EU-Rat drückt Softwarepatente durch - Proteste

Sebastian K. 20.12.2004 14:27 Themen: Globalisierung Medien Netactivism
In einer undemokratischen Prozedur soll morgen in Brüssel die Richtlinie über "computerimplementierte Erfindungen" unter Verletzung der Geschäftsordnung des Rates durchgedrückt werden. Nachdem es für Softwarepatente im Rat und den Parlamenten keine Mehrheit mehr gibt, veranlasste die niederländische Präsidentschaft, die Richtlininie schnell vor Weihnachten im morgen tagenden Agrar- und Fischereirat(!) ohne Debatte abnicken zu lassen.
Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) protestierte heute mittag vor dem Bundesministerium für Verbraucherschutz und startete eine Onlinedemonstration. Auf einer Informationsseite sind zahlreiche Kritikpunkte zusammengefasst. Die Onlinedemonstration und verschiedene Apelle richten sich explizit an Ministerin Renate Künast, die für Deutschland abstimmen wird (Offener Brief).
Nicht nur in Deutschland oder den Niederlanden wurde die Einführung von Softwarepatenten in den Parlamenten abgelehnt. Doch die verantwortlichen Minister ignorieren die Beschlüsse und versuchen mit allen Mitteln die Interessen von Microsoft und Co. durchzusetzen. Die Fakten die im Rat geschaffen werden, sind nur schwer zu ändern - so ist zum Beispiel die absolute Mehrheit der Abgeordneten notwendig.
Kritik an diesen Aktionen kommt von vielen Seiten: Der Vizepräsident der EVP-Fraktion im Europaparlament Karas (Österreich) verurteilte die zweifelhaften Vorgänge im EU-Rat bereits als "antidemokratisch", die Mittelstandsvereinigungen warnten Bundeskanzler vor Softwarepatenten. Auch zahlreiche Firmen und Wissenschaftler sprechen sich gegen Softwarepatente aus.
Wenn Softwarepatente eingeführt werden, könnte dies das Aus für die meisten kleinen und mittleren Softwareunternehmen bedeuten. Auch das Betriebssystem Linux wäre von knapp 300 Patenten. bedroht. Anders als beim Urheberrecht können Patente eigenständige Schöpfungen blockieren. Mehr als 30.000 solcher Patente auf computer-eingekleidete Organisations- und Rechenregeln sind bereits angemeldet. Darunter fallen Ideen wie der Doppelklick, der Fortschrittsbalken, Links usw. Während sich klassischen Patente für konkrete Erfindungen gelten, sind mit den Logikpatenten Ideen patentierbar, die niemand außer dem Patentinhaber mehr benutzen darf. Die Patentinhaber sind aber selten diejenigen, von denen die Ideen stammen. Patente können ver- und gekauft werden. So verwundert es nicht, daß sich die meisten der angemeldeten Patente im Besitz einiger weniger befinden. Den nun beginnenden Änderungen des Patenrechts gingen zahlreiche Gesetzesbrüche und eine intensive Lobbyarbeit durch Patentjuristen, kommerzielle Rechteverwerter und Konzerne voraus. Mehr dazu: Logikpatente in Europa.


Aktuelle Meldungen von heute:
- Softwarepatente durch die Hintertür (Infosat)
- Neue Online-Demo gegen Software-Patente (Standard)
- Webdemo gegen Softwarepatente durch die Hintertür (symlink)
- Demo gegen drohenden Ratsbeschluss zu Softwarepatenten (heise.de)
- Aktionen und Gegenaktionen um die Softwarepatent-Direktive (Pro-Linux)
In der Mainstreampresse ist so gut wie nichts zum Thema zu lesen. Das hängt wohl auch damit zusammen, daß die Medienkonzerne in Europa ebenfalls zur Lobby der neuen Patent- und Copyrightgesetze gelten. Dazu wurde erheblicher Druck auf die Parlamente ausgeübt.



Banner für die Onlineaktion:

Renate Künast, bitte hier klicken!
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

EU undemokratisch

Fabi 20.12.2004 - 15:09
Die EU ist extrem undemokratisch und untransparent. Entscheidungen werden nicht im Parlament getroffen, sondern in kleinen Kungelrunden. Dort werden sie nicht diskutiert, sondern ungelesen abgenickt. Neue Gesetze und Verordnungen werden meist von Lobbyverbänden geschrieben. Es gibt keine demokratische Kontrolle. In der EU-Verfassung sind so ziemlich alle demokratischen Errungenschaften gestrichen.
 http://osxiphias.spymac.net/C1717615588/E774644699/
 http://euverfassung.blogger.de/stories/35925/
 http://www.attac.de/stuttgart/dokumente/eu/eu_entwurf_groth.htm

Jemand nannte die EU-Verfassung außerdem mal (wohlbegründet) eine "reine Militärverfassung".
 http://www.imi-online.de/2003.php3?id=711

Was durch die neuen Gesetze alles möglich ist, kann man an diesem kleinen Beispiel sehen, wo eine kriminelle Anwaltskanzlei viel Geld mit den Gesetzen machen will:  http://www.kefk.net/Network/Abmahnung/index.asp

Von all den hunderten Zeitungen in Dtl.

X 20.12.2004 - 17:05
...berichtet bisher keine einzige darüber. Ausnahme sind ein paar Online-Magazine und die Online-Ausgabe des Spiegel:

Morgen wird der EU-Rat sehr wahrscheinlich die umstrittene Richtlinie zu Softwarepatenten verabschieden - im Agrar- und Fischereirat. Europas Softwarebranche läuft Sturm gegen eine Entscheidung, von der ausschließlich IT-Riesen wie Microsoft und Siemens profitieren.
weiter:  http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,333758,00.html