Prozess gg Gießener Feldbefreier geht weiter

Simone Ott 01.10.2009 02:22 Themen: Biopolitik Repression Ökologie
Es sollte eigentlich der letzte Tag in der Berufungsverhandlung gegen die beiden Feldbefreier in Gießen sein. Doch es kam alles anders.
Da der Richter schon in der letzten Sitzung deutlich ungehalten war, als die Anwälte einen weiteren Verhandlungstag forderten, gingen alle davon aus, dass das Urteil unmittelbar bevor stünde. Deshalb organisierte das "Aktionsbündnis gegen Gentechnik Gießen" in aller Eile für den heutigen Termin eine Demonstration.

Ca. 75 TeilnehmerInnen begleiteten die Angeklagten in einem bunten Zug durch die Innenstadt, der obligatorische Traktor vorneweg. Start war am Kirchenplatz, gleich neben dem Wochenmarkt. Hier begrüßten mehrere RednerInnen die Anwesenden: die VeranstalterInnen begründeten ihr Engagement gegen Agro-Gentechnik und den Aufruf zur Demonstration. Ein Vertreter der BI Marburg-Biedenkopf sprach seine Solidarität mit den FeldbefreierInnen aus, und kündigte entschlossenen Widerstand auf allen Ebenen an. Ein emeritierter Professor für Ökolandbau aus Witzenhausen wiederholte seine persönliche Kritik an der Agro-Gentechnik und die Notwendigkeit für aktiven Widerstand. Abgerundet wurde das Programm mit einer Performance der AktivistInnen: mit Anzügen verkleidet stellten einige Vertreter der großen Gentechnik-Konzerne, Genehmigungs- und Kontrollbehörden und der Lobbyvereine dar. Sie warfen sich ein Seilknäuel gegenseitig zu, so dass mit der Zeit ein Seilschaften-Netzwerk entstand (www.projektwerkstatt.de/gen/filz/brosch.pdf). In der Mitte die Landwirte, Imker und Verbrauchen wurden dadurch buchstäblich "eingewickelt", bis sie es schafften, im gemeinsamen Widerstand sich daraus zu befreien.

Weiter ging es über den Anlagenring bis zum Uni-Hauptgebäude, wo Gießener AktivistInnen die Uni mit einem Ständchen an ihre Verpflichtung zur unabhängigen Forschung erinnerten. Ein Vertreter von attac Wuppertal erklärte sich ebenfalls solidarisch mit den Feldbefreiern. Außerdem waren AktivistInnen aus Kassel, Braunschweig, Weimar, Frankfurt etc. gekommen. Auch der Gentechnik-Widerstand vernetzt sich zunehmend. ;-) Unter den Demo-TeilnehmerInnen waren auch mehrere Mitglieder von Gendreck-weg. Unter ihnen der Imker und Mitbegründer Michael Grolm. Er war erst vor einer Woche durch eine Verfassungsbeschwerde aus drei Wochen Beugehaft entlassen worden ( http://de.indymedia.org/2009/09/261635.shtml).

Zuletzt zog die Demonstration zum Landgericht, wo um 14 Uhr der siebte Verhandlungstag gegen die beiden Feldbefreier startete. Wie erwartet, versuchte das Gericht, weitere Beweisanträge durch die Angeklagten wegen angeblicher Verschleppungstaktik zu unterbinden. Dann ließ die Staatsanwältin eine Bombe platzen: sie zog ihre eigene Berufung zurück. In der ersten Instanz hatte sie ihr "Wunschurteil" von sechs Monaten Knast ohne Bewährung für beide Angeklagten bekommen. Einer der Angeklagten wollte direkt in Revision gehen, um die rechtswidrigen Maßnahmen des Richters aus erster Instanz anzugehen. Die Staatsanwältin verhinderte das mit ihrer Berufung. Wahrscheinlich war das auch der Grund für die Berufung. Dass sie sie heute wieder zurückzog, erhärtet diesen Verdacht. Möglich wäre auch, dass sie schon ahnt, mit ihrer härteren Forderung nicht durchzukommen, so dass sie die Berufung zurückzieht, um nicht ganz peinlich dazustehen. Von den vielen verschwendeten Steuergeldern für dieses Manöver wollen wir gar nicht reden.

Doch die Verteidigung ließ sich auf den Rückzug nicht ein, so dass das Verfahren weiter geht. Der Abend endete immerhin schon einmal mit ein paar Plädoyers:
Die Staatsanwältin forderte wieder ein halbes Jahr Knast ohne Bewährung für den einen der Angeklagten. Bei dem anderen würde sie sich auf eine Aussetzung zur Bewährung einlassen.
Die Verteidiger sehen es als klar gegeben, dass das Gericht sich auf den rechtfertigenden Notstand einlassen und freisprechen müsste. Da das Gericht sich bisher aber absolut nicht danach verhalten habe, fanden sie es absurd, dies überhaupt zu fordern. Nichtsdestotrotz gab es ein intensives Plädoyer für den Notstandsparagraphen 34§ StGB.
Der jüngere der beiden Angeklagten räumte in seinem Plädoyer ein, dass die zunehmende Repression ihn davon abhalten würde, eine solche Tat noch einmal zu begehen. Allerdings gab er zu bedenken, dass das laufende Verfahren ihn nicht davon überzeugt habe, dass es mildere Mittel gegeben hätte, die zum erwünschten Ergebnis hätten führen können. Er sehe die Gefahr der Gentechnik nach wie vor gegeben (s. Leinsamen- und StarLink-Reis-Skandal) und die vorgeblichen Sicherheitsmaßnahmen nicht umgesetzt.
Das Plädoyer des zweiten Angeklagten wurde um 21.45 Uhr unterbrochen und soll am nächsten Verhandlungstag fortgesetzt werden: 10.9., 14 Uhr
www.projektwerkstatt.de/gen/prozess.htm

Der heutige Tag machte deutlich, dass die Gießener Feldbefreier nicht alleine stehen. Eine deutlich größere Breite an Gruppen und Menschen als üblicherweise in Gießen solidarisierte sich und konnte mit der Demonstration angesprochen werden.
Ein detaillierterer Bericht folgt.


Währenddessen sitzt ein weiterer Gendreck-weg-Aktivist noch bis zum 5.10. in der Kasseler JVA, weil er seine Strafe für eine Feldbefreiung lieber absitzen als zahlen will.  http://de.indymedia.org/2009/09/261648.shtml
Ebenfalls am 5.10. wird ein weiterer Gendreck-weg-Aktivist in Rottenburg seinem Beispiel folgen.
www.gendreck-weg.de

Außerdem laufen mehrere weitere Verfahren gegen FeldbefreierInnen.
www.gendreck-weg.de

Und einige FeldbesetzerInnen bekamen einstweilige Verfügungen durch den Monsanto-Anwalt Stiebler zugestellt, dass sie bei Androhnung von mehreren 100.000 € die Felder nicht mehr betreten dürften. Dagegen legten sie Widerspruch ein.
s. z.B.:  http://de.indymedia.org/2009/09/261688.shtml
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Ergänzungen

Genauerer Bericht vom Prozessverlauf

feldbefreierInnen 01.10.2009 - 15:30
Hier der Bericht vom siebten Prozessverlauf:  http://de.indymedia.org/2009/10/262379.shtml

Klar: 9.10.!

feldbefreierInnen 02.10.2009 - 09:30
Das war wohl ein Zahlendreher. Freitag, 9.10., 14 Uhr ist nächster Termin. Kann durchaus auch als "Vorlesung" zum Thema "Rechtfertigender Notstand" angesehen werden. Jedenfalls will der noch plädierende Angeklagte sich intensiv mit Sinn, Inhalt, Kommentaren, Urteilen und Auslegung zum § 34 StGB auseinandersetzen ... an juristischen Fakultäten, die eher Leute wie Steinmeier hervorbringen, sicherlich ein Thema, was bereichernd sein könnte ...

Film zu Demonstration und Prozess

Simone Ott 03.10.2009 - 11:20
Hier noch ein Link zu einem schönen Filmbeitrag von Demonstration und Prozess am 30.09.:
 http://de.sevenload.com/sendungen/Unterm-Ginkgo-Wurzeln-des-Widerstands/folgen/vQ6Br7Z-Unterm-Ginkgo-7

Einer von mehreren Filmen aus der schönen Reihe "Unterm Gingko - Wurzeln des Widerstands"

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Presseecho — Simone Ott

nächster Verhandlungstag? — Justus von Liebig