Es kann uns nicht um einen Politikwechsel gehen – Wir brauchen einen Systemwechsel!
Scheinbar angespornt durch seine mit den Coronamaßnahmen gesetzte (und sogar von vielen vermeintlich „kritischen“ Linken akzeptierte) erweiterte Handlungsfähigkeit, betreibt er eine präventive polizeiliche Eskalation, die die vielen jungen und die unerfahrenen DemonstrantInnen einschüchtern, abschrecken und vor allem das staatliche Gewaltmonopol als unangreifbar präsentieren soll. Ein Vorgehen, das übrigens bei vielen 1.Mai-Demonstrationen in europäischen Städten zu sehen war (so wurde z.B. in Zürich die Demo verboten und es kam zu Massenfestnahmen, in Wien wurde sie nach einem inszenierten Vorfall polizeilich überfallen). So richtig es ist, sich nicht einschüchtern zu lassen und durchaus auch zurück zu schlagen, so wichtig ist vor allem eine politische Klarheit über das, was passiert.
Was für viele MieterInnen, ArbeiterInnen und Jugendliche ein existenzbedrohender Alptraum, ist gleichzeitig auch ein Lehrstück über die verrechtlichten Verhältnisse des demokratischen Kapitalismus. Das Kippen des Berliner Mietendeckels durch das Bundesverfassungsgericht, die brutalen Polizeiangriffe auf die 1. Mai-Demonstration in Neukölln und die Räumungen besetzter Häuser durch den rot-rot-grünen Senat zeigen einmal mehr die Haltlosigkeit reformistischer Versprechen. Vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise und angesichts eines noch unterentwickelten proletarischen Klassenkampfes ist das Kapital im Angriffsmodus und der Spielraum der Reformisten gering. Wer den wirtschaftlichen Erfolg als Handlungsmaxime verinnerlicht hat („alles muss sich rechnen“) und die bürgerlich-demokratischen Rahmenbedingungen des Grundgesetzes akzeptiert, kann sich nur der inneren Logik des Kapitalismus fügen. Und dessen Grundgesetz heißt bekanntermaßen Profitproduktion, Kapitalakkumulation, Selbstverwertung des Wertes. Dem Kapital ist es egal, ob dies im privatwirtschaftlichen oder staatlichen Rahmen vonstatten geht, wichtig ist nur, dass die Profitrate stimmt („Investitionen müssen sich lohnen“). Und gerade diese ist seine Achillesferse. Auf das Sinken der Profitrate reagiert der Kapitalismus sowohl mit dem Initiieren hochspekulativer „Märkte“ als auch staatlichen Wirtschaftsprogrammen („Green Economy“, Förderung der E-Mobilität etc.) und natürlich mit einem generellen Angriff auf die Löhne. Für letzteren stehen nicht nur die „Marktradikalen“, sondern auch die „linken Keynesianer“ und staatskapitalistischen Exekutoren der kapitalistischen Krisenpolitik. Egal welche Farbkoalitionen in den letzten 20 Jahren in europäischen Regierungen saßen, überall sanken die Reallöhne, stiegen die Profite, vergrößerte sich die Vermögensschere.
Einen immer größeren Teil des Lohns der ArbeiterInnen frisst inzwischen die Miete auf (für das Kapital ist sie ein Bestandteil der Reproduktionskosten der Arbeitskraft). Der Kampf für niedrige Mieten kann nur offensiv als Teil des Kampfes um höhere Löhne und für Arbeitszeitverkürzung geführt werden. Im Kapitalismus kann eine sozialstaatliche Mietenregulierung letztendlich nur Begleitung einer Niedriglohnpolitik oder Befriedigungspolitik gegen den Klassenkampf sein. Es ist sicherlich nicht unsere Perspektive „im Gemeindebau zu versauern“, aber eine „Befriedung“ würde zumindest Kampf voraussetzen. Auch wenn die Parole „vom Mietendeckel zur Enteignung“ radikal klingt (womit konkret lediglich die kapitalistische Verstaatlichung der großen Wohnungsbaukonzerne gemeint ist) – ein Reformismus, der sich auf Volksabstimmungen und Parlamentsbeschlüsse verlässt und gerichtliche Entscheidungen akzeptiert, wird nicht die Kraft entwickeln können auch nur diese Regulierung durchzusetzen. Dies können nur Streiks, Aneignungen und Massenaktionen, die sich nicht in den staatlich vorgegebenen Rahmen einzwängen lassen.
So nachvollziehbar das Ansinnen der Parlamentslinken ist, die Wut über den gekippten Mietendeckel in eigene Wählerstimmen umzumünzen und auf die nächsten Wahlen zu orientieren, so beschämend ist doch der realpolitische Abgang der vermeintlich „radikalen Linken“. Beispielhaft soll hier das „Konzept Kiezkommune“ angeführt werden, entstanden aus der Selbsterkenntnis, sich “von der eigenen Bevölkerung weit entfernt“ zu haben und dem Wunsch „einer Rückgewinnung von Gesellschaftlichkeit in der revolutionären Linken“ (O-Ton) – wozu ihnen bezeichnenderweise nichts anderes eingefallen ist, als die ausgetretenen bürgerlichen Politikformen. Genauso wie Marktforscher den Absatzmarkt von Produkten eruieren und bürgerliche Parteien das „Verkaufspotential“ ihrer politischen Losungen untersuchen – mit dem entsprechenden manipulativen Impetus und dem nötigen pragmatischen Opportunismus – wollen auch die Kiezkommunarden „die Probleme, die Menschen umtreiben“ „politisieren und zuspitzen“. Die revolutionäre Veränderung soll nicht aus einer historisch-materialistisch analysierten Notwendigkeit und einem realen gesellschaftlichen Prozess erwachsen, sondern als klassenloses, demokratisches Projekt entstehen („Wir müssen gemeinsam mit ihnen [den Menschen] Antworten finden“). In Kiezkommunen, die gleich noch „Keimformen zukünftiger kollektiver Selbstorganisierung der Gesellschaft“ sein sollen. Dieses famose Kleid, das sie „dynamischen Sozialismus“ nennen, zeigt allerdings deutlich seine klägliche reformistische Nacktheit im auf der 1.Mai-Demo verteilten „politischen Forderungskatalog“ der Kiezkommune Wedding für eine „soziale und demokratische Lösung der Krise“. Völlig systemkonform wird dort – entsprechend der von isolierten Warensubjekten und Staatsbürgern ausgehenden und antagonistische Klasseninteressen negierenden bürgerlichen Ideologie – eine abstrakte Demokratie verherrlicht: „Doch nur gute Löhne und anständige Arbeitsbedingungen ermöglichen eine funktionierende und demokratische Gesellschaft.“ Lästig sind für diese Demokraten dann allenfalls noch vermeintliche „rechtsfreie Räume im Polizeiapparat“. Besonders kurios (und unbelastet von jeglichem Marx-Studium) beschreiben diese Kommunarden ihre „antikapitalistische“ Perspektive: „Kapitalismus abschaffen heißt für uns: Als Arbeiter*innen nehmen wir die Produktion selbst in die Hand und organisieren sie demokratisch. Die Herstellung und Verteilung von Waren soll nach den wirklichen Bedürfnissen der Gesellschaft planvoll ausgerichtet werden. Denn der freie Markt garantiert unsere Versorgung nicht.“ Welch eine irre Vorstellung, den Kapitalismus abzuschaffen, indem man die Warenproduktion demokratisch organisiert! Gegenüber dieser Theorie der demokratisch organisierten Herstellung und Verteilung von Waren, stellte schon Friedrich Engels in seiner „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ die immanenten Gesetze der Warenproduktion dar: „Aber jede auf Warenproduktion beruhende Gesellschaft hat das Eigentümliche, dass in ihr die Produzenten die Herrschaft über ihre eigenen gesellschaftlichen Beziehungen verloren haben. Jeder produziert für sich mit seinen zufälligen Produktionsmitteln und für sein besonderes Austauschbedürfnis. (…) Aber die Warenproduktion, wie jede andere Produktionsform, hat ihre eigentümlichen, inhärenten, von ihr untrennbaren Gesetze; und diese Gesetze setzen sich durch, trotz der Anarchie, in ihr, durch sie. Sie kommen zum Vorschein in der einzigen, fortbestehenden Form des gesellschaftlichen Zusammenhangs, im Austausch, und machen sich geltend gegenüber den einzelnen Produzenten als Zwangsgesetze der Konkurrenz.“ (MEW 19, S.219f.) Und er zeigte die gesellschaftlichen Folgen der im Warencharakter der Produktion zum Ausdruck kommenden Herrschaft des Tauschwerts über den Gebrauchswert auf: „Denn in der kapitalistischen Gesellschaft können die Produktionsmittel nicht in Tätigkeit treten, es sei denn, sie hätten sich zuvor in Kapital, in Mittel zur Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft verwandelt. Wie ein Gespenst steht die Notwendigkeit der Kapitaleigenschaft der Produktions- und Lebensmittel zwischen ihnen und den Arbeitern. Sie allein verhindert das Zusammentreten der sachlichen und der persönlichen Hebel der Produktion; sie allein verbietet den Produktionsmitteln, zu fungieren, den Arbeitern, zu arbeiten und zu leben.“ (ebenda S.215)
Gegen die damals von den Lassalleanern vertretene illusorische Forderung, mit staatlicher Hilfe Produktionsgenossenschaften „unter demokratischer Kontrolle des arbeitenden Volkes“ zu gründen, damit „aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht“ schrieb schon Marx in seiner Kritik am Gothaer Programm u.a.: „Zweitens heißt 'demokratisch' zu deutsch 'volksherrschaftlich'. Was heißt aber 'die volksherrschaftliche Kontrolle des arbeitenden Volkes'? Und nun gar bei einem Arbeitervolk, das durch diese Forderung, die es an den Staat stellt, sein volles Bewusstsein ausspricht, dass es weder an der Herrschaft ist, noch zur Herrschaft reif ist!“ Es heißt den Klassencharakter des kapitalistischen Staates und das Ziel seiner Zerschlagung und Ersetzung durch die Diktatur des Proletariats zu negieren, es heißt „dass man überhaupt vom Standpunkt der Klassenbewegung zu dem der Sektenbewegung zurückgeht.“ (MEW 19, S.27) „Selbst die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausenjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, dass grade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist – selbst sie steht noch berghoch über solcherart Demokratentum innerhalb der Grenzen des polizeilich erlaubten und logisch Unerlaubten.“ (ebenda S.29). Dem kleinbürgerlichen „Sozialismus“ der Warenproduktion dieser Kiezkommunarden entspricht dann auch der von ihnen geforderte „Konsequente Schutz von Gewerbe“.
Gegenüber all diesen immer wiederkehrenden reformistischen und demokratischen Illusionen – ohne die der Kapitalismus schon längst zu Grabe getragen worden wäre – vertreten wir die Notwendigkeit des reinen proletarischen Kampfes gegen die ganze bürgerliche Gesellschaft, ihre ökonomische Basis und ihren staatlichen und ideologischen Überbau. Der Kapitalismus hat die materiellen Voraussetzungen für eine höhere, freie, entfaltete menschliche Gesellschaft geschaffen, die allerdings nur durch die Negation alles bestehenden erreicht werden kann. Der Totalität der bürgerlichen Gesellschaft kann nur die Totalität des Klassenkampfes für den Kommunismus entgegengesetzt werden! Die historische Dimension dieses Kampfes erfordert ein klares revolutionäres Programm und eine internationale Kommunistische Partei.