Freedom Flotilla unterwegs nach Gaza

Thomas Sommer-Houdeville 30.05.2010 15:39 Themen: Antirassismus Blogwire Repression Weltweit
Sechs Schiffe haben sich mit Verspätung südlich von Zypern gesammelt, die letzten Passagiere aufgenommen und machen sich nun bereit, Kurs auf Gaza zu nehmen.
Vorraussichtlich werden die Schiffe am Montag nachmittag die Gewässer Gazas erreichen und versuchen, Israels völkerrechtswidrige Seeblockade zu durchbrechen. Neben 10.000 Tonnen Fracht aus humanitären Hilfsgütern befinden sich Hunderte von MenschenrechtsaktivistInnen aus über 50 Ländern, darunter Parlamentsabgeordnete aus verschiedenen Ländern, eine Holocaust-Überlebende, die irische Friedensnobelpreisträgerin Máiréad Corrigan Maguire und mehrere Fernsehcrews an Bord. Zwei Schiffe, darunter die irische Rachel Corrie, sollen folgen. Drei Schiffe waren wegen technischer Probleme ausgefallen, und eine Delegation Parlamentsabgeordneter war von den Behörden in Zypern an der Weiterreise gehindert worden.

Thomas Sommer-Houdeville, Koordinator der internationalen Bürgerrechtskampagne (CCIPPP) in Frankreich, verbrachte drei Monate in Griechenland, um sich an der Vorbereitung der Flotille zu beteiligen.


Letzter Abschnitt.
Früher oder später wird vielleicht die vollständige Geschichte dieses Abenteuers geschrieben werden.
Es wird viel zu lachen geben, einiges Geschrei und einige Tränen. Aber was ich jetzt sagen kann,
ist das wir uns nie vorgestellt hätten, dass Israel dermaßen ausflippt wie es jetzt tut. Höchstens
vielleicht in unseren schönsten Träumen. Als erstes errichteten sie einen Krisenstab, bestehend
aus dem israelischen Außenministerium, Marine und Kommando und Gefängnisbehörden, um mit
der existentiellen Bedrohung umzugehen, die wir und unsere Schiffen voller Hilfsgüter darstellen.
Dann nahm sich Ehud Barak mit seiner umfangreichen Agenda selbst die Zeit, uns durch die
israelischen Medien zu warnen. Nun verkünden sie, uns in Israels schlimmstes Gefängnis zu bringen,
in die Wüste bei Beer-Sheva.
Diese Ankündigung soll uns Angst machen. Und wir haben irgendwie auch Angst. Wir haben Angst
vor ihren Kriegsschiffen, Angst vor ihren Apachen und ihrer schwarz vermummten Kommandotruppe.
Wer hätte das nicht? Wir haben Angst davor, dass sie unsere Fracht und alle medizinischen Hilfsgüter,
Fertighäuser und Schulmaterialien beschlagnahmen und zerstören. All die Solidarität, die über
ein Jahr lang geduldig in so vielen Ländern gesammelt wurde. All diese Bemühungen und diese
Welle der Liebe und Hoffnung, die normale Menschen, einfache Leute aus Griechenland, Schweden,
der Türkei, Irland, Frankreich, Italien, Algerien und Malaysien geschickt haben. Das all dies als
Trophäe dienen könnte für einen Staat, der sich wie eine vulgäre Pirateninsel verhält.
Wer würde nicht ein Gefühl von Verantwortung verspüren und fürchten, dass wir unser Unternehmen
nicht durchführen können und dem gefangengehaltenen Volk von Gaza nicht unsere Fracht bringen können?

Doch wir wissen, dass es auch auf der anderen Seite Angst gibt. Denn von Beginn unserer Koalition an tut
der israelische Staat alles, was in seiner Macht steht, um die Konfrontation mit uns zu vermeiden.
Von Anfang an versuchten sie uns daran zu hindern, Segel zu setzen, versuchten sie zu vereiteln, dass wir
unsere Kräfte sammeln und alle zusammen nach Gaza segeln. Sie versuchten, uns zu trennen.
Ihr ideales Szenario war, uns aufzuteilen, die Iren auf der einen Seite, die Griechen und Schweden auf
einer anderen, die Amerikaner auf einer anderen und die Türken alleine. Natürlich wussten sie, dass sie
die Türkei nicht unter Druck setzen konnten, auch dass sie dort nicht direkt agieren konnten.
Also konzentrierten sie ihren ersten Angriff auf die irische und griechische Seite unserer Koalition.
Phase eins begann vor zwei Wochen, als sie die Schiffsladung der Iren sabotierten und sie zwangen,
mit fast einer Woche Verspätung in See zu stechen. Doch die Iren führten die Reparaturen so schnell
wie sie konnten durch und sind jetzt einen oder zwei Tage hinter uns. Dann setzten sie die durch
die Wirtschaftskrise geschwächte griechische Regierung unter gewaltigen Druck, um sie dazu
zu zwingen, das griechische Frachtschiff und das griechisch-schwedische Passagierschiff nicht ablegen
zu lassen. Wegen dieses Drucks mussten wir unsere Fahrt zweimal verschieben und die Türken,
ihre seeklaren 500 Passagiere und die amerikanischen Freunde bitten, auf uns zu warten.
Was sie zum Glück taten! Bis zur letzten Minute vor ihrem Start von Griechenland waren wir nicht
sicher, ob die beiden Boote die Erlaubnis der griechischen Regierung bekommen würden,
doch schließlich entschloss sich die griechische Regierung, seine Verantwortung zu übernehmen,
als souveräner Staat zu handeln und das Frachtschiff und das Passagierschiff vom Hafen von Piräus
in Athen ablegen zu lassen.

Phase zwei erfolgte gestern im griechischen Teil Zyperns, wo wir mit der dortigen Regierung
vereinbart hatten, eine prominente Delegation europäischer und nationaler Parlamentsabgeordneter
aus Schweden, England, Griechenland und Zypern an Bord zu nehmen. Als die beiden Schiffe aus
Griechenland, das von Kreta kommende amerikanische Schiff und die vier türkischen Schiffe
bereits alle am Treffpunkt waren und auf die Ankunft und das Einschiffen der Delegation an Bord
unserer Schiffe warteten, erhielten wir die Nachricht, dass unsere Delegation von zyprischer Polizei
belagert war, die es ihr verbot, sich von der Stelle zu bewegen. Zypern, ein europäisches Land,
untersagte es europäischen Parlamentsabgeordneten, sich frei auf seinem Boden zu bewegen
unter vollkommenem Bruch jeglichen Rechts und europäischer Bestimmungen!
Als wir Verhandlungen mit der zyprischen Regierung begannen, begriffen wir, dass diese plötzliche
Änderung der Haltung uns gegenüber direkt von Israel diktiert war. Von sieben Uhr morgens
bis zur Dämmerung belog uns die zyprische Regierung und erklärte, sie habe missverstanden,
dass die Prominenten die Erlaubnis hatten, sich in alle gewünschten Richtungen einschiffen
zu können und dass es nur eine bürokratische Frage war, die gelöst werden müsse.
Aber nichts geschah und unsere Parlamentsabgeordneten waren gefangen.
Die zyprische Regierung agierte als verlängerter Arm Israels und ließ uns wertvolle Zeit verlieren.
Heute morgen entschied die Delegation, dass uns als einzige Möglichkeit blieb, zum Hafen von
Formogossa im Norden Zyperns unter türkischer Aufsicht zu kommen und von dort aus mit einem
Schnellboot zu unserem Treffpunkt zu gelangen. Natürlich ist das unter türkischer Besatzung
stehende Nordzypern eine sehr große politische Frage für unsere Koalition, die aus Türken,
Griechen und Zyprioten besteht. Und unsere Delegation auszuschicken, um ein Boot am Hafen
von Formogossa zu nehmen, das immer noch unter UN-Embargo steht, ist sogar eine äußert
heikle politische Frage. Dies hätte dem griechischen und zypriotischen Teil unserer Koalition
den Rücken brechen können. Beinahe tat es das auch. Jedoch das Gegenteil trat ein.
Unsere Koalition hielt. Dies ist die leitende regierende Partei Zyperns, die zu spalten
versucht, und die sieben griechischen und zypriotischen Parlamentsabgeordneten, die zur Koalition
gehörten und nicht in den Norden Zypern gehen konnten, sind wütend auf die zyprische Regierung.
Eine riesige Debatte wird momentan in Griechenland und Zypern über die Vorgänge und über
unsere Flotille nach Gaza geführt. In ein oder zwei Stunden wird 80% unserer Delegation aus
Parlamentsabgeordneten auf unsere Schiffe kommen und wir werden wie geplant nach Gaza segeln.
Wir können also sagen, dass Israel in beiden Punkten seines Plans, den es durchzuführen versucht
hat, verloren hat.

In wenigen Stunden wird der letzte und ausschlaggebende Abschnitt beginnen, nämlich wenn wir
die Gewässer Gazas erreichen. Natürlich wäre es materiell ein leichtes für Israel, uns anzuhalten
und festzunehmen, jedoch die politischen Kosten für Israel bei dieser Rechnung wären immens.
So immens, weil alle Tricks und Fallen, die sie uns in den Weg zu legen versuchten, genau eines
schaffen, nämlich mehr und mehr die Aufmerksamkeit der Menschen auf der ganzen Welt auf
unsere Flotille und auf die Situation in Gaza zu richten. Und von all dem können wir etwas lernen,
nämlich dass die Angst nicht auf unserer, sondern auf Israels Seite ist. Sie fürchten uns, weil wir
den Zorn der Menschen auf der ganzen Erde repräsentieren. Menschen, die empört sind über das,
was der kriminelle Staat Israel den Palästinensern antut und allen Friedliebenden, die es wagen,
sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Sie fürchten uns, weil sie wissen, dass in naher
Zukunft noch mehr Schiffe nach Gaza kommen werden, weil sich jeden Tag mehr und mehr
Menschen dem Boykott Israels anschließen.

Thomas Sommer-Houdeville, CCIPPP


aktuelle Infos mit Livestream-video von Bord des türkischen Schiffes Mavi Marmara

 http://gazafreedommarch.org/cms/en/news/View/10-05-30/Video_Gaza-bound_a...

 http://digitalship.shiptogaza.gr/2010/05/blog-post_29.html

 http://www.livestream.com/insaniyardim
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Ergänzungen

Video: Gaza-bound aid ships leave Cyprus

..... 30.05.2010 - 16:06