Als jüdischer Flüchtling in der brit. Armee

Antifaschistische Initiative Moabit 23.10.2009 16:34 Themen: Antifa Antirassismus Blogwire Kultur Militarismus Weltweit
„Damit die deutschen Soldaten aufhören, Nazis zu sein“

Ein Bericht über das Leben von Hans Herzberg, der als jüdischer Flüchtling für die Britische Armee Befragungen von deutschen Wehrmachtssoldaten durchführte.
Hans Herzberg wurde 1921 in Hannover geboren und wuchs in einem liberalen jüdischen Elternhaus auf. Sein Vater betrieb einen Ledergroßhandel, die Familie war seit mehreren Jahrhunderten in Niedersachsen und Hannover beheimatet und hatte dieses Gewerbe seit Generationen ausgeübt. Hans Herzberg verlebte eine unbeschwerte Kindheit, die mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 schlagartig einem „Aufwachsen unter einer Druckglocke“1 wich. Antisemitische Staatsdoktrin und antisemitische Gewalt, Rassenkunde-Unterricht und schließlich erzwungenes Verlassen der Schule ohne Abitur, prägten fortan Hans Herzbergs Alltag. In Folge der Pogrome im November 1938, in deren Verlauf der Vater verhaftet und drei Monate in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurde, bemühte sich die Familie um Auswanderungsmöglichkeiten.

Hans Herzberg gelangte mit einem Kindertransport der britischen Regierung nach England. Dies rettete ihm das Leben und England wurde zur „zweiten Heimat.“
Mit Ausbruch des Krieges wurde Hans Herzberg als „enemy alien“, als feindlicher Ausländer, interniert. Diese Maßnahme der britischen Regierung traf zu Beginn des Krieges pauschal alle deutschen Exilanten, unter denen NS-Spione vermutet wurden. Er kam in Kontakt mit deutschen antifaschistischen Emigranten, die dem Jugendlichen in der Ausbildung seines politischen Bewusstseins entscheidende Impulse gaben.

Nach einiger Zeit in diversen Internierungslagern, u.a. in Kanada, erhielt Hans Herzberg die Möglichkeit, den britischen Streitkräften beizutreten. Er ergriff diese Möglichkeit, an der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus mitzuwirken und arbeitete fortan als Dolmetscher der Armee in einem britischen Kriegsgefangenenlager für deutsche Kriegsgefangene. Neben der Dolmetschertätigkeit für die Armee, stellte Hans Herzberg sich selbst die Aufgabe, im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten dazu beizutragen, dass die deutschen Soldaten „aufhören, Nazis zu sein.“ In Einzelgesprächen „bohrte“ er nach und versuchte, den Motiven der deutschen Soldaten für die Beteiligung an Angriffskrieg und Judenmord auf den Grund zu gehen und die deutschen Kriegsgefangen zum Nachdenken und zur Reflektion zu bewegen.

Nach der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands am 8. bzw. 9. Mai 1945, standen für Hans Herzberg schwierige Entscheidungen an. Sollte er nach Deutschland, in das Land der Täter zurückkehren, dorthin, wo die Menschen lebten, die ihn und seine Familie entrechtet, beraubt, gedemütigt, diskriminiert und viele seiner Verwandten in Auschwitz ermordet hatten? Oder sollte er dem Beispiel überlebender Familienangehöriger folgen, die nach Israel oder in die USA gegangen waren und in seiner zweiten Heimat England bleiben?

Hans Herzberg entschied sich aus politischen Gründen zur Rückkehr nach Deutschland, ging 1947 nach Berlin und arbeitete dort als Stadtreporter und beim Rundfunk. Aus seiner Auseinandersetzung mit den exilierten deutschen Antifaschisten, den Freundschaften, die er in diesen Kreisen geschlossen hatte und der Rezeption von Literatur deutscher Exilanten, u.a. z.B. von Anna Seghers, erwuchs seine Motivation zur Rückkehr: Die „Wiederholung eines 1933“ verhindern zu wollen und eine „breite antifaschistische Bewegung“ mit aufzubauen. Ein Unterfangen, dass sich als schwierig erweisen sollte und mit „psychologisch schmerzhaften Erfahrungen“ aber auch mit „großen Erlebnissen“ einherging.
Hans Herzberg ist Mitglied der DRAFD2 und lebt mit seiner Familie in Berlin.

Hans Herzbergs Geschichte ist nie Gegenstand einer Veröffentlichung in Buchform gewesen und birgt dennoch viel Wissenswertes, Spannendes und Lehrreiches für die nachgeborenen Generationen. Es wird nicht mehr viele Gelegenheiten geben, um mit Überlebenden der Shoa und TeilnehmerInnen des Befreiungskampfes gegen den Nationalsozialismus ins Gespräch zu kommen.

Zumindestens die BerlinerInnen und Berliner haben im Rahmen einer Veranstaltungsreihe im Vorfeld des diesjährigen Jahrestages der Novemberpogrome von 1938 am 9. November die Gelegenheit, einem Zeitzeugen-Gespräch mit Hans Herzberg beizuwohnen.
Am Sonntag, dem 25. Oktober wird Herr Herzberg in der im Kinosaal der Kulturfabrik Moabit aus seinem Leben berichten. Die Veranstaltung beginnt um 16 Uhr und ist kostenlos.

Für weitere Informationen siehe: www.antifa-moabit.de.vu


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2Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e.V.
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schöner artikel — liest man viel zu selten