Kein Friede in Chiapas

diverse 11.01.2008 14:03 Themen: Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
"Die Zapatistas sind zu einem globalen Symbol für ein neues Widerstandsmodell geworden, deshalb war es möglich zu vergessen, dass der Krieg in Chiapas nie aufgehört hat", schreibt Naomi Klein.... Ihr Text: "Roter Alarm der Zapatistas" und ein Bericht über den Konflikt im Tourismusort Agua Azul...
DER KONFLIKT UM LAND IN AGUA AZUL DROHT ZU EINEM WEITEREN ACTEAL ZU ESKALIEREN
Hermann Bellinghausen, www.chiapas.indymedia; 08.01.08
México, DF. - Die Deutsche Menschenrechtskoordination in Mexiko hat eine Erklärung an die Tourismusbevöllmächtigten des Landes gesandt, in welcher sie ihre Beunruhigung über "die Zwischenfälle in dem als Touristenattraktion bekannten Ort Agua Azul zum Ausdruck bringt, wo ein Teil der Bevölkerung - mit Unterstützung von Machtgruppen - das Territorium für sich beansprucht".

"Für viele deutsche TouristInnen ist der Besuch der Wasserfälle ein ganz besonderes Erlebnis; besonders während der Hitzezeit ist dies Teil der Reiseroute.

Von ihrem Sitz in Stuttgart aus äusserte die Koordination: "Immer mehr Menschen stellen uns Fragen über die politische Situation in Mexiko und aktuell, bedingt durch die in der Presse erwähnten Zwischenfälle, die auch hier Aufmerksamkeit geweckt haben, ganz konkret über Agua Azul".

Die pluralistische Organisation betont, dass das Gebiet "von indigenen Gemeinden mit verschiedener, politischer Orientierung bevölkert wird, für die das Land, das sie bestellen, die biologischen Ressourcen sowie die Einnahmen aus dem Tourismus weit mehr bedeuten, als eine blosse Existenzgrundlage".

Seit vergangenem November wurde über "tiefgreifende Differenzen zwischen den um die Wasserfälle befindlichen Gemeinden berichtet. Ein Teil dieser Gemeinden wird offensichtlich von bedeutenden Machtgruppen unterstützt und erhebt die Forderung nach einem Exklusivanspruch auf das Territorium", heisst es in der Erklärung. "Sie versuchen ihre Widersacher mit modernen Waffen zu vetreiben; zerstören die Maisfelder, verbreiten Todesdrohungen und begehen physische und verbale Angriffe".

Für die Menschenrechtskoordination erinnern diese "Zwischenfälle" an die Vorkommnisse in Viejo Velasco, 2006, "wo unter Anwesenheit der Polizei, der Ort von Einwohnern aus einer Nachbargemeinde angegriffen worden war. Dabei waren mehrere Personen ermordet worden. Die Organisation erinnert ferner an das Massaker von Acteal am 22. Dezember 1997, bei dem 45 Menschen umgebracht wurden. "Ebenso wie die vorhergehenden "vermeiden es die aktuellen Staatsbevollmächtigten, in das Geschehen einzugreifen". Obwohl "der Mehrzahl der damaligen Aggressoren der Prozess gemacht wurde, geniessen die intellektuellen Täter Straffreiheit. Die konfliktive Situation in Agua Azul könnte in ein neues Acteal oder Viejo Velasco ausufern".

Die Zivile Internationale Menschenrechtsbeobachtungskomission (CCIODH) bestätigte ihrerseits, dass eine ihrer Delegationen - bestehend aus mindestens 50 Personen aus einem Dutzend von Ländern - am kommenden 30. Januar in Mexiko ankommen wird. Die Zivile Komission wird bei ihrem sechsten Besuch insbesondere dem Massaker von Acteal, das sich zum 10. Mal jährt, auf dem Grund gehen und die Bestrafung der Regierung weiterverfolgen. Ausserdem werden die Ergebnisse und Forderungen seitens der CCIODH bezüglich Atenco und Oaxaca (siehe Berichte unter: www.chiapas.ch) weiterverfolgt werden.

ROTER ALARM DER ZAPATISTEN/TINNEN
von: Naomi Klein
Text in engl. siehe:  http://www.thenation.com/doc/20080107/klein

"Die Zeichen des Krieges am Horizont sind eindeutig. Der Krieg hat, ebenso wie die Angst, einen Geruch. Und derzeit beginnt man seinen Gestank in unseren Ländern/Territorien zu riechen". (Subcomandante Marcos)
San Cristóbal de las Casas. Weihnachtskrippen gibt es in dieser Koloninalstadt in den Höhen von Chiapas im Überfluss. Aber derjenige, der die BesucherInnen am Eingang des kulturellen Zentrums TierrAdentro empfängt, hat sein eigenes, lokales Konzept: Auf Eseln reitende Figürchen tragen Pasamontañas (Gesichtsmasken) und führen hölzerne Waffen mit sich.

Es ist die Saison des “Zapatourismus”, die Industrie internationaler Reisender, die mit der zapatistischen Erhebung in Erscheinung getreten ist; und TierrAdentro ist die Zone Null. Die von den ZapatistInnen gemachten Plakate, ihr Schmuck und ihre Webereien verkaufen sich schnell. Im Restaurant, im Hof, wo gegen 22:00 eine festliche Atmosphäre herrscht, trinken die UniversitätsstudentInnen Sol-Bier. Ein junger Mann zeigt ein Foto von Subcomandante Marcos, wie immer mit Pasamontañas und Pfeife. Seine Freunde langen nach einer weiteren Fotographie dieser soviel dokumentierten Bewegung.

Die Feiernden nehmen mich in die Mitte und führen mich in einem Raum im hinten gelegenen Teil des Zentrums, der für den Publikumsverkehr gesperrt ist. Das schattige Ambiente erweckt den Eindruck einer distanzierten Welt. Ernesto Ledesma Arronte, ein 40 jähriger Forscher mit Pferdeschwanz, verzagt über einigen militärische Karten und Informationen über menschenrechtliche Zwischenfälle. Hast du verstanden was Marcos gesagt hat ?", frägt er mich. "Es war sehr heftig. Viele Jahre lang hat er nichts ähnliches ausgesprochen".

Arronte nimmt Bezug auf eine Rede, die Marcos in der Vornacht (16. Dezember) während des Ersten Internationalen Kolloquiums Planet Erde: Anti-Systembewegungen, gehalten hatte (Anmerkg.: siehe hierzu auch Punkt: Weltweite "Andere Kampagne" gegen das System der Zerstörung, in dem Artikel: Die Seifenblase von Bali -  http://de.indymedia.org/2007/12/203239.shtml). Die Rede trug den Titel: "Das Rot fühlen. Das Kalendarium und die Geographie des Kriegs". Da es sich um Marcos handelte, war sie poetisch und von lockerem Schwung. In den Ohren von Arronte aber war sie ein Roter Alarm. "Diejenigen von uns, die im Krieg gewesen sind, können sich an die Wege erinnern, mit denen er vorbereitet wird und auf welchen er sich nähert ", sagte Marcos. "Die Zeichen des Krieges am Horizont sind eindeutig. Der Krieg hat, ebenso wie die Angst, einen Geruch. Und derzeit beginnt man seinen Gestank in unseren Territorien zu riechen".

Die Einschätzung Marcos´ bekräftigt was Arronte und seine Forschungskollegen vom Zentrum für Politische Analysen und Soziale,-und Ökonomische Untersuchungen (CAPISE) mit ihren Karten und Graphiken herausgefunden haben. Es hat eine frapierende Verstärkung der Aktivitäten der 56 ständigen Militärbasen stattgefunden, die der mexikanische Staat in Chiapas auf indigenem Territorium unterhält. Waffen und Ausrüstung sind modernisiert worden, frische Batallione sind eingetroffen, einschliesslich Sicherheitskräften. All´das sind Anzeichen einer militärischen Eskalation.

Die Zapatistas sind zu einem globalen Symbol für ein neues Widerstandsmodell geworden, deshalb war es möglich zu vergessen, dass der Krieg in Chiapas nie aufgehört hat. Marcos hat, trotzt seiner klandestinen, herausfordernden Idendität eine offene Rolle in der mexikanischen Politik gespielt, vor allem während der erbitterten Präsidentschaftswahlen 2006. Anstatt dem Kandidaten der Zentrums-Linken Andrés Manuel López Obrador Rückendeckung zu geben, war er die Speerspitze der parallel laufenden "Anderen Kampagne" (Anmrkg.: siehe: www.gruppeBasta.de) und veranstaltete Zusammenkünfte, bei welchen die Aufmerksamkeit auf die von den Hauptkandidaten ignorierten Bereiche konzentriert war.

In dieser Periode schien sich die Rolle von Marcos als militärischer Führer der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) aufzulösen. Er war der Delegierte Null, der Antikandidat. Gestern abend kündigte Marcos an, dass diese Konferenz sein letzte Anwesenheit bei Aktivitäten dieser Art (Versammlungen, Runde Tische, Interviews) sei. Die EZL "ist eine Armee", erinnerte er das Publikum, "eine sehr andere, ganz sicher, aber sie ist eine Armee", und "er ist der militärische Chef".

Diese Armee sieht sich mit einer neuen und schwersten Bedrohung konfrontiert, eine, die das Herz des zapatistischen Kampfes trifft. Während des Aufstands 1994 nahm die EZLN weite Gebiete ein und kollektivierte sie, ihr greifbarster Sieg. In den Abkommen von San Andrés war das Recht der indigenen Gemeinschaften auf Land anerkannt worden, aber die mexikanische Regierung hat es abgelehnt, diese Abkommen zu erfüllen. Nachdem sie mit dem Auszeichnen dieser Rechte gescheitert waren, entschieden die Zapatistas, sie in die Tat umzusetzen. Sie formierten eigene Regierungsstrukturen, sog. Juntas der Guten Regierung und errichteten mit verdoppelter Kraft Schulen und autonome Kliniken. Damit dehnten die Zapatistas ihre Rolle als de facto Regierung in weiten Teilen von Chiapas aus; der Beschluss der föderalen,- und staatlichen Regierung, sie zu unterminieren intensivierte sich.

"Jetzt", sagt Arronte, “haben sie ihre Methode gefunden". Diese Methode ist, den tiefen Wunsch der Bauern von Chiapas, gegen den Wunsch der Zapatistas, Land zu besitzen, auszuspielen. Die Organisation von Arronte dokumentierte, dass die Regierung allein in einer einzigen Region 16 Millonen Dollar dafür ausgegeben hat, Land zu enteignen und es an zahlreiche Familien zu überstellen, die mit der notorisch korrupten Intstitutionellen Revolutionspartei (PRI) in Verbindung stehen. Folglich ist das Land von den zapatistischen Familien besetzt. Noch ominöser ist die Tatsache, dass viele der neuen "Eigentümerr" Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen haben, die versuchen die Zapatistas aus den Gebieten mit neuen Besitztiteln herauszubekommen. Seit September hat eine markante Zuspitzung der Gewalt stattgefunden: Warnschüsse; brutales Zusammenschlagen; zapatistische Familien berichten von Toten, Vergewaltigungen und Zerteilungen. Die Soldaten in ihren Baracken könnten schnell den Vorwand haben, den sie brauchen, um herunter zu kommen: Die Wiederherstellung des "Friedens" zwischen den indigenen Gruppen, die sich untereinander streiten. Monatelang haben die Zapatistas Widerstand gegen die Gewalt geleistet und versucht, diese Provokationen bekannt zu machen. Aber weil sie sich bei den Wahlen 2006 dafür entschieden, nicht auf Linie mit López Obrador zu gehen, besitzt die Bewegung mächtige Feinde. Und jetzt, sagt Marcos, hüllen seine UnterstützerInnen sich in ein betäubendes Schweigen.

Vor einem Jahrzehnt, am 22. Dezember 1997, hat das Massaker von Acteal stattgefunden. Als Teil der anti-zapatistischen Kampagne hatte eine paramilitärische Gruppe in einer kleinen Kirche in dem Dorf Acteal das Feuer eröffnet und 45 Indigenas getötet, darunter 16 Kinder und Jugendliche. Einge der Körper waren mit Macheten verstümmelt worden. Die Staatspolizei hört die Schüsse und blieb tatenlos. Über fast drei der letzten Monate hinweg hat La Jornada mit einer breiten medialen Abdeckung den tragischen zehnten Jahrestag des Massakers hervorgehoben.

Dennoch signalisieren viele Leute in Chiapas, dass die aktuellen Bedingungen auf schreckliche Weise gleich sind: Die Paramilitärs; der zunehmende Druck; die mysteriösen Aktivitäten der Soldaten; die neuerliche Isolierung vom Rest des Landes. Und sie haben eine Bitte an diejenigen, die sie in der Vergangenheit unterstützten: Blicken Sie nicht nur zurück, schauen Sie nach vorn und verhindern Sie ein neues Massaker von Acteal.

Copyright 2007 Naomi Klein.
 http://www.naomiklein.org/
Eine Version dieses Textes wurde veröffentlicht in "The Nation"
 http://www.thenation.com/
Spanische Übersetzung: Tania Molina Ramírez
Naomi Klein, The Nation /La Jornada
(Quelle:  http://www.attacmadrid.org/d/9/080107123519.php )

Freie, deutsche Übersetzungen: tierr@
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LINKS ZUM ZAPATISMUS (Geschichte, Aktualität) :
www.gruppe-basta.de
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 http://enlacezapatista.ezln.org.mx/
Words are one thing, but there is a lot of work behind them
 http://chiapas.indymedia.org/display.php3?article_id=153356
On the Continued Centrality of the Zapatista Movement
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