Occupy Wallstreet - Über Neoliberalismus, Demokratie und die aktuellen sozialen Kämpfe in den USA

Kombinat Fortschritt 13.10.2011 14:06 Themen: 3. Golfkrieg Antifa Blogwire Soziale Kämpfe Weltweit
Seit einigen Wochen besetzen in New York Menschen den Liberty Square, einen Platz nahe der amerikanischen Börse in der Wall Street, um gegen die sozialen Ungerechtigkeiten und die Macht der Ökonomie über die Politik zu protestieren. Die Bewegung wächst und breitet sich nun über die ganzen Vereinigten Staaten aus. Es scheint, dass nun ein neuer Akteur auf der politische Bühne erschienen ist, der das breite aber deshalb auch diffuse Unbehagen an den bestehenden Verhältnissen in den Staaten in emanzipatorische Bahnen leiten und damit auch als Gegenspieler zur rechten Tea-Party Bewegung auftreten könnte. In der deutschen Linken reichen die Reaktionen von Begeisterung bis Skepsis und Antisemitismusvorwürfen. - Ein Beitrag zur Frage wie „Occupy Wallstreet“ zu bewerten ist...
Die Bewegung hat in den vergangenen Tagen und Wochen enorme Erfolge feiern können. In den kritischen Beiträgen innerhalb „der“ deutschen Linken wird allerdings immer wieder darauf verwiesen, dass die Forderungen der Protestierenden ja gar nicht radikal genug seien und dass sie sowieso eine falsche Herangehensweise wählen würden, wenn sie mit ihren Forderungen an den Staat appellieren. Stellt man sich auf einen solchen radikalen Standpunkt, der eine reine Politik fordert und eine unversöhnliche Distanz zum Staat einhalten und diese aufrechterhalten will, dann ist es in der Tat einfach über die Proteste zu richten. Nur wie mit einer solchen reinen, durch Strategie und Pragmatismus unbefleckten Politik das ganz Andere, der Bruch der alles anders macht, zu erreichen wäre – diese Frage bleibt dabei stets offen. Um zu verstehen, worum es bei Occupy Wall Street geht und warum die Bewegung positiv ist, bedarf es daher einer Verschiebung der Perspektive.

Was ist das zugrunde liegende Problem?

Am Anfang steht die Wahrnehmung der Menschen, dass in den Vereinigten Staaten sich der Staat durch die Privatisierung und Flexibilisierung von Dienstleistungen so sehr von seinen Hoheitsaufgaben getrennt habe, dass in bestimmten Städten beispielsweise einfach keine Feuerwehr mehr ausrückt, wenn es brennt, weil niemand mehr eingestellt ist, der die Brände bekämpfen könnte. Extrem viele Menschen leben in Armut, während die Reichsten kaum Steuern zahlen müssen. Jeder Versuch der Obama Regierung an diesem Umständen etwas zu ändern, wie wenig dies auch immer gewesen sein mag, wurde mit Proteststürmen und populistischen Kampagnen der Rechten beantwortet.
Immer wieder wurde gesagt, man darf nicht in die Wirtschaft eingreifen, eine Gesundheitsreform sei der sichere Weg in den Sozialismus und ähnlich Beklopptes. Die Grundargumentation war immer dieselbe: Wenn der Staat sich nur darauf beschränke der Wirtschaft möglichst gute Rahmenbedingungen zu schaffen, dann wird die Wirtschaft sich gut entwickeln und davon haben dann alle etwas, weil die Gesellschaft ja reicher werde. Das wurde sie tatsächlich. Aber die Schere zwischen den ärmsten und den reichsten Mitgliedern ging immer weiter auseinander. Das Grundproblem, was auch die Occupy Wallstreet Proteste antreibt, ist vor diesem Hintergrund ganz einfach: Nicht alles was wirtschaftlich Sinn machen könnte, ist politisch gut. Das bedeutet, es gibt Maßnahmen, die in der ökonomischen Logik sinnvoll, ja vielleicht überlebenswichtig erscheinen können, die allerdings die Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts erschüttern und damit vom Standpunkt des Politischen aus extrem gefährlich sind. Hinter Politik und Ökonomie stehen zwei verschiedene Eigenlogiken und es können Fälle vorkommen, in denen es keinen Kompromiss zwischen ihnen gibt. In diesen Fällen muss aber dennoch eine Entscheidung getroffen werden und wenn es keine Kraft gibt, die die demokratische Position, das heißt das Pochen auf das Gemeinwohl verteidigt, dann setzen sich eben die neoliberalen Ideologen mit ihrer Hetze von der Alternativlosigkeit des Kapitalismus durch.

In Bewegung kommen

In der Möglichkeit gegen diese Selbstabschaffung der Politik zugunsten der Wirtschaftsinteressen vorzugehen, besteht der große Wert der neuen Bewegung in den USA. Mit Occupy Wallstreet gibt es nun endlich eine erfolgreiche emanzipatorische soziale Bewegung, die der rechten Tea Party das Wasser abgraben könnte. Der rechte Populismus hat immer dort eine Chance, wo die Linke bei ihren ureigensten Themen versagt. Versagen das könnte am konkreten Beispiel auf den Punkt gebracht heißen, dass man lieber die antisemitischen Untertöne zählt, dass man der Bewegung vorrechnet, wie sehr sie im Fetischismus verfangen sei, wenn sie nicht die systemimanenten Zwänge des Wertgesetzes in Rechnung stellt. Dass man also auf einer bestimmten Lesart einer bestimmten Ausprägung des westlichen Marxismus aufbaut, die von Lukacs über die Frankfurter Schule zu Moishe Postone führt und diese gegen die ursprünglichen Autoren so sehr überbetont, dass kein Ausweg aus der kapitalistischen Entfremdung mehr denkbar erscheint.

Ganz sicher gibt es in einer Bewegung deren Erfolg darauf beruht, dass sie von der Basis her aus ganz unterschiedlichen Strömungen entstanden ist und von den verschiedensten Menschen getragen wird, keine einheitliche Meinung über alle Themen, geschweige denn über die gemeinsame Sache an der alle partizipieren. Vielmehr findet sich ein sehr plurales Bild von Denkansätzen und Motivationen und darunter sind dann mit Sicherheit auch solche, die Linke nicht gut finden können. Zum Beispiel Antisemitismus. Von einzelnen Äußerungen auf die gesamte Bewegung zu schließen ist aber ein Denkfehler. Ein anderer Fehler besteht darin zu verkennen, dass der Ort nicht etwa aufgrund einer fetischistischen Verblendung ausgewählt und daher falsch gewählt sei. Die Wall Street ist gerade, wie man ja sehen kann, als das (scheinbar) diffuse Symbol in der Lage einerseits einen Antagonismus in Erscheinung treten zu lassen und andererseits als konstitutives Außen dazu zu dienen, die heterogenen Strömungen und die vielen verschiedenen Menschen in der Gegnerschaft zu der Wirtschaftspolitik, die ihre Leben bedroht oder zerstört zu vereinen. Das bedeutet nicht, dass sich die gewaltfrei-partizipierenden Menschen bei Occupy Wall Street der Illusion hingeben, ihre Probleme wären gelöst, wenn ein paar Bankster aufgeknüpft würden. Deutsche Linke die so etwas unterstellen, verstehen einfach nicht, dass es sich bei der Aktion darum dreht, gegen das Übergreifen des Ökonomischen auf das Politische anzukämpfen und zwar nicht mit Marx-Exegese, sondern indem gegen das Verdrängen der Politik durch die neoliberale Ideologie ein Mehr an Politik gesetzt wird, welches von einer breitestmöglichen Basis her organisiert wird.

Re-Demokratisierung der USA

Die USA sind unter anderem mit dem behaupteten Anspruch in den war on terror gezogen, Freiheit und Demokratie für mehr Menschen erkämpfen zu wollen. Dieser Feldzug ist gescheitert, auch wenn die militärischen Auseinandersetzungen jeweils sehr schnell siegreich waren. Raketen bauen aber keine Gesellschaft auf. Die demokratischen Ideen treten allerdings mit den demonstrierenden Massen in Nordafrika und der arabischen Welt seit knapp einem Jahr auf einem beeindruckenden und mächtigen Ausmaß auf die Bühne der Weltpolitik zurück. Seyla Benhabib hatte in den Blättern über den arabischen Frühling geschrieben, dass es durchaus möglich ist, „dass diese jungen Revolutionäre, die die Welt mit ihrem Ideenreichtum, ihrer Disziplin, ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Mut in Erstaunen versetzt haben, uns auch ein paar Lektionen über Religion und den öffentlichen Raum, Demokratie und Glauben sowie die Rolle des Militärs erteilen werden.“ Im Moment - die Ironie könnte kaum größer sein - entsteht in den USA eine Demokratisierungsbewegung, die gegen das Übergreifen der Märkte auf die Politik und damit auf die politischen Freiheiten aller ankämpft. Dabei berufen sich die Menschen ganz explizit auf den arabischen Frühling. Das novus ordo saeclorum des arabischen Frühlings besteht offenbar auch darin, dass nicht die mächtigste Armee der Welt die Demokratie in den arabischen Raum bringen kann, dass aber die amerikanische Gesellschaft von den arabischen Demokratisierungsbewegungen wichtige Impulse empfangen kann, um den Kampf gegen den Neoliberalismus und seine Apologeten im eigenen Land endlich erfolgreicher führen zu können.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

einzelfall?

einzelfall? 13.10.2011 - 14:27

15.Oktober weltweiter Aktionstag in Berlin

Antifa 13.10.2011 - 14:59
Weltweiter Aktionstag

Am 15. Oktober 2011 protestieren weltweit Hunderttausende gegen die Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen durch die kapitalistische Krise.

Planung für den 15. Oktober in Berlin:
13.00 Uhr: Neptunbrunnen (Alexanderplatz)
13.00-16.00 Uhr: Demonstration zum Brandenburger Tor
ca. 17.00 Uhr: Kundgebung am Kanzleramt
ab 16.00 Uhr: Festival am Mariannenplatz (Kreuzberg), mit Live-Musik, Essen, informelle politische Versammlungen,

 http://15october.net/de/

 http://www.alex11.org/

einzelfall?

einzelfall? 13.10.2011 - 15:19

einzelfall?

einzelfall? 13.10.2011 - 15:21

Watt hier Antisemitismus?

d_l 13.10.2011 - 16:23

Versucht an den Reflexen zu arbeiten!

hinschauen.nachdenken.weiterschreiben 13.10.2011 - 18:15
 http://youtu.be/2wUyeFKBl4E

Ob all diese jüdischen New Yorkerinnen und New Yorker einfach zu dumm sind, zu durchschauen was die deutsche Linke sofort erkennt? Oder was ist der Grund dafür, dass sie mitten unter den Antisemiten Yom Kippur feiern? Man weiß es nicht, man weiß es nicht.

Video: 15.10._ global day of action_Aktionen

bgenymous 13.10.2011 - 18:58
#globalchange - am 15.10.2011 - im deutschsprachigen Raum - Spread it!!

Berlin_global day of action_15.10._Aktionen

berlin 13.10.2011 - 19:46

Freedom of Movement

99 Prozent 14.10.2011 - 02:10
Freedom of Movement, denn etwas Bewegung kann nicht schaden!
Freitag, 14.10.2011
unabhängige Versammlung
16.00-20.00 Uhr Meuterei
(Reichenberger Str. 58, 10999 Berlin): Versammlung zu den Aktivitäten rund um den weltweiten Aktionstag am 15. Oktober 2011 in Berlin: Lassen uns wir uns bewegen und wenn ja wie?

Kritik an Occupy

Bea 12.11.2011 - 23:07
Occupy – Eine Bewegung zwischen verkürzter Kapitalismuskritik und strukturellem Antisemitismus.

 http://bea.blogsport.de/2011/11/08/occupy-eine-bewegung-zwischen-verkuerzter-kapitalismuskritik-und-strukturellem-antisemitismus/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 16 Kommentare an

-.- — zxt

BLA — bla

kein einzelfall — sondern system

Gähn? — Anti-Antisemit

@ gähn — pinguin

das Problem — bla

@bla — nupsi

Differenzieren nicht möglich? — the special one

top — exkommi

@bla — väterchen stalin