Hintergründe zu den 129a-Verfahren

Gipfelsoli Infogruppe 06.08.2007 21:46 Themen: G8 G8 Heiligendamm Repression
Repression gegen die linksradikale G8-Mobilisierung

Seit Mai 2007 gab es mehrere Razzien wegen insgesamt 4 Ermittlungsverfahren nach §129a in Hamburg, Berlin, Strausberg und Bad Oldesloe:

* Am 9. Mai wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung zur Verhinderung des G8-Gipfels“ (unter wechselnden Gruppennamen, 18 Personen) sowie „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (militante gruppe, 3 Personen, Anschläge seit 2001).
* Am 13. Juni/ 19. Juni wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung (unter wechselnden Gruppennamen, z.B. AK Origami). Es geht um vier Brandanschläge auf Fahrzeuge der Bundeswehr und eine Firma, die an Rüstungsprojekten beteiligt ist in Glinde (2002), Bad Oldesloe und Berlin (2004 und 2006).
* Am 31. Juli wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung (militante gruppe, 4 Personen).
Das Bundeskriminalamt hat in der Presse mehrmals erklärt, die späteren Durchsuchungen stünden nicht im Zusammenhang mit denen des 9. Mai und damit nicht im Kontext des G8. Aus früheren Ermittlungen und Verfahren nach §129a ist allerdings bekannt, dass Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt werden, die auf konstruierten „Erkenntnissen“ basieren. Damit wird weiteres Material zusammengetragen und die linksradikale Bewegung ausgeforscht. Insofern sind diese „Erkenntnisse“ in die Ermittlungen zu anderen Anschlägen, die auch im „Begründungszusammenhang“ mit dem G8 stehen, eingeflossen. In lediglich 2% der Fälle führen Ermittlungen wegen §129a zu einer Verurteilung.

Allein der Aktenbestand für die Ermittlungen, die zu den Razzien am 9. Mai führten, beläuft sich auf etwa 80.000 Seiten, ca. 200 Ordner. Neben den Durchsuchungen wurden seit Jahren Dutzende von Telefonüberwachungsmaßnahmen angeordnet, Autos und Treffen akustisch abgehört. Einer Zeugin, die nach dem Brandanschlag auf das Auto von Thomas Straubhaar eine „auffällige Person“ bemerkt haben will, legte das BKA zur Identifikation 80 Lichtbilder vor.

Einigen der Betroffenen wird vorgeworfen, eine „militante Kampagne“ gegen den G8 2007 ins Leben gerufen zu haben. Begründet wird das mit Telefonaten, in denen Mitglieder der „AG Globale Landwirtschaft“ davon sprechen, die Kampagne müsse „Druck aufbauen“. Verdächtig machten sich die Beschuldigten, wenn sie Webseiten kritisierter Unternehmen besuchten oder am Telefon über deren Standorte gesprochen hatten. Eine solche Kampagne würde natürlich „IT-Spezialisten“ benötigen, die sich um die notwendige Einrichtung von Mailinglisten, Servern und Webseiten kümmere.

Ein beträchtlicher Teil der Akten besteht in der Analyse von „Selbstbezichtigungsschreiben“ (im Polizeijargon „SBS“): Seitenlang werden Formulierungen und Interpunktion verglichen, „Genitivschwächen“ gesucht, Groß- oder Kleinschrift ausgewertet. Wird das Datum in der rechten oder linken Ecke platziert, mit oder ohne Null geschrieben, ist von „Imperialismus“ die Rede oder von „Prekarität“, beziehen sich die VerfasserInnen auf lokale Szenen oder andere linke Kampagnen, benutzen sie die Schreibweise „dissent!“, „dissent“ oder „Dissent“ (bzw. G8 oder G-8) etc. In einem Quervergleich wird nach Ähnlichkeiten mit anderen „SBS“ gesucht: Wo wird vom „Geld scheffeln“ gesprochen, wer bezieht sich auf „IWF“ etc.
Am Ende jeder Analyse wird ein Profil potentieller VerfasserInnen entworfen: Aus welcher Stadt kommen sie, welcher Szene gehören sie an, welchen Bildungshintergrund haben sie, wie sind sie selbst in der Szene verankert. Einige der Schreiben werden anschließend konkreten Personen zugeordnet.
Es wird zusammengetragen wer mit Beschuldigten zusammenwohnt oder telefoniert hat, Telefon- und Internetanschlüsse gemeinsam nutzt, mit ihnen bei Demonstrationen kontrolliert wurde oder an gemeinsamen Projekten arbeitet.

Viele der Daten in den Ermittlungsakten dürften nicht unbedingt allein für die Anklageerhebung recherchiert sein. Im Gegenteil scheint eher, dass der Verfassungsschutz vom BKA für ohnehin gesammeltes Material abgefragt wurde. Deutlich wird, dass die Behörden die linksradikale Bewegung gegen den G8-Gipfel von Anfang an massiv durchleuchtet haben.
Mindestens für die beiden ersten Treffen des „dissent!“-Netzwerkes in Hamburg und Berlin mit je 250 TeilnehmerInnen wurde die Überwachung der gesamten Funkzelle um den Mehringhof bzw. die Hochschule HWP beantragt. Damit sind die Behörden vermutlich in Kenntnis über jedes Handy was sich dort eingebucht hat. Dass InformantInnen anwesend waren überrascht nicht.

Die Ermittlungen zu den Razzien vom 9. Mai basieren auf abenteuerlichen Konstrukten. Es wird versucht, einigen der Beschuldigten auf Biegen und Brechen ein Interesse an militanten Anschlägen nachzuweisen. Allein die Bekanntschaft mit ihnen macht verdächtig. Damit ist wieder bewiesen: wir sind alle 129a!

* Soligruppe zu den Razzien 31. Juli:  http://soli.blogsport.de
* Soligruppen zu den Razzien 13./ 19. Juni:  http://soligruppe.blogsport.de und  http://soligruppenord.blogsport.de

* Alle Verfahren:  http://gipfelsoli.org/Repression/129a

[Gipfelsoli Infogruppe]
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Ergänzungen

Kritische Stadtforschung macht verdächtig

FR 06.08.2007 - 22:08
Berlin. Am Sonntag hätte Andrej H. eigentlich in Fulda sein sollen. Auf der Sommerakademie von Attac versprachen sich die Globalisierungskritiker von ihm erhellende Worte über den Privatisierungswahn in deutschen Städten. H. ist durchaus eine Kapazität auf dem Gebiet. Der promovierte Sozialwissenschaftler der Berliner Humboldt-Uni forscht seit Jahren über Wohnungspolitik und ist aktiv im Bündnis gegen Privatisierung. Den Attac-Termin musste er gleichwohl absagen: H. sitzt seit einer Woche im Gefängnis.

 http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=1186572

"Ich bin verdächtig"

radio corax 07.08.2007 - 10:44
"Ich bin Promotionsstudent und daher verdächtig." Plakatslogans wie dieser sind neu auf Solidaritätskundgebungen für politische Gefangene. Doch die kreative Rechtsauslegung der Bundesanwaltschaft beim Ermittlungsverfahren gegen angebliche Mitglieder der "militanten gruppe" , spornt auch die Unterstützerszene an. Rund 100 Menschen demonstrierten mit den neuen Parolen am Samstagabend vor der Justizvollzugsanstalt Moabit. Ihre Unterstützung galt in erster Linie dem Soziologen Andrej H. Und auch attac mischt sich kräftig mit in der linie der unterstützer. warum? das hören wir nun von dr. reiner rilling. er sitzt im wissenschaftlichen beirat von attac. und: judith von radio corax sprach mit ihm.

Auf die Strasse!

Mr. Muggle 07.08.2007 - 13:00
Der Protest und der Widerstand gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm war für die AktivistInnen ein Erfolg, wie er hierzulande lange nicht zu erleben war. Diesen Erfolg auszubauen und zukunftsweisend zu machen ist Aufgabe der gesamten Bewegung!
Jetzt geht es nicht nur um das "wie weiter?", sondern auch darum, diejenigen nicht alleine zu lassen, die von staatlicher Repression betroffen sind:

- Angriffe auf die G8-Mobilisierung im Vorfeld durch Hausdurchsuchungen und Einleitung von §129a-Verfahren (Bildung einer terroristischen Vereinigung)
- Demonstrationsverbote, unzählige Verletzte durch Polizeiknüppel, Tränengas und Wasserwerfer
- Schikanen und Schläge durch die Polizei sowie sexistische Durchsuchungen
- die vorübergehende Ingewahrsamnahme von weit über 1000 AktivistInnen
- "Käfighaltung" in den Gefangenensammelstellen
- Schnellverfahren, bei denen acht AktivistInnen zunächst zu Haftstrafen verurteilt worden sind
- der Einsatz der Bundeswehr
- gezielte Desinformation der PolizeisprecherInnen
- die Be- und Verhinderung der Arbeit von und Angriffe auf RechtsanwältInnen, JournalistInnen und SanitäterInnen.

... all das zu thematisieren, ist eine gemeinsame Aufgabe der gesamten Bewegung gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm. Darüber hinaus sind eine zur Zeit noch nicht absehbare Anzahl von Vorladungen, eingeleiteten Strafverfahren und zugestellten Strafbefehlen zu erwarten. Zwei Aktivisten befanden sich Anfang Juli immer noch im Knast.

Wir fordern:
- ein uneingeschränktes Demonstrationsrecht
- die lückenlose Aufklärung der Polizeigewalt
- die vollständige Offenlegung des Bundeswehreinsatzes während des G8
- die Rücknahme der Urteile aus den Schnellverfahren!
- die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen GegnerInnen des G8 und die Abschaffung
des §129a!

Kundgebung in Hamburg
Samstag, den 11. August 2007
12 Uhr
Gerhard-Hauptmann-Platz

Es rufen auf:
Antirepressionsgruppe Hamburg; Attac Hamburg; Avanti-Projekt undogmatische Linke, Hamburg; DIE LINKE, Hamburg; Ermittlungsausschuss Hamburg; Flüchtlingsrat Hamburg; Gesellschaft für operative Kunst; Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V.; Hochschulgruppe REGENBOGEN/Alternative Linke Hamburg; Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Norddeutschland; NoLager-Gruppe, Hamburg; REGENBOGEN - Für eine neue Linke, Hamburg; Rote Hilfe e.V., OG Greifswald; Rote Hilfe e.V., OG Hamburg; Schanzenbuchladen, Hamburg; Sozialforum Eimsbüttel; Stadtteilkollektiv Rotes Winterhude; Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), LV Hamburg

Fotos von Brandanschlägen der mg...

... vom BKA 07.08.2007 - 13:47
Einige Fotos von direkten Aktionen der mg gibt es z.B. hier:  http://gipfelsoli.org/Actiondays_Photos/3902.html oder auf der homepage des BKA.

stellungnahme

stellungnehmer 08.08.2007 - 12:00
eine einsendung erreichte uns kürzlich. vielleicht gedacht als flyervorlage, wir leiten es mal an euch weiter.

letzte meldung

stellungnehmer 08.08.2007 - 14:22
...wir werden, da es sicherlich bald weitere drängendere einsendungen an diese seite geben wird, die page keinesfalls über gebühr beladen. laßt uns euch nur diese beiden jpg´s hier zuschicken, die die redaktion kürzlich von zwei unbekannten gmx-ordnern aus erreicht haben.
bei der ersten handelt es sich um eine neue variante des o.a. flyervorschlags. der text der einsendung sagt, sie komme von FU-studenten, die in der sommerpause (sie nennen das vorlesungsfreie zeit und übliche hausarbeitsphase) zu sogenannten ABV-einsätzen verdonnert werden. sie scheinen dort in räumen zu sitzen, deren fenster sich nicht öffnen lassen [wofür der kanzler der uni persönlich verantwortlich sein soll, dem als angeblicher grüner die stromverschwendung durch klimaanlagen wichtiger zu sein scheint als eine angemessene belüftung durch natursauerstoff] und müssen in photoshopseminaren so tun, als hätten sie noch nie ein bildbearbeitungsprogramm geöffnet, die armen. sie sind auf kleine tippfeler des o.a. flyervorschlags aufmerksam geworden und bearbeiteten das herunterladbare bild in einer kurzen pause. wir danken für die pausenarbeit, wünschen viel glück beim weiteren unschuldslammspielen und ergattern von seminarscheinen, die auf dem arbeitsmarkt von personalchefs leider mit einem achselzucken überblättert werden.

die von ihnen eingesandte korrigierte version schicken wir hiermit hoch.
wenn jemand aus der redaktion die erste version hierfür entfernen will [und dafür zeit hat], kann er das also gerne tun.

das andere erreichte uns vor wenigen minuten und scheint ein kleiner kunstflyer von artanarchistes selbst zu sein [was selbstverständlich niemand garantieren kann].
er hat eine andere zielrichtung und scheint ökologisch [alternative antriebsstoffe, von der derzeit machthabenden autolobby weiterhin unterdrückt], medizinisch [auspuffgase]
und stadtplanerisch [gefährdung der touristischen anziehungskraft von vorrangig per fahrrad und per pedes erkundbaren kiezen] zu argumentieren. eine nur leicht veränderte zielsetzung, jedoch interessant, da sie auf die häufung bayrischer scheinziviler nobelkarossen in zeiten der vorbereitung zum baubeginn des BNDareals chausseestraße hinweist.
wir senden es mal an euch weiter und versprechen, den server nicht weiter zu beschweren. die anderen sollen schließlich noch genügend platz zum mitmachen finden.

mehr infos zu den hamburger 129a verfahren

§129abc 28.11.2007 - 00:40
mehr infos zu den hamburger 129a verfahren vom 9. Mai gibt es auch unter:

 http://GemeintSindWirAlle.selfip.net

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