Amerikagipfel in Mar del Plata, Argentinien

anro 06.11.2005 19:58 Themen: Globalisierung Weltweit
Vom 4. bis zum 5. November tagte in Mar del Plata in Argentinien der Amerikagipfel (Cumbre de las Américas) der Organisation Amerikanischer Staaten OAS. Dies gab Anlass, nicht nur in Mar del Plata zu demonstrieren, sondern auch in verschiedenen anderen Städten Argentiniens und Lateinamerikas. Die Polizeirepression war heftig, es gab massiven Tränengaseinsatz und dutzende von wahllosen Verhaftungen. Parallel dazu nahmen mehr als 50.000 Menschen am Cumbre de los Pueblos de América teil. Aufgerufen hatten dazu etwa 500 soziale, kulturelle und politische Gruppierungen.

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Was ist der Amerikagipfel?

Der Cumbre de las Americas ist ein Treffen aller amerikanischen Staatspräsidenten von Alaska bis Feuerland mit Ausnahme von Kuba (wie gewohnt). Dieser Gipfel steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der geplanten gesamtamerikanischen "Frei"handelszone FTAA (engl.) oder ALCA (span.). Der diesjährige Gipfel in Argentinien ist der vierte, der erste fand 1994 in Miami statt, der zweite 1996 in Kolumbien und der dritte im April 2001 in Quebec (Kanada).

DemoNeben dem Cumbre de las Americas gibt es noch die Treffen der Handelsminister (Trade Ministerial Meetings). Das letzte (das das achte war) fand im November 2003 in Miami statt. Danach war das FTAA jedoch ins Stocken geraten. Deswegen haben die USA parallel Verhandlungen zu regionalen Freihandelszonen wie dem CAFTA (Freihandelszone USA/Mittelamerika) und dem Andean FTA (Freihandelszone USA/Anden) aufgenommen (im spanischen Sprachgebrauch werden beide "TLC" genannt). Das CAFTA wurde im Übrigen bereits vom US-Kongress sowie von mehreren mittelamerikanischen Ländern ratifiziert - nicht ohne Begleitung durch massive Proteste. In Guatemala z.B. wurde die Ratifizierung wegen landesweiter Proteste und Blockade des Parlaments um mehrere Tage verschoben.

Inhaltlich gleichen sich all diese Abkommen mehr oder weniger und laufen auf eine NAFTA (Freihandelszone USA/Kanada/Mexiko) Erweiterung hinaus. Mit anderen Worten, es sollen Tür und Tor für Auslandsinvestitionen geöffnet und vermeintliche Handelshemmnisse wie Umwelt- und ArbeiterInnenschutz abgebaut werden. Lateinamerika ist reich an natürlichen Rohstoffen, sowohl was Bodenschätze betrifft als auch die enorme Biodiversität in Flora und Fauna.

In diesem Zusammenhang muss auch auf ein weiteres "Projekt" hingewiesen werden, den so genannten Plan Puebla Panama (PPP). Mit Puebla ist die Region südlich von Mexiko Stadt gemeint, d.h. es geht um die gesamte mittelamerikanische kontinentale Region. Neben der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen geht es um die Vertreibung der Menschen in entsprechenden Regionen - die Vertreibungen in Chiapas, das südlich von Puebla liegt, stehen in engem Zusammenhang mit dem PPP -, den Ausbau des Panamakanals, sowie um die Anlage mehrerer "trockener" Kanäle, sprich Autobahnen, die die Karibik mit dem Pazifik verbinden sollen. Die großen Flüsse sollen mehr oder weniger alle zum Bau riesiger Wasserkraftwerke aufgestaut werden, was bereits in vollem Gange ist. Die Öl- und Gaspipelines sollen ausgebaut werden, damit es ein lückenloses Netz von den reichen Vorkommen in Bolivien, Kolumbien und Venezuela bis nach Texas gibt. Für die Vertriebenen gibt es natürlich auch eine Lösung: Sie dürfen in die Maquiladores ziehen, die neu entstehenden "Sonderwirtschaftszonen" an den Endpunkten der Verbindungswege zwischen Karibik und Atlantik.

RauchbombeEin weiterer Zentraler Kernpunkt all dieser wunderschönen Pläne und Freihandelsabkommen ist die Militarisierung Lateinamerikas. Längst haben die USA etliche Militärbasen in jenen Ländern und die Ausbildung der Lateinamerikanischen Militärs und Putschisten erfolgt nach wie vor in Fort Benning in Georgia bei der School of the Americas. Hier darf ich auch den Plan Colombia nennen, der im Rahmen des so genannten Antidrogenkriegs und der Terrorbekämpfung die totale Militarisierung Kolumbiens vorsieht. Der amtierende Präsident Uribe hat seit seinem Amtsantritt bereits einige Schritte in diese Richtung eingeleitet.

Angesichts all dieser düsteren Aussichten dürfen wir jedoch eines nicht vergessen: In vielen der lateinamerikanischen Länder gibt es massive und teils sehr erfolgreiche Proteste gegen all diese Pläne, Gegenströmungen von basisdemokratisch organisierten Grasswurzelbewegungen, ständig werden irgendwelche Regierungen gestürzt, Fabriken besetzt und ausländische Investoren rausgeworfen.

Wir wissen auch, dass die Polizei bzw. auch Militärrepression in diesen Ländern eine ganz andere Dimension hat als bei uns. In Lateinamerika wiederholt sich "Genua" mehrmals jährlich. So gesehen war die jüngste Repression bei den Protesten gegen den Amerikagipfel zwar schlimm, aber im Vergleich zu anderen eher harmlos. Und die Menschen gehen trotzdem auf die Strassen. Immer wieder und immer wieder.

La Lucha Continúa!
AnRo

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Ergänzungen

ALCA und noch vieles mehr!

carlos el coyote 07.11.2005 - 02:01
ALCA muss als Freihandelszone verhindert werden. darin sind sich alle Regierungschefs lateinamerikas einig: denn die freihandelszone waere keine unter gleichen, sondern eine durch us-amerikanisches kapital dominierte; denn freihandel soll nach dem willen der usa vor allem freier kapitalverkehr sein (eine ausnahme in der ablehnung bildet nur mexico mit seinem praesidenten v. fox, einem ehemaliger coca cola manager.

etwa fuer argentinien droht der ausverkauf des landes auch und viel konkreter von anderer seite:

in der dekade der 90er jahe wurden alle staatsbetriebe privatisiert. das diesbezuegliche gesetz enthaelt eine entscheidende vorschrift:

auslaendisches kapital darf nicht diskriminiert werden gegenueber einheimischen kapital. die grossen staatlichen (meistens monopol-) betriebe (post, strom, gas, oel, wasser, fluggesellschaft, flughafen, bahn, banken) gingen an EU- Firmen mit ausnahme des gasgeschaefts (USA). die gewinne aus diesen dienstleistungen fließen damit seit ueber 10 jahren in die EU und die infrastuktur wird systematisch herabgewirtschaftet, da kaum ein cent reinvestiert wird.

dieses jahr hat argentinien weitreichende handelsabkommen mit china abgeschlossen, die vor allem eine oeffnung des argentinischen marktes fuer chinesische produkte vorsehen. und die sind konkurrenzlos billig, mit katastrophalen folgen fuer die einheimische industriewirtschaft.

aber wohl der groesste verursacher von menschlichem elend in argentinien ist die eigene wirtschaft (wobei ich nicht die frage beantworten kann, welche nationalität das kapital dieser betriebe hat): argentinien hat zur zeit ein wirtschaftswachstum zu verzeichnen. das liegt vor allem an der exportindustrie (etwa rindfleisch). durch die abwertung des argentinischen pesos im jahre 2001 koennen die in argentinien produzierten waren (fleisch, milch, obst, gemuese) auf dem weltmarkt unglaublich billig angeboten werden. gleichzeitig hat der binnenmarkt seine kaufkraft verloren, da die menschen nur noch 1/3 so viel in der tasche haben wie vor 2001. und was ist die folge? es wird fleissig exportiert und die gewinne dieser unternehmen schnellen in die hoehe. auf der anderen seite verteuern sich die lebensmittel im land laufend, etwa derzeit um 1-2% im monat. damit fallen monatlich einige tausend argentinier unter die armutsgrenze und leiden real hunger. vor allem in den laendlichen regionen, wo diese waren hergestellt werden. wir haben es daher auch mit einem strukturellen problem auf weltmarktebene zu tun. denkt daran, wenn ihr diesen winter in euren fruehstuecksapfel vom rio paraná beisst.





Korrektur zum hauptteil des features

anro 07.11.2005 - 15:24
im Hauptteil steht: "Parallel dazu nahmen mehr als 50.000 Menschen am Sommet des peuples de l'Amérique teil"

das ist franzoesisch - ich wuerde eher schreiben "cumbre de los pueblos de la america" oder "summit of the people of america".

(wenn die korrektur vorgenommen ist kann diese ergaenzung gleich wieder geloescht werden)

ein schuldiger fehlt an der misere fehlt noch

corlos el coyote 11.11.2005 - 19:41
einen habe ich natuerlich vergessen, der an dem momentanen elend schuld ist: der staat! die exportwirtschaft ist auch deshalb so stark, weil sie staatliche zuschuesse erhält. der argentinische wirtschaftminister geht selber davon aus, dass eine vorlaeufige ruecknahme der zuschuesse kurzfristig einen positiven effenkt auf die preise der grundnahrungsmittel haben wuerde. und warum tut er das dann nicht?!