20 Jahre WAA Wackersdorf

Jens Steiner 04.02.2005 15:18 Themen: Atom Repression
Heute vor zwanzig Jahren wurde der Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf beschlossen. In der WAA hätte auch waffenfähiges Plutonium produziert werden können. Seit Anfang der Achtziger Jahre regte sich der Widerstand in der kleinen Gemeinde in Bayern und in der gesamten Bundesrepublik. 1986 fanden die Proteste ihren Höhepunkt. Bis zu 70.000 Menschen beteiligten sich an Aktionen des zivilen Widerstandes und Demonstrationen. Die 3400 Strafverfahren wurden erst Mitte der Neunziger Jahre abgearbeitet. Das Projekt großer deutscher Stromkonzerne wurde im Mai 1989 abgebrochen. 10 Millionen D-Mark hätte der Bau gekostet. 300 Millionen Mark setzten die VEBA und DWK in den Sand. Heute werden Brennelemente in die Plutonium Fabriken der COGEMA nach Sellafield in England und La Hague in Frankreich gebracht und dort aufbereitet. Auf dem alten WAA-Gelände im Oberpfälzer Seenland befindet sich heute eine Autorennbahn.
Ein Rückblick

Seit den siebzigerr Jahren machte sich die Bundesregierung ernsthafte Gedanken darüber, neben den in Bau befindlichen AKWs eine zentrale Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe die Krönung zu errichten. Die Ministerpräsidenten der Länder rissen sich jedoch nicht darum, WAAs in ihren Ländern zu bauen. Sie fürchteteten die Stärke der Atomkraftgegner. In den frühen Achtzigern rückten zwei Standorte in den Mittelpunkt. Das waren Dragahn in Niedersachsen und Wackersdorf in Bayern. Heute vor zwanzig Jahren fiel die Entscheidung für Wackersdorf im Landkreis Schwandorf. Aufgrund der Braunkohlevorkommen in der Region wurde die Gemeinde im Norden von Regensburg im letzten Jahrhundert schon mehrmals umgesiedelt.

Eines der politischen Zugpferde der deutschen Atompolitik war Franz Josef Strauss. Von der Errichtung einer WAA in den Kiefernwäldern Bayerns erhoffte er sich eine "rasche und ungestörte Realisierung des WAA-Projekts". Mit Ausschreitungen, wie man sie aus dem Jahr 1981 aus Brokdorf kannte, rechnete er auf Grund der Abgelegenheit nicht.



Foto: Arnim Reich

Im Sommer 1985 begannen die Rodungsarbeiten im Taxöldener Forst. Das Gelände der WAA wurde abgesteckt und befestigt. Zur Jahreswende 1985/86 kam es auf dem gerodeten Gelände zum ersten großen Polizeieinsatz. Ein Hüttendorf wurde von mehreren tausend Polizisten geräumt. Zwei Besetzungen des Bauplatzes wurden nach 2 bzw. 18 Tagen gewaltsam beendet.



Foto: Arnim Reich

Beim Ostermarsch 1986 zogen 50 000 Menschen an den Bauzaun mit Stacheldrahtsicherung. Die Friedensbewegung hatte auf den Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft aufmerksam gemacht und den Ostermarsch nach Wackersdorf organisiert. Symbolische Ansägeversuche und Würfe mit Erdklumpen wurden erstmals in der Geschichte der BRD mit Wasserwerfern, deren Wasser mit dem völkerrechtlich geächteten chemischen Kampfstoffen CN und CS vermischt war, bekämpft.



Foto: Arnim Reich

Die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 verdeutlichte Gefahr der Atomenergie. Der Protest gegen das WAA-Projekt verstärkte sich. Zu Pfingsten 1986 setzte die Polizei setzte mehrere Hundertschaften mit Wasserwerfern und Räumpanzern gegen Protestierende ein. Der Bundesgrenzschutz setzte Hubschrauber ein und feuerte Gasgranaten ab.Auch Zelte des Roten Kreuzes wurden getroffen. 15000 Menschen protestierten. Über 400 Menschen wurden verletzt. In den westdeutschen Medien wurden sie als vermummte Gewalttäter, paramilitärische Gruppen und Terroristen diskreditiert. Auch SEK-Kommandos aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, ausgestattet mit langen Holzknüppeln, wurden gegen Protestierende eingesetzt. Im Frühsommer und Herbst 1986 kam es zu weiteren Polizei-Großeinsätzen gegen Atomkraftgegnerinnen und -gegner in Wackersdorf.



Foto: Arnim Reich

Im Oktober 1986 verlor die CSU bei der Landtagswahl in Bayern ihr Direktmandat im Schwandorfer Raum an die SPD. Die juristische Auseinandersetzung erlebte ihren Höhepunkt in einem viertägigen Verhandlungs-Marathon im Januar 1988. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mußte den Bebauungsplan aufheben, weil nuklearspezifische Risiken bei der Aufstellung des Planes nicht ausreichend berücksichtigt worden waren. Durch den geänderten Bebauungsplan wurde eine Neuauflage des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens notwendig. 81000 Einwendungen wurden eingereicht.


Foto: Arnim Reich

1987 kam es zu den bis dahin schwersten Ausschreitungen. 30.000 Menschen kamen friedlich am 10.Oktober zum festungsartigen Bauzaun der WAA. Eine Sondereinheit aus Berlin prügelte auf die Menschen ein. Unter den Opfern befanden sich auch Journalisten, Bundestagsabgeordnete und Kinder.


Foto: Arnim Reich

FotosImpressionen Wackersdorf II
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Ergänzungen

Wo warst Du denn Pfingsten 86?

egal 04.02.2005 - 16:38
Pfingsten 86 nur als Polizeiwillkür zu beschreiben geht doch ein wenig an den Tatsachen vorbei. Nach den Gewalterfahrungen bei den Räumungen und danach und unterstützt durch die atomkaftkritische Haltung großer Teile der Bevölkerung nach Tschenobyl, waren viele zum Pfingscamp gekommen, um sich zu wehren. Dies gelang auch sehr gut. Der Zaun war danach ein Schweizer Käse und größere Polizeieinheiten wurden in die Flucht geschlagen. Die Unterstützung der militanten Atomkraftgegner nahm ungeahnte Ausmaße an. Die wenigen gewaltfreien, bzw. das Gewaltmonopol des Staates verteidigenden, DemonstrantInnen wurden von sehr bürgerlich wirkenden SchwandorferInnen heftig zurechtgewiesen und zum Teil wild beschimpft. AtomkraftgenerInnen aus meiner Region liefen danach tagelang mit einem dicken Grinsen im Gesicht herum und die nicht dabei waren, bissen sich kräftig in den Arsch.
Natürlich gab es auch an Pfingsten die sattsam bekannte Polizeibrutalität und die Gasgranaten auf die Sani-Station. Aber sie haben eine Antwort bekommen und so gibt es eigentlich keinen Grund zum Jammern, außer dass wir diesen Erfolg nicht inhaltlich nutzen konnten, um aus der Atni-AKW-Bewegung eine umfassendere soziale Bewegung zu machen. Nach den Niederlagen in Brockdorf und Wackersdorf im Juni 86 gelang es uns bei den Aktionstagen im Herbst 86 nicht, eine über den Kern der AKW-GegnerInnen hinausgehende Mobilisierung zu erreichen.
Die Schilderung von Oktober 87 deckt sich weitgehend mit meinem Erleben. Hilfloss mussten wir zusehen, wie Sondereinheiten der Polzei Jagd aus hilflose DemonstrantInnen machten und immer wiede auf bereits verletzt am Boden Liegende einschlugen.

Aktuelle Umfrage i.A. des dt. Atomforums

Xerexes 04.02.2005 - 17:41
siehe:
 http://www.instock.de/Nachrichten/10151905.html

Fazit: Hierzulande will man/frau Atomstrahlenschleuderanlagen/AKWs nicht!

Pfingsten 86

y 04.02.2005 - 18:13
Pfingsten 86 auf den strahlenverseuchten Wiesen rund um Wackersdorf wurde zehntausenden schlagartig deutlich, welche mörderische Konsequenzen Atomenergie hat. Entsprechend groß war war auch die Wut und der Wille den Bauplatz zu renaturieren. Gegen die Versuche von tausenden von DemonstrantInnen u.a. mit einer schweren Planierraupe den Bauzaun einzudrücken, angesichts mehrerer brennender Polizeiwagen, von polizeilichen Ausfällen in Hundertschaftsstärke, die immer wieder zurückgeschlagen wurden und regelmäßig in einer wilden Flucht der Staatsmacht endeten, war die Polizei nahezu an das Ende ihrer Möglichkeiten gelangt. Sie hatte dermaßen viel Tränengas versprüht und verschossen und schließlich sogar illegale Granaten aus dem Arsenal des Militärs (Jumping Frogs) aus Hubschraubern eingesetzt, dass am dritten Tag die Arsenale nahezu leer waren, weil es der Polizei unmöglich war, irgendwelchen Nachschub auf das Gelände zu bekommen. Der Einsatzleiter hatte sich daraufhin bei der bayrischen Staatsregierung die Erlaubnis zum Einsatz von Schußwaffen eingeholt. Pfingsten 86 in Wackersdorf war nicht ein Demonstration der Ohnmacht gegenüber einer brutalisierten Staatsgewalt sondern vielmehr eine der (viel zu) seltenen Momente spontaner kollektiver Stärke.

nicht vergessen

leider damals zu jung 04.02.2005 - 18:33
nicht vergessen werden sollte auch, dass im tränengasnebel am wackersdorfer bauzaun damals zwei menschen starben: einer an einem wegen tränengas zu stark gewordenem asmathischen anfall, der andere an herzversagen. bezeichnend auch, dass die bayerische staatsregierung, die zuvor immer verkündet hatte, sie werde sich nicht den protesten ("dem pöbel") beugen, dass projekt sang- und klanglos einstellte, als die industrie das interesse verlor.
wer das geld hat, hat die macht...

Es soll ja sogar ein Bagger

militant war's 04.02.2005 - 18:55
in den Bauzaun gefahren worden sein.

Das waren wirklich Zeiten...

HamburgerFlorist 05.02.2005 - 00:54
Jedesmal wenn ich von Wackersdorf lese und sehe, bekomme ich dieses wohlig-warme Gefühl ums Herz, was andere bekommen, wenn sie an eine lange zurückliegende schöne Urlaubserinnerung denken...

Die ewigen stundenlangen Fahrten von Hamburg in den Taxöldener Forst - sozusagen echt am "Arsch der Welt" - ab Sommer 85. Der gelungene Versuch, die mehrheitlich konservative bayerische Landbevölkerung mit linksradikalen Widerstandsformen vertraut zu machen und sie - spätestens nach den Polizeiexzessen zu Ostern 86 - auch gezielt in diese einzubinden.

Trotz vieler unvergesslicher Erlebnisse in meiner aktiven Zeit der Achtziger - Brokdorf und Sare-Demos, Hafenstraße und IWF, WWG in Bonn und Haig/Reagan in Berlin - bleibt Wackersdorf DAS Ereignis schlechthin.

Warum? Nicht unbedingt primär wegen der gefühlten Intensität der massiven Konfrontation mit der geballten Staatsmacht, diese gab es in ähnlicher Form seinerzeit auch in anderen Orten der Bundesrepublik.

Sondern einfach deshalb, weil in Wackersdorf ein einmaliger Zusammenhalt und ein Gemeinschaftsgefühl von tausenden Menschen unterschiedlichster politischer Herkunft über Monate hinweg uns zusammenhielt!
Das hatte es so nie zuvor - auch nicht im Frankfurter Startbahn-Herbst 81 - gegeben und danach mit der einsetzenden Lethargie der linken Bewegung ab den späten Achtzigern sowieso nicht mehr.

Wenn ich heute an den WAA-Widerstand zurückdenke, muss ich allerdings auch sagen, das dieser immense - auch in seiner Massenmilitanz immense - Zusammenhalt erst mit dem Reaktor-Unglück von Tschernobyl einsetzte, weil wir als radikale Linke erst ab diesem Zeitpunkt wirklich die Massen hinter uns hatten und ohne den sowjetischen Super-GAU der Massenwiderstand zu Pfingsten niemals in dieser Form möglich gewesen wäre.

Wenn ich heute an die angsterfüllten, fast panischen Gesichter der jungen Polizisten zurückdenke in dem Moment, als wir mit unseren Zwillen auf sie zielten, tut es mir fast ein wenig leid.
Heute würde ich sicher nicht mehr so handeln.

Aber vor 19 Jahren war das Fehlverhalten des Staatsapparates vor Ort und in der Politik einfach dermaßen gross, das viele keine andere Möglichkeit mehr sahen als die der offenen Konfrontation.

Tja, damals...

armin 05.02.2005 - 04:08
...haben halt nicht nur die Kiddies gekämpft, sondern auch so alte Typen wie du und ich - und nicht zuletzt sogar die alten Omis und Opis. Und noch viel besser: sie haben sogar miteinander geredet und sich nicht nur dauernd gegenseitig angekeift. Wenn wir es dahin nur mal ohne Not im Nacken schaffen würden. Aber dazu brauchts wohl wieder mal ein Wackerbyl.

Kommt ein Bagger gefahren....

Warhead 05.02.2005 - 21:56
Da stand die ganze Zeit ein Bagger entfernt vom Geschehen...gelb dachte ich und ging weiter...auch am nächsten Tag...gelb,doch dann kam die Idee.Also gingen technisch versierte Leute los und machten Spätschicht,die konnten problemlos durchbrechen und völlig unbehelligt ein wenig Kleinkram zusammenschieben,die Bullen griffen nicht ein,der Zug der dazu abkommandiert wurde meuterte...es war überhaupt vorher erst zweimal vorgekommen das Bullen meuterten.Einmal in Brokdorf,wo eine Hundertschaft geschlossen einen Angriffsbefehl verweigerte und die Helme ablegte und einmal im Wendland wo sich zwei Züge weigerten und sich mit Blockierern solidarisierten...ähh wie gesagt er meuterte,die waren übermüdet,abgeschabt,ausgebrannt und mit den Nerven fertig.
Für den Bagger gabs dann Wochen später einen verbalen Einlauf,den wollte wohl eine andere Gruppe nutzen,die nicht damit rechnete das sich ein paar Spasspunks mit dem Ding auf den Weg machen

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