[改道] Gǎi Dào Sonderausgabe: 1. Mai
In der mittlerweile 5. Sonderausgabe unserer kleinen Zeitschrift dreht sich dieses Mal alles um den 1. Mai. Es dürfte wenige Tage geben, die auf eine so bewegte Geschichte zurückblicken können: 1886 begründet durch den Haymarket Riot, das tragische Ende des Kampfes zehntausender Arbeiter*innen für den 8-Stundentag im amerikanischen Chicago. Nach brutalen Polizeiübergriffen auf die Streikenden explodierte am Tag darauf inmitten einer Protestkundgebung eine Bombe, woraufhin heftige Gefechte zwischen Arbeiter*innen und der Polizei ausbrachen. Die Bilanz waren über zwei Dutzend Tote, hunderte Verletzte und acht inhaftierte Anarchisten, die als Verantwortliche ausgemacht wurden. Vier von ihnen wurden kurz darauf hingerichtet.
Neben dieser Entwicklung ist der 1. Mai aber gleichzeitig auch Thema jährlich wieder kehrender Debatten innerhalb der linksradikalen und anarchistischen Bewegung, über Sinn und Zweck des Traditionstages. In vielen Städten beteiligen sich linksradikale Strukturen als antikapitalistische Blöcke an den DGB-Demos oder betreiben Infostände auf deren Festen. Andere bleiben diesen Veranstaltungen von vornherein fern, entweder aus Ablehnung gegenüber dem reformistischen Gewerkschafts- und Parteienklüngel, oder aufgrund einer allgemeinen Kritik am Konzept des 1. Mai.
Auch innerhalb unserer Redaktion gehen die Meinungen dabei auseinander, weswegen wir an dieser Stelle auch keine endgültige Position pro oder contra einnehmen wollen und es darüber hinaus auch nicht die Intention dieses Artikels ist. Aber wir fänden eine Diskussion darüber spannend, nicht nur speziell über Sinn und Zweck des 1. Mai, sondern über das Verhältnis einer linksradikalen / anarchistischen Bewegung gegenüber solchen „Traditionstagen“, von denen es in der deutschsprachigen Demonstrationskultur nun doch einige gibt. Als Stichworte seien exemplarisch genannt: Revolutionärer 1. Mai, die Silvio Meier oder die Liebknecht-Luxemburg-Demo in Berlin; das Schanzenfest in Hamburg oder die NATO-Sicherheitskonferenz in München. Gerne bieten wir als Zeitschrift dafür ein Forum und mit Sicherheit würde sich der eine oder die andere aus unserem Zusammenhang an einer solchen Debatte beteiligen.
Aber nun zu Sinn und Zweck dieses Artikels. Unabhängig der erwähnten Debatte beobachten wir in den letzten Jahren eine wachsende Unzufriedenheit an vielen Orten gegenüber der ritualisierten Praxen und stellen erfreut fest, das gerade aus anarchistischen Kreisen vielerorts der starke Wunsch aufkommt, eigene Inhalte und Konzepte wieder stärker in den Fokus der Begehung dieses Tages rücken, oder zumindest diese zur Diskussion zu stellen. So finden in diesem Jahr so viele explizit anarchistische Demonstrationen, Straßenfeste oder Blöcke statt, wie schon einige Zeit nicht mehr.
Aus diesem Grund haben wir uns als Redaktionskollektiv entschieden, diesen Prozess mit einer eigenen Sonderausgabe zu unterstützen. Dabei war es uns wichtig, die Entwicklung in den verschiedenen Teilen des deutschsprachigen Raumes zu betonen und sie mit einander in Beziehung zu setzen. Neben einem obligatorischen Text über die Geschichte des Tages aus anarchistischer Perspektive, findet ihr deshalb Beiträge von Gruppen und Bündnissen, die lokal anarchistische Demos und Straßenfeste organisieren, oder sich zumindest als eigener Block an spektrenübergreifenden Demonstrationen beteiligen. In diesen Beiträgen geht es jedoch weitestgehend nicht um deren eigene Position gegenüber dem 1. Mai, sondern vielmehr um eine kleine Übersicht welche Kämpfe sich gerade in ihrer Stadt oder Region abspielen, weswegen sie – unter anderem – an diesem Tag auf die Straße gehen. Wir erhoffen uns neben einem gegenseitigen Austausch auch konkret das Bewusstsein der jeweils lokalen Leser*innen dafür zu sensibilisieren, dass sie in diesem Moment nicht die einzigen sind, die als anarchistische Demo oder Block für ein Ende der Gesamtscheiße und die befreite Gesellschaft demonstrieren.
Wie jede Sonderausgabe, wird auch diese in einer großen Auflage gedruckt und auf den Demos und Straßenfesten in Berlin, Bonn, Freiburg, Dresden und Stuttgart verteilt werden. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen, egal ob auf einer der genannten Demonstrationen oder weit ab davon vor dem heimischen PC. Zum Schluss möchten wir betonen, dass die aufgezählten Demonstrationen natürlich bei weitem nicht die ganze anarchistische Beteiligung an diesem Tag darstellen und es darüber hinaus viele anarchistische Gruppen, Strukturen und Individuen gibt, die sich in verschiedenen Formen an lokalen Veranstaltungen beteiligen. Die Auswahl resultiert aus dem guten Kontakt in die jeweiligen Städte. Bei entsprechender Resonanz können wir uns eine Wiederholung für das kommende Jahr gut vorstellen, dann auch gerne mit vielen weiteren Beiträgen.
Dennoch wollen wir euch die Details der Veranstaltungen in den fünf Städten nicht vor enthalten, schließlich erwarten euch sympathische Menschen und guter Lesestoff, wenn's mal wieder länger dauert.
Berlin13:00 Uhr: Verschiedene anarchistische Infostände vor und neben der NewYorck (Bethanien-Südflügel, Mariannenplatz 2a, Kreuzberg)
17:00 Uhr: Unangemeldete Demo unter dem Motto „Schnauze voll: Verdrängung stoppen – Zwangsumzüge verhindern! Miet-Streik jetzt!“ (Mariannenplatz – Feuerwehrbrunnen, Kreuzberg)
18:00 Uhr: Revolutionäre 1. Mai Demo mit libertärem Block (Spreewaldplatz, Kreuzberg)
Bonn
14:00 Uhr: Libertär-Anarchistische Demonstration (Kaiserplatz)
16:00 Uhr: Straßenfest (Frankenbad)
Organisiert vom Bündnis Bonn Libertär
Dresden
12:00 Uhr: Demonstration „Wir kriegen nur wofür kämpfen! Organisiert Schule, Betrieb und Kiez!“ (Theaterplatz)
Organisiert vom Allgemeinen Syndikat Dresden / Libertäres Netzwerk Dresden
Freiburg
12:30 Uhr: Unangemeldete Demo „Nieder mit der Arbeit. Gegen Staat, Nation und Kapital“ (Stühlinger Kirchplatz/Wannerstr.)
14:00 Uhr: Unangemeldetes Straßenfest „Im Grün“
Organisiert vom anarchistischen Vorbereitungsbündnis
Stuttgart
11:30 Uhr: Libertärer Block in der Revolutionären 1. Mai Demo (Schlossplatz)
Organisiert vom Libertären Bündnis Ludwigsburg und der FAU Stuttgart
[改道] Gǎi Dào Sonderausgabe: 1.Mai
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