Das "Massaker" von Odessa - Propaganda gegen Fakten

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Die tragischen Ereignisse in Odessa am 2. Mai 2014 werden gerade mit Hochdruck in eine Propaganda-Kampagne für Moskau verwandelt. Gleichzeitig sind die Fakten jetzt verfügbar und müssen allgemein bekannt gemacht werden. Wenn wir die unverschämten Behauptungen über ein “faschistisches Massaker" unwiderlegt durchgehen lassen, laufen wir Gefahr, erneut zu beweisen, wie wenig Menschen aus der Geschichte lernen.

08.08.14 | Halya Coynash | Charkiwer Menschenrechtsgruppe 
(Übersetzung aus dem Englischen)

 

Solange die schreckliche Realität des Abschusses [des malaysischen Flugzeugs] MH17 in den Köpfen der Menschen noch lebendig war, wurde die alternative Realität, wie sie in den russischen Medien präsentiert wurde, weithin als grotesk erkannt. Jede Leugnung könnte zur Zeit noch komisch erscheinen – dies wird aber in ein paar Monaten oder in einem Jahr aber nicht mehr unbedingt der Fall sein.

Und dessen sind sich diejenigen, welche die verschiedenen Verschwörungstheorien und Gegenbehauptungen präsentieren, sehr wohl bewusst. Je mehr die Erinnerungen der Menschen verblassen, präsentieren die Medien zunehmend alternative Sichtweisen, alternative Zeugenberichte, und besitzen dadurch einen immer größeren Einfluss auf die Wahrnehmung des Publikums. Hier könnte sich, wie bei politischen Talkshows, die Darstellung und der Sprachstil überzeugender erweisen als harte Fakten.

 

Mehr als drei Monate sind seit den Zusammenstößen zwischen Anhängern der ukrainischen Einheit [pro-Einheit] und Aktivisten der pro-Föderalismus-Bewegung in Odessa  vergangen, bei denen am 2. Mai durch ein schreckliches Feuer 48 Menschen getötet wurden. Über die Tragödie haben damals die meisten Weltmedien berichtet, wobei in vielen Berichten angedeutet wurde, dass sich damit ein Bürgerkrieg auf den Süden der Ukraine ausweiten würde. Dennoch ist die Situation in Odessa nicht eskaliert, und die Aufmerksamkeit der Medien hat nachgelassen. Das heißt, dass der Großteil der westlichen Berichte in den ersten Tagen erschienen, als die Hauptinformationsquellen Augenzeugen waren, die oft selbst als Teilnehmer der Veranstaltungen waren.

Seitdem bekam das Ereignis außerhalb der Ukraine vorwiegend Aufmerksamkeit aus dem russischen Außenministerium, den russischen Medien und von verschiedenen Organisationen mit unklaren Finanzierungsquellen. Die gemeinsame Agenda dieser Organisation war es fast nur, das von ihnen so bezeichnete “faschistische Regime in Kyiw” als Schuldigen zu präsentieren.

Alle diese Quellen liefern eine mehr oder weniger gleichlautende Version der Ereignisse: Diese konzentriert sich ausschließlich auf das Feuer im Gewerkschaftshaus in den Abendstunden und behauptet, dass Aktivisten der pro-Föderalismus-Bewegung bei lebendigem Leibe verbrannt wurden, wobei die Schuld eindeutig bei den ‘Radikalen’ und ‘Ultranationalisten’ des Rechten Sektors liege.

In einigen der Berichte heißt es, die “Radikalen” hätten Menschen getötet, die zu fliehen versuchten, sie seien erstickt oder erschlagen worden. Es wird außerdem behauptet, dass die wirkliche Zahl der Todesopfer unbekannt sei (oder geheim gehalten werde) und wahrscheinlich viel höher sei, und dass es Russland gewesen sei, das eine internationale Untersuchung gefordert habe und dessen Forderung angeblich ignoriert wurde.

 

Diese Version wird unverändert weiter verbreitet – ganz unabhängig von den Beweisen und den Ergebnissen der Beobachtermission der UN-Menschenrechtskommissarin, die in ihrem Bericht vom 15. Juni zusammengefasst sind – einem Bericht, der ein sehr viel umfassenderes und komplexeres Bild zeigt. Weitere Beweise und Berichte werden im Folgenden näher untersucht.

 

Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass diejenigen, welche die Version von den “mörderischen faschistischen Radikalen” immer noch verbreiten, nichts von dieser Beweiskraft dieser Fakten wissen. Eine Wanderausstellung mit ihren ganz eigenen ‘Zeugen’ der Ereignisse, die bereits in mindestens zwei EU-Ländern (Polen und Ungarn) gezeigt wurde, bietet eine große Anzahl von Zeugen zur Auswahl auf, sowie 8 Stunden Videomaterial [Anmerkung der Übersetzer: dabei handelt es sich möglicherweise um die gleiche oder ähnliche Ausstellung, die am Montag, dem 11.8. im Büro der Jungen Welt in Berlin präsentiert wird].

 

Medienberichte auf Russia Today und anderen Kanälen lassen mit Sicherheit annehmen, dass nur diejenigen Zeugen ausgewählt wurden, die sich als Opfer der mörderischen ‘Radikalen’ vom Rechten Sektor präsentieren oder die Ereignisse als “das wahre Gesicht des Kyiwer Faschismus” darstellen. Keine große Gegenleistung jedenfalls für eine All-inclusive bezahlte Rundreise quer durch Europa. Jemand hat da ohne Zweifel ein fettes Budget zur Verfügung, um es hierfür auszugeben.

Man kann nur noch Zynismus annehmen, insbesondere nach dem jüngsten Interview eines angeblichen Flüchtlings aus Slowjansk im russischen Ersten Kanal. Inklusive Beschreibung, wie ein dreijähriger Sohn eines vom Kreml unterstützten Militanten angeblich von ukrainischen Soldaten ‘gekreuzigt’ wurde  – all dies hat der Interviewer in vollem Ernst und trotz des Fehlens übereinstimmender Beweise für die angeblich öffentliche “Hinrichtung” (auf einem falsch benannten Platz) präsentiert.

Von Zeugen, die auf der einen oder der anderen Seite der Konfrontation standen, kann nicht unbedingt erwartet werden, dass sie Informationen liefern, die sie und ihre Mitkämpfer in ein schlechtes Licht rücken, oder zu strafrechtlicher Verfolgung Anlass geben.

 

Glücklicherweise gab es vor Ort anwesende Journalisten, die nicht nur über die Ereignisse berichteten, während sie passierten, sondern auch Live-Streams über die Ereignisse zur Verfügung stellten. Eine Gruppe von Journalisten, sowie ehemalige Polizeibeamte und andere haben die 2.-Mai-Gruppe gebildet, die das gesamte Videomaterial, forensische Berichte usw. untersucht hat. Mitglied der Gruppe war auch ein Journalist, der die pro-föderalistische Bewegung repräsentierte.

Ein Vertreter der Gruppe, Jurij Mukan, besuchte am 9. Juli in Brüssel die Anhörung des Europäischen Parlaments über die Ereignisse des 2. Mai und informierte die Abgeordneten über die vorläufigen Schlussfolgerungen der Gruppe.

Sein Auftritt war eindeutig nicht von der Veranstalterin Tatyana Zhdanok erwartet worden, einer lettischen Europaabgeordnete, die für ihre starken pro-russischen Ansichten bekannt ist. Zhdanok hatte angekündigt, dass bei der Anhörung vier Personen auftreten werden, alle mit einer ausgeprägten Anti-Kyiw-Ausrichtung, die die Abgeordneten über das von ihr “Massaker von Odessa” genannte Ereignis aufklären würden.

Die bemerkenswerteste Rednerin war sicherlich Galina Zaporozhtseva, eine ehemalige hochrangige Polizeibeamtin und Mitglied des Ausschusses der Soldatenmütter. Zaporozhtseva ist ein richtiger Star im russischen Fernsehen, und ihre Auftritte zu verschiedenen Brennpunkten rechtfertigen eigentlich eine separate Betrachtung. Ihre Behauptungen über die Ereignisse in Odessa halten noch nicht einmal einem flüchtigen Vergleich mit dem UN-Bericht und dem Videomaterial stand. Einige waren grotesk und absurd, beispielsweise die Behauptung, dass die “Radikalen” des Rechten Sektors sich des Kannibalismus im Gewerkschaftsgebäude schuldig gemacht hätten.

Die 2.-Mai-Gruppe geht davon aus, dass das Erscheinen Jurij Mukans und dessenWunsch, die Ergebnisse der Untersuchung als unabhängig zu präsentieren, dazu führten, dass Zhdanok versuchte, die Anhörung abzubrechen und ihn am Sprechen zu hindern. Ihre später auf Russia Today verbreitete Version lautete, dass die Kyiwer Behörden einen anonymen Menschen geschickt hätten, der die Anhörung stören und verhindern sollte, dass die Abgeordneten die Wahrheit über die Ereignisse Odessa erfahren könnten. Im Gegensatz zu ihr hatte Radio Liberty keinerlei Schwierigkeiten bei der Identifizierung derjenigen Menschen, die in diesem Film aufgezeichnet wurden.

Während es in den ersten Tagen nach der Tragödie Verwirrungen und widersprüchliche Versionen der tatsächlichen Ereignisse gab, ist dies heute nicht mehr der Fall. Es gibt genügend Videomaterial, angereichert durch Zeugenaussagen, Beweismaterial und die Ergebnisse der forensischen Untersuchungen. Einiges davon ist unten bereitgestellt und wird aktualisiert werden, sobald mehr verfügbar sein wird.

 

Es bleiben einige grundlegende Fragen offen, insbesondere über die Rolle bestimmter hochrangiger Polizeibeamter, und das Versagen der Polizei und der Feuerwehr, schnell in einer Situation der großen Gefahr für menschliches Leben oder überhaupt zu reagieren.

Die 2.-Mai-Gruppe betont die Notwendigkeit der Teilnahme unabhängiger internationaler Experten an einer umfassenden Untersuchung. Dies ist entscheidend, in erster Linie, um das Vertrauen in die Ergebnisse zu gewährleisten und andererseits um eine Analyse der Tragödie und einer Bewertung der Schuld zu ermöglichen, die nicht als voreingenommen und wenig objektiv abgelehnt werden kann.

Jede Verzögerung dient nur denjenigen, die die Unsicherheit und den scheinbaren Mangel an Beweisen verwenden wollen, um ihre Version der “faschistischen Junta” zu verbreiten. Unmengen von Geld werden in diese Bemühungen kanalisiert. Das einzige, was sie nicht auf ihrer Seite haben, ist die Wahrheit.

 

Lassen Sie es uns angehen.

 

Das folgende Material stammt vor allem von der 2.-Mai-Gruppe. Der erste Text wurde bei der Anhörung im Europäischen Parlament vorgestellt, er wurde hier nur zur besseren Lesbarkeit etwas gekürzt.

18. Juli 2014: Vorläufige Ergebnisse zu den Ereignissen am 2. Mai, präsentiert bei der Anhörung des Europäischen Parlaments

 

1. Die Gruppe hat Gründe zu behaupten, dass die Polizei über mögliche Störungen der öffentlichen Ordnung am 2. Mai vorgewarnt war.

2. Die Gruppe ist der Ansicht, dass der Plan der Polizei zwar eine ausreichende Anzahl von Beamten für die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung vorsah, ihr tatsächlicher Einsatz aber nicht in vollem Umfang den gegenwärtigen Gefahren entsprach. In anderen Worten,der Plan wurde nicht umfassend umgesetzt. Die Gruppe ist der Ansicht, dass dies Gegenstand einer Untersuchung durch unabhängige (ausländische) Experten für öffentliche Ordnung sein sollte.

3. Die Gruppe stellt fest, dass die regionale Polizeiverwaltung und in erster Linie deren Leiter, Petro Lutsjuk, über genügend Befugnisse, Einsatzkräfte und Mittel verfügte (einschließlich der Angehörigen zivilgesellschaftlicher Organisationen, mit denen die Polizei gewöhnlich in Kontakt tritt), um die Unruhen zumindest anfangs zu lokalisieren, und zu verhindern, dass sich die Gewalttätigkeiten auf dem Kulikowo-Pole-Platz fortsetzten – die Polizei aber dabei scheiterte, diese Mittel auch einzusetzen. Nach Ansicht der Gruppe hat dies ein höheres Maß an Gewalt provoziert.

4. Der Gruppe liegen Informationen vor, dass der Leiter der für Odessa zuständigen Regionalabteilung der Staatlichen Notfallverwaltung, Wolodymyr Bodelan, der für die Brandbekämpfung am Gewerkschaftshaus verantwortlich war, die Situation falsch eingeschätzt hat. Dies führte dazu, dass die Feuerwehrleute die Todesfälle durch die Flammen und Rauchvergiftung nicht verhindern konnten.

5. Die Gruppe kam zu dem Schluss, dass zumindest einige Gruppen und Mitglieder der verfeindeten Seiten die Auseinandersetzungen im Voraus vorbereitet hatten. Es gibt aber auch Fakten, die zeigen, dass keine der beiden Seiten beabsichtigte, ihren Gegnern tödliche Verletzungen beizubringen. Dazu gehört die von den Aktivisten getragene Ausrüstung sowie die Tatsache, dass die Gewehre, mit denen die tödlichen Schüsse abgefeuert wurden, erst ein- oder zwei Stunden nach dem Beginn der Zusammenstöße auftauchten.

6. Die Gruppe hat Grund zu der Annahme, dass die ersten Massenzusammenstöße eine Folge der bewussten und geplanten Aktivitäten einer der zahlreichen Gruppenwaren, die Teil des Protestlagers auf dem “Kulikowo-Pole” [dem Lager der pro-Föderalismus-Bewegung] waren. Diese Aktionen waren nicht mit anderen Gruppen abgesprochen und erfolgten auch gegen die Anweisungen ihrer eigenen Kommandeure.

7. Zum jetzigen Zeitpunkt hat die Gruppe keine Gründe für die Annahme, dass Phosphorbrandmunition, wie das Militär sie verwendet, im Gewerkschaftshaus verwendet wurde.

8. Nach offiziellen Informationen der Ermittlungsbehörde und des Amts für forensische Medizin waren die im Gewerkschaftshaus getöteten Menschen keinem militärischen Toxin oder stark wirkenden Substanzen ausgesetzt. Die offizielle Feststellungen der Todesursache lautete in allen Fällen auf durch das Feuer verursachte Faktoren: entweder Verbrennung in den Flammen, inklusive Kohlenmonoxid oder andere brandbedingte Vergiftung oder wenn die Opfer auf der Flucht [aus großer Höhe] sprangen.

Genau studiert wurden von der Gruppe Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen, zweitens Informationen, die den Mitgliedern nur unter Geheimhaltungspflicht zugänglich gemacht wurden, und drittens von russischen ukrainischen und ausländischen Medien veröffentlichte Informationen.

Derzeit gibt es keine substantiierten oder anderweitig objektiven Anhaltspunkte dafür, dass im Gewerkschaftshaus massenweise giftige Substanzen angewendet wurden. Es wurde auch nicht davon berichtet, dass diejenigen Feuerwehrleute, Ermittler und Sachverständige, die sofort nach dem Brand eintrafen und in dem Gebäude arbeiteten, sich vor giftigen Substanzen hätten schützen müssen. Es liegen keine Abgaben darüber vor, dass Menschen in dem Gebäude oder direkt um es herum aufgrund tödlicher oder nicht-tödlicher Dosen von toxischen Substanzen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Die Gruppe untersucht das Material weiterhin, um eine eindeutige und umfassend begründete Antwort in Bezug auf die Frage geben zu können, ob giftige Stoffe verwendet wurden.

9. Die Gruppe teilt die Ansicht der UNHR-Mission, dass einige pro-ukrainische Aktivisten versuchten, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen und Menschen zu verprügeln, die im Feuer verletzt worden waren; andere nahmen an Versuchen teil, die Menschen aus dem brennenden Gebäude zu retten und versuchten, die Gewalt zu stoppen.

10. Zum heutigen Zeitpunkt liegen der Gruppe keine objektiven Anhaltspunkte dafür vor, dass die Zahl der Todesopfer größer als die offiziell angegebene war.

 

Die Schlussfolgerungen der Gruppe basieren auf offen zugänglichen Informationen; auf amtlichen Antworten auf Anfragen; auf Audio-und Videomaterial aus öffentlichen Quellen und auf eigenen Aufnahmen von Gruppenmitgliedern; sowie auf Informationen, die sie von Teilnehmern und Zeugen erhalten hat, darunter einige auf vertraulicher Basis.

 

Mitglieder der 2.-Mai-Gruppe:

Wladislaw Balinskij; Serhyj Dibrow; Tetjana Herasimowa; Walerija Iwaschkina; Jurij Mukan; Jewhen Peresypkin; Pawlo Polamartschuk; Wolodymyr Sarkisjan; Wladislaw Serdjuk; Leonid Schtekel; Jurij Tkatschow; Jurij wesilyk; Wera Saporoschetz.

 

Die meisten der russischen Medienberichte konzentrierten sich nur auf das Feuer, oder – wenn sie die früheren Unruhen überhaupt erwähnen – schoben sie die Schuld auf “Radikale” des Rechten Sektors und rechtsextremistische Fußball-Fans aus dem pro-Einheits-Lager.

 

Die 2.-Mai-Gruppe hat bereits früher eine Chronologie der Ereignisse veröffentlicht, die zeigt, dass die Situation weit komplexer war. Der erste der sechs vor dem Feuer getöteten Menschen (alle durch Schusswunden) war ein Aktivist der pro-Einheits-Bewegung, allerdings gab es Opfer auf beiden Seiten. Obwohl die Zusammenstöße ursprünglich von einer bestimmten Gruppe von Aktivisten der pro-Föderalismus-Bewegung verursacht wurden, haben Aktivisten beider Seiten zweifellos eine aktive Rolle bei den Unruhen gespielt und einige haben dabei schwere Verbrechen begangen.

 

Das Narrativ des ‘Massakers’ von Odessa behauptet, dass:

  • die Pro-Föderalismus Aktivisten in das Gewerkschaftshaus flohen, um sich vor einer aufgebrachten Menge von pro-Einheits-“Radikalen” zu schützen, die Zelte der Föderalisten verbrannt hatten;
  • das Gewerkschaftshaus vorsätzlich in Brand gesetzt wurde;
  • von diesen “Radikalen” entweder im Gewerkschaftshaus Menschen getötet wurden, oder dann getötet wurden, als sie es geschafft hatten, aus ihm zu herauszukommen;
  • Nicht erwähnt wird in der Regel die 40-minütige Verzögerung, mit der die Feuerwehr am Ort des Geschehens eintraf, obwohl die Feuerwache in unmittelbarer Nähe liegt.

Diese Version steht in direktem Widerspruch mit den Tatsachen.

 

Keine Spontaneität

1. Nach Vladislav Balinsky aus der 2.-Mai-Gruppe zeigen die Beweise, dass einige der Aktivisten der pro-Föderalismus-Bewegung gut vorbereitet waren, um sich im Gebäude zu verbarrikadieren und das Gewerkschaftshaus zu verteidigen.

2. Die Polizei zeigte aus irgendeinem Grund nicht den Wunsch, die Menschen auf dem Kulikowo-Pole-Platz zu schützen: Weder wurde für Bewachung im Umkreis gesorgt, noch eine Evakuierung vorgenommen, obwohl die Aktivisten der pro-Einheits-Bewegung keinen Hehl daraus machten, dass sie das Zeltlager auseinandernehmen wollten.

3. Bereits mehrere Stunden zuvor waren Barrikaden gebaut worden – mit einer großen Menge entzündlicher Flüssigkeiten (für Molotow-Cocktails), auch Orte zum Schlafen und  Erste-Hilfe-Punkte waren alle vorbereitet. Das Foto hier zeigt, wie Menschen ganz ruhig in das Gewerkschaftsgebäude gehen.

4. Trotz der offensichtlichen Gefahr wandten “bestimmte Führer der Proteste auf dem Kulikowo-Pole-Platz” ([Aleksej] Albu [von der Borot'ba], Artem Dawydenko und andere) Täuschung oder offene Aufrufe an, um rund 380 Personen in das Gebäude zu locken.

Bereits vor den ersten Zusammenstößen gab es Aufrufe, in denen die Menschen zum Beispiel aufgefordert wurden, dass sie medizinische und andere Hilfe sammeln sollten.

Zeugen zufolge wurden einige der Leute an der letzten Haltestelle der Straßenbahnlinie 18 offen ausgetrickst. Ihnen wurde gesagt, dass es eine Bombe in der Straßenbahn gebe, und dass sie sich im Gewerkschaftshaus verstecken sollten.

Dies hatte zur Folge dass aus einer kleinen Gruppe von rund 50 Personen eine Menschenmenge von rund 400 Menschen in dem Gebäude wurde.

5. Als die Demonstranten [der pro-Einheits-Bewegung] ankamen, um [das Lager auf dem] Kulikowo-Pole-Platz anzugreifen, wurden sie mit Schüssen aus Gewehren, Brandgeschossen und Molotow-Cocktails empfangen, wobei das Feuer aus dem Gewerkschaftshaus heraus oder von dessen Dach kam.

 

Die pro-Einheits-Aktivisten wussten nicht, dass sich noch andere, unbewaffnete Menschen in dem Gebäude befanden, und antworteten ihrerseits mit aggressiven Handlungen. Dies führte zunächst dazu, dass die Barrikaden am Eingang in Flammen aufgingen, und das Feuer sich dann ins Innere des Gewerkschaftshauses ausbreitete.

 

Es gibt Grund zu der Annahme, dass einige der Zelte außerhalb in Brand gerieten, weil sie von Brandgeschossen oder Molotow-Cocktails vom Dach aus getroffen wurden (es scheint keine Beweise dafür zu geben, dass diese aus dem Inneren des Gebäudes herausgeschleudert wurden).

 

Bei 2’16 auf dem Video kann man sehen, wie ein Brandgeschoss ein Zelt entzündet:https://www.youtube.com/watch?v=_4ZFPE1jV5k

 

Um die erste Minute herum sieht man auf diesem Video hier deutlich, wie Aktivisten Molotow-Cocktails werfen, von denen zumindest einer ein Zelt trifft: https://www.youtube.com/watch?v=fLxSZ1ZG-JA#t=59

Bei 1’16 des Videos hier ist es ganz klar zu sehen, dass ein Schuss aus dem Gebäude abgeschossen wird: https://www.youtube.com/watch?v=CB6axlE-sRQ#t=46

Bei 1’44 in dem Video hier feuert die Person links am Fenster einen Schuss ab:https://www.youtube.com/watch?v=8mPAZ6SW1kk

Ab 1’50 im Video unten erklärt und zeigt die sprechende Person Schüsse durch die Fensterscheibe, die beweisen, dass dieses Fenster benutzt wurde, um aus ihm heraus auf Menschen zu schießen. Es war ein idealer Ort, sagt er, weil die Leute unten nicht sehen konnten, wo die Schüsse herkamen: https://www.youtube.com/watch?v=RHEeUJB7haM#t=123

Von 5’10 bis 7’50 in dem Video hier ist zu sehen, dass zahlreiche Molotow-Cocktails geworfen wurden: https://www.youtube.com/watch?v=VFU-tWEFarE#t=307

In den Dachrinnen wurde eine große Anzahl von Kugeln des Kalibers 7.62 und 5.56 gefunden.

6. Die Aktionen bestimmter Pro-Föderalismus-Aktivisten zur Verteidigung des Gewerkschaftshauses, auch mit dem Einsatz von Schusswaffen:

  • hinderten diese an der Flucht in einen sicheren Teil des Gebäudes;
  • behinderten die Bemühungen, andere zu retten, die Hilfe benötigten, durch Hilfe von pro-Einheits-Aktivisten von außerhalb und – so die offizielle Version – durch die Rettungsdienste.

Dies wird sowohl durch direkte und indirekte Beweise bestätigt: Fotos und Videomaterial; die forensischen Feststellungen der Todesursache; die thermodynamischen Modelle des vorhandenen Feuers; Aussagen von Zeugen und Teilnehmern, sowie der offizielle Bericht von Wolodymyr Bodelan, der beschreibt, auf welche Weise der Brand gelöscht wurde.

 

7. Die Maßnahmen der EuroMaidan-Aktivisten und der Ultras [Fußballfans] beim Eindringen in das Gewerkschaftshaus (vom linken Seiteneingang), auch mit dem Einsatz von Schreckschusspistolen und Druckluftwaffen führten dazu, dass die Pro-Föderalismus-Aktivisten nicht in der Lage waren, den linken Flügel für die Evakuierung und zum Sammeln in den zentralen und rechten Teilen des Gebäudes zu nutzen. Der Haupteingang war auch von Flammen blockiert.

 

Nach Informationen der 2.-Mai-Gruppe hatten diese aggressiven pro-Einheits-Gruppen Schusswaffen – aber es gibt keine Beweise, dass sie auch verwendet wurden (keine Spuren von Kugeln; keine Opfer; kein Video zeigt die Verwendung von Waffen). Es liegen jedoch zuverlässige Informationen vor, dass ein Mitglied einer ‘Selbstverteidigungseinheit’ [Sotnja] von dem nur der Name Mykola bekannt ist, eine Schreckschusspistole besaß. Es gibt auch Hinweise und die Zeugenaussage des Opfers, dass mit einem Revolver mit einem Flaubert-Schusssystem auf eines der Fenster an der Grünen Schauspielhalle gezielt wurde.

Bei 6’10 auf dem Video unten kann man Mykola sehen, wie er auf ein Fenster schießt (wahrscheinlich den Flur im vierten Stock, das zweite von der Ecke).https://www.youtube.com/watch?v=Qp19bq3426o

8. Der komplizierte Grundriss des Gebäudes, die Barrikaden, die durch Geländer blockierten Durchgänge, der geschlossene Aufgang zum Dach; der intensive Rauch; und die schlechte Beleuchtung hinderten Menschen, sich rechtzeitig in einem sicheren Teil des Gebäudes in Sicherheit zu bringen. Diese Schlussfolgerung beruht auf der Basis von Foto- und Videomaterial; Zeugenaussagen der Zeugen; den Fundorten der Leichen; einer Karte, die die am meisten von Rauch betroffenen Gebäudeteile zeigt; eine Skizze des Grundrisses des Gebäudes vom 4. Mai  und seine technische Dokumentation aus dem Jahr 1997; und anderem.

9. Die große Menge an brennbaren Stoffen (einschließlich Sprengstoffen) an den Barrikaden im Foyer des Erdgeschosses am Eingang sorgte dafür, dass das Gebäude in Brand geriet und das Feuer sich schnell ausbreitete. Dies führte auch zu einer hohen Temperatur von bis zu 800 Grad und intensiver Rauchentwicklung in den Korridoren des zentralen Flügels.

10. Balinskij schreibt, dass seine Rückschlüsse, unter anderem auf die Geschwindigkeit, mit der sich die Flammen ausbreiteten, sich auf die Sachverständigengutachten der Gebäudeteile stützen, die vom Feuer betroffen waren; auf die Brennbarkeit von Materialien und Oberflächen; Temperatur-Indikatoren; die Skizze der vom Rauch betroffenen Gebäudeteile; das thermodynamische Modell des Feuers und die aerodynamischen Besonderheiten des Gebäudes, wobei diese in Bezug auf die Position der Leichen; die offiziellen Schlussfolgerungen über die Todesursache; das fotografische und Videomaterial, Zeugenaussagen usw. gesetzt wurden.

Er schreibt, dass es ein besonderes Merkmal dieses Feuers war, wie schnell sich seine zweite Phase entwickelte. Dies bedeutet, dass die Pro-Föderalismus-Aktivisten, die sich in der ersten Phase des Feuers aus einer Reihe von Gründen (siehe Artikel 6 und 8 oben) nur in einem bestimmten Bereich konzentriert befanden, sich plötzlich im Epizentrum des Feuers mit einer Temperatur von ca. 700 Grad Celsius befanden. Sie starben in den Flammen, oder weil sie beim Versuch zu entkommen aus dem Fenster sprangen.

11. Der große Zeitverlust vor der Ankunft der Feuerwehr und dem Beginn der Brandbekämpfung führte unmittelbar dazu, dass der Herd des Feuers im Foyer an den Wänden der zentralen Treppe unvorhersehbar und schnell emporstieg, was den Tod der meisten Menschen verursacht hat.

Am Ende drückt Vladislav Balinsky sein Mitgefühl für die Familien der Opfer aus.

 

Die Behauptungen, “Radikale” hätten Menschen getötet, die dem Feuer entkommen waren, konnten nicht durch Videoaufnahmen belegt werden, noch passen sie zu den Aussagen von Zeugen, wie z.B. Serhyj Dibrow, dem Koordinator der Gruppe, der selbst Streaming-Aufnahmen der Ereignisse von rund sieben Stunden Länge aufgenommen hat.

Es gab sicherlich Fälle, in denen pro-Einheits-Demonstranten Menschen angriffen, die aus dem Gebäude entkommen waren. Es gab nur wenige solche Gelegenheiten, aber es kann nicht abgestritten werden.

Ohne ein solches Verhalten damit rechtfertigen zu wollen, ist es dennoch bemerkenswert, dass diejenigen russischen Medien und Organisationen, die darauf insistieren, dass Menschen als Opfer von “Radikalen”, die das “wahre Gesicht des Faschismus” zeigten, ermordet wurden, die folgenden Tatsachen entweder ignorieren oder ganz einfach nur lügen:

  • Die Tatsache, dass die ersten Opfer Demonstranten der pro-Einheits-Bewegung waren, deren friedliche Demonstration angegriffen wurde;
  • Die Tatsache, dass es Leute gab, die aus dem Gebäude heraus schossen und Molotow-Cocktails warfen;
  • Die erheblichen Beweise dafür, dass es verzweifelte Versuche gab, um noch vor der Ankunft der Feuerwehr die durch das Feuer Eingesperrten zu retten.
  • Ein solcher Nachweis findet sich in der Aufnahme von Dibrow hier:https://www.youtube.com/watch?v=Z1sBMnpcgxE&feature=youtu.be

 

Bei rund 2’0 auf dem Video sehen Sie den Versuch, den Menschen auf Fensterbänken zu helfen (drei an einem, zwei an einem anderen) zunächst durch das Zuwerfen eines Seils, und dann mit einer Person, die eigentlich immer so hoch steigt, wie die Leiter reicht, um das Seil anzureichen. Leute rufen ihnen zu: “Springen Sie nicht” (da der Abstand viel zu groß war). Bei rund 4’30 erklärt Dibrow, dass die bisherigen Versuche gescheitert sind, und erwähnt mit Frustration, dass die Feuerwehr noch nicht gekommen sei, obwohl sie gleich um die Ecke [stationiert] ist.

Bei etwa 6’08 hört man einen Dialog zwischen zwei Personen, einer sagt: “Aber das sind Menschen!”; der andere: “was soll’s?”, und der erste antwortet: “Spiel ist Spiel, aber Scheiße, niemand will, dass die Menschen sterben.”

Ob einige nicht einverstanden waren oder einfach gedankenlos waren, ist schwer zu sagen, aber trotz des tobenden Feuers, und der Tatsache, dass Menschen feststeckten, können Sie sehen, wie immer noch ein paar Molotow-Cocktails geworfen werden (um 7’00, kurz nachdem Dibrow sagt, dass die Erstürmung des Gebäudes sich allmählich in einen Einsatz zur Rettung derjenigen, die eingesperrt waren, verwandelt hatte).

Um 9’07 gibt es großen Beifall von unten, als es schließlich gelingt ein Seil anzureichen, um zwei Personen auf der Fensterbank zu retten.

Auf der anderen Seite weist Dibrow darauf hin (um 9’40), dass noch während der Bemühungen zur Rettung von Menschen andere weiterhin Steine ​​und brennende Dinge vom Dach des Gebäudes werfen.

Bei Minute 11’00 Uhr wirft ein junger Mann mit einer roten Jacke einen Molotow-Cocktail an einen Teil des Gebäudes, wo der Rettungsversuch gerade erst anfängt. Die Empörung von den Leuten ist groß, sie schreien ihn wütend an (und Dibrow erzählt seinen Zuschauern ein wenig später, dass sie ihn beinahe verprügelt hätten).

Kurz nach 13’00 Uhr gibt es wieder Applaus, diesmal, weil einige der pro-Einheits-Aktivisten es geschafft haben, ein Baugerüst bis zu dem Gebäude zu ziehen, um damit die Rettung zu ermöglichen.

Ein junger Mann steigt dann auf das Gerüst, und nach ein paar Versuchen schafft er es, das Seil hoch genug für die im Stockwerk darüber befindlichen Leute zu werfen. Erst zu diesem Zeitpunkt dieser Rettungsaktion kommt endlich ein Feuerwehrfahrzeug an. Dibrow äußert die Hoffnung, dass sie aufgrund der immer noch vom Dach heruntergeworfenen Molotow-Cocktails nicht gezwungen werden, wieder abzuziehen. Es gibt Jubel und Rufe “Ukraina”, als die ersten Menschen gerettet werden.

Es ist erwähnenswert, dass Dibrow in dem Streaming während der Ereignisse auch in dieser Phase immer noch die Hoffnung hat, dass sich jetzt alles zum Guten wendet und dass es keine Verletzten gegeben hat. Die Zahl der Menschen in dem Gebäude und das Ausmaß der Katastrophe war einfach unbekannt.

Bei 27’00 werden die letzten Menschen unter dem Beifall von denen außerhalb evakuiert.

Dibrow spricht konsequent von “Gegnern”, und bleibt bis zum Ende dabei. Er erwähnt, dass um diese Zeit ein Korridor geschaffen wurde, um den Pro-Föderalismus-Aktivisten zu ermöglichen, das Gebiet sicher verlassen zu können. Mit Grund, denn eine Person stürzte sich auf sie.

Hier und in einem anderen Video, das noch später aufgenommen wurde, sind die Angegriffenen in guter Verfassung, nachdem sie sich aus dem Gebäude gerettet hatten, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass irgendjemand versucht, sie zu töten. Andere Anwesende fordern diejenigen, die sich aggressiv verhalten, auf, dies zu stoppen.

Es gibt viel Videomaterial, und mehr Beispiele könnten bereitgestellt werden – über das unsachgemäße Verhalten von einigen wenigen, aber auch von echtem Mut, auch von ein paar wenigen. Und über ganz normales menschliches Verhalten, wenn das Leben von  Menschen in Gefahr ist, von einer viel größeren Zahl. .

Es bleiben mehrere Fragen offen, nicht zuletzt über die verurteilenswerte Verzögerung der Ankunft der Feuerwehr am Schauplatz eines massiven Feuers.

 

8.8.2014
Hayla Coynash – Charkiwer Menschenrechtsgruppe
Englisches Original: http://khpg.org.ua/en/index.php?id=1407453894

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