Hartz IV trifft Flüchtlinge am härtesten

Rıza Baran 17.11.2004 11:59 Themen: Antirassismus Bildung Repression Soziale Kämpfe
Statt integrierender und humaner Erneuerung, Fortsetzung der diskriminierenden, ausgrenzenden und inhumanen «Ausländerpolitik»: Hartz IV
Seit der Ankündigung der Zusammenfassung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zum «Arbeitslosengeld II» unter dem Titel «Hartz IV» durch die Bundesregierung setzt sich die dagegen gerichtete Protestwelle verstärkt fort. Gemäß dieser Neuregelung haben nur die Hilfsbedürftigen und deren Angehörige einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, dessen Höhe ungefähr dem Sozialhilfesatz und den «angemessenen Unterkunftskosten» entspricht, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Wenn das Arbeitslosengeld II im Anschluss an das Arbeitslosengeld bezogen wird, kommt dazu zwei Jahre lang einen Zuschlag von maximal € 160.

Während für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II generell Erwerbstätigkeit der Arbeitssuchenden Deutschen ausreichend ist, wird bei den MigrantInnen zusätzlich «ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung ohne Beschränkungen erlaubt ist oder durch die Bundesagentur erlaubt werden könnte» nachgesetzt. Das heißt; es ist nach dem Gesetzestext jedenfalls unklar, ob MigrantInnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang einen Anspruch aus Arbeitslosengeld hätten, wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen erfüllen würden.

Die Hartz-Gesetze und die Einführung des neuen «Arbeitslosengeld II» (ALG II) bedeuten für bereits jetzt an den Rand gedrängte Flüchtlinge in Deutschland, dass sie noch weiter ausgegrenzt werden und deren Lage extrem verschlechtert wird. Die Arbeitslosenquote bei den hier lebenden MigrantInnen ohne deutschen Pass ist 24,9 Prozent, wobei die Asylbewerberinnen und -bewerber, die im ersten Jahr nicht arbeiten dürfen, noch gar nicht mitgerechnet sind.

Bisher haben einige Flüchtlinge Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Diese wird aber ab Januar vom ALG II ersetzt – und davon sind Flüchtlinge generell ausgeschlossen. Darin liegt ein großer Rückschritt. Für diese Menschen bedeutet das, dass sie, wenn sie ihren Job verlieren und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausläuft, mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen müssen. Diese liegen rund 30 Prozent unter dem Sozialhilfeniveau. Während also andere Arbeitslose mit dem ALG II auf Sozialhilfeniveau gedrückt werden, hat man sich für einen Teil der Flüchtlinge noch eine Stufe darunter ausgedacht. Außerdem haben die vom ALG II Ausgeschlossenen auch keinen Anspruch auf Fördermaßnahmen wie Fortbildung oder Wiedereingliederungshilfen. Damit werden die sowieso schon bestehenden enormen Schwierigkeiten dieser Menschen, eine Arbeit zu finden, noch verstärkt.

In der Praxis sieht das dann vielleicht so aus: Ein Flüchtling lebt seit fünf Jahren hier und wartet auf die Anerkennung seines Asylantrages, er hat sich mühselig einen sozialversicherungspflichtigen Job gesucht und sich etwas etabliert. Wenn er dann seine Stelle verliert und nicht bald eine neue Arbeit findet, dann kann es ihm – je nach dem, in welcher Kommune er lebt – passieren, dass er nicht einmal mehr Bargeld bekommt, sondern nur noch Einkaufsgutscheine und Sachleistungen. Er wird also aus seinem ganzen sozialen Gefüge, das er sich aufgebaut hat, herausgerissen.

Genauso kann es ab nächstem Januar auch abgelehnten Asylbewerberinnen und -bewerbern gehen, die aufgrund nachgewiesener Gefahr für Leib und Leben nicht abgeschoben werden können und daher eine Aufenthaltsbefugnis haben. Nach den neuen Gesetzen haben Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber, alle Personen im so genannten «Flughafenverfahren», Geduldete und die so genannten vollziehbar Ausreisepflichtigen keinen Anspruch auf das ALG II. Das gilt bisher auch im Falle von Erwerbslosigkeit als gegeben, wenn der Lebensunterhalt noch für sechs Monate durch den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gesichert ist. Da es aber künftig keine Arbeitslosenhilfe mehr gibt, bedeutet der Absturz ins ALG II beziehungsweise der für die genannten Gruppen noch tiefere Sturz, dass es wesentlich schwieriger wird, an diesen relativ sicheren Aufenthaltstitel zu kommen.

Hinzu kommt das Zusammenspiel mit dem neuen Zuwanderungsgesetz. Dieses weitet den Personenkreis derer aus, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Immer mehr Menschen bekommen Leistungen nach diesem Gesetz und verlieren damit ihren Anspruch auf ALG II.

Die durch den im Jahre 2002 gestarteten öffentlichen Diskurs bestätigte Anerkennung Deutschlands als ein Einwanderungsland, was im Allgemeinen zu recht als ein positives Novum in diesem Land bewertet wurde und bei den MigrantInnen eine große Resonanz hervorgerufen hat, wird leider durch die aktuelle Entwicklungen auf der Ebene der gesetzgeberischen Erneuerungen (Reformprogramm der Agenda 2010, Zuwanderungsgesetz, Hartz IV) rückgängig gemacht. Aber auch die erweckten Hoffnungen im Hinblick auf die hinfällige Integrationsproblematik der seit annährend 40 Jahren hier lebenden Zuwanderer werden enttäuscht werden. Denn die neueren Entwicklungen in diesem Land entsprechen ganz und gar diesem oben genannten positiven Zugeständnis nicht, sondern im Gegenteil; diese würden den großen Teil der MigrantInnen und alle AsylbewerberInnen und Flüchtlinge stärker denn je diskriminieren und ausgrenzen. Es liegt auf der Hand, dass für eine erfolgreiche Integration von MigrantInnen u.a. die Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten, vor allem aber die Teilhabe am Arbeitsmark die wichtige Voraussetzung ist. Dies wurde im Rahmen der seit Jahrzehnten geführten Diskussionen mehrfach nachgewiesen. Im Gegensatz zu dieser wissenschaftlich schon längst nachgewiesenen Tatsache und trotz des Zugeständnisses durch die derzeitige Regierung wird das so genannte Hartz-Gesetz druchgesetzt, obwohl es dem Sinn der Anerkennung sozialer und gesellschaftlichen Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft widerspricht.

Hatz IV versetzt MigranInnen und AsylbewerberInnen und deren Familien, die ohnehin in jeder Hinsicht, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, schlechter gestellt sind, in eine schlechtere Lage. Von der Verschärfung dieser Regelung, die für MigrantInnen insgesamt größere gesellschaftliche Hindernisse schaffen wird, sind aber besonders Flüchtlinge und so genannte Geduldete betroffen. Gerade diese Gruppe erhalten im ersten Jahr ihres Aufenthalts ein strikte Beschäftigungsverbot, und dann einen nachrangigen Arbeitszugang. Das heißt, sie bekommen konkret Jobs, die deutsche ArbeitnehmerInnen oder bevorrechtigte ausländische ArbeitnehmerInnen (z.B. EU-Bürger) nicht annehmen. Diese Rechtslage (Vorrangprüfung) gilt nicht nur für die oben genannten Gruppen, sondern auch für alle nicht-deutschen Staatsangehörigen, wenn sie nicht fünf Jahre in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren oder sechs Jahre sich ununterbrochen hier aufgehalten haben.

Es ist nicht zu akzeptieren, dass die ohnehin vorhandene Schlechterstellung der MigrantInnen und Flüchtlinge durch Gesetzesänderungen noch schlechter wird. Daher stellen wir als Demokratische Kurdische Gemeinde zu Berlin-Brandenburg mit der Übereinstimmung der Pro Asyl folgende Forderungen:

§ 285, Absatz 1, Nr. 2 SGB III a.F. (Vorrangprüfung) ist zu streichen, da die Regelung Arbeitslosigkeit befördert statt ihr entgegenzuwirken;
Der Ausschluss von ausländischen Staatsangehörigen vom Anspruch auf Arbeitslosengeld II stellt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Mindestens sind jedoch die Wörter «ohne Beschränkung» in § 8, Absatz 3 SGB II-Entwurf zu streichen.
§ 7, Absatz 1, Satz 2, letzter Halbsatz SGB II-Entwurf ist zu streichen. Personen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, pauschal vom Anspruch auf Arbeitslosengeld II auszuschließen, stellt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Mindestens muss gewährleistet werden, dass für diejenigen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II gewahrt bleibt, die zuvor beschäftigt waren.
In § 24, Absatz 2, Nr. 2 AuslG ist das Wort «Arbeitslosenhilfe» zu ersetzen durch «Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch». Hilfsweise muss das Wort «Arbeitslosenhilfe» ersetzt werden durch: «Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, wenn diese zumindest teilweise auf eigenen Leistungen beruhen.»
In § 419, Absatz 2, Nr. 2 SGB III neu vor dem Wort „und" einfügen:
«sonstige Ausländer, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind.»
Es ist sicherzustellen, dass auch Konventionsflüchtlinge einen Anspruch auf Sprach- bzw. Integrationskurse haben.
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Ergänzungen

Hartz IV trifft Flüchtlinge am Härtesten

User 17.11.2004 - 16:09
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