Stellungnahme zur gestrigen Räumung der Zeltstadt an der Rummelsburger Bucht

 

Wir, eine Gruppe solidarischer Menschen, haben heute gegen die Räumung der Zeltstadt an der Rummelsburger Bucht protestiert und eine Kundgebung vor dem Eingang organisiert. Es war ein langer und intensiver Tag mit viel Unterstützung aus der Bewegung, für die wir unheimlich dankbar sind. Es hat uns mal wieder gezeigt, dass Menschen das Schicksal Anderer im Kopf haben und Support schnell auf die Beine gestellt werden kann, wenn er gebraucht wird. Die spontane Baggerbesetzung gegen Ende des Tages hat zusätzlich trotz Eiseskälte unser Herz erwärmt. Wir hoffen, die Aktivist*innen kommen da gut wieder raus. Danke!

 

Jetzt wollen wir noch einmal zusammenfassen, warum und wie die Politik, Polizei und andere Organisationen hier wieder einmal versagt haben:

 

 

 

Wir kritisieren grundsätzlich die Art und Weise, wie „Hilfe“ betrieben wird:

 

 

 

  • Eine Zwangsräumung hilft niemals irgendwem: Menschen müssen freiwillig entscheiden dürfen, ob sie bleiben, oder gehen.

  • Die Zeltstadt ist ein über Jahre gewachsenes Zuhause und muss daher als Solches offen zugänglich und intakt bleiben, anstatt abgebaggert zu werden.

  • Bei Entscheidungen wie „Es wird aus Kälteschutz geräumt“ wird die Ansicht der Betroffenen komplett außer Acht gelassen. Solidarische Hilfe heißt, die Wünsche von Betroffenen anzuerkennen und ernst zu nehmen.

  • In diesem Fall heißt das, dass für viele Bewohner*innen die bereitgestellten Unterkünfte nicht als Alternative infrage kommen. Es geht den Bewohner*innen meistens nicht ums Überleben, sondern um ihre eigene Form von Leben. Sie sind in vielen Fällen sehr resilient und organisieren sich seit jeher selbst. Das zu begreifen, schafft die Politik (selbst „linke“ Politiker*innen) nicht.

  • Weniger als die Hälfte der Bewohner*innen haben darum das Angebot der Stadt, eine Nacht in einer Traglufthalle zu schlafen, angenommen. Einige der Gründe, warum Bewohner*innen nicht in Notunterkünften schlafen wollen, sind Folgende: In vielen Unterkünften dürfen keine Tiere mitgenommen werden. Zusätzlich ist oft Alkohol- und Drogenkonsum, beziehungsweise das Betreten im berauschten Zustand, untersagt (Sucht ist eine Krankheit und sollte nicht als „eigene Schuld“ angesehen werden). Meistens müssen Übernachtende die Unterkunft am Morgen verlassen. Fast nie können sie mehr als sich und eine Tasche unterbringen. Die meisten Unterkünfte schließen am frühen Abend, was es beispielsweise Sexarbeiter*innen unmöglich macht, nach der Arbeit dort übernachten zu können.

  • Es muss immer eine langfristigere Perspektive mitgedacht werden und nicht nur Hilfe zugesagt werden für den Zeitraum des kältesten Wetters. Es ist im Allgemeinen bekannt, dass es im Winter kalt ist. Deshalb erwarten wir langfristige Pläne und Lösungen in Absprache mit Bewohner*innen. Sinnvolle Hilfe ist immer ein langer Prozess und darf nicht überstürzt stattfinden.

  • Zusammengefasst: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Zwangsräumungen sind kein Kälteschutz. Und Notunterkünfte sind keine Lebensperspektive.

 

 

Wir kritisieren die Durchführung der Räumung:

 

 

 

  • In dem Moment, in dem gestern Nacht geräumt wurde, gab es nur Informationen über eine Übernachtungsmöglichkeit für eine nächste Nacht. Es ist nicht akzeptabel, Menschen aus ihrem Zuhause zu vertreiben, ohne ihnen ein neues Zuhause anzubieten, das ihren Vorstellungen entspricht.

  • Die Räumung fand mitten in der Nacht bei Schneefall statt, sodass Menschen um 03:00 früh ohne ihr Hab und Gut im Dunkeln im Schnee standen.

  • Diese Räumung war extrem spontan und schlecht organisiert, ohne jedwede Vorankündigung an die Bewohner*innen. Daher waren nichtmal alle Bewohner*innen zum Zeitpunkt der Räumung vor Ort.

  • Die Kommunikation mit den Bewohner*innen war zu allen Zeiten extrem schlecht: Nicht nur, dass Menschen erst zum Zeitpunkt der Räumung darüber informiert werden, dass sie gehen müssen. Auch, dass sie erst die Information bekommen, dass die Notunterkunft nur für eine Nacht ist. Das Ganze wurde auf Deutsch kommuniziert, ohne Übersetzung in der Nacht und am Tag darauf, während die Wenigsten im Camp Deutsch sprechen.

  • Das Argument vonseiten der Politk ist: Die Menschen konnten ja all ihre Eigentümer gestern Nacht einfach mitnehmen. Wir fragen zurück: Könnt ihr innerhalb von einer Stunde Alles, was ihr zum Leben und Überleben braucht, in eine kleine Tasche packen?

  • Laut Polizei „wird jetzt mal Ordnung hier gemacht“. Das bestätigt, dass die Besitztümer und Zuhause der Bewohner*innen als „Müll“ angesehen werden, obwohl das für die Menschen ein Zuhause bedeutet, dass sie sich sorgsam und mühevoll aufgebaut haben.

  • Politiker*innen argumentierten, dass Bewohner*innen „freiwillig“ gegangen wären. Wie freiwillig ist es, wenn man geht, wenn das Dableiben keine Option ist? Es sei auch „ruhig“ vonstatten gegangen – bei einer Hundertschaft vor der Tür, einem kreisenden Helikopter mit Scheinwerferlicht und und einen langen, kalten Tag hinterm Rücken hätten wir auch keine Kraft mehr gehabt, „laut“ zu sein.

  • Bewohner*innen wurde eigentlich versprochen, ihr Hab und Gut am Tag darauf abholen zu können. Dennoch begannen die Bagger am Morgen, die Zuhause der Menschen abzubaggern. Einige Bewohner*innen standen vor dem von der Polizei versperrten Eingang und weinten, weil sie sahen, wie ihr Zuhause demoliert wurde, in denen unter Anderem noch wichtige Dokumente und Besitztümer waren.

  • Nur Dank dem Engagement von Anwesenden ist es den Bewohner*innen ab Mittags möglich gewesen, die Zeltstadt noch einmal zu betreten, um ihre Sachen zu holen. Das war vorher so nicht mit eingeplant.

 

 

 

Wir kritisieren, dass die Politik sich der Verantwortung komplett entzieht:

 

 

 

  • Politiker*innen zeigten wenig Bereitschaft, mit Bewohner*innen oder Unterstützer*innen zu reden, um deren Perspektive zu verstehen. Darüber hinaus herrscht allgemeine Abwesenheit. Wo sind denn eigentlich die „Linken“? Politiker Kevin Hönecke redet vorallem mit der Presse und probiert dabei, dem Ganzen einen humanitären Anstrich zu verleihen.

  • Mitten am Tag, nachdem die Politik den Bewohner*innen zugesichert hatte, dass sie noch eine Woche Zeit hätten, weitere Besitztümer abzuholen, fingen die Bagger plötzlich wieder an, weiter zu baggern. Dafür war dann aber niemand mehr zuständig: Die Polizei schob alles auf die Eigentümerin – die war aber gar nicht mehr vor Ort. Die Sicherheitsfirma stimmte dem zu und verwies auch auf die Eigentümerin. Plottwist: Sobald die Bagger besetzt waren, war die Polizei auf einmal doch wieder zuständig! Von den Politker*innen ist schon länger nichts mehr zu sehen.

  • Die Politik argumentiert mit dem Kälteschutz, und hebt aber gleichzeitig mit dem „Kälteschutz“ die Duldung der Bewohner*innen in der Zeltstadt auf. Jetzt, da es leer steht, sei die Politik aber nicht mehr verantwortlich – und wenn die Eigentümerin jetzt anfangen will, abzubaggern, kann da leider niemand etwas tun!

 

 

 

 

Und nicht zu vergessen:

 

 

 

  • Ganz zufällig wurden vor zwei Tagen in Nachbarhäusern, die Padovicz gehören (in denen seit circa 30 Jahren überhaupt nichts repariert wurde), alle Türschlösser ausgetausch. Nicht, dass sich da ein frierender Obdachloser hinein verirrt?

 

  • Bei der ganzen Aufregung wird außerdem schnell vergessen, dass auf genau diesem Gelände spätestens ab nächsten Sommer die „Coral World“, eine ganz wichtige Touristenattraktion, gebaut werden soll.

  • Auf dem Gelände neben dem Camp finden derweil schon Infrastrukturbauarbeien statt. Die Baggerkante endet genau neben dem Camp. Die Bagger standen schon bereit. Wäre es nicht ein total gutes Argument, Menschen wegen „Kälteschutz“ aus ihrem Zuhause zu vertreiben und dann „Ups“ ihr Zuhause zu zerstören, und dann „Ach, wie praktisch“ einfach direkt anfangen können, zu bauen?

 

 

 

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