Marokko: Neue Massenabschiebung

Noborderistas 01.01.2007 20:57 Themen: Antirassismus Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Marokko deportiert erneut MigrantInnen nach Algerien -- Erschreckende Details der Massenabschiebungen an Weihnachten -- Situation der Flüchtlinge in Oujda weiter dramatisch -- Muster für Protestbriefe an marokkanische Regierung
Eine neue Karawane von 140 SchwarzafrikanerInnen, die am 30. Dezember bei Razzien in Layoun verhaftet wurden, befindet sich auf dem Weg nach Oujda. Es handelt sich offensichtlich um eine weitere Massenabschiebung über die algerische Grenze.

Am 23. und 25. Dezember waren 280 Schwarze aus Rabat und Nador bei Razzien verhaftet und offenbar ohne jegliche Überprüfung ihrer Papiere "abgeschoben" worden. Die Grenze zu Algerien ist offiziell geschlossen, d. h. die Opfer wurden an der Grenze ausgesetzt und auf algerisches Territorium getrieben, indem hinter ihnen hergeschossen wurde. 150 von ihnen schafften den Weg zurück nach Oujda, wo sie auf dem Universitätscampus Unterschlupf suchen, doch ihre Situation dort ist alarmierend. Lokale Hilfsorganisationen sind völlig überfordert mit ihrer Versorgung. Von den übrigen 130 gibt es keine Nachrichten. Zahlreiche weitere Flüchtlinge verstecken sich offenbar aus Angst vor den Behörden in den Wäldern entlang der Grenze. Es ist naß und kalt, und da bei den überfallartigen Razzien mitten in der Nacht keine Gelegenheit bestand, irgendetwas mitzunehmen, haben viele nur das dabei, was sie beim Schlafen am Leib hatten, einige sogar nur Unterwäsche.

Unter den Abgeschobenen waren zwei hochschwangere Frauen und vier Kinder unter zwei Jahren, eins davon behindert. Während der Abschiebung (600km Busfahrt von Rabat) bekamen die Leute nichts zu essen. Es gab zahlreiche gewaltsame Übergriffe während und nach der Abschiebung, also auch durch algerische Soldaten. Berichtet wird von mindestens vier, vermutlich aber sechs Vergewaltigungen durch Marokkaner und Algerier.

HelferInnen vor Ort ist es gelungen, in 54 Fällen nachzuweisen, daß die Betroffenen gültige Papiere hatten (Visa, Aufenthaltserlaubnisse, UN-Flüchtlingsdokumente oder laufende Asylverfahren; sogar ein legal in Marrakesch tätiger senegalesischer Geschäftsmann war dabei), auch wenn diese von den Polizisten bei der Razzia oft einfach zerrissen wurden. Allerdings wurde erst vieren von ihnen erlaubt, den Bus zurück nach Rabat zu nehmen. Weitere Fälle werden geprüft. Insgesamt hatte vermutlich rund die Hälfte der Abgeschobenen gültige Papiere. Zwei Drittel der Flüchtlinge auf dem Campus stammen aus den Bürgerkriegsländern Kongo und Elfenbeinküste. Konfrontiert mit diesen Fakten verstiegen sich die Behörden zu der Behauptung, diejenigen mit Papieren seien freiwillig mit nach Oujda gefahren... bißchen spazierenfahren oder so...

Marokko erfüllt mit diesen Abschiebungen laut einer Erklärung des Gouverneurs von Rabat seine Verpflichtungen, die es gegenüber der EU eingegangen ist... Es ist offensichtlich, daß die Behörden diese Zeit des christlichen Weihnachtsfestes und des islamischen Opferfestes ausgesucht haben, um mit möglichst wenig öffentlichem Echo die Drecksarbeit als "Gendarm Europas" zu machen, während gleichzeitig die marokkanischen sozialen Bewegungen mit einem anderen Problem kämpfen: den Lebenshaltungskosten, die durch zahlreiche Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel und die fortgesetzte Einschränkung der öffentlichen Basis-Dienstleistungen enorm gestiegen sind. Trotzdem gibt es Organisationen und AktivistInnen, die sich unter diesen extrem schwierigen Bedingungen für die Flüchtlinge einsetzen. Humanitäre Hilfe, Beistand und Solidarität leisten Ärzte ohne Grenzen (MSF), die Association Béni Znassen pour la Culture, le Développement et la Solidarité (ABCDS), das internationale Komitee für gegenseitige Hilfe (CEI) und die Vereinigung der Freunde und Familien der Opfer der klandestinen Immigration (AFVIC).


Hier noch ein kurzer Muster-Protestbrief an den marokkanischen Innenminister (Fax: 00212-37-76 20 56):

M. Chakib Benmoussa
Ministère de l’Intérieur
Rabat
MAROKKO

Monsieur le Ministre,

des gigantesques rafles ont eu lieu dès le 23 décembre contre les migrants africains.
Plus de 400 réfugiés, demandeurs d’asile et migrants constitués d’hommes, de femmes et d’enfants ont été ramenés en cars à la frontière maroco-algérienne du coté d’Oujda pour y être expulsé.
Ces expulsions collectives sont en contradiction totale avec les différentes conventions internationales que le Maroc a signé, et aussi avec la loi marocaine sur le séjour.
Pouvez-vous ordonner immédiatement le retour de tous les expulsés et assurer du respect de leur dignité?
Nous condamnons également les pressions exercées par l’Union européenne sur le Maroc pour dissuader les demandeurs d’asile et les migrants de demander protection et asile.

Veuillez agréer, Monsieur le Ministre, l'expression de nos salutations distinguées.

Übersetzung: Sehr geehrter Herr Innenminister, gigantische Razzien haben seit dem 23. Dezember gegen afrikanische Migranten stattgefunden. Über 400 Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten, darunter Männer, Frauen und Kinder, wurden in Bussen an die marokkanisch-algerische Grenze bei Oujda gefahren, um dort abgeschoben zu werden. Diese kollektiven Abschiebungen stehen im totalen Widerspruch zu den verschiedenen internationalen Konventionen, die Marokko unterzeichnet hat, und auch zum marokkanischen Aufenthaltsgesetz. Können Sie die sofortige Rückkehr aller Abgeschobenen anordnen und die Achtung ihrer Würde sicherstellen? Wir verurteilen auch den Druck, den die EU auf Marokko ausübt, um Asylbewerber und Migranten davon abzuhalten, Schutz und Asyl zu fordern. Hochachtungsvoll...

Den gleichen Brief könnt Ihr auch gleich an den marokkanischen Ministerpräsidenten schicken, nur heißt es dann statt "Monsieur le Ministre" "Monsieur le Premier Ministre" (2x, in der Anrede und der Schlußformel). Die Adresse lautet:

Son Excellence
Driss Jettou
Premier Ministre
Département du Premier Ministre
Palais Royal
Touarga
Rabat
MAROKKO

Fax : 00212-37-76 99 95 oder 00212-37-76 86 56

Standardbriefe (bis 20g) nach Marokko kosten 1,70. Außerdem ist es immer gut, Kopien der Protestbriefe auch an die jeweilige Botschaft zu schicken:

Botschaft des Königreichs Marokko
S. E. Herrn Mohammed Rachad Bouhlal
Niederwallstr. 39
10117 Berlin

Fax: 030 - 20 61 24 20
E-Mail:  marokko-botschaft@t-online.de

Wenn Ihr nach Berlin kommt, könnt Ihr da vielleicht auch so mal vorbeischauen und Bescheid sagen. Es ist wichtig, jetzt zu handeln, denn die Aktion vom 30. Dezember läßt vermuten, daß noch weitere Razzien und Abschiebungen bevorstehen.

Bericht über die erste Abschiebungswelle:
 http://de.indymedia.org/2006/12/164979.shtml

Weitere Berichte und Links (v. a. Spanisch und Französisch):
 http://estrecho.indymedia.org

Quellen: Mitteilungen verschiedener BeobachterInnen vor Ort, aus dem NoBorder-Netz
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