Bolivien: Interview mit Oscar Oliveira

Johnny Cop 01.06.2005 00:36 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Oscar Oliveira ist Funktionär der Fabrikarbeiter und der Coordinadora por el Gas (“Koordination für das Gas”). Er war als Leiter der “Coordinadora del Agua y por la Vida” (“Koordination des Wasssers und für das Leben”) wesentlich an den Ereignissen des “Krieg ums Wasser” in Cochabamba 2000 beteiligt.
Oscar Oliveira ist Funktionär der Fabrikarbeiter und der Coordinadora por el Gas (“Koordination für das Gas”). Er war als Leiter der “Coordinadora del Agua y por la Vida” (“Koordination des Wasssers und für das Leben”) wesentlich an den Ereignissen des “Krieg ums Wasser” in Cochabamba 2000 beteiligt. Obwohl sich die Wasserversorgung auch nach dem Rauswurf von Agua de Tunaris nicht gebessert hat, und heute wieder von einer staatlichen Einrichtung verwaltet wird, steht für Oliveira Cochabamba für einen Bruch mit den Verhältnissen…..



Im April 2000 fand der “Krieg ums Wasser” (“La Guerra del Agua”) in Cochabamba statt. Die Bevölkerung war in der Lage das Militär und die Polizei aus der Stadt zu werfen und den Vertrag mit dem multinationalen Konzern Aguas de Tunari zu annullieren. Warum war der Widerstand so stark?

Die Wasserverteilung in Cochabamba ist ein Problem seit vielen Jahren. Nur 50 Prozent der Leute sind an die offizielle Wasserversorgung angeschlossen. In einem Drittel der Randbezirke haben die Anwohner deshalb gemeinschaftliche Wassersysteme wie Brunnen konstruiert. Im Oktober 1999 entschied die Regierung auf Druck der Weltbank die Wasserversorgung zu privatisieren. Daraufhin stiegen die Wassertarife um bis zu 300 Prozent. Darüber hinaus sollten alle gemeinschaftlichen Wassersysteme Eigentum des Unternehmens werden. So verbat Aguas de Tunari zum Beispiel die Konstruktion von Regenwasserauffangbecken. Wasserquellen, die die Bauern über Jahrhunderte genutzt hatten, hörten auf ihr Eigentum zu sein. Die Leute suchten überall Hilfe, von der Regierung bis zu den Gewerkschaften, aber niemand wollte sich mit diesem Fall beschäftigen. Also beriefen die Bauern und Indígenas selbst eine Versammlung für das Wasser ein und organisierten die “Coordinadora del Agua y por la Vida”.

Es war sehr vielfältiger und partizipativer Raum, ohne Hierarchien, in dem die Entscheidungen in der Asamblea getroffen wurden. Es wurden fünf Personen gewählt die als Sprachrohre fungierten und die den Entscheidungen der Leute gehorchen mussten.



Die Leute aus Cochabamba bemächtigten sich ihrer Stadt, es wurde aber nicht versucht, dies auf ganz Bolivien auszuweiten. Warum wurde die Situation nicht ausgenutzt?

Ich glaube, dass das passiert ist. Wir warfen ein transnationales Unternehmen aus der Stadt, das sich viel Geld der Leute aneignen wollte. Aber für mich war das wichtigste, dass es ein politischer Sieg war. Cochabamba hat gezeigt, dass die einzige Kraft, die die Gesellschaft ändern kann, die Einheit, Organisation und Mobilisation der Leute ist und nicht irgendein Anführer. Alles, was nach 2000 passierte, ist eine Konsequenz aus dem «Krieg ums Wasser».



Was bedeutet diese Erfahrung von Cochabamba für die sozialen Bewegungen?

Ich glaube, dass dieser Sieg vielen Leute viel Inspiration, Hoffnung und Kraft gegeben hat. Es war wichtig, dass die Bolivianer sahen, dass es möglich ist, Siege zu erringen. Cochabamba war eine Art Bruch für das politische System. Die bolivianischen sozialen Bewegungen haben seitdem nicht eine Niederlage erlitten und die Regierenden und Unternehmer haben viel Angst vor dieser neuen Form der Organisation. Man organisiert sich nicht mehr in den traditionellen Formen wie für den Lohn, sondern für die Dinge des täglichen Lebens wie das Wasser. Die Bolivianer gewannen nicht nur die Kapazität, sich zu organisieren nach der Diktatur zurück, sondern auch die Fähigkeit zu sprechen und Vorschläge zu machen. Die Leute sagte nicht nur “Nein”, sondern “Wir wollen es so”.



Was ist aus der “Coordinadora del Agua y por la Vida” nach dem Konflikt geworden? Arbeitet sie weiter?

Die Koordination besteht weiter im Gedächtnis und der Imagination der Leute, die sie getragen haben. In konfliktreichen Zeiten beziehen sich die Menschen auf den Sieg von 2000 und fangen an, sich zu organisieren. In Zeiten, in denen es relativ wenige Konflikte gibt, verschwinden wir.



Heute wird von der Rückgewinnung der Souveränität über das bolivianische Erdgas und Erdöl gesprochen. Glaubst du, dass die sozialen Bewegungen derzeit so stark sind, um dies zu erreichen?

“La Guerra del Agua” war eine große Anstrengung der Leute. Aber um die fossilen Brennstoffe zu nationalisieren und sozialisieren, bräuchte es einer noch viel größeren Anstrengung. Denn es handelt sich hier um einen Rohstoff von immenser Wichtigkeit für die Länder des Nordens, hinter dem gigantische ökonomischen Interessen stehen. Ich glaube nicht, dass wir dafür in diesem Moment die ausreichende Stärke haben. Der Vorschlag des MAS, eine Konzessionsabgabe von 50 Prozent auf die Förderung von Erdgas und Erdöl zu erheben, ist jedoch ein Schritt, den wir alle gehen können und sollten, die Reformisten wie der MAS und die Revolutionäre.



Ein aktuelles Thema ist die Verfassungsgebende Versammlung (VV), mit der viele Gruppen beschäftigt sind. Was erwartest du vom dieser Initiative?

Sinn und Zweck dieses Treffens ist es, einen kollektiven Willen zu entwickeln, der definiert, was für ein Land wir in den nächsten 50 Jahren sein wollen. Es geht darum, ein neues Staatsprojekt zu entwickeln, in dem auch an Formen der Regierung der indigenen und bäuerlichen Gemeinden integriert werden können.

Die Verfassungsgebende Versammlung versucht von “unten”, in einem kollektiven Akt, etwas Neues zu konstruieren, ohne Anweisungen und Anführer. Es geht um einen neuen Typ von Institutionalität jenseits der repräsentativen Demokratie, mehr nach dem Vorbild der Gemeinderäte und Basisversammlungen. Aber die Verfassungsgebende Versammlung ist kein Endpunkt.

Ich glaube allerdings nicht viel an die VV. Sollen sie damit weiter machen, aber wenn das nicht funktioniert, haben wir immer noch unsere autonome Vision. Ich glaube an die Selbsteinberufung der Leute und nicht an den Staatsapparat, der nicht funktioniert.



Es gibt zurzeit den Versuch, autonome Regierungsformen aufzubauen wie in den aymarischen Gemeinden. Autonome Räume gegen Verfassungsgebende Versammlung? Ist das ein Widerspruch?

Einige, die an die Selbstregierung denken, sehen alle Formen des Dialoges erschöpft. Die aymarische Region um La Paz ist, glaube ich, ein Bereich, wo der Staat überhaupt keinen Einfluss hat. Und auch in El Alto hat er nur sehr bedingt Einfluss.

Für uns ist die VV nicht der Schauplatz unserer Arbeit und Hoffnungen. Wir konzentrieren uns darauf, Formen der Selbstregierung aufzubauen Vielleicht wird es zu einer schweren Konfrontation zwischen uns und den Interessen der Petro-Industrie geben. Dieses Szenarium ist wahrscheinlicher.

Die GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) ist übrigens auch stark in die Vorbereitung der VV verstrickt. Sie ist maßgelblich daran beteiligt, die Form der VV zu entwerfen. Das gleiche gilt auch für die Wasserpolitik in Bolivien. Diese wurde vor ihr und nicht von der Regierung entworfen. Wir haben gemerkt, dass wir beim Thema Wasser nicht länger gegen die Regierung kämpfen müssen, sondern gegen die GTZ.



Welche Probleme siehst du mit den selbst regierten Räumen?

Einerseits versuchen wir, einen neuen Typ von Institutionalität zu etablieren, es fehlt an Formen der Selbstregierung. Auf der anderen Seite können wir uns auch nicht vom Rest des Landes abtrennen. Die ökonomische Basis Boliviens sind das Erdöl und Erdgas. Der rohstoffarme Westen braucht die östlichen Regionen wie Santa Cruz und Tarija, in denen das Erdöl und Erdgas liegt.

Interview: Johnny Cop
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