Agrarminister gegen Computerexperten

Max Laue 20.12.2004 13:51 Themen: Freiräume Globalisierung Netactivism Soziale Kämpfe
Die Minister der EU für Agrar und Landwirtschaft sollen am Dienstag, so will es die Niederländische Ratspräsidentschaft eine Richtlinie im Ministerrat durchwinken, welche das Patentrecht auch für die Dienstleistungsbranche Software anwendbar und durchsetzbar macht. Dagegen haben sich mehrere hunderttausend Europäer ausgesprochen. WWW-Papst Tim Berners-Lee, Algorithmenpapst Knuth und die Linuxgurus Torvalds und Cox sind sich einig, dass das nichts gutes bedeuten wird. Schlimm: Es soll ein Entwurf abgesegnet werden, der unter dubiosen Umständen von der irischen Ratspräsidentschaft im Mai mit einem deutschen Täuschungsmanöver durchgepaukt wurde und von zahlreichen nationalen Parlamenten einschliesslich des Bundestages verrissen wurde. In Deutschland muss nun Renate Kühnast entscheiden, was ein Parteitagsbeschluss und ein Parlamentsvotum wert sind. Ausserdem: Sobald der Entwurf neu diskutiert würde, als B-Item angeführt, hätte er keine Mehrheit mehr. Die niederländische Ratspräsidentschaft hat deshalb vor Weihnachten den Punkt auf die Tagesordnung gesetzt, erst am heutigen Montag, dann wurde es spät am letzen Freitag auf Dienstag verschoben (und ist noch nicht offiziell auf der Agenda, weil die abgeänderte Tagesordnung noch nicht veröffentlicht ist).
Die deutsche Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Renate Kühnast, soll nun gerade eine Richtlinie im Ministerrat der EU durchwinken helfen, die Verbraucher extrem benachteiligt. Die müssen die Zeche schon heute zahlen, wenn sie z.B. keine legale Möglichkeit haben DVD-Filme unter dem Betriebsystem Linux sich anzugucken. Sie tragen über die Preise die Zeche für das Versagen der Ministerin, die sich in ihrem Ressort Verbraucherschutz nbislang kein bisschen um das Thema gekümmert hat und es ihrer Kollegin Brititte Zypries überlassen hat. Brigitte Zypries aber steht unter dem Einfluss des Bundesjustizministeriums, in dem die Patentanwälte einen hervorragenden Verbündeten gefunden haben. Ferner ist Zypries für das Deutsche Patentamt zuständig.

Patentanwälte sind die treibende Kraft hinter der Richtlinie, denn sie sind die einzigen, welche an dem verkehrsfremden Rechtsinstrument verdienen. Während in der Debatte um das Patent auf Leben diese Interessengruppen sich auf tatsächliche Wirtschaftliche Interessen berufen können, gibt es diese im Softwarebereich überhaupt nicht. Ihrem Lobbying in den Institutionen ist es geschuldet, dass das Patentrecht, das ursprünglich für die Industrie gedacht war und auch auf diese ausgerichtet ist, nunmehr auch auf den Dienstleistungssektor expandiert, wo es mehr Schaden als Nutzen anrichtet.

Gerade im Bereich der Software, die durch Urheberrecht geschützt ist, ist der Doppelschutz durch Patentrecht fatal und in Verletzung des TRIPs-Abkommenens und der WIPO Urheberrechtsrichtlinie.

Mehr dazu findet man bei CodeLiberty:  http://beauprez.net/softpat/

Die niederländische Ratspräsidentschaft hat in den letzten Wochen großen Druck auf Polen ausgeübt, damit Polen nicht nach einer B-Abstimmung fragt. Wenn nämlich die Richtlinie im Rat neu diskutiert würde (was bei B-Items der fall ist), hätte die Richtlinie keine Mehrheit mehr. Nun aber steht die Richtlinie als A-item auf dem Programm und das ausgerechnet bei dem Rat für Fischerei und Landwirtschaft, wo der Kompromiss zur Richtlinie vom Mai dieses Jahres einfach durchgewinkt werden soll. Bis zur letzen Minute versuchte die niederländische Ratspräsidentschaft zu tricken und zu täuschen. Erst hieß es ans belgische Parlament, es werde erst unter der luxemburger Pärsidentschaft verabschiedet. Dann wurde es auf den Umweltrat als A-Punkt von der Ratspräsidentschaft gesetzt und nach Rückfragen irritierter niederländischer Parlamentarier am Freitag auf den Dienstag verschoben.

Das niederländische Parlament hatte die niederländische Regierung unter Brinkhorst und Gennip scharf verurteilt und Misinformation angeprangert.

considering that the minister of Economic Affairs misinformed the Parliament about the nature of the planned proposal shortly before the Council meeting, as a result of which the Parliament was unable to fulfil its controlling task as it should;

considering that a directive about the patentability of software must lead to harmonisation of legislation within the EU in order to prevent excesses with regard to the patentability of software;

EXPRESSES its [the Parliament's] opinion that the political agreement as reached at the Competitiveness Council of 17 and 18 May 2004 offered insufficient guarantees to prevent excesses with regard to software patentability;

CALLS UPON the government to convey this opinion of the Parliament to the other (EU) member states;

CALLS UPON the government to act according to this opinion in further discussions of the Council proposal, and from this present moment, abstain from supporting the current Council proposal,

Ausserdem wurden die Regierung genötigt ihre Position zu ändern. Die niederländische Regierung aber hat das so interpretiert, das dies nicht für die erste Lesung gelte, weil angeblich gar nicht abgestimmt werde. Europarechtler haben das verrissen. Und in der zweiten Lesung kann aber gar nichts mehr inhaltlich machen. Auch das Eu-Parlament ist in zweiter Lesung sehr eingeschränkt und der strittige Ratsentwurf hat das votum des Eu-Parlamentes vollständig ignoriert, ja noch einen drauf gesetzt durch die Einführung von "Programmansprüchen". Mit Programmansprüchen ist auch die Freiheit zur Veröffentlichung von Software gefährdet.

In Deutschland kann Frau Kühnast verhindern mit ihrer Stimme im Rat, dass die europäische Demokratie beschädigt wird. Ihre Partei und die Europagrünen haben ohnehin schon den Ratsentwurf verrissen, auch der Bundestag hat sich interfraktionell gegen den Entwurf vom Mai ausgesprochen.


Wer über Webspace verfügt, der kann bei einer Netzdemo mitmachen:
 http://tinyurl.com/3rpep

Heisebericht zum Thema:
 http://www.heise.de/newsticker/meldung/54456
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Ergänzungen

Noch ein Artikel dazu

Sebastian K. 20.12.2004 - 15:24
Hab fast gleichzeitig auch was geschrieben:  http://de.indymedia.org/2004/12/102114.shtml
Vielleicht wär das Thema ja mals was für die Mittelspalte.

patente

l. 22.12.2004 - 15:41
mit patenten ist das so, daß eigentlich jeder welche ausstellen kann. also, jeder private interessenverein wie die EU, die BRD oder Hinz und Kunz kann Urkunden ausstellen die irgendwem gegen Bares das alleinige "Recht" einräumen irgendetwas zu besitzen.

wieviel wert solche patenturkunden haben hängt davon ab, wieviele menschen in der öffentlichkeit ihre gültigkeit akzeptieren.

immerhin kann jeder trottel mit einem stück papier daherkommen, das ihm eigentumsrechte an der physik, der informatik oder der mathematik einräumt.

warum sollte man sich davon beeindrucken lassen? vor allem, wenn softwarepatente nichts weiter sind als eine billige möglichkeit für die EU geld in die eigene Kasse zu spielen.

am besten patente ignorieren, kopierrecht genauso, und das netz so dezentralisieren dass autoritäten die freie wissensverbreitung nicht mehr eindämmen können.