In der Wüste ausgesetzt: Hunderte Flüchtlinge festgenommen und aus Marokko abgeschoben

Lotti & noborder activist 02.01.2007 00:52 Themen: Antirassismus Weltweit
Update 4.1.: Bei den Abschiebungen wurden mehrere Frauen vergewaltigt, darunter mehrere Schwangere, von denen eine ihr Baby verlor. Protestiert bei der EU und den marokkanischen Botschaften!

Mehr als 250 AfrikanerInnen aus dem subsaharischen Afrika wurden am 23.Dezember 2006 von der marokkanischen Polizei in verschiedenen Vierteln der Hauptstadt Rabat verhaftet. Unter den Festgenommenen sind Frauen und Kinder, Flüchtlinge und Asylsuchende. Danach wurden sie in sechs Bussen nach Oujda an der algerischen Grenze gebracht, begleitet von Armee. Gegen 11 Uhr abends überquerten die Busse die Grenze an verschiedenen Stellen und die MigrantInnen wurden in der Wüste ausgesetzt (Details im Text).
Polizeispezialeinheiten hinderten UnterstützerInnen aus Oujda daran, zu den Abgeschobenen zu gelangen; deren Handys funktionierten mangels Netz dort nicht, so dass sie nicht kontaktiert werden konnten. Es wird befürchtet, dass die Festnahmen nur der Anfang einer weiteren Massenabschiebungskampagne nach Algerien, oder sogar in die Wüste, sind, ähnlich zu den Ereignissen im September/Oktober 2005.

Am 25. Dezember erreichten zwei weitere Busse die Polizeistation von Oujda, mit subsaharischen AfrikanerInnen aus Nador (einer anderen Stadt in Marokko). Dies bestätigt die Vermutung, dass es sich um eine landesweite Massnahme handelt, die von den Behörden für einen Zeitraum geplant war, in dem die meisten AktivistInnen nicht erreichbar waren.

Berichte: Flüchtlingsrat Hamburg |No-Racism | migreurop
IMC Berichte: Massenabschiebungen aus Marokko | Marokko: Neue Massenabschiebung

Erklärung von Attac Marokko (fr) | Presseerklärung der Vorsitzenden des Unterausschusses für Menschenrechte des Eur. Parlaments (fr, pdf)

Ältere Texte zum Thema: EU/Marokko: Abschiebung in den Tod | Marokko: Viele weitere Tote | Ceuta/Melilla: Europäische Karawane 5./6.11.05 | 1000 MigrantInnen ohne Wasser in der Sahara | Die Odyssee der Helena Maleno
Nach Berichten von Attac Marokko und anderen Gruppen gelang es etwa 150 MigrantInnen, viele davon verletzt, bis zum Abend des 24. Dezember nach Oujda zurückzukehren. 100 bis 150 Menschen blieben also "in Regen und Kälte da draußen, ohn Essen". Den Festgenommenen wurde nicht erlaubt, irgendetwas mitzunehmen, einige trugen nur Unterwäsche. Unter ihnen sind sieben oder acht Kinder, davon vier unter zwei Jahren, und zwei schwangere Frauen (im fünften und siebten Monat), sowie Kranke, denen die Medikamente verweigert wurden. Von besonderer Bedeutung ist, dass mindestens 52 UNHCR-Papiere hatten, und die Entscheidung in 17 Fällen noch offen war. Ein besonderer Fall ist ein senegalesischer Geschäftsmann, der seit 2004 legal in Marokko lebt.

Mehrere Menschenrechtsorganisationn, darunter Attac, Association Beni Snassen pour la Culture, Le Développemeent et la Soidarité,Ärzte ohne Grenzen, CEI und AMDH leisteten Erste Hilfe und versorgten die Abgeschobenen mit 100 Decken und Essen. In mehreren Berichten wird beschrieben, dass dies völlig unzureichend ist und dringend sowohl Spenden als auch Öffentlichkeit nötig sind.

Am 24. Dezember wurden fünf MigrantInnen noch in der Polizeistation von Oujda festgehalten, ohne Erklärung dazu, warum gerade diese fünf ausgewählt worden waren. Es gab auch Berichte über zwei kongolesische MigrantInnen, Nsiku Yulu and Muntu Dimuru, die von der algerischen Polizei festgenommen wurden. Abends um halb zehn des selben Tages konnten 35 Personen ausfindig gemacht werden, und zwei weitere waren festgenommen worden.

Am 30. Dezember gab es weitere Massenfestnahmen in Layoun, eine Gruppe von 140 Menschen wurde zur algerischen Grenze abgeschoben. AktivistInnen von Menschenrechtsgruppen und von Attac waren vor Ort und versuchten, bei der Rückreise nach Rabat zu helfen. Dies gelang allerdings nur 4 von 54 Personen.

Mindestens vier Frauen wurden von entweder marokkanischen oder algerischen Polizisten vergewaltigt, außerdem wurde mit Stöcken und Peitschen geprügelt.

Die politische Ebene

In Marokko fand am 10./11. Juli 2006 eine Euro-afrikanische Ministerialkonferenz zu den Themen Migration und Entwicklung statt. Eins der Hauptthemen waren "Kooperationsprogramme" zum "Management der legalen und illegalen Migration" (Tagesschau-Beitrag). Gregor Noll schrieb in Open Democracy, dass "die Rabat Konferenz in Zukunft als die Gelegenheit erinnert werden wird, bei der einige afrikanische Regierungen auf das Geheiß der EuropäerInnen dieses Menschenrecht verkauften, für an Bedingungen geknüpfte Entwicklungshilfe". (Siehe dazu auch eine Presseerklärung der Eur. Kommission, einige Tage nach der Rabat-Konferenz und die Presseerklärung von Pro Asyl.) Nach einem Bericht von Reuters erhielt Marokko im August 76 Mio. Euro von der EU, um "dabei zu helfen, Migration zu managen, Grenzsicherheit zu verstärken und Menschenhandel zu reduzieren".

In einer Konferenz, die der Ministerialkonferenz Anfang Juli vorausging, einigten sich NGOs auf das sog. Manifest von Rabat (pdf). Darin heißt u.a.: "Wir, Akteurinnen und Akteure von Zivilgesellschaften Subsahara-Afrikas, Nordafrikas und Europas, versammelt zur euro-afrikanischen Nicht-Regierungs-Konferenz am 30. Juni und 1. Juli 2006 in Rabat, entrüstet über den Krieg gegen MigrantInnen, der sich verstärkt von Jahr zu Jahr entlang den Mittelmeer- und Atlantik-Küsten, lehnen die Aufteilung der Menschheit in diejenigen, die sich frei auf dem Planeten bewegen können, und diejenigen, denen das verboten ist, ab. Wir lehnen ebenso ab, in einer Welt zu leben mit mehr und mehr militarisierten Grenzen, die unsere Kontinente teilen und jede Gruppe von Ländern in eine Festung verwandeln wollen."

Nach den letzten Verhaftungen erklärte der Wali (Gouverneur) von Rabat, dass die Operation im Rahmen von "Marokkos Verpflichtungen" zu sehen ist, die bei der genannten Konferenz eingegangen wurden. Auch nach den marokkanischen Fernsehberichten zu urteilen hat es sich bisher um eine gutvorbereitete und -organisierte Aktion gehandelt, mit Presse und Bussen, die dem Anschein nach alle zur selben Gesellschaft gehörten. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass die Abschiebungen während der Feiertage stattfanden und demzufolge viele AktivistInnen im Urlaub und schwer erreichbar waren.

Dezeit findet ein Medienkrieg in Marokko zwischen den Behörden und den NGOs statt, die die MigrantInnen unterstützen. Nach Berichten des 'Rates des subsaharischen MigrantInnen in Marokko' (pdf) begründen die Behörden die Abschiebungen und Festnahmen damit, dass 'illegale' MigrantInnen die Zäune von Ceuta und Melilla attackiert hätten, und zwar jeweils dann, wenn sich die NGOs  mit Berichten über die Menschenrechtsverletzungen an die internationale Öffentlichkeit wenden.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Siehe auch:

Linka 02.01.2007 - 15:07
6000 Flüchtlinge starben vor den Kanaren:
 http://de.indymedia.org/2007/01/165262.shtml

weitere informationen auf no-racism.net

no-racism.net 03.01.2007 - 18:34
in der artikelsammlung zum thema fluchtweg mittelmeer - sowohl zu den aktuellen ereingnissen als auch zu früheren protesten, abschiebungen und zur abschottung der eu an den südlichen grenzen:

=>  http://no-racism.net/thema/38


zur abschottungspolitik allgemein empfiehlt sich ein blick in der rubrik grenzregime:  http://no-racism.net/rubrik/38

dort finden sich auch berichte zu den migrationskonferenzen in rabat im juli 2006. damals trafen sich sowohl verschiedenen ngos, unterstützerinnenorganisationen und flüchtlinge um gegen die verschärfungen, die im rahmen der eu-afrika-konferenz zu migration und entwicklung beschlossen wurden, zu protestieren. mehr dazu in der artikelsammlung unter:  http://no-racism.net/thema/105

informationen zur karawane für die rechte der flüchtlinge und migrantInnen in ceuta ende 2005 und weitere noborder proteste unter:  http://no-racism.net/rubrik/295

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

???? — tierr@

Hallo tierr@ — Pete