Protestbericht aus Wien

Protestgruppe aus Regensburg 02.11.2009 02:46 Themen: Bildung Freiräume Netactivism Weltweit
Tag 11 der Besetzung des Wiener Audimax

Aus der Vokü dringt der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee durch die Flure vor dem besetzten Wiener Audimax. Die mechanisierte Putzeinheit beseitigt lautstark die Spuren der letzten Nacht. Ihr voraus wird der Boden von einem halben Dutzend Menschen mit Wischmobs grob vorgereinigt. Müde Gesichter, noch vor kurzem feiernd oder arbeitend, suchen ihren Weg zu den besetzten Hörsälen, die als Schlafsäle deklariert wurden.
Währenddessen läuft im Audimax schon das Morgenplenum, in dem gerade grundsätzliche Strukturfragen der Bewegung debattiert werden. Der Aufwand lohnt sich, wie die darauf folgenden zahlreichen Solidaritätsbekundungen bezeugen. Eine ganze Gruppe verschiedener Gewerkschaftsfunktionäre sichern ihre praktische Unterstützung zu. Sie lassen ihre Kontaktdaten vor Ort um im Bedarfsfall auch spontan den Besetzer_innen zur Seite stehen zu können. Die Welle des Zuspruchs aus dem In- und Ausland macht den Protestierenden Mut zum Durchhalten. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, an fast allen Unis in Österreich gibt es befreite Hörsäle. [1] Befreit wurden sie von den starren Zeit- und Lehrplänen, welche deren Nutzung bisher vorgeschrieben haben. Mit dem Protest halten Kultur, Demokratie sowie selbstbestimmtes Leben und Lernen Einzug in die eroberten Räumlichkeiten. Allein an der Uni Wien organisieren sich die Leute in über hundert Arbeitsgruppen [2]. Dieses
erstaunliche Ausmaß an Aktivität wird möglich durch die Masse der Besetzer_innen. Zwischen ein paar hundert und mehreren tausend Menschen halten sich rund um die Uhr im Gebäude auf.

Nach den österreichweiten Großdemonstrationen letzten Mittwoch mit zehntausenden Teilnehmer_innen wurde nun bereits die nächste Protestwelle [3] für kommenden Donnerstag angekündigt. Kindergartenaufstand, Schüler_innenstreik, Sternmarsch der Studierenden, sie alle haben sich vorgenommen gemeinsam mit Arbeitnehmer_innen und Lehrenden die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Am gleichen Tag ist zudem der Warm-Up Day der Global Week of Action – Education is NOT for $A£€. [4] So gibt es auch in Deutschland einen Aufruf zu dezentralen Protesten [5].

In den frühen Morgenstunden von Tag 11 scheinen diese globalen Zusammenhänge weit entfernt. Zu dieser Zeit sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die die Besetzung besonders bereichern und der bildungspolitischen Bewegung einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch verleihen. Denn neben all der ernsthaften Arbeit kommt auch das Miteinander nicht zu kurz. Große Konzerte, Diskussionsveranstaltungen oder Filmvorführungen finden im Audimax ihren Platz. [6] Die Drumsession heizt die Stimmung am Infopunkt und in der Volxküche an. DJs geben ihre elektronische Musik im Arcadenhof unter freiem Himmel zum Besten. Absoluter Höhepunkt ist es aber, wenn sich drei Musiker_innen (Gitarre und Flöte / Sopransaxophon / Geige und Gesang) mitten in der Nacht spontan dazu entscheiden die Akustik eines Raumes auszutesten. Auf dem Treppenplateau in der Mitte eines riesigen Aufganges sitzen sie musizierend auf einer Decke oder tanzen unter den steinernen Blicken Kaiser Franz Josef I. durch die angrenzenden Hallen. Alle Anwesenden fühlen sich wie im Traum: der Traum von einer besseren Welt. Es scheint so, als stünde uns ein heißer Herbst bevor.

[1]  http://www.unibrennt.at
[2]  http://unsereuni.at/wiki/index.php/Main_Page
[3]  http://unsereuni.at/wiki/index.php/Protestwelle_AG
[4]  http://www.emancipating-education-for-all.org/
[5]  http://www.bildungsstreik.net/
[6]  http://www.ustream.tv/channel/unsereuni
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Ergänzungen

wunderbarer artikel

qwer 02.11.2009 - 05:28
kann dem nur voll und ganz zustimmen. stimmung ist wunderbar! hier gibts meinen erfahrungsbericht aus salzburg:  https://at.indymedia.org/node/16111


"unis öffnen - knäste schließen"
zu lesen am uni-sex klo der besetzten universität in salzburg, dessen akustik heute von einem begabten gittarenspieler (oder einer spielerin, man weiß es nicht) getestet und vom publikum als gut befunden wurde.

Nicht alle sind in Partylaune...

Und das zurecht! 02.11.2009 - 09:16
Sexismus angreifen!

Während der letzten Audimax – Besetzungstagen gab es zahlreiche sexistische Vorfälle und Übergriffe.
Beispiele gefällig?

„Ausziehen“, „Schleich dich du Hure“, Buh – Rufe aus dem Plenum während (antisexistische) Redebeiträgen von Frauen
Sexistische Wortmeldungen am Mikrophon während und nach dem Plenum
Nackte Männerkörper und Schwänze auf der Bühne
Sexistische Wortmeldungen im Chat während dem Livestream
Sexistische Angriffe gegen Frauen: „Ihr seid sogar zu schiach um euch zu missbrauchen“
Sexisten auf der Bühne, bei Reden, als Musiker
Sexuelle Übergriffe im Schlafsaal
Sprüche zur sexuellen Verfügbarkeit von Frauen während der Besetzung, in Foren, im Chat,…zb.: „Ich habe gehört es gibt hier ein Puff“
Vortragende am Podium sind ausschließlich männlich (Quote fordern aber selbst nicht einhalten??)
Solche Vorfälle zu verhindern ist in unser aller Verantwortung! Sexistische Übergriffe und Situationen sind Teil eines Gesellschaftssystems, in dem wir alle leben.

Das es zu solchen auch während dieser Besetzung kommen kann, ist unser aller Problem! Solange es hier ein allgemeines Desinteresse für antisexistische Themen gibt, solange Menschen nicht eingreifen, wenn sexistische Aussagen getätigt werden und Übergriffe geschehen, wird hier der gesellschaftliche Normalzustand reproduziert!

Frauen und Männer, denen ein antisexistischer Raum wichtig ist, finden diesen Zustand unerträglich und können oder wollen sich daher nicht, mehr oder nur teilweise an der Besetzung beteiligen. Viele Frauen fühlen sich vor allem in der Nacht unwohl und empfinden den „Freiraum Uni“ nicht als ausreichenden Schutzraum vor sexuellen Übergriffen. Sexistischer Umgang ist Ausschlussmechanismus! Eine breite Protestbewegung wird damit unmöglich!

Daher fordern wir alle BesetzerInnen auf, sich am Aufbau und Erhalt eines antisexistischen Raumes „Universität“ zu beteiligen.

Wir fordern:

Keine Akzeptanz von sexistischen Wortmeldungen am Podium!
Starkes Eingreifen von Allen bei sexistischen Übergriffen und Vorfällen!
Keine Diskussionen mit übergriffigen Typen, sondern Rauswurf!
Mindestens 50% Frauen bei Vorträgen, auf Podien, bei Diskussionsbeiträgen,…!
Mindestens 50% der Redezeit am Podium/ im Plenum für Frauen
Respektvoller Umgang miteinander!
Ein Frauenraum als Rückzugsraum, Schlafraum, Diskussionsraum,…
Geschlechtersensible Sprache bei Plakaten, Aushängen, Aussendungen,…
Eine freie Uni für Alle heißt vor allem auch einen Freiraum zu schaffen in dem Sexismus, Transphobie, Homophobie, Antisemitismus, Rassismus,… KEINEN Platz haben!

Quelle:  http://www.oeh.univie.ac.at/politik/novelle-des-universitaetsgesetzes-2008/proteste/feministische-raumaneignung/aussendung-der-anti-sexistischen-frauen-ag.html

aktionen in ganz österreich

sra 02.11.2009 - 11:46
bin grad nich so aufm laufenden aba:

Wie sieht denn die Aktivität in den anderen Teilen Österreichs aus?
Gabs schon erste Einschüchterungsversuche oder anderen Bullenstress?
und gibt es auch Einmischversuche seitens der rechten Szene?

wär cool wenn mich jemand kurz aufs laufende bringen könnte
Danke im Vorraus


Solidarität mit der Streikenden Jugend Österreichs

Soliaktion in Berlin

John Nada 02.11.2009 - 12:54
Ein Artikel der Hoffnung macht, weiter so lasst Euch nicht spalten.

16:00 findet in Berlin ein solidarischer Flashmob statt um die "Wiener Straße" in "Wiener Uni" umzubenennen!! #audimax #unibrennt #unsereuni

Quelle:

 http://twitter.com/Unibrennt

Soliaktion in Berlin

John Nada 02.11.2009 - 13:35
 http://unsereuni.at/?p=4871

16:00 Wiener Ecke Skalitzer Kommt in weiß

Feature dazu:

Expropriateur 02.11.2009 - 22:14

Solidemo in Osnabrück

Asta Osnabrück 04.11.2009 - 20:22
Am 28.10. starteten wir eine SpontanDemo vom ASTA der Uni Osnabrück. Es ging mit ca. 30 Demonstranten über die Kamp Promenade zur Großen Straße, bis hin zum Rathaus und danach zum Neumarkt. Wir konnten die Passanten auf den Bildungsstreik und auf die Situation in Österreich aufmerksam machen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Anti-Flag — John Nada