Sachsen - ein Sommertrauma

addn.me 25.08.2011 23:26 Themen: Antifa Blogwire Freiräume Repression
In Sachsen entwickelt sich zunehmend ein Klima, in dem politische Willensbekundungen abseits der CDU Gefahr laufen diskreditiert und kriminalisiert zu werden. So wurde inzwischen bekannt, dass gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König bereits seit dem 7. Februar wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" ermittelt worden ist. Es ist inzwischen davon auszugehen, dass auf die Durchsuchung am 10. August weitere folgen werden. Das Ziel der Ermittlungen sind bis zum heutigen Tag fast ausschließlich Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den erfolgreichen Blockaden gegen mehrere von Sächsischen Gerichten genehmigte Naziaufmärsche in Dresden. Während die politisch Verantwortlichen aus den Reihen der CDU immer wieder die Neutralität der zuständigen Ermittlungsbehörden betonen, zeigt sich am Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft, dass es vor allem darum geht, antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Widerstand zu kriminalisieren.
Was sich in den vergangenen Monaten in Sachsen und im Besonderen in Dresden abspielte, wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Verhältnissen in Weißrussland verglichen. Bespitzelungen, massenhafte Überwachung von Mobilfunkteilnehmern und Ermittlungen gegen einige NazigegnerInnen mithilfe des umstrittenen Ermittlungsparagraphen 129 Strafgesetzbuch. Als der Freistaat vor knapp drei Wochen seine Kompetenzen auf das Nachbarland Thüringen ausweitete, erreichten die Ermittlungen ihren vorläufigen Höhepunkt. Dazu wollen wir einen Blick zurück in die letzten Wochen der "sächsischen Demokratie" werfen.

Nachdem die Wohn- und Arbeitsräume des Jenaer Theologen Lothar König am 10. August durch sächsische Beamte durchsucht worden waren, hatten zahlreiche politisch Verantwortliche und Geistliche dieses Vorgehen zum Teil scharf verurteilt. König selbst verwies in einem Grußwort auf die Hintergründe des § 129 als reinen Ermittlungsparagraphen, der es den Ermittlungsbehörden ermöglicht, "alle technisch möglichen Maßnahmen gegen verdächtige Personen durchzuführen". Dazu gehört das Abhören von Telefonaten ebenso wie das Observieren von vermeintlich Tatverdächtigen. Tatsächlich wurde gegen König seit mindestens 7. Februar als Mitglied einer "kriminellen Vereinigung" ermittelt. Das wurde während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Sächsischen Landtags am 23. August bekannt. Danach sei das Verfahren gegen König wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zwar inzwischen vorläufig eingestellt worden, der Grund liegt nach Angaben des Grünen Politikers Johannes Lichdi jedoch vor allem darin, dass bei einer Verurteilung wegen "aufwieglerischen Landfriedensbruchs" mit einer schärferen Bestrafung zu rechnen sei.

Während der Sitzung hatte sich der Obmann der CDU-Fraktion hinter die Aussagen seines Parteikollegen Steffen Flath gestellt. Dieser hatte am Samstag in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung Kritikerinnen und Kritikern an den Ermittlungsmethoden der Sächsischen Polizei vorgeworfen, damit "Gewaltausbrüche gegenüber Vertretern des staatlichen Gewaltmonopols" zu unterstützen, gleichzeitig aber auch Defizite bei der Erklärung von juristischen Abläufen und Handlungen eingeräumt. Auch der CDU Landtagsabgeordnete Marko Schiemann betonte nach der Sitzung, dass es seiner Ansicht nach keine Gründe für "Zweifel an der Verhältnismäßigkeit oder gar Rechtmäßigkeit der Ermittlungsarbeit" gebe.

In seinem offenen Brief an Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich hatte der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) zuvor das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft heftig kritisiert und von einem "erheblichen Vertrauensverlust" bei den Menschen gesprochen, die sich den Nazis am 19. Februar "mutig und friedlich" in den Weg gestellt haben. Darüber hinaus zeigte er sich verwundert, dass weder das Thüringer Innen- noch das Justizministerium im Vorfeld von der Razzia in Kenntnis gesetzt worden waren. Sein Brief an den Sächsischen Ministerpräsidenten endete mit einer Einladung zu einem Gespräch nach Jena.

Die Reaktion auf das Schreiben ist bezeichnend für den Umgang der politisch Verantwortlichen in Sachsen mit dem Thema. So antwortete nicht etwa Tillich auf den Brief, sondern Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann. In seinem Schreiben an den Jenaer Oberbürgermeister verwies Fleischmann einmal mehr auf die bestehenden rechtlichen Grundlagen bei der Bekämpfung "jede[r] Form von Extremismus". Er verteidigte die Funkzellenabfrage zehntausender Bürgerinnen und Bürger und erneuerte den Vorwurf des Dresdner Staatsanwalts Jan Hille, der gegenüber der taz die mediale und politische Kritik an den sächsischen Ermittlungsmethoden mit Vorwürfen aus der "rechtsextremen Ecke oder von Querulanten" verglichen hatte. Obwohl das Innenministerium in Erfurt gegenüber dem MDR erklärte, nicht über die Razzia informiert gewesen zu sein, hatten die Thüringer Behörden nach Angaben Fleischmanns "sowohl auf polizeilicher als auch auf staatsanwaltschaftlicher Ebene" Kenntnisse von der bevorstehenden Razzia in der Wohnung des Jenaer Jugendpfarrers.

Als vor fast genau einem Jahr in Dresden das alternative Wohnprojekt "Praxis" auf der Columbusstraße Ziel eines rechten Brandanschlags geworden war und es dabei nur einem Zufall zu verdanken gewesen ist, dass niemand verletzt oder sogar getötet wurde, konnte niemand ahnen, dass das Haus ein halbes Jahr später erneut zum Ziel rechter Attacken werden sollte. Am 19. Februar randalierten fast 200 Nazis unter den Augen der untätigen Polizei vor dem Haus, warfen mit Steinen, Flaschen und Zaunslatten zahlreiche Fensterscheiben ein und beschädigten zwei vor dem Haus geparkte Fahrzeuge. Das bis heute nicht einer der zumindest zum Teil namentlich bekannten Täter verhaftet worden ist zeigt, dass das eigentliche Ziel der Sächsischen Ermittlungsbehörden die notwendige Verhinderung antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Widerstandes gegen Naziaufmärsche wie denen am 19. Februar ist.

Ein Beispiel für diesen konsequenten sächsischen Weg der Gleichsetzung von faschistischer Ideologie mit linker Gesellschaftskritik war das vergangene Woche, als mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten eine Entscheidung des Bautzner Oberverwaltungsgerichtes durchsetzten und in der Leipziger Innenstadt defacto den Ausnahmezustand verhängten. Mit der Entscheidung jeglichen politischen Protest aus polizeitaktischen Gründen zu unterbinden wird deutlich, welchen Weg Sachsen in Zukunft einschlagen wird. Wenige Stunden vor einer geplanten Kundgebung der NPD am Leipziger Hauptbahnhof hatte das Oberverwaltungsgericht nicht nur die Kundgebung, sondern auch jeden Protest dagegen verboten. Im Vorfeld hatte Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski in seiner "Gefahrenprognose" für die Stadt eine "erhebliche Gefahr für die Ordnung und Sicherheit" gesehen und aus diesem Grund den "polizeilichen Notstand" ausgerufen. Letztendlich kamen jedoch nicht einmal 200 Nazis nach Leipzig, welche nach dem nicht mehr anfechtbaren Demonstrationsverbot in Leipzig nach Roda bei Grimma auswichen und auf dem Gelände des NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold ein Konzert durchführten. Da mutet es nur konsequent an wenn, ganz im Sinne der Trennungsprinzips, der oberste Dienstherr der sächsischen Polizei Bernd Merbitz vorhat, bei den kommenden Bürgermeisterwahlen in Leipzig als Spitzenkandidat der CDU zu kandidieren.
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Ergänzungen

fleischhauer

hallochemnitz 26.08.2011 - 12:46
sachsen-anhalt nicht aussparen!

interview

-- 26.08.2011 - 12:55
Könnt ihr vielleicht das Interview in der Sächsischen Zeitung hier posten, für alle die keinen Zugang haben.

Und nicht vergessen, aus diesem Grund:

TROTZ ALLEDEM: LINKE POLITIK VERTEIDIGEN!
Antirepressions-Block bei der Antifa-Demo am 24. September in Leipzig

Aufruf:
 http://handanlegen.blogsport.de/antirepressions-aufruf/

Naziübergriff beim Dresdner Stadtfest 2011

HinzundKunz 26.08.2011 - 16:27
Naziübergriff beim Dresdner Stadtfest 2011
 http://www.addn.me/nazis/naziangriff-auf-dem-dresdner-stadtfest/

In der Nacht zum Sonntag (21.08.2011)soll es auf dem Dresdner Stadtfest zu einem Übergriff durch eine Gruppe von etwa 20 Nazis auf zwei Personen gekommen sein. Dabei erlitten zwei junge Frauen schwere Verletzungen. Eine Frau war kurzzeitig bewusstlos*. Anwesende Besucher des Stadtfestes leisteten keine Hilfe. Der Versuch, den Vorfall der Polizei zu melden, endete ohne Aufnahme einer Anzeige. Die Beamten sollen demnach den Vorfall zwar gesehen, aber keine Personalien der Angreifer aufgenommen haben.

Unter den Angreifern soll sich auch der wegen der Überfälle auf mehrere Döner-Imbisse Verurteilte Willy Kunze befunden haben. Kunze war als Rädelsführer der Übergriffe nach dem EM-Halbfinale 2008 in der Dresdner Neustadt zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zur Zeit steht der 24-Jährige wegen des Verdachts auf “Bildung einer kriminellen Vereinigung” erneut vor Gericht.

*Schwere(!) Gesichtsverletzung

CDU-Regierung abschaffen

DDer 26.08.2011 - 17:56
Es soll am Neumarkt ein äußerst häßliches Gebäude gebaut werden, das von einer großen Zahl der Dresdner, auch aus dem konservativen Lager, abgelehnt wird. Dieses Gebäude wird die Frauenkirche verdecken.

www.sz-online.de/bilder/2011_08/2846023_411606500.jpg

Ich denke, dass Anti-Nazi-Proteste im Denken der meisten Sachsen nichts ändern. Was aber dieses Gebäude angeht, könnte ich mir ein Dresdner S21-Szenario vorstellen. Gut-bürgerlicher Protest & böse Polizei. Das alles mit der Frauenkirche im medialen Hintergrund.

Das ist der Punkt, an dem man m.E. anknüpfen sollte. In Ba-Wü hats ja geklappt. Mit einer anderen Regierung wird dann auch mehr demokratische Kultur in Sachsen einkehren.

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wenn schon eine mauer — (muss ausgefüllt werden)

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