Neuigkeiten aus dem Terrorismus-Verfahren gegen...

solidarite_sans_frontieres 13.07.2008 21:25 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
IVAN, BRUNO UND FARID UNTER STRENGEN AUFLAGEN DRAUßEN.
ISA UND JUAN IM KNAST.

...UND BRUNOS BRIEF NACH DEM ABTAUCHEN.
Seit Januar 2008 werden in Frankreich sechs Aktivist_innen mit Terrorismus-Vorwurf strafrechtlich verfolgt. Ivan, Bruno und Damien wurden am 19. Januar festgenommen, als sie, Natronchlorat enthaltendes Rauchpulver mit sich führend, auf dem Weg zu einer Demonstration zum (mittlerweile vollständig abgebrannten) Abschiebeknast Vincennes waren. Dort war es in den letzten Monaten immer wieder zu Streiks und Revolten der inhaftierten Sans-Papiers gekommen, die mit Demonstrationen vor dem Gefängnis solidarisch unterstützt wurden. Im Juni 2008 wurde dieser Abschiebeknast - der größte in Frankreich - von den darin Gefangenen in Brand gesteckt und brannte vollständig ab.

Im Januar waren außerdem Isa und Farid (Namen geändert) bei einer Zollkontrolle bei Vierzon festgenommen worden, als in ihrem Auto Natronchlorat, Pläne des Jugendknast von Porcheville und Sabotageanleitungen gefunden wurden. Isas DNA, die während der Gewahrsamnahme festgestellt wurde, soll mit Spuren, die auf einem Brandsatz, der im Mai 2007 unter einem Polizeifahrzeug gefunden worden war, übereinstimmen. Sie befindet sich seitdem in Untersuchungshaft und hat den Status einer besonders überwachten Gefangenen.
Am 20. Juni wurde Juan, Isas Bruder, festgenommen und sogleich ins Gefängnis von Fresnes gebracht, weil seine DNA-Probe ebenfalls mit Spuren in den Ermittlungen vom Mai 2007 übereinstimmen soll.

Schon im April waren beide Fälle in einer gemeinsamen Untersuchung zusammengefasst worden und die Anti-Terrorismus-Abteilung übernahm die gesamten Ermittlungen. Alle sechs Personen sind der Bildung einer terroristischen Vereinigung verdächtigt und gehören laut Polizei zu einer angeblichen "anarcho-autonomen Bewegung des Großraumes Paris".

Ivan, Bruno und Farid sind im Juni nach über vier Monaten Untersuchungshaft gegen den Willen der Richterin der Anti-Terrorismus-Abteilung aus dem Knast entlassen worden. Alle drei wurden unter strenge richterlicher Aufsicht gestellt. In zwei Fällen zwingen die Auflagen die Betroffenen, weit von ihrem eigentlichen Wohnort zu leben, eine Arbeitsstelle zu finden und regelmäßig beim SPIP (Reintegrationsdienst des Strafvollzugs) zu erscheinen. Die Auflagen zielen darauf ab, die aus der Haft entlassenen Personen weiterhin aus der Nähe zu überwachen. Sie stellen eine Art des Freiheitsentzugs dar, bei dem jede Nicht-Beachtung der Auflagen sofort wieder Knast bedeutet. Die Pflicht, regelmäßig bei der Polizei zu erscheinen, soll den Druck auf die Personen aufrechterhalten und sie der Justiz verfügbar zu machen.
Die Untersuchungen gelten weiterhin als noch nicht abgeschlossen und es steht noch kein Datum für einen Prozess fest.


Am 5. Juli 2008 schickte Bruno einen offen Brief an Indymedia Frankreich, indem er verkündet, dass er sich nicht mehr an die Meldepflicht halten und in die Illegalität abtauchen wird.

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Offener Brief Nummer 1, 5.Juli 2008

WARUM ICH ABGEHAUEN BIN.

An alle Kamarad_innen, Freund_innen und alle, die von Nahem und aus der Fernen unsere Geschichte mitverfolgt haben.

Ich bin im Januar festgenommen worden und nach vier ein halb Monaten im Gefängnis, in denen ich um bessere Haftbedingungen gekämpft habe, bin ich jetzt unter strengen Auflagen draußen.
Diese Auflagen sind eine Art individualisiertes Regelwerk, in dem festgeschrieben ist, was du machen darfst und was nicht. Ich durfte die Gegend von Belfort und das Departement Haute-Sâone (Ostfrankreich) nicht verlassen, weil mein Vater dort wohnt und mir das als Wohnort vorgeschrieben wurde. Theoretisch durfte ich nur zur Arbeitssuche und -verrichtung das Haus überhaupt verlassen, und für die Erfordernisse der polizeilichen Untersuchungen. Die Idee dahinter ist eine verstärkte soziale Kontrolle und der absolute Zugriff der Polizei und der Justiz auf mich, auf meinem Körper. Zum Beispiel musste ich mich jede Woche bei der örtlichen Polizeiwache blicken lassen und zweimal im Monat einen Bullen vom Integrationsdienst des Strafvollzugs treffen, der die Verbindung zum ermittelnden Richter hält. So gesehen sind die Dinge einfach: du verhälst dich tadellos, man sucht dir einen Platz und dort bleibst du oder aber du gehst zurück ins Gefängnis. Und vor allem: Damit gibts nichts zu spaßen.

Während des Monats unter richterlicher Aufsicht hatte ich das ungute Gefühl, weit weg von allen Orten der sozialen und politischen Kämpfe zu sein und meinem eigenen Tod als politisches Subjekt beizuwohnen.
Die Spielregeln zu akzeptieren bedeutete, mich zu untergeben, meine Wut zu verleugnen, selbst wenn wir manchmal denken, dass es möglich ist, sich zu sagen "ich spiele das Spiel eine Zeit lang, bis es wieder ruhiger wird" oder "ich gebe vor, ihr Spiel zu spielen". Ich habe mich also jeglicher Entscheidung enthoben gefühlt: wie ich die Konfrontation mit dem Existierenden suchen möchte, wie ich für eine radikale Veränderung der Räume, in denen wir leben, und gegen die kapitalistische Regulierung unserer Leben, kämpfen möchte.

Meine Geste drückt einfach meine Revolte gegen das, was mir aufgezwungen will, aus. Ich besitze nichts außer mein eigenes Leben und so konnte ich mich entweder klein kriegen lassen und alles, was ich bis jetzt gemacht habe, aufgeben oder aber kämpfen, die vorgeschriebene Situation nicht akzeptieren und die Räume nehmen, die mir offen stehen.
Als Spielraum blieb mir also nur die Illegalität, die Klandestinität und die Flucht. Zuerst, um ein wenig Distanz zwischen die Bullen und mich zu bringen. Und dann, um es zu wagen in der Gegenwart zu leben, ohne Reue.
Ich weiß, dass dieser Weg hart ist, dass einen das Gefängnis oft einholt, dass die Krallen der Repression die einfangen, die in der Illegalität kämpfen. Aber ich weiß auch, dass einige Stunden der künstlichen Freiheit, die ich der Unterdrückung abtrotze, mehr zählen als alle Zeit, in der mir die Luft zum Atmen in kleinen Portionen aus der Hand der Herrschenden verabreicht wird.

Ich möchte mich nicht beherrschen und mir vorschreiben lassen, was richtig und was falsch ist. Dabei ist es unwichtig, wie über mich gedacht wird. Ich möchte in ständiger Auflehnung gegen die Unterdrückung leben. Und von dieser Position aus möchte ich Beziehungen aufbauen, die kollektives Handeln ermöglichen, weil das Politik ist: sich darüber verständigen, was wir wollen und dementsprechend handeln. Der Ausgangspunkt sind die Probleme, die wir haben, und wir handeln, ohne auf den Chef zu warten, der uns sagt, ob er einverstanden ist oder nicht.

Unterzutauchen heißt, mich wieder denen anzuschließen, die kämpfen und deutlich zu machen, dass ich kein regierbarer Körper bin. Das heißt, dass ich mit der Kritik an Unterdrückung und an der Macht des Kapitalismus noch nicht abgeschlossen habe, dass ich noch nicht aufhöre unter den Hunderten und Tausenden zu sein, die sich in ihren jeweiligen Kontexten gegen die Verrücktheit unserer Zeit auflehnen. Ich habe es nicht aufgegeben zu denken, dass sich die Freiheit in den Kämpfen für die tägliche Aneignung unserer Leben findet.

Ich denke an alle, die ihre Solidarität den Freunden im Gefängnis zeigen. Besonders denke ich an alle, die weiter im Gefängnis sind: Kraft, Mut und Entschlossenheit.
Für alle, die die Zerstörung unserer Leben gegen Geld, Status oder sonst was eintauschen, habe ich nur tiefe Verachtung übrig. Ich möchte euch nicht wiedersehen.

Aus der Klandestinität.
Feuer und Flamme allen Gefängnissen. Feuer und Flamme dem Kapitalismus.
Bruno


 http://de.indymedia.org/2008/06/219070.shtml

 http://de.indymedia.org/2008/06/219553.shtml
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Ergänzungen

chlorate de soude = Natriumchlorat

. 14.07.2008 - 05:56
.

Revolte im Abschiebegefängis von Vincennes

Abschiebehaft ist abgebrannt 16.07.2008 - 16:26
Am Sonntag, 22. Juni 2008 wurde das Abschiebe- gefängnis von Vincennes, die größte Abschiebe- haftanstalt Frankreichs, durch mehrere vorsätzliche Brände vollständig zerstört. Auslöser war der Tod eine der Gefangenen, dem laut Medienangaben ärztliche Hilfe verweigert wurde. Einige Gefangene nutzen die Gelegenheit zur Flucht.

Weiter:  http://no-racism.net/article/2608

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