierten Interessen sind sämtliche Staatsparteien sowie die Institutionen des bürgerlichen Staates (z.B. Gerichte), die auf dem Boden dieser Verfassung stehen – dies können wir nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zum Bundestag wieder einmal sehr deutlich sehen noch bevor die neuen Regierungen im Amt sind – ein spürbarer Eingriff in den Wohnungsmarkt durch staatliche Regulierungen wird es auch in der nächsten Legislaturperiode nicht geben.

Zusammen mit den Wahlen wurde in Berlin am 26. September auch zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ abgestimmt – 56,4 Prozent stimmten dafür, 39 Prozent dagegen – sodass bei den Initiator_innen der Sektkorken knallte, inzwischen aber Katerstimmung eingekehrt ist. Wir haben vor dem, was sich bereits unmittelbar nach den Wahlen abzeichnet, im Vorfeld gewarnt und die mit dem Volksbegehren verbundenen Illusionen kritisiert:

  1. Das Volksbegehren ist keine „Enteignungskampagne“, wie der Name glauben lässt, sondern eine Rückkaufkampagne mit Staatsgeldern. Somit steht es von vornherein unter dem Vorbehalt der Höhe der Entschädigung und den Mitteln des Staatshaushaltes sowie natürlich der verfassungsrechtlichen Frage, ob der Staat große Wohnungskonzerne überhaupt zum Verkauf zwingen kann. Denn das Recht darauf, mit allem und auf Kosten der Mehrheit Profite machen zu dürfen, wird im Kapitalismus durch die Verfassung garantiert.
  2. Das Volksbegehren ist nur die Bitte nach Erarbeitung eines Gesetzesentwurfes seitens des Berliner Senats, hat aber keinerlei rechtliche Bindung. Es ist ein Grundproblem von Volksbegehren (bei denen es um mehr als um Parks oder Fahrradwege geht), dass sie entweder scheitern (aufgrund der enormen Lobbyarbeit der bürgerlichen Kräfte) und sich die Bewegung dadurch selber delegitimiert oder dass diese im Falle eines Erfolges in aller Regel durch die Mühlen von Staat und Justiz zurechtgestutzt werden (und vor allem bei der Formulierung im Vorfeld bereits von den Initiator_innen mit den Staatsinteressen kompatibel gemacht werden müssen). 
  3. Volksbegehren verlagern den „Kampf auf der Straße“ oder den „Streik in den Unternehmen“ auf das Terrain demokratischer Abstimmung unter vollständiger Anerkennung der Spielregeln des bürgerlichen Staates, seiner Verfassung, seiner Gesetze, seiner Sachzwänge und seiner Politikformen. Auch wenn im Falle des DWE-Volksbegehrens weiterhin eine Bewegung auf der Straße vorhanden ist, so wird dennoch aufs falsche Pferd gesetzt: Eine soziale Bewegung muss Verbesserungen erkämpfen, d.h. ERZWINGEN und nicht ERBETTELN – nur so wurden bisher in der jüngsten oder weiter zurückliegenden Geschichte Erfolge erzielt. Die Orientierung auf demokratische Manöver wird dazu führen, dass sich die Bewegung totläuft und falschen Illusionen einer zutiefst bürgerlichen Kampagne unterliegt. Vor allem aber wird so mittel- und langfristig kein kämpferisches Bewusstsein in der Arbeiter_innenklasse entstehen, denn die nächsten Angriffe sind bereits in den Startlöchern, und soll nun etwa als nächstes ein Volksbegehren gegen Krieg, gegen die Kapitalmarktorientierung der Renten, gegen Massenentlassungen und den Angriff auf unsere Löhne stattfinden? Das aktuelle Volksbegehren ist ein zahnloser Tiger, vor dem niemand ernsthaft Angst hat – auch hier sind Immobilienkonzerne und die bürgerlichen Parteien weitsichtiger als die extreme bürgerliche Linke.

Eine kurze Kritik des Reformismus

Das Volksbegehren knüpft direkt an die Politikformen des bürgerlichen Reformismus an, die wir von Grund auf ablehnen, und das nicht aus „Dogmatismus“ sondern aufgrund unserer wissenschaftlichen Analyse der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, die im Konkreten stets – historisch wie aktuell – von den realen Erfahrungen der Arbeiter_innenklasse bestätigt wurde!

Natürlich lehnen wir Reformen für unmittelbare Verbesserungen nicht ab, sondern im Gegenteil: sie sind ein notwendiger Teil des Weges, den die Arbeiter_innenklasse beschreiten muss, um sich der Stärke der eigenen Kraft wieder bewusst zu werden. Zudem sind Reformen unverzichtbar, um sich eine Verschnaufpause zwischen all den tagtäglich stattfindenden sozialen Angriffen zu schaffen. Auch darüber, dass Kampferfolge, die dem Kapital oder dem Staat abgerungen wurden, am Ende in Vertrags- oder Gesetzesform gegossen werden müssen, damit sie Gültigkeit und Verbindlichkeit erlangen, und der Gewaltapparat des bürgerlichen Staates somit deren Einhaltung sicherstellt, machen wir uns keine utopischen Illusionen – that´s part of the game. Allerdings dürfen dabei keine falschen Illusionen über die Möglichkeiten und Grenzen sozialer Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus oder den Charakter des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen geschürt werden – bei allem Optimismus und bei aller Euphorie, den manch eine_r haben mag...

Der Unterschied zwischen Reformen und Reformismus: Reformismus ist, wie der Name schon sagt, der „ismus“ von Reformen, also daraus einen reinen Selbstzweck zu machen, und dem alles unterzuordnen und dabei vollends in Illusionen und Hirngespinsten zu versinken. Aber das Ganze geht noch weiter, denn letztlich findet eine ideologische Verblendung und Verdrehung von dem eigentlichen Ziel Reformen zu erreichen statt:

Der Reformismus zeichnet sich gerade nicht dadurch aus, dass er maximal effizient Reformen durchsetzen würde. Sondern dadurch, dass er dies nur vorgibt, aber seine eigenen Versprechungen nicht einhält. Es handelt sich hierbei um ein riesiges Täuschungsmanöver und einen gewaltigen Selbstbetrug. Ein bekanntes Beispiel sind die staatstragenden Gewerkschaften, die 4 Prozent Lohnerhöhung als großen Erfolg feiern, aber verschweigen, dass dieser mit Einmalzahlungen schöngerechnet und auf mehrere Jahre gestreckt wird und am Ende unterhalb selbst der offiziellen Inflationsrate bleibt. Selbiges gilt in noch viel stärkerem Maße für die „linken“ Parteien in den Parlamenten, die oftmals eher Verschlechterungen, von Zeit zu Zeit aber auch äußerst magere Verbesserungen durchsetzen. Und an dieser Strategie des Reformismus knüpft das Volksbegehren unmittelbar an, indem es Enteignung verspricht, aber noch nicht einmal das Versprechen nach Rückkäufen halten kann. Inklusive des sozialpartnerschaftlichen, konstruktiven und demokratischen Mitwirkens und der Orientierung an einen Staat und seinen Mechanismen, der nichts anderes als der Staat des Kapitals ist – welch dummer Etatismus! Es ist im übrigen kein Zufall, dass die führenden Köpfe des Volksbegehrens aus dem Trotzkismus kommen – einer sozialdemokratisch entstellten pseudokommunistischen Spielart des Reformismus. Auch die Orientierung vieler Köpfe des Volksbegehrens auf eine enge Zusammenarbeit mit der Linkspartei oder gar eine Mitarbeit in dieser, um „die Wohnungsfrage direkt in die Parlamente zu tragen“ ist angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte denkbar naiv. Der Reformismus ist aber dennoch mehr, als nur ein reines Hirngespinst: die Tatsache, dass der Reformismus in sehr begrenztem Maße in der Lage ist, Verbesserungen zu erzielen oder Verschlechterungen zu verhindern, und diese Hoffnung permanent schürt – gleich der Hoffnung nach einem Lottogewinn – ist seine reale materielle Basis und erklärt dessen Zählebigkeit.

Unsere Aufgabe als kritische Linke ist es aber nicht, „tote Pferde zu reiten“, wie dies beim naiven Teil der Reformisten der Fall ist (beim anderen Teil kann nichts anderes als pure Absicht unterstellt werden, Kämpfe abzuwürgen!), sondern stets eine schonungslose Analyse und Kritik der bestehenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse und möglicher Kampf- und Politikformen zu üben. Und wenn man schon in bestimmten Bereichen permanent Niederlagen in sozialen Kämpfen oder bei Streiks einfährt, muss man zumindest offen damit umgehen und diese nicht nachträglich zum Erfolg oder Selbstzweck umdeuten. Denn es kann ja durchaus reale Gründe hierfür geben, wie die mangelnde Organisierung oder Kampfbereitschaft unserer Klasse oder eine falsche Taktik – aber hier gibt es nichts schönzureden, selbst wenn sich die Probleme nicht einfach aus der Welt schaffen lassen, müssen sie schonungslos offengelegt werden und eine Perspektive aufgezeigt werden, wie sich daran etwas ändern lässt! Wir müssen daran arbeiten, dass die Arbeiter_innenklasse sich ihrer Stärke wieder bewusst wird und in der Lage ist, soziale Angriffe kollektiv zurückzuschlagen – wie dies auch heute punktuell gelingt – statt auf der Ebene bürgerlicher Politikformen zu lamentieren und steckenzubleiben, denn sonst bereiten wir nur weitere Niederlagen vor!

 

Internationale Kommunistische Partei, November 2021

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