FR: Studiengebühren-Boykott kommt in Schwung

Rek-Tora Tebesetzer 04.12.2006 19:07 Themen: Bildung Globalisierung Repression Soziale Kämpfe
In Freiburg beteiligen sich die Universität (ALU) und die Pädagogische Hochschule (PH) am Boykott der Studiengebühren 2007. Bei einem Landesquorum von 10.000 Studierenden (in Ba.-Wü.) setzen die Organisatoren auf Hochschulquoren von mindestens 25%. Nachdem die meisten Karlsruher Hochschulen und die Uni Tübingen Ihre Teilnahme angekündigt haben, sprach sich letztes Wochenende auch die LAK (Landes Asten Konferenz) für den Landes- und Bundesweiten Gebührenboykott aus.
Im Folgenden wird auf den Aktionstag am 30.11. ein Wochenende voller Solidarität, die Stimmung an PH und Uni, sowie den Stand der Kampagne im tiefen Südwesten eingegangen.
Unter dem Vordach des Hauptgebäudes der PH-Freiburg sind Kreide-Schriftzüge zu lesen: „WIR BOYKOTTIEREN NICHT ALLEINE!“ Dazu kommen exotische Städtenamen wie Vechta, Emden oder gar Bonn. Auch Städte die jedeR kennt kommen zunehmend hinzu. „Die Boykottbewegung scheint anzuwachsen“ sagt Inga, eine interessierte Studentin, die ihren Kaffee schlürft. An der Brücke hinter ihr weht ein Transparent im durchwachsenen Herbstwetter, welches Informationsveranstaltungen zum Thema verkündet.
Betritt Mensch das Gebäude, weht ein Nelken- und Glühwein-Duft durch das Foyer. Hier haben Studierende ein Protest- oder eher ein Boykott-Wohnzimmer eingerichtet. Sofas und Möbel sind heute früh aus dem Boden gewachsen, um dem Schild, mit der einladenden Inschrift „fühlt euch wie zuhause!“, gerecht zu werden. Etwa 50 Interessierte umvölkern den Infotisch und die Couchecke um sich bei Kaffee und Kuchen über anstehende Aktionen und die mit dem Boykott verbundenen Ängste und Fragen auszutauschen... Der Aspekt der Selbstverwaltung steht durch einen offenen Arbeits-Plan im Vordergrund, Zeitungen und Propaganda-TV (Boykott-TV, Protest-Clips und Reden zum Boykott) sind für jedeN der/die den Foyer durchqueren will unausweichlich. Schon zwei große Vollversammlungen – gab´ es an der PH seit Beginn des Wintersemesters und eine Infoveranstaltung anlässlich des global-action-day-for-education (30.11.).
Mit diesem begann eine dichte Phase in Sachen Aufarbeitung und Planung des Protestes in Freiburg. Donnerstag Abend erfolgte ein Laternenumzug mit lauter Live-Musik in der Innenstadt. Es kam zu leichten Behinderung des ÖPNV und einer Feuertonnenverführung durch die Freiburger Pinocclizei, welche sich mit 20 Metzgern zur Rädelsführerin der Versammlung (mit etwa 70 beteiligten) machte. Die Aktion wurde auch als Workshop-Gegenstand für MedienaktivistInnen aus der Gegend genutzt.
Am Nachmittag hatten sich BildungsaktivistInnen an der Erstellung einer Fotocollage, mit dem Schriftzug „GEMEINSAM GEGEN GEBÜHREN!“ verkünstelt. Aktive aus mindestens 25 Hochschulen beteiligten sich am Aktionstag auf dem Bundesgebiet mit Demos, Besetzungen und Reclaim-The-Streets Aktionen, mehrere Dutzend in anderen StAAten...
Am Freitag stand eine Boykott-Soliparty im autonomen Zentrum KTS auf dem Programm. Hier spielten mehrere Bands, DJanes legten bis in die späte Nacht auf. Das Fest war sowohl für das schaffen einer finanziellen Basis für die Kampagne im Südwesten als auch zur Vernetzung von Nutzen. In einer „PolitisierBar“ wurden Zusammenhänge von Freiraum-, Bildungs- und weiteren politischen Aktivitäten diskutiert, entstand die eine oder andere neue Bezugsgruppe... Die vielen hundert TeilnehmerInnen zeigten zugleich auf, inwiefern das AZ eigentlich zu klein für diese Stadt ist. Es kam zu keiner spontanen Erschließung neuer Veranstaltungsorte, die Notwendigkeit eines solchen ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.
Am Samstag ging es weiter mit einer Prozesskosten-Soliparty unter dem Titel „DER WIDERSTAND WAR NICHT UMSONST!“ Gedeckt wurden die Kosten der „Ohne Bildung_ Ich Polizist!- Prozesse“... Afrobeatz, Funk, Samba und die Jazzklänge der Pariser Band DUNGA! machten den Abend zum Musikalischen Vergnügen für alle, die nicht an der Theke stehen mussten. Der Sonntag bot mit der rustikalen DIY-VoKü (SelbermacherInnen- Volxküche) und der Geschichtenerzählerin Brita („Wahres und Politisches“), einen traumhaften Ausklang von Tagen voller Widerstandskultur.
Diese war auch heute wieder an den Freiburger Hochschulen zu verspüren. Nebst Transparenten und Schriftzügen an den Wänden, und dem Boykott als zentrales Thema des Stimmengewirres in den Gängen und Hörsälen, sind jetzt auch Infotische und der im Winter dazugehörige Glühwein kaum zu vermeiden. H., u-asta Vorstand an der Uni: „Seit der großen VV am 8.11. sind viele neue Arbeitskreise entstanden, welche auch ständig wachsen. Die Kampagne läuft auf Hochtouren. Jetzt müssen wir möglichst viele Studierende informieren. Mit Tübingen und Karlsruhe können wir das angestrebte Quorum erreichen.“ M1. von der PH zeigt sich weniger optimistisch. „Hier an der PH können wir das Hochschulquorum (25%) erreichen. Es gibt jedoch viele die jetzt schon auf einen L-Bank (Landesbank) Kredit angewiesen sind. Diese werden sich voraussichtlich nicht beteiligen können. Absurder Weise müssen wir auch viele Eltern erreichen, denen ein Boykott zu unsicher ist, die aber ihre Kinder finanzieren“ so M1 weiter. „Die Leute brauchen genügend Informationen und Argumente, um auch ihre AusbildungsfördererInnen zu überzeugen, dass der Boykott Sinn macht.“ Hoffnung sieht der usta-Aktive in Hamburg, wo „eine hohe Beteiligung an drei Hochschulen schon einen zu hohen Druck für die Landesregierung bedeuten würde.“ Ganz schwierig bezeichnet M1 die Situation in NRW. Im Gegenteil zu Ba.-Wü. Sind hier die Orga- Strukturen sehr fern von der Basis. Oft entscheiden sich VertreterInnen gegen Beschlüsse der VVs. So sehen viele VorständInnen die Gremienarbeit als „Pluspunkt im Lebenslauf. In Bonn währe das Geld für eine Riesen-Kampagne vorhanden. Die VV will den Boykott, aber der AStA hält sich aus Faulheit oder aus Desorientiertheit von der Bewegung fern.“
Trotz einer wachsenden Bewegung hält sich das Ministerium bedeckt, während die RektorInnen offiziell gebunden sind, mit Exmatrikulationsdrohungen um sich zu werfen.
„Wir müssen auf einen langfristigen Boykott setzen, der zur Not in zwei Schritten erfolgt. Spätestens in einem Semester – sollte der Boykott nicht ausreichenden Erfolg zeigen – wird sich zeigen das die Lehre sich um keinen Deut bewegt hat, höchstens in die schon lange währende und konstante Verschlechterung. Nun steht eine langatmige Überzeugungsarbeit an“, so M1 weiter. „ Das Beste währe es, am bundesweiten Aktionstag (26.01. 2006) eine Pressemitteilung veröffentlichen zu können, die das Erreichen eines Quorums von 27% verkünden kann. Das wäre ein neuer und wichtiger Impuls für den Erfolg.“
„Der Vorteil ist das die PH-Aktiven an einer Campus-Hochschule einen großen Informationsfluss gewährleisten können“ sagt M2, vom Vorstand des PH-usta, der im Boykott-Wohnzimmer Kaffee ausschenkt. „Eigentlich ist das Theoretische nun gelaufen. Anwalt, Treuhandkonto und Versicherungen stehen. Nächste Woche sind die Überweisungsträger fertig. Die wichtigsten Hürden wurden genommen, nun gilt es den Studierenden die letzten Ängste zu nehmen, die praktische Phase läuft an“.
Das weiterhin ein Defizit an Information zeigt die Aussage einer Kommilitonin von M2: „Ich werde mich nicht am Boykott beteiligen, ich zahle lieber auf das Treuhandkonto...“
Trotzdem könnte „der bisher stille Protest schnell lauter werden“ so M2 weiter. „Die Studierenden die jetzt den Boykott organisieren sind zwar ausgelastet, neue Aktive, Leute die in den letzten Jahren protestiert haben und Leute die weniger auf die Schreibtischarbeit stehen, könnten sich schon bald wieder für mehr Aktionen auf der Straße einsetzen. Protestbewegungen müssen damit leben, dass Schreibtisch-, Spektakel- und militante Proteste nebeneinander existieren. Sie bedingen sich und sind alle wichtig. Wir müssen auf allen Ebenen fahren. Allerspätestens ab dem 26.01. wird es auch im Südwesten wieder Demonstrationen geben!“
Auch in Bayern scheint die Idee des Boykotts gelandet zu sein. Letzte Woche erklärten sich sogar Aktive von der „Elite- Uni LMU“ für die Kampagne bereit.
Nachdem der Boykott in 5 von 6 betroffenen Bundesländern aufgegriffen wurde, kommt nun die Praxis immer näher. Etwa 15 Hochschulen haben den Boykott beschlossen, weitere 30 stehen vor der Entscheidung diesen mit zutragen. „Wenn sich in den 5 Bundesländern über 40 Unis beteiligen und davon die Hälfte die angestrebten Quoren erreicht, dann ist das ein Riesen Erfolg“ so F.D. Utschke aus Hamburg. „Alleine der erfolgreiche Boykott an der Uni HH von 1970 hat die bundesweite Abschaffung des HörerInnen-Geldes bewirkt, wenn von einigen eher militanten Begleiteffekten abgesehen wird. Wir waren bisher gemäßigt radikal auf der Straße, halten uns aber alle Optionen offen. Wenn die Politik den Boykott und die Straße ignoriert, muss sie sich auf einen sehr heißen Winter einrichten“, so der Anarchist in Einklang mit Sonya G. „Wir müssen das unsichtbare Sichtbar machen. Vielleicht ist ein immenses Spektakel notwendig um diese Gesellschaft vor der medialen Verblödung und der Identifizierung mit einer blökenden Schlips-Herde zu retten. Irgendwie müssen das natürlich alle auch selber tun. Es muss aber vor allem die Bühne gestürmt werden und dazu reicht der Boykott nicht aus.“
Wie die Kampagne sich entwickelt wird sich zeigen. Das Konfliktfeld zwischen jungen Leuten, Hochschulleitungen und Bildungs/Wissenschaftsministerien ist jedoch klar ausgedehnt und wächst. Nun gilt es zu vernetzen und das Nebeneinander von Protestformen zu respektieren. Auf ein heißes 2007!

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