Guatemala: Bankenkrise verschärft sich weiter

pirata 21.01.2007 03:02 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Seit nunmehr vier Wochen üben sich die Guatemalteken als Überlebenskünstler. Es gibt weiterhin nicht ausreichend Geldscheine, alle Geldautomaten des Landes sind leer und das Innenministerium wittert ganz offiziell in ganzseitigen Zeitungsanzeigen eine Verschwörung der organisierten Kriminalität, um das Land ins Chaos zu stürzen. Derweil wurde nun das zweite Geldinstitut, die „Banco de Comercio“ geschlossen. Es ergingen insgesamt 22 Haftbefehle gegen hochrangige Banker des Landes.
Auf den ersten Blick wirkt Lobo, ein ehemaliger Angstellter bei Daimler Chrysler in Deutschland gefasst. „Mein ganzes Geld ist weg“, sagt er. 600.000 Quetzal, umgerechnet 60.000 Euro hat er bei der „Banco der Comercio“ in Guatemala angelegt. Nahezu seine ganze Abfindung, als er nach über einem Jahrzehnt Daimler den Job hinschmiss und sich vor einigen Monaten ans Auswandern nach Guatemala aufmachte. Auch Ulises geht es nicht besser. Der ehamlige Journalist des „Schwarzwaelder Boten“ in Oberndorf hat rund 50.000 Euro beim jüngsten Bankencrash in Guatemala verloren. Seine private Rente liess er sich erst kürzlich als Einmalzahlung nach Mittelamerika ueberweisen. Das war ein Fehler.
Zu unerwarteter, landesweiter „Berühmtheit“ gelang indes der 59jaehrige Flugkapitän Roberto Lemus Alvarado. Er hatte all seine Ersparnisse, umgerechnet 130.000 Euro, bei der „Banco de Comercio“ angelegt und durfte auf Einladung eines Abgeordneten im Parlament bei einer aktuellen Anhörung höchstpersönlich den Zentralbankchef fragen, ob er denn sein Geld wiedersehen werde. Nachdem dieser verneinte, beging der Pilot kurzerhand Suizid und gab damit der Bankenkrise in Guatemala eine ganz persönliche, sehr tragische Note (siehe Foto).
Wie es nun wirklich weiter geht, weiss niemand. Das Innernministerium liess in ganzseitigen Zeitungsanzeigen erklären, dass man die organisierte Kriminalität hinter der Geldkrise vermute. Man habe eine Spezialeinheit gegründnet, überwache nun den Telefon und e-mail-Verkehr, um die mögliche Verschwörung aufzudecken.
Den meisten Kontoninhabern geht es derweil nur um eines: Ihre Schäfchen möglichst noch ins Trockene zu holen und das Ersparte unter das Kopfkissen zu legen. Was nicht unbedingt einfach ist. Die staatliche CHN-Bank hat weiterhin den Höchstauszahlungsbetrag auf 50 Euro reduziert, bei der halbstaatlichen Banrural bekommt man maximal 200 Euro.
Kommende Woche soll sich nach Regierungsangaben die Bargeldsituation verbessern, wenn neu Scheine im Nennwert von 1,8 Milliarden Quetzal aus der Druckerei in Deutschland geliefert werden. Doch dies reicht wohl maximal einige Tage, um die angestauten Geldbedürfnisse zu befriedigen.
Wahrscheinlicher ist, dass neben der „Bancafé“ und der „Banco de Comercio“ auch noch weitere Banken in den nächsten Tagen Bankrott anmelden werden.

 http://de.indymedia.org/2006/12/165150.shtml
 http://de.indymedia.org/2006/12/165020.shtml
 http://de.indymedia.org/2006/12/164977.shtml
 http://de.indymedia.org/2006/12/164927.shtml
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Ergänzungen

No Dimes, no niquel

Das Geld soll abgeschafft werden. 21.01.2007 - 20:20
ich kenne schon ein paar Leute, welche keines mehr haben.
Räumung des Landes El Estor 7., 8. jan. 2007 in Guatemala zur Ausbeutung von Nickel

Violent Evictions at El Estor, Guatemala

 http://www.youtube.com/watch?v=Q20YxkM-CGI


 http://www.oxfamamerica.org/whatwedo/where_we_work/camexca/news_publications/art5304.html

hmm,

viajero 21.01.2007 - 21:46
hab mir letzte Woche in Guate City Geld *mehr als ein durchschnittliches Monatsgehalt dort, am Automaten gezogen, kein Problem. Ich hab mit den Leuten ueber die Bankenkriese gesprochen und die meisten meinten betroffen sei nur ein Teil des Landes.
Und ehrlich gesagt haben viele Leute da viel heftigere Probleme, aber dass ist ein anderes Thema, fuer ein anderes Mal...
saludos a pirata

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@viajero

pirata 22.01.2007 - 23:04
Hallo viajero,

klasse, dass du in den Hauptstadt Geld ziehen konntest. Das war aber dann unwahrscheinliches Glueck und dauerte sicher nur einige Stunden an. Hier in San Pedro gab es heute morgen auch erstmals wieder etwas Geld, allerdings nur 20 Quetzal-Scheine (umgerechnet zwei Euro). Wetten dass es am Nachmittag dann wieder nix gibt?
Natuerlich hast du Recht mit Deiner Einschaetzung, dass so ne Bankenkrise den Durchschnittguatemalteken nicht betrifft, weil dieser schlicht kein Bankkonto hat. Dumm nur, wenn der Chef des Lohnabhaengigen auch nicht an das Geld kommt und die Loehne nicht bezahlen kann. Oder wenn der Rentner nur umgerechnet 50 Euro auf den Scheck der Rentenkasse erhaelt. Nichtsdestotrotz tangiert die Krise in erster Linie die Mittelschicht und die Schoenen und Superreichen. Da hast du mit deiner Einschaetzung sicherlich recht.
Trotzdem zeichnet sich eine Situation wie 2001 in Argentinien ab. Es koennte sich der Frust durchaus in ner Revolte und dem Regierungssturz entladen. Mit selbstverwalteten Stadtteilkomitees etc...
Bislang sieht es allerdings eher danach aus, dass man nicht richtig einordnen kann, wass die betuchte Mittelschicht machen wird. Sie zaehlt zu den treuesten Waehler der Ultrakonservativen Regierungspartei. Nach einer heute veroffentlichten Umfrage wollen nur noch knapp fuenf Prozent der Guatemlateken dieser Partei bei den Wahlen im September die Stimme geben (75 Prozent wissen allerdings noch nicht, ob oder wen sie waehlen wollen). Es gilt aber aber sicher, dass diese Krise auf Jahre hinweg das Land veraendern wird. Schoen waere es, wenn was revolutionaers draus wuerde...