[HH] Redebeitrag zur Situation in den Knästen auf der "Streiken, Besetzen, Enteignen!"-Demo am 17.01.2021

Hier ein Beitrag, der am Sonntag, den 17.01.2020 auf der Demonstration "Streiken, Besetzen, Enteignen! Gemeinsam auf die Straße für eine solidarische Antwort auf die Corona-Krise" in Hamburg gehalten wurde.

 

Wir stehen hier unweit der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis, einem von 5 Knästen in Hamburg.
U-Haft – das bedeutet in den ersten Wochen 23 Stunden Zelle, enorme Einschränkungen der Kommunikation, das plötzliche Entreißen aus dem sozialen und familiären Umfeld. Angst, Stress, enormer Druck, der Mensch wird zum Verwaltungsakt degradiert.
Das ist das Kalkül des Systems U-Haft, es soll einschüchtern, verängstigen, brechen.
Als Teil des Justiz - und Gefängnissystems, welches immer nur der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Normalität dient -  indem es diejenigen sanktioniert, die in diesen Verhältnissen nicht konform funktionieren können oder wollen und indem es nicht zuletzt unter allen anderen Angst vor dem Regelbruch schürt.
Auch der Knast ist im Zuge der Pandemie nochmal eine ganze Ecke beschissener geworden. 
Wurden zu Beginn der Pandemie in einigen Bundesländern Menschen entlassen, die beispielsweise wegen nicht bezahlter Geldstrafen in Ersatzhaft saßen, herrschte ziemlich bald wieder Normalbetrieb – abgesehen eben von den nun noch schwierigeren Haftbedingungen, die dem Infektionsschutz dienen sollen.

Infektionsschutz heißt allerdings in Hamburg zum Beispiel, dass in der Untersuchungshaftanstalt schon seit Oktober wieder Doppelzellen belegt werden, weil der Knast so voll ist. Infektionsschutz heißt auch, dass die Neuinhaftierten eine zweiwöchige Quarantäne durchstehen müssen bevor sie auf andere Stationen oder Knäste verteilt werden, tatsächlich treten auch die Gefangenen, die eigentlich nach Billwerder oder Fuhlsbüttel müssten, ihre Haft im Holstenglacis an.
In dieser Quarantänefrist gibt es für die Gefangenen keine frische Kleidung, keinen Besuch – und deutlich reduzierte Duschzeiten.
In vielen Knästen wurden die Arbeitsplätze im Zuge der Pandemie geschlossen, sodass vielerorts wieder bis zu 23 Stunden Einschluss in den Zellen üblich war. Besuche durch Angehörige und Freunde wurden überall gestrichen oder mindestens reduziert und finden nur noch mit Trennscheibe statt. Gerichtsverhandlungen fallen aus, tagelanger 24stündiger Einschluss, wenn auf der Station jemand als Verdachtsfall getestet werden muss, so gut wie keine Informationen, und wenn, dann sicher nur in deutscher Sprache...

Die Liste an offensichtlicher Schikane unter dem Vorzeichen des Infektionsschutzes ließe sich ewig fortführen doch es lohnt sich, auch einen Blick auf den Widerstand gegen diese menschenverachtenden Maßnahmen zu werfen. Überall in Europa hat es Gefangenen gereicht, insbesondere die Beschränkung des Kontakts zu den Menschen draußen und die lebensgefährliche Ignoranz der Bediensteten hat immer wieder das Fass zum Überlaufen gebracht.

Auf nahezu allen Kontinenten kam und kommt es immer wieder zu Aufständen und Protestaktionen, bei denen es immer um eine Revolte gegen Zustände geht, in denen die Aufrechterhaltung von Macht und Kontrolle gegen alle Widerstände über die Gesundheit und Würde der Betroffenen gestellt wird.

In diesem Kampf gegen Entwürdigung und Entmenschlichung sollten sich diejenigen, die eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung im Sinn haben, wiedererkennen.
Spätestens in den letzten 1 ½ Jahren wurde insbesondere in Hamburg die Erfahrung gemacht, dass es gelingen kann, die Isolation zu überwinden.

Aus diesen Erfahrungen sollten wir schöpfen, denn der Knast rückt derzeit für Menschen, die gegen diese Verhältnisse kämpfen, wieder näher – sei es in Stuttgart, in Leipzig oder anlässlich der Kämpfe um den Hambacher oder Dannenröder Forst.

Doch die Knäste gehen nicht nur deswegen uns alle an – insbesondere die Entwicklungen in der Corona-Pandemie zeigen, dass es für für eine antiautoritäre, sozialrevolutionäre Perspektive eine solidarische, kämpferische Bezugnahme auf diejenigen braucht, die von diesen Verhältnissen besonders betroffen sind.

Vergessen wir also nicht die Eingesperrten – für eine Welt ohne Knäste!
Freiheit für alle Gefangenen!

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