Raubuerberfall auf den Rat von Barcelona

Direkt aus Barcelona 29.05.2011 18:14 Themen: Freiräume Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Die Bewegung 15M, ist am Freitag den 27.5.2011 in den fruehen Morgenstunden durch verschiedene Polizeieinheiten angegriffen worden. Dieser Beitrag ist ein Augenzeugenbericht (leider konnte ich ihn gestern nicht posten), der mit ein wenig Reflexion schlieszt.
Mein Bericht teilt sich auf in

1.

Der Vormittag
2.

Der Nachmittag
3.

Der Abend, die Vollversammlung und kleine Reflexion

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1. Der Vormittag

War vorgestern (Freitag) ab Sonnenaufgang auf dem Plaza Catalunya, nachdem Leute aus meinem besetzten Haus von dem Beginn der Raeumung erfuhren. Zunaechst war die Info also, dass der Platz geraeumt werden soll. Das nur gereinigt werden soll war eine Nachricht die uns auf dem Platz erst gegen Mittag erreichte. So frueh morgens waren “nur” die Leute die auf dem Platz schliefen, vielleicht wenige Hundert (von auszerhalb des Platzes nicht so gut einsehbar) und wir, die wir draussen waren, auch zu Beginn des Bulleneinsatzes vielleicht 400. Die Zahl stieg aber bis zum Nachmittag exponentiell an, bis es nach meiner Schaetzung ueber 10.000 waren. Die Menschen die eingeschlossen waren hielten offensichtlich eine sehr lange Versammlung ab. Als wir frueh morgens ankamen, waren schon Muellwagen der Stadtverwaltung hinter der Bullenabsperrung auf dem Platz. Sie begannen Zelte, die meist aus gespannten Planen bestanden, abzubauen. Paletten, Essen, Papier alles wurde weggeschmissen. Computer wurden teilweise seperat verladen, wenn ich das richtig gesehen habe. Ein Teil wurde noch im Laufe des Nachmittags wieder zurueckgegeben.

Die Bullen postiereten sich an den Eingaengen in einer Laecherlich erscheinenden Anzahl. Manche Eingaenge wurden von nur zwei Bullen bewacht. In den an den Platz angrenzenden Straszen waren allerdings einige Wannen abgeparkt, wohl mit einsatzfaehigem “Personal”. Durchgefuehrt wurde der Einsatz von der polizei Barcelonas (Guardia Urbana) und sowas wie der Einsathunderschaft (die “mossos d'esquadra”, was woertlich uebersetzt soviel wie die “Jungs vom Block” heiszt).

Durch eine undichte stelle bei den mossos konnte das Camp ne halbe Stunde vorher gewarnt werden, dass ein Einsatz bevor steht. Wie genau der aussehen soll aber wohl nicht. Diese “undichtte stelle” eines sich verweigernden Bullen zeigt wie die Bewegung langsam “respekt” oder “solidaritaet” in allen Winkeln der hiesigen Gesellschaft bekommt. Der Schritt zu vollkommenen Einsatzverweigerung ist nicht mehr weit. So auch bei dem Personal der Stadtreinigung, die sich ohne es der Polizei mittzuteilen oder sich aufzuregen, die Luft aus den Reifen ihrer auf den Einsatz auf den Platz wartenden Fahrzeuge nehmen lieszen von den Demonstranten. Was allerdings lediglich zu Verzoegerungen im Ablauf fuehrte. Mir, und vielen anderen wahrscheinlich auch, war allerdings klar, das jeder Zeitgewinn gleichzeitig einen Anstieg der Zahl der Demonstrierenden bedeutete. Von der Bewegung her gab es einen klaren Aktionskonsens keine Gewalt anzuwenden. Einige setzten sich auf den Boden und lieszen sich verpruegeln und die Koepfe oeffnen, andere standen und bekamen die Schlaege meist nicht auf den Kopf sondern weiter unten (gehe im Teil3 noch darauf ein). Klar wird auch in Deutschland mal (und bevorzugt!) auf friedlich Demonstranten eingepruegelt, aber hier gabs Quantitaet und Qualtitaet geballt. Ein Unterschied zur deutschen Polizeistrategie ist aber im allgemeinen eine deutlich geringere Anzahl von Bullen einzusetzen, die dann ihre geringere Masse durch krasseres Zulangen auszugleichen versuchen zu scheinen.

Es war aber denke ich unter den Demonstranten alles in allem das Gefuehl verbreitet, durch schiere Masse auf Dauer den Sieg davon zu tragen, wohl auch weil “die Bewegung der Entwuerdigten” in ganz Spanien zugleich stattfindet. Sprechchoere wir “el pueblo unido jamas sera vencido” wurden allendhalben angestimmt. Immer wieder wurden von den Eingeschlossenen Genossen Plakate gemalt und den “Umzingelnden” gezeigt, die mit Klatschen oder Sprechchoeren ihre Zustimmung kundtaten. Natuerlich fehlte auch das “wir sind nicht alle es fehlen die Gefangenen” sowie “das ist eure Demokratie” nicht. Nur einmal hoerte ich das “lo llaman democracic y no lo es” (Sie nennen es Demokratie, aber das ist es nicht).

Insgesamt mehr als 120 Demonstranten bekamen Knueppel und Gummigeschosse ab.

Letztere wurden vor allem bei dem Versuch der Bullen den Weg fuer die Muellwagen freizukaempfen, damit sie die gestohlenen Gegenstaende wegbringen koennen, eingesetzt.

Auch die neuen Gummigeschosse wurden eingesetzt (kleine kurze Gewehre, die auszerlich errinern an automatische Maschienenpistolen). Die koennen nun naemlich auch direkt auf Menschen abgefeuert werden, und was noch viel groszartiger ist: Aus kurzer Entfernung. Die alten langen Gummigewehre durften jedenfalls theoretisch nur aus weiterer Entfernung abgefeuert werden und Boden oder Waende mussten anvisiert werden. Tolle Errungenschaft. Argghh.

Die Verletzten Bullen haben bestimmt wieder nur Kratzer oder nen winzigen blauen Fleck, die sie dann als Verletzung deklarieren. Anders kann ich mir die offizielle Zahl von angeblich ueber 30 verletzten Bullen nich erklaeren. Persoenlich habe ich den ganzen Morgen ueber nicht eine einzige Person gesehen, die einen Bullen geschlagen hat, geschweige denn etwas geworfen hat.


Gegen Mittag zogen sich die Bullen zurueck. Ihr “Saeuberungsauftrag” (der Raubueberfall) war ja auch erfuellt. Zudem sahen sich die Einsatzkraefte ab etwa 11 Uhr einer Anzahl von mehreren Tausend Demonstranten gegenueber, die sie wie ein doppelter Kessel umzingelten. Welches von beiden nun der Grund fuer den Rueckzug war bleibt jedoch Spekulation. Klar ist jedoch, dass die Knueppel- und Gummigeschossstrategie ihnen den siegreichen Raub und damit die Sabotage der Infrastruktur ermoeglicht hat. Die Vehemmenz der sich trotz des Knueppelns immer wieder in den Weg und um sie herum setzenden Masse, die jeden Meter der gewonnen innerhalb des naechsten Augenblicks wieder zuruecknahm duerfte die Einsatzleitung ueberrascht haben. Falls ihr Plan gewesen war die friedlichen Demonstranten durch Gewalt zu provozieren, haben sie versagt, falls ihr Plan war die Leute einzuschuechtern haben sie ebenfalls versagt.






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2. Der Nachmittag


Der Nachmittag zeigte, dass die Beteiligten und vielleicht auch bisher unbeteiligte an Selbstbewusstsein gewannen. “Juntos podemos” (zusammen schaffen/koennen wir) war waehrend der Geschehnisse ein konstanter Slogan, der mehr und mehr an Gewissheit gewann. Dieses Gefuehl der “Uebermacht” oder vielleicht der “Machbarkeit” des vorher Unmoeglich erscheinenden war ueberall zu spueren. Jedenfalls auf den Straszen in dem Barrio Rambla de Raval suedlich vom Plaza Catalunya. Durch die Staszen laufend konnte ich allerlei Gespraechsfetzen zwischen den Menschen einfangen:

Vater zu Kind: “Der Protest den die Menschen auf dem Platz machen ist ein sehr guter.”

Ladenbesitzer zu Kunden: “Ja, heute Abend versammeln sie sich wieder.”

Auf der Kreidetafel eines Restaurants war neben den Speisen zu lesen: “Wenn der Platz geraeumt wird, ist das gegen das was ich gewaehlt habe”

Vor allem aber der auszeralltaegliche Umstand, dass nach dem Rueckzug der Polizei alle umliegenden Straszen, die zu den Hauptverkehrsadern Barcelonas gehoeren, von den Fuszgaengern eingenommen waren, lies etwas frische Luft schnuppern. Es schmeckte nach ein bisschen Freiheit. Dieser Zustand hielt auch die ganze Nacht an.



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3. Der Abend, die Versammlung und kleine Reflexion

Ungefaehr so um 20 Uhr begann die Hauptversammlung, bei der die freie Redeliste einen Groszteil einnahm. Teils auf catalan, teils auf castellano wurde von den meisten Rednern der Tag und der Aushaltewillen gelobt. Vor allem aber die Entschlossenheit mit der die friedfertige Haltung, die die Initiatoren der Bewegung von Beginn an propagierten, durchgehalten wurde im Angesicht der staatlichen Gewalt. Unklar war an dem Abend ob einer der Demonstanten an seinen Verletzungen im Krankenhaus gestorben ist, da das Krankenhaus keine Auskunft geben wollte.

Es ist denke ich eine komplexe Geschichte, das Verhalten der Demonstranten an jenem Tag zu bewerten. Klar ist, das einzelne Demonstranten durch das Sitzenbleiben sich einiges eingefangen haben, was aus meiner Perspektive ueberfluessig war, denn stehend kann man sich eben doch besser schuetzen. Andererseits ist auch nach lesen und schauen der Nachrichten klar, dass die Wirkung dieses (fast schon fanatischen Festhaltens) an der Friedfertigkeit viel Sympathien eingebracht hat.

Einige von uns hat das Festhalten daran sicherlich viel Ueberwindung gekostet, denn die Wut ist grosz. Es blieb in diesen Situationen dabei die Bullen anzuschreien oder auf sie einzureden. Kurzfristig kann diese Strategie wohl kaum als etwas erfolgsversprechendes angesehen werden. Die von einer Rednerin angesprochenen Traenen in den Augen einiger Bullen, die auch ich sah, haben an diesem Tag niemanden geholfen. Die Frage ist wie Lange Soeldner gegen ihre eigenen Interessen kaempfen, gegen Menschen aus verschiedenen Milieus. Bilder, wie die einer Frau, die sich mit ausgebreiteten Armen vor eine Bullenwanne stellt, die daraufhin stehen bleibt, statt wie sonst so oft ohne Ruecksicht auf Verluste durch Ansammlungen von jungen Demonstranten zu fahren. (Ich fuehlte mich erinnert an die zapatistischen Frauen in Mexiko die schreiend und anklagend auf das mexikanische Militaer zuliefen, dass sich Stueck fuer Stueck zurueck zog.)

Klar muss aber auch sein, dass die Friedfertigkeit keine Ideologie sein darf, wie sie es wohl leider fuer viele ist (nicht zuletzt eingetrichter durch unsere Gesellschaft und ihre Medien), sondern der Reflexion unterwerfbar bleiben muss. Die Gegenwehrreaktion eines Einzelnen muss zudem in dessen Ermessen bleiben.

Mensch sitzt hier wie immer in der Falle:

a) Scheisst man auf die Oeffentlichkeit, so haette man den Raub der Infrastruktur sehr wahrscheinlich verhindern koennen, durch das stuermen des Platzes. Die Zahlenverhaeltnisse haetten dies ab dem spaeten Vormittag erlaubt.


b) Will man, dass die Bevoelkerung sich Stueck fuer Stueck mehr hinter die Proteste stellt so kann es Sinn machen auf Gewalt zur Verteidigung weitesgehend zu verzichten. Es deutlich, dass dies im Falle dieser riesigen Protestbewegung einen Unterschied in der Berichterstattung gemacht hat. (mi Uebrigen ist es schlichtweg falsch, dass in den Deutschen Medien darueber nicht berichtet worden waere, sogar die Tagesschau hat ein Video der Gewalt gegen die friedlichen gezeigt, siehe Tagesschau 20Uhr vom 27.5.2011)

Wichtig war dem Groszteil der Menschen hier nicht um jeden Preis den Platz schnell zurueckzuerobern, sondern auf die langfristige Kraft der Bewegung zu setzten.


→ im Falle des gestrigen Tages ist allerdings die Bilanz des gewaehlten Weges gut, denn alles was zerstoert oder geraubt ward schnell wieder gespendet und hergerichtet.


Die grosze Versammlung schloss mit Zuversicht in die Zukunft!

Wir haben keine Angst! Wir sind verdammt viele!


Der mittlerweile alltaegliche Cazeroladas (Kochtopfdemo) war umso kraeftiger. Auch wenn ich diese Aktionsform etwas fehl am Platz finde, denn die Grundidee, so wie sie auch im Argentinien seit den spaeten 90ern durchgefuehrt werden, ist eher die Demos vor den Haustueren beginnen zu lassen um die Menschen ueberall und dezentral aus ihren Haeusschen zu locken um dann gemeinsam richtung eines zentralen Ortes zu laufen, viel besser....Sprich, die maximale Difusion ausbeuten...


Eine der groeszten Tageszeitungen berichtet ueber die Ausbreitung der Versammlungen auf die Stadtviertel (auf castellano, mit Fotos:  http://politica.elpais.com/politica/2011/05/28/actualidad/1306587231_851055.html)

Aehnlich wie auch in der Krise der Repraesentativitaet der buergerlichen Demokratie in Argentinien nach der Staatspleite. Lokale Stadteilversammlungen scheinen die typische Reaktion auf die Krise der Repraesentativitaet zu sein. Diese zeigt sich auch in dem hier beliebten Slogan: “Niemand repraesentiert uns” oder “sie repraesentieren uns nicht”.


Es wird sich zeigen in weit sich die Raete als Mittel zur Selbstverwaltung etablieren koennen, oder ob die Stroemung in richtung Reform und Integration kippt, und diese Raeume des tatsaechlichen offenen Austausches nur als temporaere Kommunikationsmedien zwischen unten und oben gesehen werden.


Weg mit der Repraesentation, her mit den Raeten!

Solidarische Gruesze aus Barcelona!

Percepcionlibradora!
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Ergänzungen

Artikel über den Überfall

hansi 29.05.2011 - 22:17
Artikel über den Überfall aus jW (28.05.2011):  http://anaconda.blogsport.de/2011/05/27/ueberfall-am-fruehen-morgen/

Polizeigewalt in Spanien allgemein

Direkt aus Barcelona 30.05.2011 - 11:40
Es erscheint mir noch wichtig darauf zu verweisen, dass die in Deutschland scheinbar eher als "Gewaltexzesse" der spanischen/kathalanischen Polizisten dargestellt oder auch wahrgenommen werden, keine sind.
Ich will nur kurz zwei Geschichten ins (transnationale;-) Gedaechtnis rufen:
1. Die Geschichte der Polizeigewalt vor einem (besetzten) sozialen Zentrum, die den Platz vor den Leuten die ihn betreten wollten schuezten sollte. Dort war einem jungen (anarchistischem...) Besucher namens Rodri anghaengt worden er haette einen Blumentopf auf einen Polizisten runterfallen lassen von einem oeffentlichen Gebaeude, einfach nur weil er vorher gesehen worden war auf dem Platz. Der Polizist liegt nun schon seid 5 Jahren im Komma. Jedenfalls wurde Rodri erstmal richtig verpruegelt, so dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Als die Bullen ihn wieder abholen wollten aus dem Krankenhaus, fiehl ihr Augenmerk auf eine junge Frau (Patri), die sie, weil sie dem aeuszeren Klischee eines politisch aktiven Menschen erfuellte, dann auch mitnahmen.

Sie war nur aufgrund eines Fahrradunfalls ins selbe Krankenhaus gekommen.

Sie wurde zu drei Jahren schlafen im Knast verurteilt (d.h. mit Ausgang tagsueber).

Nach dem sie einen kleinen Teil abgesessen hatte, nahm sie sich das Leben am 26.4.2011. Was viel ueber das Knastsystems erahnen laesst.

2. Die Geschichte der Rauemung von Studenten im Maerz 2009 (ebenfalls in Barcelona). Wer sich davon ueberzeugen will:
 http://www.youtube.com/watch?v=xAontpo9Mfc

Interessanter Bericht

Stew Pit 30.05.2011 - 12:10
Aber wie ist denn die Situation aktuell? Versuchen die Menschen den Platz erneut zu besetzen? Ist Polizei vor Ort und versucht das zu verhindern?

Ich hoffe der Protest ist nach dieser harten Räumung nicht zu sehr eingeschüchtert.

@ Stew Pit:

barcelona 30.05.2011 - 12:39
der platz ist immernoch besetzt, aktiv und besser bezeltet als dennje ;) die bewegung hat kraft.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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