Mumia Abu-Jamal: ein politischer Gefangener

Anton Mestin 16.05.2008 00:10 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Seit über einem Vierteljahrhundert sitzt Mumia Abu-Jamal in den USA in der Todeszelle. Über die aktuellen juristischen Vorgänge gibt es erfreulich viel Berichterstattung.
Die politischen Hintergründe, die 1982 zu seiner Verurteilung führten, sind dagegen heute kaum noch bekannt, was nach so langer Zeit auch kaum verwundert.
Sowohl in Mumias Biografie als auch in den damaligen Kämpfen, an denen er sich beteiligte, sind die Hauptgründe zu suchen. Aber auch der alleinige Blick auf sein Verfahren von 1982 macht deutlich, wie politisch diese Auseinadersetzung war und auch bis heute in den USA ist.
Mumia Abu-Jamal ist seit Mitte der 70er US-weit als "The voice of the voiceless" (Die Stimme der Unterdrückten) bekannt gewesen. Er war 1981 Vorsitzender der schwarzen Journalisten Vereinigung. Seine unerschrockene Berichterstattung über Polizeigewalt, Rassismus und staatliche Korruption hat ihn nicht nur jede Festanstellung gekostet, die er bei Radios und Zeitungen vor 1981 hatte. Philadelphias damaliger Bürgermeister und ex-Polizeichef Frank Rizzo hat ihn und andere kritische Journalisten ca. ein halbes Jahr vor seiner Festnahme öffentlich bedroht. Er sagte: "Die Leute glauben, was sie schreiben. Das muss aufhören. Ich werde noch in meiner Amtszeit dafür sorgen, dass sie dafür zur Verantwortung gezogen werden."

Es ist schon echt herausragend, wie oft in diesem Fall politischer Repression der Gefangene gezwungen werden soll, den "Fall" zu erklären. Zumindest in sog. westlichen Demokratien gilt der Grundsatz, dass die Anklage die Schuld beweisen muss, nicht der/die Angeklagte ihre/seine Unschuld. Dass sowas in politischen Verfahren meistens anders läuft, ist eine Erfahrung, die tausende ausser Mumia in den entsprechenden Ländern bis heute machen. Allerdings nur selten mit solchen Folgen.

Ein oft beobachteter Reflex der ach so menschenrechtsbewußten "bürgerlichen Öffentlichkeit", die im Ernstfall ihr fehlendes Engagement damit entschuldigt, besteht darin, Zweifel an Mumias Unschuld zu haben.
Bei der Solidarität mit politischen Gefangenen mache ich mir eines immer deutlich: mir (und vielen anderen Mumia-Unterstützer_innen wahrscheinlich auch) ist es völlig egal, ob Mumia unschuldig oder schuldig im Sinne der Anklage ist. Die politische Praxis des Gefangenen entscheidet, ob ich ihn unterstützen werde. Und in Mumias Fall führt für mich kein Weg daran vorbei.

Es ist Fakt, dass er 1982 kein faires Verfahren hatte. Das sagt sogar so ein zahnloser Tiger der Menschenrechte wie Amnesty International in ihrem Report über Mumia Abu-Jamal von 2000  http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR51/001/2000 oder auch in diesem Jahr, als sie auf die Gerichtsentscheidung des 27.März  http://de.indymedia.org/2008/03/211637.shtml reagierten. Im wesentlichen bekräftigten sie ihre Forderung nach einem neuen und diesmal "fairen" Verfahren.

Es gibt darüberhinaus einige unbestreitbare juristische Fakten:

1. Mumias Jury wurde 1982 unter rassistischen Gesichtspunkten von Schwarzen Juroren gesiebt.

2. Staatsanwalt McGill gab juristisch falsche Ratschläge an die Jury, als es um die Schuldfindungsphase ging. Er empfahl, Mumia im Zweifel (und die waren selbst bei dieser Jury noch vorhanden) erstmal schuldig zu sprechen, er habe ja noch "eine Berufung nach der anderen". Auch der Vorsitzende Richter Alfred Sabo stoppte dieses rechtswidrige Vorgehen nicht.

3. Der Richter A. Sabo war ein Rassist. Wörtlich sagte er am Abend des ersten Prozeßtages gegen Mumia: "Ich werde ihnen (gemeint ist hier die Staatsanwaltschaft) helfen, den Nigger zu grillen" Mit „grillen“ meinte er die adamls geläufige Hinrichtungsmethode mit dem elektrischen Stuhl.

4. Die drei Hauptbelastungszeugen wurden von der Polizei bearbeitet, gegen Mumia auszusagen.
Veronica Jones beschrieb 1996 im Gerichtssaal, wie das vor sich ging. Sie sass 1982 in Untersuchungshaft. Ihr wurde zwei "Anwälte" vorgestellt, die sagten, sie seien ihre Pflichtverteidiger. Sie offenbarte sich diesen beiden und erhielt in ihrem Verfahren eine 15 jährige Haftstrafe. Anschließend erfuhr sie, dass ihre "Pflichtverteiger" Politzisten waren. Diese boten ihr nun einen "Deal" an: sie belastet Mumia Abu-Jamal (den sie bis dahin noch nie gesehen hatte) und sowohkl das Urteil als auch weitere noch schwebende Anklagen gegen sie würden fallengelassen. Sie hatte zwei sehr junge Kinder und nahm diesen Deal an. Laut Veronica Jones wurde ihrer Freundin Cynthia White das gleiche Angebot gemacht. Sie war die zweite Hauptbelastungszeugin. Beide Frauen arbeiteten damals als Prostituierte und waren vorher regelmässig Opfer von Polizeigewalt und Erpressung seitens der Beamten geworden.
Der dritte Hauptbelastungszeuge, Robert Chobert, war ein Taxifahrer, der auf Bewährung war, weil er eine Schule angezündet hatte und ausserdem keinen gültigen Führerschein besass, in der fraglichen Nacht aber in der Nähe im Taxi angehalten wurde...
Sein Taxi ist übrigens auf den Tatortfotos der Nacht entgegen seiner Aussage gar nicht zu sehen  http://www.abu-jamal-news.com/

5. Als der Staatsanwalt McGill nach der Schuldfindung die Jury aufs Todesurteil hin bearbeitete, zitierte er aus einem Zeitungsartikel, den Mumia über 10 Jahre vorher in seiner Funktion als Pressesprecher deer Black Panther Party geschrieben hatte. Damals war der Panther-Aktivist Fred Hampton im Rahmen des COINTELPRO  http://en.wikipedia.org/wiki/COINTELPRO vom FBI und der Polizei Chicagos kaltblütig ermordet worden. Auf diese Tatsache reagierte Mumia mit dem Mao-Zitat: "Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen"
McGill präsentierte dieses Zitat und machte der Jury erfolgreich weis, Mumia habe das gesagt, weil er Polizisten erschiessen für politisch sinnvoll halte. Das er mit dieser kompletten Sinnverdrehung durchkam, liegt im wesentlichen an drei Faktoren:
Mumia hatte 1982 einen völlig unterqualifizireten Verteidiger, da er sich keine besseren leisten konnte. Jugde Sabo schloss Mumia über weite Strecken von seinem eigenen Verfahren aus, und zwar immer dann, wenn Mumia selbst was zu seiner Verteidigung sagen wollte. Und schließlich ließ dieser Richter sowieso jeden Rechtsbruch der Staatsanwalt durchgehen, während er gleichzeitig alles blockierte, was die Verteidigung beantragte.

6. Mumias Waffe und auch seine Hände sind nie auf Scmauchspuren untersucht worden. Es ist nie bewiesen worden, ob aus dieser Waffe in der fraglichen Nacht überhaupt ein Schuß abgefeuert wurde. Mumia war 1981 neben seiner journalistischen Tätigkeit Taxifahrer. Er war bereits zweimal zuvor überfallen worden. Dass er also um 4 Uhr nachts in der Innenstadt von Philadelphia als Taxifahrer eine Waffe trug, überrascht im US-amerikanischen Kontext überhaupt nicht.

7. Das sog. "Geständnis" von Mumia ist von Polizisten frei erfunden worden. Der behandelnde Arzt der Notaufnahme hat mehrfach klargemacht, dass Mumia mit einem Lungendurchschuss ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Seine Lungen waren voll Blut. Er konnte gar nicht sprechen.
Die Polizisten erinnerten sich übrigens erst über zwei Monate später an diese "Geständnis". Noch in der Nacht hatte einer von ihnen in den Bericht geschrieben, dass der "männliche Schwarze keine Aussage" gemacht habe.
Als Mumia im Februar 1982 eine Klage wg. schwere Misshandlung bei seiner Festnahme machte ( sie hatten versucht, ihn tot zu treten...), fiel vier Beamten und einer Krankenhauswache auf einmal dieses "Geständnis" ein. Sie alle sagten übereinstimmend aus, in jener Nacht "emotional" zu mitgenommen gewesen zu sein...

Diese Liste ließe sich jetzt noch einige Seiten fortführen. Für Interessierte hier einige aktuelle Veröffentlichungen:

1.The Framing of Mumia Abu-Jamal, J. Patrick O’Connor, Chicago Review Press 2008  http://mumia-hoerbuch.de/mumiaenglisch.htm#interviewoconnor
2.Wettlauf gegen den Tod - ein schwarzer Revolutionär im weissen Amerika, Michael Schiffmann, promedia 2006  http://mumia-hoerbuch.de/wettlauf.htm
3.Wettlauf gegen den Tod, Hörbuch CD der Berliner Mumia-Hörbuchgruppe, März 2007  http://mumia-hoerbuch.de/hoerbuch.htm
4.In Prison My Whole Life, Film 2007  http://mumia-hoerbuch.de/mumiadeutsch.htm#film1


Sollten auch nur einige der hier angeführten Sachverhalte in einem neuen Verfahren (was ja mit der jüngsten Entscheidung in weite Frene gerückt zu sein scheint) jemals allein juristisch behandelt werden, wäre das ein Sensation in den USA.
Eigentlich ist dies eine politische Auseinandersetzung zwischen Regierung und politischen Kritiker_innen. Aber sie findet in Gerichtssäalen statt.
Es ist klar, dass hochgestellte Personen wie z.B. der derzeitige Governeur Pennsylvenias, Ed Rendell, ihren Hut nehmen müssten, wenn auch nur eine der Manipulationen gegen Mumia juristisch anerkannt würde. Schließlich war er als oberster Dienstherr der Anklage 1982 dafür verantwortlich, dass solche Praktiken überhaupt probiert wurden. Ein erhellendes Licht bietet auch dieses Video:  http://de.youtube.com/watch?v=f40CZR2Fx2w

Darüber hinaus gilt für Mumia Abu-Jamal dasselbe wie für die allermeisten der ca. 2, 1 Millionen Gefangenen in den USA. Sie sind mehrheitlich nicht weiß und arm. Finanzielle Armut bedeutet in den USA auch 2008 fast immer, keine adequate Verteidigung zu bekommen.
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Ergänzungen

Hier gibt's Infos zum Handeln

Berliner Mumia-Bündnis 16.05.2008 - 17:39
Infos und praktische Ideen gemeinsam besprechen...

Schreibt Mumia Abu-Jamal

Mumia-Hörbuchgruppe 16.05.2008 - 20:07
Mumias Hauptanwalt Robert R. Bryan hat bei seinen Berlinbesuchen wiederholt gesagt, dass Mumia im Augenblick viel geholfen wäre, wenn Unterstützer_innen ihm verstärkt schreiben.

Erstens freut sich Mumia riesig über Briefe und Postkarten in seiner 6 qm Todestraktzelle. Es ist ihm eine enorme moralische Stütze, wenn er merkt, dass sein Fall immer noch bekannt ist und er trotz Isolationshaft nicht vergessen wurde.

Und zweitens ist diese Post ein grosser Schutz für ihn. Zeigt das doch der Zensurbehörde, die sämtliche Post liest und auch dem Gericht und der Staatsanwaltschaft übermittelt, dass sie unter Beobachtung stehen. Das kann aktuell Einfluss auf die weiteren juristischen entwicklungen haben.

Im jetzigen Stadium können Briefe daher wirklich helfen. Eine kleine Hilfe, wie ihr einem euch persönlich unbekannten Gefangenen schreiben könnt, bietet der Artikel des Anarchist Black Cross (ABC):  http://archiv.abc-berlin.net/wie_schreibe_ich_gefangenen.pdf


Hier Mumias Adresse:

Mumia Abu-Jamal
AM 8335
SCI Greene Prison
175 Progress Drive
Waynesburg, PA 15370
USA

Denkt daran, dass jede/r Brief/Postkarte einen Absender benötigt, da es sonst dem Gefangenen nicht ausgehändigt wird.

10 Ideen zur Unterstützung von Mumia

Berliner Mumia-Bündnis 23.05.2008 - 14:05
in dieser PDF sind 10 Anregungen, was Interessierte für Mumia tun können.

 http://mumia-hoerbuch.de/text/unterstutzung10.pdf

FREE MUMIA Kundgebung in Hamburg

Kurt 26.05.2008 - 16:53
Am Samstag, 31.05.08 ist eine Kundgebung mit Konzert und Lesung für Mumias Freiheit in Hamburg.

juristische Auseinandersetzung geht weiter...

Mumia-Hörbuchgruppe 30.05.2008 - 18:16
Hier ein Artikel aus der Tageszeitung Philaldephia Inquirer vom 27.Mai 08. Darin wird erwähnt, dass Mumias Verteidigung ihre Anträge bis zum 10.Juni einreichen muss. Vermutlich ist hier der der Antrag auf eine "en banc" - Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichtes gemeint.
Am 27. März hatten bereits drei der 8 stimmberechtigten Richter_innen des 3. Bundesberufungsgerichtes mit 2:1 gegen Mumias Antrag nach einem völlig neuen Verfahren gestimmt.
Nun hat er die Gelegenheit, von allen acht Richer_innen eine Abstimmung über seinen Antrag zu erhalten. Die Chancen werden aber gemeinhin als schlecht beurteilt. Für den genauen Hintergrund empfehlen wir  http://mumia-hoerbuch.de/mumiadeutsch.htm#gerichtsentscheidungschiffmann

Wir denken, dass in Kürze eine Stellungnahme von Mumias Verteidigung vorliegt. Diese werden wir dann auch veröffentlichen.

Nun aber zum Artikel.


-----Artikel aus dem Philadelphia Inquirer-----

Abu-Jamal's lawyers given two more weeks to file for rehearing on new trial plea
 http://www.philly.com/inquirer/breaking/news_breaking/20080527_Abu-Jamals_lawyers_given_two_more_weeks_to_file_for_rehearing_on_new_trial_plea.html

5/27/08

The U.S. Court of Appeals for the Third Circuit yesterday granted a two-week extension for lawyers for death row inmate Mumia Abu-Jamal to file a petition for a rehearing on his effort to get a new trial.

Abu-Jamal was convicted in 1982 of the murder of Philadelphia Police Officer Daniel Faulkner and sentenced to death. In late March, a three-judge panel of the Third Circuit affirmed Abu-Jamal's conviction but vacated the death sentence. The court said Abu-Jamal should be sentenced to life in prison or get a chance to persuade a new Philadelphia jury that he deserves a life sentence rather than death.

Defense lawyer Robert R. Bryan of San Francisco intends to seek a rehearing before the court on his contention that Abu-Jamal deserves a new trial, or at least a hearing on his argument that some blacks were intentionally excluded from his jury.

The court said the new filing deadline is June 10. Inquirer Staff

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