Die Todesstrafe in den USA - Bestandsaufnahme

Jaochim Kuebeler 08.12.2007 22:08 Themen: Repression Weltweit
In den USA herrscht, was die Todesstrafe angeht, derzeit eine eigentümliche Situation: Seit dem 25. September wurde keine Hinrichtung mehr vollstreckt, und ob die beiden für den Dezember angesetzten Hinrichtungen vollstreckt werden, ist fraglich. Gleichzeitig wird man, wenn man sich in diesen Tagen näher mit der Todesstrafe in den USA beschäftigt, unweigerlich mit dem Namen „Baze“ konfrontiert. Daher soll im folgenden versucht werden zu klären, was es mit „Baze“ auf sich hat und was das für die momentane Situation der Todestraktinsassen_innen in den USA bedeutet.
Die Todesstrafe in den USA - die derzeitige Situation

Baze et al. vs. Rees

Am 13. Dezember 2006 wurde Angel Diaz in Florida hingerichtet. Die Hinrichtung dauerte 34 Minuten, und spätestens seit dieser sog. „botched execution“ („verpfuschten Hinrichtung“) wurde die Lethal Injection, die tödliche Injektion nicht nur der Hauptangriffspunkt für die Anti-Todesstrafen-Bewegung, sondern auch Hauptgegenstand der Berufungsverfahren der Todestraktinsassen.

Am 25. September 2007 wurde durch den U.S. Supreme Court das Verfahren Baze et al. vs. Rees zur Verhandlung zugelassen. Ralph Baze und Thomas Bowling, zwei Todestraktinsassen aus Kentucky, fechten in ihrer „Petition for Writ of Certiorari to the United States Court of Appeals For the Ninth Circuit“ die Methode der Lethal Injection in Kentucky an, die in allen Bundesstaaten mit Lethal Injection angewendet wird (nur Nebraska wendet ausschließlich den Elektrischen Stuhl bei Hinrichtungen an). Bei der Lethal Injection werden folgende drei Substanzen eingesetzt:

● Natriumthiopenthal: ein stark wirkendes Anästhetikum, welches den/die Gefangene(n) sedieren und in eine tiefe Bewusstlosigkeit fallen lassen soll.
● Pancuroniumbromid: ein Muskelrelaxans, welches die bewusste Muskulatur - und damit auch die Atemmuskulatur - lähmt.
● Kaliumchlorid: führt zum Herzstillstand.

In der Vergangenheit kam es bei der Hinrichtung mit der tödlichen Injektion immer wieder zu Zwischenfällen - bei Gefangenen wurden die Venen nicht gefunden, Gefangene waren nicht richtig sediert oder - wie bei Angel Diaz in Florida - Venen wurden nicht richtig punktiert und das Gift floss ins Bindegewebe.

Nun verbietet der 8. Zusatzartikel (8th amendment) zur US-Verfassung grausame und ungewöhnliche Strafen (wobei sich dieser Zusatzartikel nicht gegen die Todesstrafe an sich richtet, sondern eben nur gegen die übelsten Methoden) und Baze und Bowling argumentieren nun, dass diese Methode der Lethal Injection eben gegen den 8. Zusatzartikel verstößt.

Dass der Oberste Gerichtshof dieses Verfahren zur Verhandlung annahm, war eine Sensation - zuletzt hatte der Oberste Gerichtshof vor 117 Jahren ein Verfahren angenommen, in dem es um eine Hinrichtungsmethode ging. Am selben Tag, an dem der Oberste Gerichtshof das Verfahren annahm, wurde auch die seit dem letzte Hinrichtung (in Texas...) vollzogen. Seit dem wurden alle Hinrichtungen entweder durch den Obersten Gerichtshof oder durch Bundesberufungsgerichte gestoppt. Am 7. Januar findet die Anhörung zum Verfahren statt, eine Entscheidung wird dann für das Frühjahr erwartet.

Moratorium?

Allenthalben wird in der Anti-Todesstrafen-Bewegung seit dem darüber diskutiert, ob denn nun in den USA ein Moratorium (also ein landesweiter Hinrichtungsstopp) herrsche (analog zu der Zeit zwischen 1972 und 1976). Manche sprechen von einem „de facto Moratorium“.
Dazu ist zu sagen, dass in den USA kein Moratorium herrscht. Es wurde durch den Obersten Gerichtshof in Washington kein offizieller Hinrichtungsstopp ausgerufen, sog. „Volunteers“ („Freiwillige“, die auf alle Berufungsmöglichkeiten verzichten und beim zuständigen Richter oder Gouverneur um einen Hinrichtungstermin ersuchen) können weiter hingerichtet werden, manche Bundesstaaten haben Ausweichmöglichkeiten, was die Hinrichtungsmethode angeht und in Nebraska wird ohnehin nur der Elektrische Stuhl eingesetzt. Wenn auch die Entscheidung des U.S. Supreme Courts wahrlich eine Sensation ist, ist selbst „vorsichtiger“ Optimismus nicht angebracht.

Warum?

Durch Baze et al. vs. Rees wird „nur“ die Methode der Lethal Injection in Frage gestellt - nicht das System der Todesstrafe in den USA selbst. Viele vermuten, dass die Richter des U.S. Supreme Courts entscheiden werden, dass die Bundesstaaten die Methode der Lethal Injection insofern modifizieren müssen, dass sichergestellt ist, dass Todestraktinsassen bei ihrer Hinrichtung keine unnötigen Schmerzen leiden. Das System der Todesstrafe selbst wird durch die Richter kaum in Frage gestellt werden.

Dies bedeutet aber, dass Gefangene wie Mumia Abu-Jamal in Pennsylvania oder Troy Anthony Davis in Georgia weiter um ihr Leben bangen müssen, obwohl sie unschuldig sind. Dies bedeutet, dass ein Armer eher im Todestrakt landet wie ein Reicher, da er sich keinen Anwalt leisten kann, und sein Pflichtverteidiger ist völlig überfordert, weil er bisher nur Fälle aus dem Steuerrecht bearbeitet hat. Anwaltsvereinigungen aber, die Todestraktinsassen für umsonst vertreten, werden gleichzeitig die Bundesmittel gekürzt...

Noch immer können in den USA Menschen hingerichtet werden, die geistig behindert oder psychisch krank sind. Offiziell dürfen geistig Behinderte in den USA nicht hingerichtet werden - aber der Richter entscheidet, nachdem er die Gutachter der Anklage und der Verteidigung angehört hat, ob der/die Angeklagte geistig behindert ist oder nicht. Noch immer sind - im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung - mehr Farbige, Latinos und Asiaten im Todestrakt als Weiße.

Während diese Zeilen geschrieben werden wartet Thomas Arthur in Alabama auf seine Hinrichtung am 6. Dezember. Seit seiner Inhaftierung im Jahre 1982 beteuert er seine Unschuld und bittet um eine DNA-Analyse um seine Unschuld zu beweisen. Doch diese Analyse wird im verwehrt - sowohl vom Gouverneur, als auch von den Berufungsgerichten und auch vom Obersten Gerichtshof in Washington....

Das System der Todesstrafe in den USA ist

● rassistisch
● benachteiligt Arme
● verwehrt Ausländern durch das Völkerrecht garantierte konsularische Hilfe
● verursacht Kosten in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr
● ist NICHT abschreckend und verhindert NICHT, dass Menschen ermordet werden
● führt dazu, dass UNSCHULDIGE im Todestrakt landen - seit 1973 wurden 124 Menschen wegen erwiesener Unschuld aus dem Todestrakt entlassen

WERDEN SIE AKTIV!

Unterstützen Sie Organisationen wie die Mumia Abu-Jamal Hörbuchgruppe ( http://www.mumia-hoerbuch.de/ ), die Initiative gegen die Todesstrafe (  http://www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de/ ), ALIVE ( ) oder amnesty international ( ).

Schreiben Sie einem Todestraktinsassen in den USA: Viele Todestraktinsassen sind seit Jahrzehnten im Todestrakt, ohne Kontakt und Hilfe von außen. Mehr Informationen hierzu finden Sie unter  http://www.todesstrafe-usa.de/stimmen.htm


Informieren Sie sich: Umfangreiche Informationen finden Sie auf der Seite des Death Penalty Information Center ( ), auf Capital Defense Weekly ( ) und auf Keine Todesstrafe - No Death Penalty ( http://www.nodeathpenalty.eu )

Nur massiver internationaler Druck wird auf Dauer dazu führen, dass das System der Todesstrafe in den USA abgeschafft wird.

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Ergänzungen

Hinrichtung gestoppt

Joachim Kübler 09.12.2007 - 11:14
Die im Beitrag erwähnte - geplante - Hinrichtung von Thomas Arthur wurde tatsächlich am 5. Dezember gestoppt, ebenso eine weitere geplante Hinrichtung in Tennessee.

Im Übrigen stimmt es tatsächlich - in Hessen gibt es die Todesstrafe tatsächlich, aber zum Glück bricht in diesem Fall Bundesrecht Landesrecht...

LA TIMES über Todestrafe in USA 2007

Klara 20.12.2007 - 19:50
Leider ist der Artikel nur für registrierte Nutzer_innen über den angegebenen Link zu lesen. Daher habe ich mir mal erlaubt, ihn hier anzuhängen, da er eine Menge Daten und Fakten bringt, die einerseits verdeutlichen, was die Anti-Todesstrafenbewegung dieses Jahr erreicht hat (z.B. Abnahme der Todesstrafenbefürwortung), andererseits aber auch die Größe des Problems: die Tausende in den USA in den Todestrakten einsitzenden könnten nächstes Jahr mit einer Lawine von angestzten Hinrichtungen konfrontiert sein.



U.S. executions at a 13-year low
Experts say litigation over lethal injection clearly had a significant effect on the death penalty this year.
By Henry Weinstein; Los Angeles Times Staff Writer

December 19, 2007
Forty-two people were executed in the U.S. this year -- the lowest number since 1994 and fewer than half as many as there were in 1999, when the total was 98 -- the highest number in the modern era of the death penalty.

There have been no executions since Sept. 25, as more than a dozen death row inmates received stays of execution after the Supreme Court decided to hear a January challenge to lethal injection, the dominant mode of execution in the nation.

In addition, with less than two weeks remaining in 2007, projections show that there will have been 110 death sentences handed down this year, 4% fewer than in 2006 and 60% fewer than in the peak year of 1999, when there were 276, according to the Death Penalty Information Center.

The center's year-end report praised New Jersey's decision to abolish capital punishment. In addition, it hailed several other developments, including the exoneration of three men who had faced death sentences.

"2007 will be known as the year executions came to a temporary halt, and as the year of concrete legislative action reconsidering the death penalty," said Richard Dieter, executive director of the center, which opposes capital punishment.

The report also emphasized that only 10 states held executions this year and that 26 of them occurred in one state -- Texas. Along the same line, 86% of the executions occurred in Southern or Southwestern states. A number of states with large death row populations -- California, Florida, Pennsylvania, Louisiana and Nevada -- had no executions.

The freeing of inmates Curtis McCarty in Oklahoma, Michael McCormick in Tennessee and Jonathon Hoffman in North Carolina brought to 126 the number of wrongfully convicted individuals who have been released from death rows in the last 20 years.

This year governors in three states, including Texas, commuted the sentences of three death row inmates to life without parole. Last year, there were no commutations.

In a recent poll conducted for the center, 60% of Americans said wrongful convictions had either lessened their support for the death penalty or strengthened their already-existing opposition.

Nonetheless, according to a Gallup Poll conducted in October, 69% of Americans still favor capital punishment, up 4 percentage points from last year. Support for the death penalty peaked at 80% in 1994, according to Gallup, and has been in the 65% to 70% range in recent years. In May 2006, for the first time, a slim majority (48% to 47%) of Americans said they preferred that the penalty for murder be life without the possibility of parole rather than death. Gallup did not ask that question in this year's poll.

Litigation over lethal injection clearly had a significant effect on the death penalty landscape this year. More than 40 people received stays of execution because of lethal injection challenges this year, the center said.

Although the center was pleased with this development, Dieter acknowledged that once the Supreme Court ruled on the pending challenge to Kentucky's lethal injection law, there could be an increase in executions next year. That case, Baze vs. Rees, is set for oral arguments Jan. 7.

"At some point, these cases will start to move through the system again," said Jim Marcus, an adjunct professor at the University of Texas School of Law, who has represented a number of death row inmates. He recalled that at one point in the mid-1990s, Texas had only three executions as courts there sorted out a new habeas corpus law. Within a year, the number of executions rose to 40, the most of any year since the Supreme Court permitted states to reinstate capital punishment in 1976 after a four-year hiatus.

Marcus said that but for stays granted because of lethal injection challenges, there would have been "at least three more executions in Texas this year," and he expressed concern that 2008 "could be a record-setting year in Texas" depending on the Supreme Court ruling.

Death penalty supporters, including attorney Kent Scheidegger of the Criminal Justice Legal Foundation in Sacramento, emphasized that the high court was not considering the constitutionality of the death penalty. Rather, the court is considering whether the way Kentucky conducts its lethal injection executions violates the Constitution's prohibition against cruel and unusual punishment.

Depending on how the court decides the case, there could be a considerable amount of spinoff litigation in states around the country over whether their methods passed constitutional muster.

Josh Marquis, the chief prosecutor in Astoria, Ore., and a frequent spokesman for the National District Attorneys Assn., said he did not dispute that the number of death sentences and executions had dropped.

But he said the decline in death sentences was attributable to three factors: decreasing murder rates; prosecutors asking for the ultimate punishment less frequently; and jurors imposing the penalty less often, particularly now that they had the option in every state of giving life without the possibility of parole.

 henry.weinstein@latimes.com

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