US-NGO deckt geheime FBI Überwachung auf

Winston Smith 03.06.2004 01:00 Themen: Netactivism Repression Weltweit
In einem Gerichtsverfahren, das auf Anordnung der Regierungsbehörden über Wochen komplett geheim gehalten werden musste, gelang es der US-Bürgerrechtsorganisation "American Civil Liberties Union" (ACLU) jetzt erstmals genauer darzulegen, wie das FBI auf private Daten, die bei amerikanischen Providern gespeichert sind zugreift. Erschreckend dabei ist, dass die Geheimdienste dank des "Patriot Act" (vom Okt. 2001) dabei keinerlei demokratischer Kontrolle mehr unterliegen. Da die betroffenen Provider über Abhörmaßnahmen keinerlei Auskunft geben dürfen, ist Umfang der Überwachung durch niemand außerhalb der Geheimdienste abzuschätzen. Was aber immer klarer wird, ist das die Behörden ihre Zugriffsmöglichkeiten nicht, wie im "Patriot Act" vorgesehen, exklusiv für die Jagd nach Terroristen einsetzen, sondern zusätzlich systematisch Daten von regierungskritischen Gruppen und Einzelpersonen ausspähen.

Artikel [en] dazu von Elaine Cassel von Civil Liberties Watch
Der Vorgang ist so banal wie beängstigend. Wenn die US-Regierungsbehörden Zugriff auf die privaten Daten eines Menschen haben wollen, schicken sie demjenigen, der diese Daten verwaltet einen so genannten National Security Letter (NSL). Ein Internet-Provider muss daraufhin umgehend Nutzerdaten und Passwörter der entsprechenden Person offenlegen und die Behörde erhält vollen Zugriff auf alle gespeicherten Daten. Das gleiche Verfahren wird übrigens auch bei Büchereien und Krankenhäusern angewandt um die Lesegewohnheiten und Krankengeschichte von Verdächtigten in Erfahrung zu bringen. Ein richterlicher Beschluss oder die Bestätigung durch ein prüfendes Gremium sind dazu nicht mehr notwendig.

Gleichzeitig mit dem NSL erhält die Firma oder Organisation, die zur Preisgabe der privaten Kundendaten gezwungen wird, eine umfassende Geheimhaltungsauflage. Auf Englisch sehr passend "gag-order" (Kebel-Befehl) genannt. Sie darf weder den betroffenen Kunden noch sonst irgendjemand über die Überwachungsmaßnahmen informieren. Betroffene erfahren nur dann von der Überwachung, wenn gegen sie Anklage erhoben wird, oder sie als Zeuge benötigt werden. Da die betroffenen Firmen selbst auf direkte Nachfrage keinerlei angaben darüber machen dürfen, ob und in welchem Umfang sie zur Datenweitergabe verpflichtet wurden, und weil die US-Behörden mit Verweis auf die nationale Sicherheit jegliche Angaben zu Art und Umfang durchgeführter Überwachungsmaßnahmen verweigert, ist nicht einmal abzuschätzen, wie viele Menschen von der stattlichen Schnüffelei betroffen sind. Möglicherweise nur eine Handvoll "potentieller Terroristen".

Der Fall eines lokalen Internet-Providers, den die ACLU jetzt bei seiner Klage gegen die US-Behörden vor einem New Yorker Gericht unterstützt, lässt aber den Verdacht aufkommen, dass das FBI eine erheblich größere Gruppe ins Visier genommen hat.

Obwohl die US-Regierung alles versucht hat, den Fall komplett geheim zu halten, hat die ACLU vor einem Bundesrichter durchgesetzt, dass sie zumindest einige Details des Verfahrens offenlegen darf.

Aus den Dokumenten, die nur nach umfangreichen Schwärzungen wichtiger Passagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten, geht hervor, dass der Kläger Betreiber eines Internet-Dienstleisters ist, der u.a. von politisch aktiven US-Bürgern genutzt wird. Er beklagt, dass er durch die Geheimhaltungsauflagen das Vertrauensverhältnis zu seinen Kunden gestört wird, weil er auf deren direkte Frage, ob sie von Abhörmaßnahemn betroffen sind, lügen und mit "Nein" antworten muss.

Auch die ACLU ist im Rahmen dieses Verfahrens Opfer diverser "gag-orders" (Kebel-Befehle) geworden, die ihr öffentliche Stellungnahmen unmöglich machen. Das ist besonders ärgerlich, weil der "Patriot Act" demnächst zur Verlängerung ansteht und Präsident Bush so, während er öffentlich für mehr "nationale Sicherheit" Werbung macht, einige seiner schärfsten Kritiker in der Sache mundtot gemacht hat.

Neben den konkreten Gefahren durch den fahrlässigen oder gezielten Missbrauch der eingesammelten privaten Daten, hat dieses Praxis des unkontrollierten staatlichen Zugriffs auf alle Daten der Bürgerinnen und Bürger auch verheerende Auswirkung auf die demokratische Entwicklung in einer Gesellschaft.

Wenn jeder, der den Staat öffentlich kritisiert, damit rechnen muss, als "Gefahr für die Nationale Sicherheit" ins Fadenkreuz der Geheimdienste zu geraten, erstickt der kritische Diskurs, der eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt ist, in einem Klima von Verunsicherung und dem Gefühl der Staatsmacht schutzlos ausgeliefert zu sein. Solche repressiven Gesellschaftssysteme verlieren damit wichtige Korrekturmechanismen. Demokratie bleibt dann nur noch als leere Formel auf dem Papier zurück.

Auch in Europa bleiben beim "Kampf gegen den Terror" immer mehr Grundrecht auf der Strecke. Dass die Maßnahmen für immer mehr "innere Sicherheit" langsam zur Gefahr für die Demokratie selbst werden, merkt subjektiv jeder, der in Tageszeitungen oder auf Internet-Seiten über immer ausgeklügeltere technische Überwachungsmöglichkeiten und immer weiter reichendere Befugnisse der Überwacher liest. Leider thematisieren bisher noch wenige politisch aktive diese Bedrohung.

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Ergänzungen

Bedenkliche Entwicklung

Pessimist 02.06.2004 - 02:25
Seit dem 11.September ist die gesamte wesltliche Welt in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. Die sog. "bürgerliche Demokratie" ist beendet, ein neues, repressives und totalitäres System etabliert sich, wird von bestimmten Kräften vorangetrieben. In den USA geht diese Entwicklung viel schneller und erdrutschartiger von statten. Schon der Wahlbetrug, mit dem Bush an die Macht kam, liess gewisse Vorahnungen zu.


Hier 3 (von viel mehr) Beispiele für weitere schlimme Entwicklungen in den USA in den letzten Tagen und Wochen:

- Sämtliche größeren Proteste diesen Sommer in den USA sind verboten!!
Feature:"G8 in den USA: Bürgerrechte im Notstands-Staat"
 http://de.indymedia.org/2004/05/84469.shtml

- Aktuelle Entwicklung der Datensammlung für das matrix-Projekt (geht dabei um "prophylaktische" flächendeckende Rasterfahndung der Gesamtbevölkerung)
 http://www.heise.de/newsticker/meldung/47827

- Schwarze Listen: In den USA haben die CIA und das FBI eine Liste angelegt, auf der die Namen von 120.000 mutmaßlichen Terroristen stehen.
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/17489/1.html
(bei  http://cryptome.org/ - einer kritischen Seite, vor der das FBI "warnt" - gibts die Liste zum Download)


Natürlich sind die meisten negativen Entwicklungen nicht neu:
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17553/1.html

Ähnliche Entwicklung in Deutschland

Pessimist 02.06.2004 - 02:27
Telekom will Kundendaten von Internetnutzern einsammeln
 http://www.heise.de/newsticker/meldung/47849

Bundesinnenminister Schily soll ein Gesetz zur einjährigen Speicherung von Internet- und Mobilfunkverbindungsdaten vorbereiten.
 http://www.heise.de/newsticker/meldung/47795

Was ist denn ein "Kebel"

Daniel 13.06.2004 - 21:18
Ich bin mir sicher, dass die Übersetzung von "gag-order" eher "Knebel-Befehl" heissen muss.

Grüße,
Daniel

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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tja

BedaSJ 01.06.2004 - 21:54
eine neues kapitel für die diskussion um die frage ob in den USA eine reale Faschismusgefahr besteht, besonders wenn mensch auch die Sachen die in dem Feature über die Repression wegen der G8 stehen berücksichtigt.