Mumias Anwalt zu Besuch in Berlin

Veranstaltungsteilnehmer 19.12.2007 00:50 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Völlig überraschend kündigte Mumias Hauptanwalt Robert R. Bryan am Freitag letzter Woche an, im Rahmen seines privaten Besuches in Berlin auf einer Veranstaltung des Berliner Mumia-Bündnis als Redner zur Verfügung zu stehen. Mit nur 1 Tag Vorankündigung kamen dann am Sonntag ca. 35 Interessierte in das Charlottenburger Terzomondo.
In einem etwas ungewöhnlichen Rahmen zeigte am Sonntag, den 16.12.2007 das Berliner Bündnis „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“ den Film „Frances Newtons letzte Worte – Chronik einer Hinrichtung“. Ungewöhnlich deshalb, weil die Veranstaltung zum Einen nicht in einer der trotz Gentrification als Szenekiezen geltenden Berliner Stadtteilen, sondern im eher gutbürgerlichen Charlottenburg stattfand. Zum Anderen suchte sich das Bündnis als Veranstaltungsort dort eine der letzten übrig gebliebenen "Alt-68er-Kneipen" mit künstlerischen und politischem Anspruch, das „Terzomondo“ aus.

Die Dokumentation handelt von Frances Newton, die 2005 im US-Bundesstaat Texas hingerichtet worden war, obwohl massive Zweifel an den ihr vorgeworfenen Morden bestanden. Im Anschluss an den emotional sehr bewegenden Film, der auch viele BesucherInnen ersichtlich mitgenommen hatte, erzählte einer der drei Filmemacher_innen, Thomas Giefer, einiges über die Entstehung und Hintergründe der für den Westdeutschen Rundfunk gedrehten Dokumentation. Er betonte die Routine der an der Hinrichtung Beteiligten, die ihre Arbeit in ganz kleine Schritte unterteilt hätten, so das sich niemand persönlich allzu viel verantwortlich fühlen müsse. Er kritisierte aber auch die Taktik der Anti-Todesstrafen Bewegung in den USA, die häufig über die Schuld/Unschuld streite anstatt die Todesstrafe grundsätzlich als das staatlich sanktionierte Verbrechen hinzustellen, das sie nun mal ist.

Anschließend nutzte Robert R. Bryan, der Hauptanwalt von Mumia Abu-Jamal, die Gelegenheit, um über die aktuelle Situation seines wegen angeblichen Polizistenmord 1982 zum Tode verurteilten Mandanten zu informieren. Mumias gelungene Rettung vor der Hinrichtung sei seit 1995 in den USA dafür verantwortlich, dass der einstige Konsens für die Todesstrafe in den USA zerbrochen sei. Dies habe sich aktuell noch immens verstärkt. Er erwähnte hier die neuerdings halbwegs ausgewogene Berichterstattung in den US-Medien zum Thema.

Dann ging er detailliert auf eine im Mai 2007 stattgefundene Anhörung vor dem 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia ein. Deren Verlauf schätzte er als positiv ein, weil sich die Richter intensiv für den Einfluss von Rassismus auf den zum Todesurteil führenden Gerichtsprozess 1981/82 und dessen Manipulation durch die Staatsanwaltschaft interessierte. So berichtete er, dass ein Richter den Vertreter der Staatsanwaltschaft gleich zweimal fragte „Und welche Rolle spielte im Prozess die Bill Of Rights?“ – einen derart offen geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Prozesses habe Robert R. Bryan in seiner bisherigen 30jährigen Laufbahn als Anwalt in Todesstrafen Verfahren noch nicht erlebt. Konkret bezogen sich die Richter hier auf den 5., 6. und 14. Gesetzesanhang der US-“Bill Of Rights“.(Bill Of Rights)

In seiner engagierten, aber dennoch sehr sachlichen Rede betonte er mehrmals, wie wichtig seiner Meinung nach öffentliche Aufmerksamkeit und Proteste für Mumia Abu-Jamals Bemühen um einen neuen, diesmal fairen Prozess sind.Als konkrete Beispiele nannte er hier die starke öffentliche Präsenz vor und im Gerichtssaal sowie den offenen Brief einer deutschen Bundestagsfraktion (PDS) an das Gericht mit der Bitte, endlich einmal Fairness in diesem Verfahren zu garantieren. Er meinte, den drei Richtern sei an diesem Tag völlig klar gewesen, dass sie unter internationaler Beobachtung stünden und führt darauf ihre überraschend sachliche und positive Anhörungsdurchführung zurück. Gleichzeitig betonte Robert R. Bryan jedoch auch, dass dies überhaupt nichts über die kommende Entscheidung aussagen müsse.Nach wie vor bestünde die Gefahr, dass Mumia mit der Todesstrafe oder weiterer Inhaftierung bis zu seinem Lebensende konfrontiert sei. Schließlich hätte Mumia nach Gesetzeslage schon seit Mitte der 90er ein neues Verfahren verdient, was ihm aber bisher immer aus politischen Gründen verweigert wurde. Legal Update vom September 2007

Aber der Verlauf der Anhörungen im Mai zeige, so Bryan, wie die Öffentlichkeit in das laufende Verfahren eingreifen könne. Schließlich gäbe es sehr viele Möglichkeiten, Öffentlichkeit herzustellen.Als erstes nannte er, Mumia in den Knast zu schreiben. Zwar erreiche ihn nicht immer alle Post, da sämtliche Briefe durch die Zensur gehen. Aber die Menge als auch die internationale Herkunft zeige den Verantwortlichen, wie stark das Interesse ist. Außerdem freue sich Mumia in seiner 6qm Zelle, in der er bis auf 2 Stunden werktags sein gesamtes Leben in Isolation verbringt, unheimlich über die Briefe. Im Publikum merkte jemand an, dass alle Schreiber_innen ja auch eine Kopie ihres Briefes an Mumia gleich an die hiesige US-Botschaft schicken könnten, um sicher zu sein, dass er dokumentiert sei. Sie könnten die Botschaft ja darauf hinweisen, dass es in der Vergangenheit öfter Probleme mit der Postzustellung gegeben habe. Der Anwalt begrüßte diese Idee, sagte aber nochmal, dass sämtliche Briefe polizeilich gelesen und aufgehoben würden, so dass Briefeschreiber_innen sich ein wenig überlegen sollten, was sie genau schreiben möchten. (Briefe an Gefangene, PDF)

Eine weitere Möglichkeit sei das Schreiben von Leserbriefen. Sowohl in der deutschen als auch internationalen Presse war in den letzten Monaten viel über die aktuelle Entwicklung über die US-Todesstrafe zu lesen (mehr Infos mit weiterführenden Links unter USA, Todesstrafe). Hier gäbe es also viele Möglichkeiten, auch über Mumias Fall zu schreiben.Dann sagte er, dass Gruppen wie z.B. das veranstaltende Berliner Mumia-Bündnis wichtige Arbeit machten und forderte die Anwesenden auf, sich in Verbindung zu setzen, was Etliche auch gleich nach der Veranstaltung am großen Informationstisch im Vorraum taten.

Ein wenig in Rage geriet Robert Bryan, als ein Vertreter des „Komitee für soziale Verteidigung“, eine der trotzkistischen „Spartakist Arbeiterpartei“ nahe stehende Organisation, die Forderung nach einem neuen, fairen Prozess als „demobilisierend für Massenproteste“ kritisierte und dazu aufforderte, stattdessen die Arbeiterklasse für seine Freilassung zu mobilisieren und zwar nur mit dem Argument, er sei unschuldig und das Opfer einer rassistischen Justiz. Hierauf antwortete Abu-Jamals Anwalt sinngemäß im sarkastischen Tonfall: „...Wenn ihr die Arbeiterklasse für Mumia mobilisieren könnt, fangt bitte sofort damit an, aber erzählt mir als Anwalt nicht, dass ich keinen neuen Prozess fordern soll...“.

Er berichtete weiter, dass er mit Gewerkschaftler_innen in den USA, Südafrika, Frankreich, England und einigen weiteren Ländern in Kontakt stünde. Aus Deutschland habe er seit vielen Jahren nichts gehört.Vom Podium wurde angemerkt, dass sich speziell in Berlin zwar der Landesverband von Ver.di früher stark für Mumia eingesetzt habe (Mumia ist dort Ehrenmitglied), aktuell aber wenig daher komme. Jedoch habe immerhin die GEW, Landesverband Berlin den Kundgebungsaufruf zum 8. Dezember untertstützt. (Berliner Kundgebungsaufruf für Mumia).

Als die beiden trotzkistischen Kader aber immer wieder anfingen, ihre von niemandem sonst nachvollzogenen Agitationsreden zu wiederholen, drohte die Stimmung zu eskalieren. Auffällig war hier, dass das veranstaltende Berliner Mumia-Bündnis gar nicht viel zu moderieren brauchte, da sich quer durch den Raum Mißstimmung über die realtitätsfernen Vorstellungen äußerte. Es wurde von vielen Anwesenden als Frechheit empfunden, einem Anwalt zu erklären, die Forderung nach einem neuen und fairen Verfahren für seinen Mandanten als „demobilisierend“ zu bezeichnen. Die trotzkistischen Kader versuchten zwar, zu relativieren, indem sie sagten, sie hätten nichts gegen den Anwalt, aber... Es drehte sich für eine anstrengende Viertelstunde im Kreis.

Schließlich erklärte der Anwalt, dass es nun mal Mumias eigene Idee sei, dieses neue Verfahren führen zu wollen. Er beabsichtige darin, den institutionellen Rassismus und die politische Unterdrückung sowie gängige Manipulationstechniken gegen mittellose Angeklagte in den USA öffentlich zu behandeln. Mumia sehe sich nicht als Einzelfall, ganz im Gegenteil. Viele der 1982 angewandten Praktiken seien auch heute noch in Gerichtssälen anzutreffen. Mumia erhoffe sich natürlich die Freiheit nach über 26 Jahren Haft, möchte darüber hinaus aber auf dieser schweren Ebene einen Sieg erringen, der vielen in den Todestrakten und den über 2,2 Millionen Inhaftierten insgesamt in den USA nützen könnte.

Wer also vorgebe, Mumia unterstützen oder befreien zu wollen, diese von ihm selbst aufgestellte Forderung nach einem neuen und fairen Verfahren aber ignoriere, müsse sich nach seiner/ihrer Glaubwürdigkeit fragen lassen.Dieses „Statement“ wurde mit Begeisterung aufgenommen. Da die Energie der Anwesenden aufgebraucht schien, verkündete das Berliner Mumia-Bündnis noch die kommenden Veranstaltungstermine (Termine in Berlin) und beendete dann die Veranstaltung.

Ich persönlich fand sie sehr gelungen, denke jedoch, dass nicht alle der Anwesenden ausreichendes Hintergrundwissen über diese inzwischen 26 jährige Geschichte von Rassismus und Staatsraison hatten. Das ist natürlich in einer Zeit von zweieinhalb Stunden auch nicht leistbar, der Fokus stand hier eindeutig hier auf aktiver Unterstützung.Zumal das Berliner Mumia-Bündnis auch umfangreiches kostenloses Infomaterial und die Hörbuch-CD „Free Mumia Abu-Jamal – Wettlauf gegen den Tod“ (Free Mumia: Wettlauf gegen den Tod) für sehr wenig Geld im Vorraum anbot, hatten viele Gelegenheit, ihr Wissen zu ergänzen.

Weitere Infos:
über die Todesstrafe in den USA
deutschsprachige Webseite gegen die Todesstrafe in den USA
Original Audios von Mumia auf prisonradio
Mumias Anwalt
Journalist for Mumia
Educators for Mumia
Autor von Wettlauf gegen den Tod
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Ergänzungen

Mumias Adresse

Veranstaltungsteilnehmer 19.12.2007 - 01:10
Wenn ihr Mumia schreiben wollt, hier die Adresse:

Mumia Abu-Jamal
AM 8335
175 Progress Drive
Waynesburg
PA 15370
USA


Wenn ihr sichergehen wollt, dass euer Brief an Mumia nicht "verlorengeht", könntet ihr eine Kopie des Briefes auch direkt an die US-Botschaft in Berlin mit der Bitte um Weiterleitung senden:


Botschaft Vereinigte Staaten
Neustädtische Kirchstrasse 4-5
10117 Berlin

Telefon
(Botschaft USA, Berlin)
030-8 30 50

Fax
(Botschaft USA, Berlin)
030-2 38 62 90

2 Fotos von der Veranstaltung

Kurt 19.12.2007 - 18:53
Hier 2 Fotos, das erste zeigt den Filmemacher Thomas Giefer (links) und Mumias Anwalt Robert R. Bryan (rechts), das 2. den Infotisch (ohne Gesichter...)

Forderung nach neuem und fairen Prozeß

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 19.12.2007 - 20:29
Die im Artikel angesprochene Diskussion nach Mumias Forderung von einem neuen und fairen Prozeß ist in der Tat für viele ungewöhnlich. Wir haben anläßlich unserer Mumia-Kundgebung am 8.12.2007 versucht, diese Forderung anschaulicher zu machen. Der Redebeitrag ist hier zu finden:  http://www.mumia-hoerbuch.de/demonstration.htm

Außerdem hier noch ein Foto von der unserer Meinung nach sehr interessanten Veranstaltung.

Soliarbeit unterstützen

MÜLLSCH 22.12.2007 - 17:29
Die Soliarbeit für Mumia kostet wie bei allen anderen Gefangenen ne Menge Geld, und das nicht nur für Anwälte (Robert R. Bryan arbeitet eh umnsonst für Mumia). In Berlin gibt's demnächst nen Solikonzert in der KÖPI.
Schon mal vormerken...

Denkt an die kommende Gerichtsentscheidung

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 22.12.2007 - 22:35
Ähnlich wie bereits 2001 zieht sich die Entscheidung in die Länge, ob Mumia das von ihm geforderte neue Verfahren bekommt. Die genauen Gründe dafür wissen wir nicht, aber es besteht genau wie damals die Gefahr, dass zwar alle potentiellen Unterstützer_innen gut informiert sind, aber wegen der langen Wartezeit die Geschichte aus dem Kopf verlieren.
Daher haben sich einige Mumia-Gruppen überlegt, dass wir jetzt schon ein Szenario vorgeben sollten, was dann sofort angewandt werden kann.
Wenn sich alle das merken, bzw. für ihre Regionen/Städte was ähnliches festlegen, ist es fast egal, wie lange es noch dauert. (Natürlich ist es nicht für Mumia egal, der sitzt bereits seit 26Jahren und will und muß endlich raus!)

In Bern in der Schweiz gibt es einen Infotreffpunkt am Tag nach (!) der Gerichtsentscheidung:
Infoladen in der Reitschule, Neubrückstrasse (Autonomes Zentrum mitten in der Stadt ), werktags um 20.30, am Wochenende um 19.30

In Berlin in Germoney gibt es einen Infotreffpunkt am Tag nach (!) der Gerichtsentscheidung:
CLASH im Mehringhof, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, U-Bhf Mehringdamm U7/U6, werktags um 20.30, am Wochenende um 19.30


In den USA sind in mehreren Städten Kundgebungen/Demos am Tag nach (!)der Gerichtsentscheidung geplant:

New York: Adam Clayton Powell, Jr. State Office Building
125th Street
5 to 8 PM, if it is on a weekday, and from 1 to 4 PM if it is a Saturday.

San Francisco: the Mobilization to Free Mumia Abu-Jamal has called for a demonstration on the “day after” at 5 PM at the Federal Court House, 7th and Mission Street

Philadelphia: Demonstration von 13ter Strasse/ Locust zum Federal Building(mehr info:  ICFFMAJ@aol.com )
In Philadelphia werden Unterstützer_innen von Mumia am Morgen nach der Urteilsverkündung eine Pressekonferenz veranstalten.

Sollte Mumia irgendetwas anderes als ein neues Verfahren erhalten, wird US-weit für den 3. Samstag danach nach Philadelphia zu einer Demo vor das 3. Bundesberufungsgericht mobilisiert.
Aufruftext ist hier:  http://www.mumia.org//freedom.now/

Ähnliche Überlegungen gibt es in Bern und Berlin. Dort wären die jeweiligen US-Botschaften das Ziel.  http://www.mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#dayafter3

Auch in Frankreich (Paris und Marseille) überlegen Unterstützer_innen die ersten Schritte.

Die Entscheidung wäre nicht sofort rechtskräftig. Sie würde noch vor den Surpreme Court gehen. Aber der lehnt sie dann höchstwahrscheinlich ab. Das heißt, juristisch wäre dann alles ausgeschöpft.

Sollte es zum Todesurteil kommen, ist Mumia nur noch durch öffentlichen Druck zu retten. Das wurde 1995 und 1999 erreicht, als massive internationale Proteste wenige Tage vor dem Hinrichtungstermin zur Absetzung desselben führten.
Ob es jetzt wieder gelingen könnte, erscheint im Augenblick noch sehr zweifelhaft. Zwar ist die Unterstützung für Mumia in den USA nach wie vor recht stark, in anderen Ländern sieht es aktuell noch nicht so aus.

Überlegt euch jetzt schon mal, was ihr tun wollt/könnt. Das einfachste wäre es natürlich, sich an bestehenden Konzepten zu orientieren.
Im Augenblick gibt es natürlich auch noch die Möglichkeit, auf die kommende Entscheidung einzuwirken. Je lauter es um Mumia wird, desto eher scheinen die Richter ja geneigt zu sein, nach seinen fundamentalen Rechten zu suchen. Zumindest sah es laut Mumias Anwalt ja im Mai bei der Anhörung so aus.