Polizeipsychologe kritisiert poliz. Vorgehen

PsychoDoc 04.06.2007 19:03 Themen: G8 Heiligendamm Globalisierung Repression

Harsche Kritik erntet die derzeit allseits bemitleidete und gelobte Polizei an diesem Montag ausgerechnet aus eigenen Reihen. Nach den verärgerten Aussagen eines Bereitschaftspolizisten über das Verheizen seiner Kollegen ließ nun der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber ebenfalls unerwartet Deutliches vom Stapel.

In seinem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte Sieber, eine Eskalation habe bereits lange vor den konkreten Auseinandersetzungen in Rostock bestanden und bezieht sich dabei einerseits auf das martialische und eben nicht deeskalierende Auftreten der Einheiten vorort, andererseits aber auch auf die weitreichenden und tiefgreifenden Repressionen im Vorfeld.

Der Mitentwickler der Münchner Linie in den 60er/70er Jahren, die psychologischen Mitteln grundsätzlichen Vorrang vor Zwangsmitteln einräumt, erklärte weiter, in Rostock sei vieles passiert, was man unter Polizeibeamten als unverhältnismäßige Reaktion bezeichnen würde. An die Landes- und Polizeiführung gerichtet spricht er von Landesherrenattitüden und Doppelmoral, wenn nun von den Demonstranten gesprochen werde, die die Situation eskaliert hätten. Auch zieht Sieber in Erwägung, dass die Eskalation der Proteste politisch gewollt sein könnte.

Abschrift und Mitschnitt des Telefoninterviews befinden sich unter

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kulturinterview/631797/

für jedermensch zugänglich.

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

auch als Audiofile

ichichich 04.06.2007 - 19:49
Das Interview gibts auf der DLF-Seite auch als Download oder zum Nachhören.

mitschrift ist fehlerhaft - lieber anhören

dein name 04.06.2007 - 21:06
ein auschnitt der Mitschrift auf der DLF-Seite lautet:

Roelcke: Die Eskalation bedeutet ja auch, Herr Sieber, Fronten zu vermeiden. Wie kann das denn jetzt in den kommenden Tagen gelingen? Fronten, Sie haben es gesagt, gibt es unterschiedlicher Art, die wurden aufgebaut. Kann man die auch wieder einreißen?


herr roelcke sagt aber laut mp3 der selben DLF seite:

Roelcke: DEESKALATION bedeutet ja auch, Herr Sieber, Fronten zu vermeiden. Wie kann das denn jetzt in den kommenden Tagen gelingen? Fronten, Sie haben es gesagt, gibt es unterschiedlicher Art, die wurden aufgebaut. Kann man die auch wieder einreißen?

so weit so ungenau

Zustimmung

mein Name 04.06.2007 - 21:08
Wenn Herr Siebert sagt:

in Rostock "sei vieles passiert, was man unter Polizeibeamten als unverhältnismäßige Reaktion bezeichnen würde". An die Landes- und Polizeiführung gerichtet spricht er von "Landesherrenattitüden" und "Doppelmoral", wenn nun von den Demonstranten gesprochen werde, die die Situation eskaliert hätten. Auch zieht Sieber in Erwägung, dass die Eskalation der Proteste politisch gewollt sein könnte....

so kann ich ihm da nur zustimmen.
Ich war bis 15:00 Uhr vor Ort und habe am Demo-Zug im vorderen Teil bis kurz hinter dem Innenstadtbereich teilgenommen (Gudestrasse oder Grudestrasse). Bereits vor Beginn des Demo-Zuges am HBF habe ich am Rande der Ansammlung verschiedene Situationen erlebt, bei denen von Seiten der BeamtInnen eine ausgesprochen unsensible Arroganz und Unflexibilität mit "Obrigkeitsstaats"-Attitüde an den Tag gelegt wurde, auch gegenüber PressevertreterInnen.

Unklar ist mir, ob die nicht anders wollten, oder tatsächlich nicht anders können.
( Z.B. bei den BeamtInnen aus Dresden liegt ja eine ausgesprochen obrigkeitshörige Sozialisation vor. Was das Phänomen aber nur erklärt, nicht entschuldigt.)

Deeskalation wäre was anderes.

Für mich wirken die Damen und Herrn der Ordnungskräfte häufig auf solche Veranstaltungen nicht wirklich innerlich angemessen vorbereitet.
Sie wollen die Sache nur schnell über die Bühne bringen und flüchten sich in ihren Befehlsempfänger-Status und sind nicht in der Lage (oder nicht gewillt), delikate Situationen mit der Einsatzleitung abzuklären, auch wenn es ihnen eindringlich Nahe gelegt wird.
( Zitat: "Die Einsatzleitung hört sowieso nicht auf uns." und das übliche "Was sollen wir denn machen, wir haben doch unsere Befehle".)

Fast wäre die Situation zu Beginn der Demo bereits eskaliert:
Auf einer Eisenbahnbrücke hatten sich JournalistInnen oben versammelt um Bilder aus guter Perspektive zu machen. Eine Gefahr wegen der Eisenbahn-Gleise bestand nicht, die waren über 15 Meter von der JounalistInnen-Ansammlung entfernt und hätten zur Not durch eine lockere Kette von BeamtInnen gesichert werden können.

Irgendwie war der unsinnige Befehl erteilt worden, die JounalistInnen von der Brücke zu vertreiben.
Die meisten ignorierten die polizeiliche Aufforderung, die Brücke zu verlassen, einige versuchten die BeamtInnen verbal zu überzeugen, dass die Situation durchaus so gelöst werden könnte, dass weiter journalistisch von oben gefilmt werden kann ohne Gefahr für irgendwen.

Darauf nur hilflos-arrogante Reaktionen, aber noch kein Einschreiten.
Es kamen aber zunehmend mehr BeamtInnen dazu.

Jetzt wird es noch unsinniger:
Als der Demo-Zug loslief und in unmittelbarer Sicht- und Hörweite der Brücke war, entschlossen sich BeamtInnen, den Räumungsbefehl jetzt aber durchzusetzen.
Es gab Unruhe und Wortwechsel auf der Brücke.
Dadurch stoppte der Demo-Zug und es wurde lautstark von unten protestiert, die BeamtInnen mögen ihr Verhalten eistellen.
Oben wurde weiter durch BeamtInnen gedrängelt und gezerrt.
Unten erschien ein älterer Beamter, der wohl irgendwie zur Einsatzleitung gehörte und versuchte, nach oben u signalisieren, "seine Leute" mögen die Foto- und Film-JournalistInnen dort stehen lassen.

Die Situation schaukelte sich aber weiter hoch, bis diese Signale oben dann aber doch tatsächlich registriert und befolgt wurden.

Erst dann gaben die Befehls-Empfänger oben Ruhe und ließen die Leute oben stehen zum fotografieren und filmen.

Unklar bleibt, warum die Beamtinnen oben (die doch auch Funkverbindung im Ohr hatten) so spät auf die Einsatzleitung reagierten, warum die Einsatzleitung erst so spät wirksam eingriff und was passiert wäre, wenn diese völlig unnötige und unsinnige Räumung-Situation auf der Brücke sich nicht bei Ankunft des vorderen ehr bürgerlichen Demo-Block ereignet hätte, sondern einige Minuten später beim Nähern des "black blocks" ?

Vermutlich wären dann bereits massiv die ersten Steine geflogen, die massenweise im Gleisbett der Straßenbahn in Fahrbahnmitte bereit lagen.

Das Verhalten der BeamtInnen auf der Brücke und offensichtlich auch der Einsatzleitung war höchst fahrlässig und unprofessionell.
Es ist mir unverständlich, dass (leider medienwirksam) ständig von einer Deeskalationsstrategie geredet wird.

Diese Situation kann ich aus eigenem Erlebnis schildern, ich stand mitten zwischen den Foto-/Film-Reportern oben auf der Brücke (habe mich nach Durchzug der vorderen Demo-Blöcke dem Demo-Zug angeschlossen.)

Ich hatte noch keine Ruhe mein Filmmaterial der Situation auszuwerten und weiß nicht, ob die Situation so rüber kam, wie sie war. ( Beim schwierigsten Moment habe ich wohl nur hektisch hin- und her-geschwenkt.)
Falls die Sequenzen verwertbar sind, lade ich sie hier hoch.

Die Situation am Stadthafen kann ich nicht beurteilen, da hatte ich die Demo bereits per Fahrrad außen rum Richtung Vorort Gehnsdorf verlassen.
Ein (auf einer breiten Bündnis-Demo) unangemessenes Aggressions-Potential bei Teilen der Demonstrierenden im hinteren Bereich des Demo-Zuges kann ich nicht ausschließen.

Aber die hier beschriebene Situation auf der Brücke zeigt mir genau dass, was der Polizeipsychologe aus München sagt,
daher hier nochmal dessen Worte, er sagte:

...in Rostock sei vieles passiert, was man unter Polizeibeamten als unverhältnismäßige Reaktion bezeichnen würde. An die Landes- und Polizeiführung gerichtet spricht er von Landesherrenattitüden und Doppelmoral, wenn nun von den Demonstranten gesprochen werde, die die Situation eskaliert hätten. Auch zieht Sieber in Erwägung, dass die Eskalation der Proteste politisch gewollt sein könnte.

Traurig, aber wahr.




Polizei in "Landesherrenattitüde" !

Bo 04.06.2007 - 23:06
Ja, die Polizei will sich stets als "Herr" der Lage und der Demonstration fühlen und darstellen - weil sie das Demonstrationsrecht nicht verstanden hat bzw. nicht verstehen will. Ein Blick ins Grundgesetz oder die EMRK könnte da helfen. Die Polizei aber kennt nur ihr landesherrliches Polizeirecht. Das ist "Landesherrenattitüde".





Link zum Film

mein Name 05.06.2007 - 16:13
der Filmbeitrag zur oben beschriebenen Situation auf der Brücke ist über diesen Link zu finden:

 http://de.indymedia.org/2007/06/181417.shtml?c=on#comments2

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

*gähn* — watsolls